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1932
Die Weltbühne
Berlin-Charlottenburg 2
Kantstraße 152
25. Februar 1932
Lieber Doktor,
ein paar Worte nur zur Sache Herbers.
Ich habe nicht nur nichts dagegen, sondern bin sehr, sehr damit einverstanden, wenn Sie für Herbers eintreten. Ich bedaure außerordentlich, wenn bei Ihnen der Eindruck entstanden sein sollte, daß meine Abneigung gegen Küster, den ich für einen rüden Geschäftsmann halte und nicht mehr, sich auf alle seine Mitarbeiter ausdehnt. Daß dort Gutes geschaffen wird, daran habe ich nie gezweifelt, aber leider hat mir Herr Küster seit Jahren die Faust gezeigt, und ich kann nicht schützend vor jemanden treten, von dem ich annehmen muß, daß er mich selbst in diesem Augenblick als unerwünschte Konkurrenz empfindet und mit der Kniescheibe in den Hintern stößt.
Das ist meine Auffassung, die natürlich nur Geltung hat für normale Zeiten. Wenn man dem ganzen »Andern Deutschland« das Genick umdrehen will, müssen wir dagegen etwas tun, allerdings bin ich der Meinung, dabei zu betonen, daß wir es tun trotzdem ... Ganz anders liegt die Sache mit Herbers, der allgemein als der Idealist dieses Kreises gilt, der sehr viele persönliche Opfer gebracht und außerdem immer eine anständige persönliche Toleranz gewahrt hat gegen diejenigen Leute, die Küster, der Herr und Meister, in Acht und Bann getan hatte.
Wenn Sie also etwas für Herbers schreiben wollen, gut.
Sonst gibt es hier einigen Kummer.
Die Akten ruhen noch immer, aber es ist insofern ein unangenehmer Zwischenfall eingetreten, als im »Echo de Paris« Einzelheiten aus unserm Prozeß erscheinen. Ich möchte keine Vermutung wegen der Quelle äußern, aber ich komme dadurch, wie Sie sich denken können, in eine höchst schiefe Situation, weil ich natürlich jedem Verdachte offenstehe. Ich habe gestern den Anwalt ersucht, bei der zuständigen Stelle einen Antrag auf ein Untersuchungsverfahren gegen mich selbst einzureichen. Es scheint mir die einzige Möglichkeit zu sein, um unangenehme Konsequenzen zu vermeiden.
In der Sache »Soldaten sind Mörder« wird, das kann schon heute mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden, die Anklage erhoben werden. Es wird für Sie von Interesse sein zu erfahren, daß die Staatsanwaltschaft sich sträubt, weil sie die schwersten juristischen Bedenken hat, daß aber eine gewisse Behörde, die ich nicht näher zu bezeichnen brauche, heftig drängt. Wir müssen abwarten.
Es sind herrliche Zeiten; dazu habe ich gegenwärtig einen Schnupfen, der mich furchtbar quält. Wollen wir nicht unsre Nasen tauschen? Ich kenne Ihr altes Übel, aber ich glaube, ich fahre trotzdem dabei ganz anständig.
Herzlichst
Ihr Oss
*
den 29. Februar 1932
Lieber Doktor,
die Publikationen, von denen ich Ihnen mitteilte, schaffen eine völlig veränderte Sachlage. Ich brauche mich nicht in Einzelheiten ergehen, die Zeitungsblätter werden Ihnen in den nächsten Tagen zugehen. Sie sind Jurist genug, um zu wissen, daß diese Veröffentlichung ein ganz neues Verfahren nach sich ziehen muß. Die ersten Schritte sind geschehen, wenn es noch nicht eingeschlagen hat, so liegt das an der Langsamkeit der Leute. Der Verdacht richtet sich gegen alle Beteiligten. Unter den eingeleiteten Ermittlungsverfahren stehen auch die Anwälte und die Gerichtspersonen, die mit der Sache befaßt waren. Natürlich ist es ganz einfach, zu sagen, es sei der gewesen, der entwetzt ist. Natürlich, das liegt ganz nahe. Juristisch aber sieht die Sache anders aus. Er ist fern von Madrid, und wenn es ihm beifallen sollte, sich zu äußern, würde er natürlich auch seine völlige Unschuld versichern, würde er vielleicht sagen, ihm wären Papiere gestohlen, er wäre ausgeholt worden oder dergleichen. Wer will ihm das Gegenteil beweisen? Ich aber bin hier, und wie soll ich beweisen, daß ich mit den Publikationen nichts zu tun habe? Gewiß, man muß es mir beweisen aber kann man mit Indizien nicht viel, nicht alles machen?
Zum guten Glück habe ich dem Manne auf seine törichten Briefe überhaupt nicht geantwortet, sondern ausschließlich durch den Rechtsanwalt antworten lassen. Die unqualifizierten Vorwürfe, die er gegen uns erhoben hat: man hätte ihn schlecht verteidigt, man hätte ihn nicht genügend geschützt und dergleichen Dinge, die mich damals bis aufs Blut empört haben, können auf diesem merkwürdigen Wege noch zum Segen werden, denn sie belegen jedem verständigen Menschen – wozu ich aber vorsichtigerweise gewisse beamtete Juristen nicht zählen möchte –, daß wir mit der Sache nichts zu tun haben können. Obgleich ich genügend Kombinationen habe, wie die Sache in Wahrheit zugegangen sein mag, gedenke ich davon nicht Gebrauch zu machen. Das wird von den Anwälten übrigens mißbilligt, aber ich weiß gar nicht, warum ich dem System, das ich bekämpfe, und sei es auch nur zu meinem eignen Schutz, Handlangerdienste leisten soll. Ich beschränke mich hier auf Andeutungen, die Ihnen aber immerhin genügen werden, die Schwierigkeiten der Fragen zu fühlen, die Zwickmühle zu ahnen, in der ich sitze.
Zum Überfluß hat Küster in seinem Blättchen jetzt auch noch ein Stück aus dem »Pariser Echo« abgedruckt. Als ich das am Sonnabend sah, raufte ich mir die Haare und brüllte ich vor Wut über so viel Dummheit. Der Effekt ist eingetreten: Das »A. D.« ist heute auf drei Monate verboten worden.
Dazu werde ich kaum schweigen können. Das stellt eine neue Aufgabe, inwieweit dazu Stellung zu nehmen ist. Natürlich muß ich jetzt für das Blatt ein schützendes Wort schreiben, ohne uns selbst zu exponieren. Ich bitte Sie freundlichst, mir das zu überlassen. Die Formulierung geschieht nicht ohne juristischen Rat.
<leer/>
In der Sache »Soldaten sind Mörder« habe ich seitdem noch nichts gehört. Ich möchte noch einmal betonen, weil das aus Ihrem Brief nicht klar hervorgeht, daß in diesem Falle das Verfahren nur gegen mich geht. Der Untersuchungsrichter, von dem ich vor ein paar Monaten vernommen wurde, hat mir ausdrücklich gesagt, es sei zwecklos, gegen Sie vorzugehen, weil Sie doch niemals da wären.
Das ist die Sachlage, ob es dabei bleiben wird, weiß ich natürlich nicht. Ebensowenig kann ich jetzt schon absehen, ob Sie in irgendeinem Stadium literarisch oder physisch eingreifen müssen. Das wird ganz von der jeweiligen Situation abhängen. Schließlich handelt es sich hier, da die Sache ja nicht beim Reichsgericht anhängig ist, nicht allein um die erste Instanz. Gegen ein scharfes Urteil wird man Revision einlegen und die Sache durch alle forensischen Möglichkeiten treiben. Das ist das Günstige daran, und deshalb steht die Frage Ihres Eingreifens einstweilen nicht zur Debatte.
Herzlichst
Ihr Oss
*
Die Weltbühne
Berlin-Charlottenburg 2
Kantstraße 152
1. März 1932
Lieber Doktor,
Herr von Gerlach war vor ein paar Tagen bei mir wegen Ihres Briefes. Es hat da in einem Punkte ein Mißverständnis gegeben, das wahrscheinlich auf einen unklaren Ausdruck bei mir zurückzuführen ist. Also: Es ist von uns nicht beabsichtigt, daß Herr von Gerlach auch die juristische Verantwortung übernehmen soll. Das halten wir schon aus dem Grunde für gefährlich, weil jetzt möglicherweise eine Prozeß-Serie beginnt und wir nicht in der Lage wären, eine leitende Person nach der andern an die Justiz abzugeben.
Den Brief an Herbers habe ich weitergegeben. Was ich darüber denke, habe ich vor ein paar Tagen geschrieben. Ich bitte Sie also nun, bei uns für Herbers eine Lanze zu brechen. Ich glaube, die Frage, ob es H. nützt oder schadet, ist sekundär; es handelt sich um eine bereits öffentlich gewordene Angelegenheit.
Es hat mir einen kleinen Stich gegeben, daß Sie Herbers angeboten haben, im »Andern Deutschland« zu schreiben. War das nötig? Praktisch ist die Frage erledigt, da das Blatt auf 1/4 Jahr verboten ist. Aber seltsam hat mich das Angebot doch berührt, nachdem ich Ihnen ein paar Tage vorher wieder dargelegt habe, wie ich über die Leute denke.
Herzlichst
Ihr Oss
*
Die Weltbühne
Berlin-Charlottenburg 2
Kantstraße 152
8. März 1932
Lieber Doktor,
ich halte es für ganz richtig, daß Sie nicht geantwortet haben. Diese Protestiererei wird auf die Dauer idiotisch. Ich bin der Meinung, daß Sie einmal gelegentlich prinzipiell gegen diese Protestiermaschine schreiben und dabei die notwendigen Unterscheidungen treffen sollen.
Nicht für unrichtig halte ich Proteste in einzelnen deutlich profilierten Fällen; Sacco-Vanzetti, überhaupt das meiste, was Justiz angeht.
Völlig irrsinnig dagegen halte ich es, wenn zwischen zwei Mächten ein Konflikt ausgebrochen ist resp. auszubrechen droht und sich dann ein paar Laute und Korporationen hinsetzen und dagegen Verwahrung einlegen. Wenn sich ein einzelner oder auch eine Organisation in weltpolitische Händel hineinmischt, dann muß es mit sorgfältiger Begründung geschehen oder es muß dabei ein Pathos aufblitzen, das überzeugend wirkt. Aber diese schematischen Einsprüche im Telegrammstil sieht kein Mensch an. Außerdem ist auch mindestens jedem Menschen des öffentlichen Lebens das Schema der Unterschriftengarnitur vertraut.
Ich bin nicht der Meinung, daß diesmal so zu argumentieren wäre: wir kennen die Dinge nicht, und deshalb mischen wir uns nicht ein, sondern: weil wir die Dinge kennen, sind wir von der Wirkungslosigkeit solcher Proteste tief überzeugt. Diese Proteste sind kein politischer Kampf, sondern ein mit Recht mißachtetes Nebenbei. Ich würde es für gut und nützlich halten, wenn Sie dergleichen gelegentlich schrieben. Im übrigen bin ich der Meinung, daß Sie sich um diese Sache nicht weiter kümmern sollen. Auch wäre zu sagen, daß man nicht immer Leute um Unterschriften anschnorren soll, die man gestern noch als Könige aller Sünder verworfen hat und die man bereit ist, morgen wieder irgendwo hinzutreten. Das ist unwürdig und für den Unterschriftensammler ebensowenig ehrend wie für denjenigen, der sich breitschlagen läßt.
Wegen der in dem Brief angeschnittenen Fragen antworte ich Ihnen morgen. Ich habe mich zunächst einmal an den Advokaten gewandt, wie die Begnadigungsaktion steht.
Herzlichst
Ihr Ossietzky
1 Anlage
*
Die Weltbühne
Berlin-Charlottenburg 2
Kantstraße 152
10. März 1932
Lieber Doktor,
ich muß meine Briefschulden ratenweise abtragen, deshalb ad eins
Wahlkampf. Ich habe mich außerordentlich gefreut über Ihren Beifall. Die Sache war ungewöhnlich schwierig, und die brutale Wahrheit ist, daß ich taktisch laviert habe, während die Entscheidung radikal aussah. Unsre Parole für Thälmann hat, soweit ein schriftlicher Niederschlag aus dem Leserkreis vorliegt, bisher dieses Resultat gehabt: ein grober Brief, zwei freundliche Rügebriefe, eine Abbestellung. Ich bin überzeugt, wenn wir uns anders verhalten hätten, es wären Dutzende von Abbestellungen erfolgt. Eine Parole für Hindenburg war ganz unmöglich
a. nach unsrer Tradition,
b. nach meiner gegenwärtigen Situation,
denn Hindenburg wählen heißt Brüning und Groener bestätigen, heißt Zustimmung zu liberalen Ausflüchten. Unter diesen Umständen bleibt nichts andres, als aus dem Kreise herauszuspringen. Meine Begnadigungsaktion ruht einstweilen und dürfte vielleicht – bitte drei Mal auf Holz klopfen – bis zur Erledigung der Wahlkampagne ruhen. Wird Hindenburg wiedergewählt, so bedeutet das eine unerhörte Stärkung der reaktionären Positionen in der gegenwärtigen Regierung. Eine der ersten Leistungen des frischgewählten Regimes dürfte dann die Ablehnung der Begnadigung sein. Gewiß sind sonst persönliche Momente kein Anlaß, so oder so zu entscheiden – aber erstens für Hindenburg eintreten, dann die Amnestie kassiert, das wäre, by Jove, eine grauenhafte Blamage, und ich könnte mich in Europa für einige Zeit nicht mehr blicken lassen. Ich glaube, daß Sie für diese Argumentation Verständnis haben.
Es ist mir erzählt worden, daß unsre Parole für Thälmann in bestimmten Kreisen des Berliner Westens einen kleinen Wirbel hervorgerufen hat und heftig geschmäht wird. Ich kann das nicht kontrollieren. Immerhin sehe ich eine gewisse Bestätigung darin, daß Wolff und Bernhard persönlich dagegen ins Gewehr getreten sind. T. W wie immer sehr nett und sauber, Bernhard mit mehr Aufwand an Entrüstung. Ich habe in dem Falle das getan, was ich sonst nie tue: ich habe an beide persönlich geschrieben. An T. W. sehr freundschaftlich, an B. etwas härter, denn der kann einen Stiefel vertragen. Beiden aber, die mir Prinzipienreiterei vorwerfen, habe ich gesagt, daß es für uns alle, die wir aus der alten Linken stammen, bei dieser Wahl überhaupt kein Prinzip zu vertreten gibt. Wir sind depossediert, wir kommen als Macht allesamt nicht in Frage. Wir haben keinen Kandidaten, kein Programm – gar nichts. Wir müssen uns nur für Entscheidungen entscheiden, die andre getroffen haben, und es ist ganz gleichgültig, ob der einzelne, einer Neigung oder seinem Temperament folgend, einen Schritt nach rechts oder nach links tut. Die Herren haben den Schritt nach rechts gemacht, »Weltbühne« ging den Schritt nach links. Das ist der ganze Unterschied, und mit Prinzip hat das überhaupt nichts zu tun. Um für unser Prinzip zu arbeiten, müssen wir alle auf neuem Boden neu anfangen.
Die Namen Braun und Löbe habe ich wieder nur aus taktischen Gründen ausgespielt. Ich habe gesagt: wir Leute von der Linken wollen einen Mann mindestens aus einem uns verwandten Denkkreise. Es ist sträflicherweise versäumt worden, sich rechtzeitig nach einem solchen Mann umzusehen, er ist also nicht da. Das ist nicht unsre Schuld, sondern die der Partei, also fällt auf die Partei die Verantwortung, wenn sich Republikaner jetzt an den einzigen Mann halten müssen, den eine Linksgruppe aufgestellt hat. Er heißt in diesem Falle Thälmann. Dieses Argument hat, wie ich weiß, eine gewisse Wirkung gehabt, und es ist meine Sicherung gewesen gegen den Vorwurf eines verantwortungslosen Radikalismus, eines Desperadotums. Ohne diese Reservation hätten mich T. W. und B. viel schärfer in die Zange nehmen können.
Sie schrieben, daß Sie gern einen Artikel über Hitler machen möchten. Ich bin sehr dafür, nur bin ich mir über den Zeitpunkt nicht ganz klar. Sie schreiben: nach der Stichwahl, womit Sie ohne Zweifel die endgültige Entscheidung meinen. Oder liegt ein Irrtum bei Ihnen vor und Sie meinen zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang. Bitte, schreiben Sie mir es doch noch ganz genau, ich habe, ich weiß nicht, warum, den unbestimmten Verdacht, daß hier ein Mißverständnis vorliegt. Das ist auch entscheidend für die Form des Artikels, denn den geschlagenen Hitler wird man in einer andern Weise behandeln als den Mann, der vor einem für ihn nicht aussichtslosen zweiten Wahlgang steht.
Was am 13. März sein wird, das weiß niemand. Es ist alles völlig durcheinander. Trauen Sie nicht dem Eindruck der Entschlossenheit, der durch die Zeitungen entsteht. In Wahrheit sind alle Fronten aufgelöst. Es gibt keine gesinnungsmäßigen Einheiten mehr, am allerwenigsten innerhalb der Parteien. Es wird demokratische Juden geben, die aus Enttäuschung und Zynismus für Hitler stimmen werden. Es werden SA-Leute aus Protest gegen ihre Großkopfeten für Thälmann stimmen. Es werden organisierte Kommunisten aus Überzeugung für Hindenburg stimmen, weil sie die eigne Parteiparole für verrückt halten. Das ist alles ganz unübersehbar. Dennoch war gestern im »Berliner Tageblatt« eine sehr ernste statistische Aufstellung, die als einzige den Versuch macht, in diskreter Form dieser Verwirrung gerecht zu werden. Ich lege Ihnen das Blatt bei, weil es die ziffernmäßige Illustration zu meiner Darstellung bietet. Da am 13. März eine Entscheidung kaum fallen wird, wird für uns eine neue, noch schwerere Entscheidung notwendig sein. Ich zerbreche mir den Kopf darüber, ohne recht weiterzukommen. Zunächst will ich noch einmal die Parole der sozialistischen Sammlung ausgeben. Das mag mit den Tatsachen im Widerspruch stehen, aber es scheint mir trotzdem nicht unpolitisch zu sein, zunächst einmal das Notwendige zu predigen und das, was immerhin noch zu machen ist.
Groener-Prozeß. Ich danke Ihnen für Ihre juristischen Richtlinien. Ich bin mir auch klar, daß dieser Prozeß so geführt werden muß. Es kommt auch darauf an, den Nachweis zu führen, daß militärabträgliche Bemerkungen wie die von Ignaz Wrobel sich durch einige zweitausend Jahre Literaturgeschichte ziehen, und wir sind dabei, eine solche Sammlung vorzunehmen. Es ist natürlich nicht die Arbeit eines Menschen, ich habe eine ganze Reihe von Leuten dazu angespannt, uns Zitate zu liefern – von der Bibel bis zum 26. Februar 1932, dem Tag, an dem die Anklage erfolgte. Die Klageschrift ist farb- und lustlos. Man ahnt den Druck, der nötig war.
Die Sache kann nicht schlimm ausfallen. Apfel und Olden rechnen, da es sich ja in Moabit abspielt und nicht in Leipzig, mit glattem Freispruch, Gerlach, der in solchen Dingen sehr erfahren ist, mit 150,– Mk. Geldstrafe. Das ist also kein Beinausreißen. Aber alle fügen hinzu: vorausgesetzt, daß die gegenwärtigen Verhältnisse so bleiben, daß nicht in Preußen auch ein anderer Kurs einzieht. Dann kann es auch dafür ein paar Monate Kittchen geben.
Nun ist das alles noch nicht soweit, und bis jetzt liegt auch noch kein Eröffnungsbeschluß vor, wenngleich ich nicht zweifle, daß das Verfahren in Gang kommen wird.
Sie haben mir nun die sehr schwere Frage zum Knacken gegeben, ob Sie dazu schreiben sollen. Ich muß sagen, daß ich einstweilen nicht imstande bin, das hieb- und stichfest zu beantworten. Apfel sagte mir, daß mein Begnadigungsverfahren kaputtgehen kann, wenn Sie noch weitere Schärfen gegen Groener hineinbringen. Das ist der pflichtgemäße Einspruch eines wachsamen Anwalts, den ich erwartet habe und der auch nicht anders zu erwarten war. De facto sehe ich aber die Begnadigung automatisch abgelehnt, sobald wieder klare Verhältnisse sind. Ich glaube, wir haben von dem einen H. ebensowenig zu erwarten wie von dem andern H. Es würde mir bitter leid tun, wenn man in der Hoffnung auf Segen die Schnauze hält. Hier würde also ein Loswettern von Ihnen bei mir auf keine Schwierigkeiten stoßen.
Ob Sie es tun können, das hängt davon ab, welche Wirkung es haben kann, nicht auf die Wilhelmstraße und Bendlerstraße, sondern auf die Menge unsrer Leser und engern Freunde. Hier wage ich die Stimmung nicht zu taxieren. Wird der Vorwurf gegen Sie erhoben, Sie drückten sich, und findet dieser Vorwurf Echo, dann würde ich es für verfehlt halten, wenn Sie das Wort ergriffen. Der Effekt wäre eine moralische Niederlage, nicht nur für Sie allein, sondern auch für den Begriff »Weltbühne« insgesamt. Nun bin ich nicht in der Lage zu beurteilen, inwieweit gegen Sie Mißstimmung vorhanden ist. Vorhanden ist sie, was ich durchaus konkret weiß, bei alten Freunden wie Toller und Mehring. Rabold hat in der »Welt am Montag« eine spöttische Bemerkung geschrieben. Wie weit das alles reicht, weiß ich nicht. Daß Kraus sich einmal der Sache bemächtigen wird, daran zweifle ich nicht, das läuft ja nebenher. Übrigens hat sein Adjutant Rolf Nürnberg im Essener »Scheinwerfer« etwas gestichelt.
Ich sehe in dem Ganzen eine rein praktische Frage. Die letzte Entscheidung, ob Sie mit einem Artikel eingreifen sollen oder nicht, liegt bei Ihnen. Ich glaube, Sie werden sich auf direktem Wege durch Briefe etc. über die Stimmung orientieren müssen. Das Stimmungsbarometer muß, so paradox es klingt, von mir am unzuverlässigsten angewendet werden, weil man grade vor mir Unfreundlichkeiten, die sich auf Sie beziehen, nicht sagen wird. Es ist ein Ausnahmefall, daß Toller neulich mir gegenüber seinem Herzen Luft machte und mir die Skizze eines Briefes vorlas, den er an Sie schicken wollte. Ich wollte, ich könnte Ihnen eine etwas solidere Antwort geben, aber die Sache ist ungeheuer wichtig, und ich fühle mich unsicher. Außerdem dürften wir noch einige Wochen Zeit zum Nachdenken haben.
Morgen trage ich eine weitere Rate ab.
Herzlichst
Ihr Oss
4 Anlagen
*
Die Weltbühne
Berlin-Charlottenburg 2
Kantstraße 152
12. März 1932
Lieber Doktor,
ich habe eben die Nachricht gekriegt, daß die Begnadigungsakten an der höchsten Stelle gelandet sind. Also noch vor der Entscheidung hat sie das Justizministerium weitergegeben. Was nun wird, mag der liebe Gott wissen. An und für sich wäre nicht anzunehmen, daß eine Entscheidung noch erfolgt, ehe über das Schicksal des allerhöchsten Platzes entschieden ist. Es ist jedoch zu befürchten, daß auch mein Fall in einen Kuhhandel mit Rechts gerät. Die Verhandlungen haben nämlich trotz des angeblichen Wahlkampfes niemals aufgehört, und in irgendeiner Form kann doch noch eine Einheitskandidatur werden, wenn man nur die üblichen Zugeständnisse macht. Das würde natürlich einen Rechtsschwenk mit sich bringen, der auch über unser bescheidenes Schifflein hinweggehen würde. Also warten wir ab. Der Rest ist Götz von Berlichingen.
Den Brief an Herbers habe ich abgeschickt, obgleich mir ein Passus nicht gefiel. Mein persönliches Unbehagen war nicht groß genug, um eine neue Schreibung zu veranlassen, und betraf ja auch ausschließlich Küster und nicht Herbers, zwischen denen ich einen großen Unterschied mache. Außerdem ist mir Ihre Vorliebe für Küster seit langem bekannt, und es ist nicht das erste Mal, daß Sie dem »Anderen Deutschland« Freundlichkeiten gewidmet haben, während man uns, namentlich mich, dort ganz anders behandelt. Das ist keine sehr ernste Angelegenheit, und ich bedaure, daß ich von einer momentanen Gereiztheit überhaupt eine schriftliche Nota machte.
Nach verschiedenen Unterhaltungen habe ich über das Verbot des »Anderen Deutschland« nicht geschrieben. Es ist beinahe unmöglich, die Sache zu behandeln, ohne in Scherereien zu kommen. Apfel und Gerlach waren über die Veröffentlichung sehr erregt und sagten, es wäre eine unerhörte Rücksichtslosigkeit von Küster gewesen, aus dem Pariser Blatt abzudrucken, denn auch das müßte auf mich zurückfallen und den Eindruck eines abgekarteten Spieles machen. Daran ist etwas Richtiges, wenn man sich bemüht, die Sache von der andern Seite zu sehen. Also etwa so: Ich sitze hier, andre Herren in Paris, in Paris erscheint etwas, ich schreibe an den Justizminister einen erbitterten Brief, in dem ich beschwöre, damit nichts zu tun zu haben, ziemlich gleichzeitig erscheint bei Küster ein Auszug aus der Pariser Publikation ..., und zu alledem glaubt man natürlich auf der andern Seite, daß alle Pazifisten in demselben Spiel stecken. Diese Situation macht eine Erklärung von uns ziemlich unmöglich. Küster verteidigen, das hieße, die Sache billigen, was ich durchaus nicht tue. Von ihm abrücken, das hieße, ihm noch in seinem Unglück einen Stoß geben, was ich erst recht nicht möchte, denn, ich bitte Sie, recht zu verstehen, ich möchte gegen Küster absolut nichts unternehmen, nur halte ich es für unmöglich, daß er hier bei uns, die er so schofel behandelt hat, herausgestrichen wird. Am allerwenigsten aber möchte ich Küsters wegen etwas unternehmen, was ein Verbotsrisiko in sich trägt.
Morgen ist der 13. März. Kommentar überflüssig.
Herzlichst
Ihr Oss
*
Die Weltbühne
Berlin-Charlottenburg 2
Kantstraße 152
23. März 1932
Lieber Doktor,
Tableau!
Die Sache ist entschieden, und was jetzt geschieht, dient nur noch dazu, die eine oder andre Frist herauszuschinden.
Es hat gestern eine Fühlungnahme mit einem der Beamten der höchsten Stelle stattgefunden, und dabei ist eröffnet worden, daß eine Genehmigung des Gesuches überhaupt nicht zur Diskussion stehen kann.
Die höchste Stelle ist an sich schon der Sache wenig grün, es kommt jedoch noch hinzu, daß der Justizminister erklärt hat, er werde die bei der Begnadigung erforderliche Gegenzeichnung verweigern. Dieser Herr ist ein Bürokrat, aber nicht bösartig. Er ist ängstlich und steht unter dem Einfluß einer andern Behörde. Ich brauche nicht zu sagen, welcher.
Es werden jetzt noch einige Schritte erfolgen, die ich hier nicht aufzählen möchte, die aber meines Erachtens nur noch die Bedeutung von Nachhutgefechten haben. Somit nähert dieses Kapitel sich dem Schluß, und ein neues muß wieder neue Möglichkeiten bringen. Vielleicht sind die Chancen nicht allzu schlecht, denn ein Eingesperrter kann ein sehr wirksames Plakat sein. Sie werden mir nachfühlen können, daß ich, frisch unter dem Eindruck der Neuigkeit und in tausend Gespräche verwickelt, im Augenblick nicht ausführlicher schreiben kann, ich werde das aber nachholen, denn es ist noch manches zu sagen. Wenn es irgendwie möglich ist, werde ich in nächster Woche etwas aus Berlin fahren, um noch ein paar Tage in gesunder Luft zu verbringen und, wenn die Stimmung danach ist, einige Sachen auf Vorrat zu schreiben.
Der Artikel von Gerlach hat mich ebensowenig entzückt wie Sie. Zu Ihrer Beruhigung möchte ich mitteilen, daß ich in der Abmachung mit Gerlach eine ständige schriftstellerische Mitarbeit an jedem Heft verhindert habe. Man kann das also durchaus elastisch halten, und ich glaube bestimmt, daß Frau Jacobsohn durchaus nicht an einen in jedem Heft vertretenen Gerlach denkt. Sie schätzt seine Mitarbeit als erfahrener Ratgeber, als Redakteur – mit einem Wort: als Korsettstange – höher ein als seine eignen Beiträge.
Zu der geplanten Offensive gegen Brecht möchte ich noch folgendes bemerken. Ich denke nicht daran, Ihnen abzuraten, aber ich möchte Ihnen nur einen Hinweis geben auf die Form dieser Sache. Sie sind jetzt offiziell Dramatiker geworden, Sie gehen damit also in eine andre Kategorie der Bewertung ein. Unter diesen Umständen muß meines Erachtens ein andrer Ton gewählt werden. Sie verstehen, was ich meine. Der ausschließliche Publizist kann vielleicht über manches freier reden als der Theaterschriftsteller, der zum ersten Mal hervortritt. Ich weiß nicht, ob das sehr wichtige Erwägungen sind, aber mir fiel das beim Lesen ein, und deshalb möchte ich es Ihnen mitteilen.
Sind Sie wieder aus Kopenhagen zurück? Ich habe nicht im Traume gedacht, daß Sie das mit Ihrer Nase bis zur Operation treiben würden. Ich habe mir früher immer gedacht, Ihre Nase wäre nur derjenige Feind, den jeder Mensch haben muß, wenn er sich halbwegs wohl fühlen soll. Hoffentlich hat Ihnen die Geflügelschere Erleichterung gebracht, aber ich möchte Ihnen doch raten, die Nase jetzt einstweilen dilatorisch zu behandeln. Ich habe eine Angst vor solchen chirurgischen Eingriffen, denn sie pflegen leicht eine Serie zu eröffnen.
Dies für heute, es scheint mir im Augenblick das Wichtigste zu sein. In den nächsten Tagen schreibe ich persönlicher. Im Augenblick bin ich etwas abgelenkt, und weder das Sachliche noch das rein Menschliche will klappen. Im ganzen habe ich eine Stinkwut auf Groenern. Im letzten Heft bin ich gegen ihn noch etwas massiv geworden, u. deswegen empfinde ich ein stilles Glücksgefühl.
Herzlichst
Ihr Oss
*
Die Weltbühne
Berlin-Charlottenburg 2
Kantstraße 152
26. März 1932
Lieber Doktor,
anbei der Bericht von Alsberg, der besser als alle Kommentare die letzte Entwicklung kennzeichnet.
Heute zeigt sich insofern ein ganz bescheidener Lichtblick, genauer gesagt: die Vorstellung eines Lichtblicks insofern, als Olden zu den Vorstehern des Wahlausschusses gegangen ist und dort Krach geschlagen hat. Dafür wird man nicht ganz taub sein, mindestens diese Vorstellungen an die zuständige Stelle weitergeben, so daß hoffentlich das eine herauskommt, daß man mich vor der Entscheidung im zweiten Wahlgang nicht mit einer Zustellung belästigt. Hoffentlich! Von der Intelligenz der Laute habe ich eine sehr geringe Meinung. Wie unintelligent diese Bürokraten aber sind, das sehen Sie am besten aus dem Schreiben Alsbergs, woraus sich zwanglos ergibt, daß die Herren ganz oben vor einer entscheidenden Wahl, zu einem Zeitpunkt, wo jeder Kandidat so angenehm wie möglich gemacht wird, nicht im geringsten daran denken, Rücksicht auf die Stimmung wichtiger Schichten der Wählerschaft zu nehmen.
Heute bleiben uns nur noch solche Kleinigkeiten wie dieser Besuch beim Ausschuß und evtl. wieder publizistischer Vorstoß, neue Versuche, die Sache in der Presse aufzurollen, damit das Thema nicht einschläft. Das dürfte alles sein.
Verspätete, aber nicht minder herzliche Osterwünsche
Ihr Oss
1 Anlage
*
Die Weltbühne
Berlin-Charlottenburg 2
Kantstraße 152
2. April 1932
Lieber Doktor,
eben ist die Nachricht bei Apfel eingelaufen, daß das Gesuch abgelehnt worden ist. Daran überrascht mich nur, daß dieser Bescheid noch vor dem 11. uns zugegangen ist.
Es wird versucht werden, eine kurze Frist herauszuschlagen zur Ordnung aller notwendigen Angelegenheiten. Eine Einladung habe ich zur Stunde noch nicht, sie kann mir aber morgen schon zugestellt sein. Im übrigen fahre ich ab morgen ein paar Tage aufs Land, um noch frische Luft zu schnappen.
Wenn nach meiner Rückkunft immer noch Zeit bleibt, will ich mich gern noch der Abwicklung laufender Geschäfte widmen. Im allgemeinen bitte ich aber zu berücksichtigen, daß ich mit diesem Tage aus dem Zustande des Aktiven in den des Reservisten hinüberwechsle, daß ich also für die Tagesgeschäfte nicht mehr in Frage komme.
Ich möchte indessen, solange ich mich noch in Freiheit befinde, den Versuch machen, eine Frage zu klären, in der bei uns, falls nicht schlichte Mißverständnisse vorliegen, zwei Auffassungen nebeneinanderher laufen. Durch Ihre Briefe der letzten Monate zieht sich als der mit Recht so beliebte rote Faden immer wieder das Argument, daß wir durch taktische Momente uns gehemmt fühlen. Ich muß das als einen Vorwurf auffassen insofern, als ich a. daraus entnehme, daß nach Ihrer Auffassung die »Weltbühne« opportunistisch geworden ist und ihren Charakter geändert hat und daß b. Sie verhindert sind, in voller Verve loszuschlagen und sich knurrend zurückhalten müssen, weil hier in der Kantstraße eine feige Diplomatie gedeiht. Das ist allzu scharf formuliert von mir, aber es ist mit Absicht so formuliert, weil bei einer Diskussion zwischen räumlich sehr entfernten Personen möglichst farbige, weithin sichtbare Signalzeichen gegeben werden müssen.
Es besteht noch die andre Möglichkeit, daß Sie Ihre Vorwürfe auf die während des Prozesses und in bezug auf diesen befolgte Taktik beziehen. Das scheint mir bei Ihnen im Gegensatz zu Ihrer sonstigen Deutlichkeit nicht klar genug herausgekommen zu sein, doch vermute ich, daß sich, mindestens in Ihrem Unterbewußtsein, diese beiden Momente vermischen.
Ist das erstere wirklich Ihre Auffassung, so möchte ich Ihnen sagen, daß wir hier zwar manche Vorwürfe geschluckt haben, aber niemals den der Rechnungsträgerei. Wenn – nicht seit dem 23. November 1931, wohl aber seit dem 15. Juli 1931 – hier der Ton im Vergleich zu früher moderiert worden ist, so lag das nicht an einer Rücksichtnahme auf meinen Prozeß, sondern an der Rücksichtnahme auf das Leben des ganzen Blattes, das Woche für Woche vom Verbot bedroht worden ist. Ich kann das nicht Taktik nennen, sondern einfach Vernunft, etwas andres wäre Desperadotum, das wir beide auch sonst ablehnen.
Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – wegen eines Schielens auf den günstigen Ausgang des Prozesses ist von mir nicht ein Artikel abgelehnt, nicht eine Zeile geändert, nicht eine opportunistische Parole ausgegeben worden. Sie werden mir entgegenhalten, daß Apfel Artikel von Ihnen beanstandet hat, das weiß ich, und nur Gott und Apfel allein wissen, wie ich um diese Dinge gerungen habe. Im letzten Heft werden Sie z. B. das von Apfel seinerzeit beanstandete »Beschlagnahmefreie Gedicht« finden, das ich eigenmächtig hineingesetzt habe, ohne irgend jemanden zu fragen.
Wenn es Ihre Auffassung ist, daß die »Weltbühne« in diesen letzten Monaten durch Taktik entstellt worden ist, dann bitte ich um eine offene Antwort, ob es Taktik ist, wenn man den als Hauptperson in Frage kommenden Wehrminister Woche für Woche politisch angreift und lächerlich macht? Ich bitte zu beantworten, ob es Taktik ist, wenn ich in dem Augenblick, wo das Gnadengesuch bei der Kanzlei des Präsidenten landet, die Parole ausgebe, diesen Präsidenten nicht zu wählen, sondern seinen kommunistischen Gegenmandat? Ich will Ihnen verraten, daß Gerlach vorige Woche noch mit sozialdemokratischen Abgeordneten verhandelt hat, die aber sagten, nach der Parole für Thälmann erübrige sich ein Gang zu Meißner.
Ich möchte diese Dinge einmal klarstellen, nicht weil ich heute in besonders gereizter und zanklustiger Stimmung bin, sondern da es mich quält, von Ihnen seit Wochen und Monaten mehr oder minder abgeplattete Pfeile zu empfangen, die alle besagen, das Blatt wird schlapp, weil es sich taktisch verrennt, und hält außerdem noch seinen stärksten Polemiker künstlich zurück. Wie gesagt, ich bin so ruhig, wie ich es jemals gewesen bin. Vielleicht irre ich mich, aber ich würde doch wünschen, wenn Sie ernsthafte Vorstellungen haben, diese dann zu substantiieren, damit nicht ein unangenehmes »vielleicht« zurückbleibt. Und notwendig scheint mir das auch in Hinblick auf die viel wichtigere Zukunft zu sein, wo Sie plötzlich mit ganz andern Personen zusammenarbeiten müssen, die auf Ihren Gedankenkreis und Ihre Terminologie nicht so eingespielt sind wie ich. Wenn ich selbst bereits aus Ihrem Brief Dinge herauslesen sollte, die nicht so gemeint sind, so kann das nicht allein an mir liegen, sondern auch am Schreiber. Deshalb möchte ich diese Dinge gern geklärt wissen, nicht um mich zufrieden zum Sterben zu legen, sondern um eine Bestätigung zu haben, daß es so gemeint war und nicht so, sondern im Interesse der künftigen Arbeit, die ohne mich vonstatten gehen muß. Ich bitte Sie freundlichst, mir das nicht zu verübeln.
Über den Prozeß-Artikel habe ich heute noch kein Urteil. Die Entscheidung wird auch nicht bei mir liegen, weil ich dann nicht mehr vorhanden sein werde, sondern vornehmlich wohl bei Frau Jacobsohn. Übrigens hat dieses noch Zeit. Es können noch Wochen und Monate bis zum Termin vergehen, im Augenblick ist ja noch nicht einmal das Verfahren eröffnet worden.
Worum ich Sie aber sehr bitte, das ist ein Artikel für das erste Heft nach meiner Inhaftierung. Wann das sein wird, kann ich im Augenblick noch nicht sagen, ich nehme an, daß ich in übernächster Woche in den sauren Apfel beißen muß, daß es also gut sein wird, den Artikel etwa in acht Tagen in den Händen zu haben. Ich hatte vor, so etwas wie einen Abschiedsartikel zu schreiben. Für den Tip »Kleines Testament« danke ich Ihnen, das ist ganz vorzüglich. Danach müßte dann ein Artikel von Ihnen folgen. Wie der aussehen muß, davon habe ich keine Vorstellungen. Nur würde ich es für verfehlt halten, etwa auf das »Echo de Paris« Bezug zu nehmen, das wäre gefährlich und würde praktisch als Verbeugung vor dem Lumpen Kreiser und dem Hornochsen Küster wirken. Überhaupt rate ich Ihnen ab, sich darauf zu versteifen, man müsse, um Eindruck zu erzielen, »frech« werden. Ich glaube, es handelt sich nicht darum, sondern um die klare Formulierung. Wenn Ihnen irgendwelche unverantwortlichen Schafsköpfe schreiben, das sei feige, so können Sie mit demselben Rechte wie gegen die Leute, die Ihr Erscheinen in Berlin verlangen, geltend machen, Sie lieferten keine Stiergefechte. Das gilt übrigens auch für mich, das kann ich gegen diejenigen gebrauchen, die verlangen, es sei der »Tradition der ›Weltbühne‹« entsprechend, etwas zu tun, was zum sofortigen Verbot führen müsse. Übrigens ist es damit nicht so schlimm. Ich habe von keinem einzigen Menschen gehört, der sich über eine Änderung unsres Tones mokiert hätte. Wer hier lebt, weiß sehr gut, wie schwierig die Verhältnisse geworden sind. Natürlich bietet grade Ihr Artikel besondere Aufgaben, aber es scheint mir auch in Ihrem Interesse notwendig, daß Sie in diesem Augenblick nicht in den Hintergrund treten.
Ich will auf alle Fälle, solange ich noch Bewegungsfreiheit habe, versuchen, eine erste Vorbesprechung mit Ihering zu haben. Selbstverständlich weiß ich nicht, ob bei den zahlreichen Differenzen diese Mitarbeit zustande kommen kann. Ich verkenne nicht, daß der theaterkritische Teil neuerdings durch Polgars völliges Fernbleiben ganz dringend einer Korsettstange bedarf. Natürlich nicht Woche für Woche Ihering. Polgar soll seine Vorstellungskritiken in den bisherigen seltenen und halbgefüllten Löffeln weitermachen, aber einmal monatlich etwa soll Ihering eine gründliche theater- und kunstpolitische Übersicht machen. Er ist dazu hochgradig geeignet, er ist neben Kerr der letzte noch beachtete Theaterkritiker ... und im übrigen weichen wir in allen ästhetischen Dingen voneinander ab. Sie werden das im einzelnen mit ihm und Frau Jacobsohn auskochen müssen, und ich gratuliere allen Beteiligten aufrichtig dazu. Ich indessen will die schwierige erste Fühlungnahme auf mich nehmen. Grade jetzt bin ich dazu durchaus geeignet, weil mich die ganze Berliner Journalistik, Ihering einbegriffen – von einem Heiligenschein umflossen sieht und mir in allen Dingen gefällig sein will. Wenn ich jetzt etwa zu Theodor Wolff käme und ihm sagte, ich gehe nächstens ins Gefängnis und ich möchte vorher noch zum Trost bei seiner Frau schlafen, so würde er wahrscheinlich antworten: »Aber bitte sehr, bedienen Sie sich doch!« Also ich bin geradezu prädestiniert, mit einem sachlich und charakterologisch so vertrackten Fall wie Ihering zu sprechen. Unter normalen Umständen hätte ich diesen Plan vielleicht abgelehnt, aber ich begreife heute sehr klar, daß für die Ausgestaltung des Blattes einiges geschehen muß. Jedenfalls werde ich Ih. sagen, daß wir nur auf seine wichtige Person reflektieren und nicht auf den Personenkreis um ihn. So will ich dann die Berührungs- und Differenzpunkte herausschälen und Ihnen und Frau J. zur Weiterbehandlung überlassen. In allem, ich halte Ih. für schwierig und eigensinnig, aber doch für loyal.
Das sind Hauptpunkte, die mir im Augenblick auf der Seele liegen. Andre Dinge muß ich noch nachholen, resp. an Karsch weitergeben. Aber Sie werden noch von mir hören, wenn auch vielleicht nicht in der ersten Hälfte der kommenden Woche.
Herzlichst
Ihr Oss
2 Anlagen
*
Die Weltbühne
Berlin-Charlottenburg 2
Kantstraße 152
8. 5. 32
Lieber Doktor,
hier ist keine Riviera, aber trotzdem elendes Wetter. Es regnet den ganzen Tag und ist hundekalt. Also grade das rechte Wetter, um ...
Ich wandre am Dienstag nach Tegel, nachdem ich noch eben das letzte Heft ziemlich vollgeschrieben und darin dem RG und RWM empfohlen habe, sich ein Kalbfell um die schnöden Glieder zu hängen. Der Entschluß, so viel zu schreiben, war ein spontaner, wie alles Wichtigere bei mir. Die »Quittung« wird dann das nächste Heft eröffnen. Vielleicht ist es richtig, auf diese Weise die Kontinuität zu betonen, anstatt der einen Nummer soviel Nekrologcharakter zu geben. Außerdem war es ein Herzensbedürfnis, mich nochmals auszuschreiben, und zudem bin ich dadurch über die letzten häßlichen Tage hinweggekommen.
Natürlich gehe ich nicht ins Gefängnis, um eine »Strafe« loyal abzusitzen. Was ich tue, ist eine bestimmte Art, den Fall zu behandeln, eine Maßnahme also. Ich füge mich nicht, ich demonstriere eben durch den Strafantritt. Eine Flucht hätte mir die Möglichkeit aus der Hand genommen. Übrigens hat die Sache großes Interesse erregt, verlassen bin ich nicht. Das hilft über einiges hinweg.
Durchgesetzt ist bisher Erlaubnis zu eigner Kleidung und Beschäftigung. Das ist allerhand, leider wird Raucherlaubnis verweigert, was ich für eine Barbarei halte.
Und die »Weltbühne«? Ich glaube, daß Gerlach die Sache nicht schlecht machen wird. Wir haben ihm immer wieder eingepaukt, daß die politische Haltung nicht changieren darf. Verstanden hat er das. Übrigens begreift das auch Frau J. mit einer Hellsichtigkeit, die ich an ihr früher nicht kannte.
Wenn ich Sie um eines bitten darf: unterstützen Sie die schwierige Übergangszeit durch eine möglichst produktive Kritik. Sagen Sie, was Sie für nötig halten, aber zunächst vielleicht auch [mit] einer gewissen Nachsicht, damit niemand kopfscheu wird. Die Zeit hier ist nicht grade heiter; Sorgen vor der Zensur, vor der politischen Zukunft überhaupt. Sie können sich nicht denken, wie hier alles herumläuft.
Die Besprechungen mit Ihering sind angenehm verlaufen. Er will mitmachen. Frau J. und ich haben ihm deutlich gesagt, daß ein Brechtkult nicht in Frage kommt.
Und nun ...?
Nein, wir wollen keinen Abschied nehmen. Wir hätten uns in diesem Augenblick Bände voll zu sagen. Was soll es? Sie haben eine deutliche Vorstellung von dem, was mir bevorsteht. Und ich weiß sehr gut, warum Sie sich jetzt in sich selbst zurückgezogen haben, warum Sie diesen Bogen um die traute Heimat machen. Nur einen Wunsch aus heißem Herzen: verkrampfen Sie sich nicht, machen Sie aus Ihrem Leben keine Peter-Schlemihl-Geschichte!
Im übrigen –: wir wollen uns wiedersehen und über die Vergangenheit lachen!
Ihr Oss
*
Absender:
Name: v. Ossietzky
Buch-Nr. 337 Dr. Tucholzki
Seidelstraße 39
Berlin-Tegel, den 14. Mai 1932
Lieber Doktor,
wie Sie sehen, habe ich mein neues Quartier bezogen. Sie können mir ruhig schreiben, wir können geschäftliche Dinge erörtern. Da ich die »Weltbühne« geliefert erhalten soll, bleibt mir auch der Überblick bewahrt. Unterrichten Sie mich also über Ihre jeweiligen Pläne – wenn ich auch nicht augenblicklich reagieren kann, so bleibe ich doch auf dem laufenden. Was ich am meisten fürchte, das ist: die geistige Verbindung zu verlieren und später in eine Situation zu geraten, die mir fremd erscheinen muß. Heute spüre ich zwischen mir und den Dingen schon die dicken Mauern, das muß ich überwinden.
Das »8 Uhr-Abendblatt« hat sich ungeheuer für uns eingesetzt; Zucker, Victor, Pinthus standen in der ersten Front. Zucker und Pinthus haben mich auch nach Tegel herausgebracht. Bitte schreiben Sie doch ein paar freundliche Zeilen an Zucker und danken Sie auch in meinem Namen.
Ich wäre Ihnen auch verbunden, wenn Sie an meine Frau ein paar nette Zeilen schrieben. Sie ist in ziemlich übler Nervenverfassung zurückgeblieben. So ein von außen kommender Brief bedeutet immer eine Auffrischung.
Der Termin im Soldatenprozeß findet am 1. Juli statt. Ich bin deswegen in Konnex mit Apfel.
Lassen Sie also bitte mal von sich hören.
Herzlichst
Ihr Oss
*
Carl v. Ossietzky
II/337
Tegel, 7. 7. 32
Lieber guter Doktor,
vielen Dank für Manifestation v. 2. 7. Ich freue mich, von Ihnen wieder zu hören, bin aber sehr traurig, daß, wie mir von andrer Seite gesagt wurde, es Ihnen körperlich wenig wohl geht, Sie außerdem müde sind, unlustig, deroutiert – jedenfalls zu nichts Vernünftigem fähig.
Mein Freispruch ist unser erster juristischer Sieg seit langem, obgleich die Anwälte sagten, hier könnte nach der Rechtslage – höchstgerichtliche Judikatur – an dem Freispruch kein Zweifel sein, so rief dieser doch einiges Aufsehen hervor. Ich ging mit gemischten Gefühlen hinein, weil ich keine allzu große Sicherheit empfand. Denn so gewiß der Freispruch juristisch berechtigt ist, so selbstverständlich finde ich ihn nicht. Unsre politische Justiz trägt nun mal einen Lotteriecharakter. Hier hatten wir einen über den Anlaß hinaus scharfen Staatsanwalt, aber einen katholischen Vorsitzenden. Compris –? Sehn Sie, an solchen Zufällen hängt alles.
Es ist Revision eingelegt worden. Ich kann nicht beurteilen, wohin das führen wird, und will mir auch heute noch nicht den Kopf darüber zerbrechen. Natürlich ist die Diskrepanz zwischen Strafantrag und Urteil ungeheuerlich. Dafür habe ich den Staatsanwalt auch furchtbar geärgert. Ich habe ihn gefragt, ob er noch von dem Recht von Weimar dirigiert wird oder schon von dem von Boxheim, und ähnliches. Der Zwischenfall mit der Militärmusik ist Ihnen wohl bekannt. Ich habe in dem Augenblick beklagt, daß Sie nicht im Saale gesessen haben. Es war stimmungsmäßig einer der tollsten Augenblicke, die ich erlebt habe.
Ich lebe hier ganz anständig, verfolge allerdings die Ereignisse draußen mit einer besorgten Spannung. Ich hoffe und ich bitte darum –, daß Sie über mich ganz ruhig sind und nicht der Gedanke an mein Schicksal Ihre krisenhafte Verfassung noch beschwert. Sie hätten hier absolut nichts ändern können. Daß ich hiergeblieben bin, rührt aus meiner eigenen Entscheidung. Das ist großenteils Räson, Überlegung, daß der andre Ausweg nichts bessert. Was es sonst noch ist, werde ich Ihnen einmal mündlich sagen.
Daß Sie zu der Affäre keinen Kommentar geschrieben haben, scheint mir richtig. Ich versichere Ihnen – und glauben Sie mir, ohne Überheblichkeit des an der Front durch einen Streifschuß Verletzten –, es ist, wenn man längere Zeit nicht hier war, unmöglich, den Ton zu treffen. Einmal die Klippe der Zensur – Ihnen wohlbekannt. Zum andern – Ihnen auch wohlbekannt, die Gefahren einer Dämpfung des Tons, die nicht aus der Situation heraus sich ergibt. Der Ihnen eigne Pamphletstil würde sofort zu Retorsionen führen, die diplomatische Temperierung muß aber auch aus der Kenntnis der Dinge hier erfolgen, sonst wirkt sie verwaschen. Das sind sehr, sehr schwierige Sachen.
Ich bin traurig, daß es mit Ihrer Produktivität nicht gut steht. Wollen Sie nicht mehr Literarisches schreiben wie den »Lichtenberg«, der mir sehr gefallen hat? Ich stimme mit Ihnen in der Beurteilung dieser Edition, die ich kenne, überein. Aber ob Sie schreiben oder nicht, Sie sollen gesund und bei guter Laune bleiben. Ich habe mich mit meinem Schicksal, so gut es geht, abgefunden. Denn wenn ich auch nicht dessen schuldig bin, wessen man mich schuldig gesprochen hat – ich habe meine achtzehn Monate schon verdient.
Bitte lassen Sie wieder von sich hören. Wir müssen doch wieder in eine Unterhaltung über alle laufenden und schwebenden Dinge kommen.
Herzlichst
Ihr Oss
*
Carl v. Ossietzky
II/337
Tegel, 22. 9.32
Lieber Doktor,
vielen Dank für Ihren Brief. Schreiben Sie mir doch ruhig mehr. Auch wenn ich nicht immer im Augenblick und im nötigen Umfange reagiere, so ist es doch wichtig für mich zu wissen, was Sie tun und vorhaben. Und dann, weil Sie es sind ...
Ich beklage Ihren schlechten Gesundheitszustand, der noch immer eine Wiederaufnahme Ihrer Arbeit verhindert. Sie wissen gar nicht, wie leid ich mir tue, daß es Ihnen so schlecht geht. In trübsten Stunden fürchte ich manchmal, der Artikel von Grumbach ist Ihnen in die Nase gefahren. Ach, wenn Sie doch wieder ... Aber Sie werden schon wieder.
In der Sache mit Apfel hoffe ich jetzt, daß eine Übereinkunft zustande kommt, die niemand wehe tut. Das heißt, A. gibt seine Tätigkeit als Verlags Syndikus auf – ohnehin eine etwas illusorische Sache – und bleibt mein Vertreter. Es ist ganz ausgeschlossen, daß er beim gegenwärtigen Stand der Dinge ohne schweren Schaden für mich ausscheidet, da er mitten in Verhandlungen steckt. Die Sache selbst – ich kann mir nicht helfen, ich finde, was er gemacht hat, nicht anstößig. Deshalb kann ich ihn jetzt auch nicht, wo eine Hetze gegen ihn eröffnet ist, die an Dummheit und Niedertracht nichts zu wünschen übrigläßt, abstoßen. Übrigens deuten ein paar Anzeichen darauf hin, daß Herr Tetens auch gegen mich bald aggressiv werden wird. Ich habe schon einen Brief dieser Art bekommen, der wie ein Ultimatum wirkt. Andrerseits ist natürlich unmöglich, daß Apfel und Frau J. noch zusammenarbeiten, er kann nach dem letzten unfreundlichen Briefwechsel nicht mehr den Verlag vertreten; das verstehe ich völlig. Wenn er dagegen mein persönlicher Anwalt bleibt, wenigstens bis auf weiteres, ist eine neue Frist geschaffen, in der die Gegensätze sich ausgleichen oder die ganzen Beziehungen überhaupt abklingen.
Ich verzeihe mir heute noch nicht, daß ich mich von Tetens habe düpieren lassen. Er macht den Eindruck des blauäugigen, flachsblonden Fanatikers von der Wasserkante. Darauf bin ich hereingefallen. Die Leute, denen er sein Material verdankt, sind durch die Bank Gauner. Von den Kronzeugen habe ich die Akten seines Erpressungsverfahrens gesehen. Hier kann ich zu meinem Bedauern nicht mehr Ihren Standpunkt einnehmen, in Reemtsma noch »die Gegenseite« zu sehen. Lieber Doktor, hier gibt es weder Gegner noch Freunde mehr, hier heißt es nichts wie raus! Hier ist nichts zu holen als Ohrfeigen, daß man sich mit solchem Kroppzeug eingelassen hat.
Zehrers »Tägl. Rundschau« habe ich noch nicht gesehen. Den Mann selbst halte ich für einen groben Bluff. Er steht ja nur in Wartestellung für einen frei werdenden Chefredakteursposten. Ich habe das Gefühl, er wird lange warten müssen, und dann wird die Mode, die er repräsentiert, schon abgeblüht sein.
Wenn Emil Ludwig an Sie den fälligen Beschwerdebrief schreiben sollte, so teilen Sie ihm mit meiner Erlaubnis mit, wer der Verfasser des Artikels ist.
Was meine Freiübungen hier angeht, so kann ich Ihnen sagen, daß ich mich nach meiner Entlassung sofort als Sportlehrer zur Reichswehr melde.
Also, lieber Doktor, gute Gesundheit und s. oben.
Herzlichst
Ihr Oss
Wenn Frl. Hünicke noch dort ist – herzlichen Gruß; ich lasse bald von mir hören und wünsche ihr die besten Ferien.
*
Tegel, 30. XI. 32
Lieber Doktor,
vielen Dank für Ihre Briefe. Bitte kein Übelnehmen, weil ich so wenig schreibe. Das erklärt sich aus Stimmungen und der häufigen Unfähigkeit, schnell umzuschalten. Die dicke Wand macht sich auf die Dauer doch bemerkbar.
Um Kaminski möchte ich keinen Trubel, ich bin zu jeder friedlichen Schlichtung bereit. Aber wenn er an mich treten sollte, werde ich ihm freundlich, aber klar sagen, daß Ihr Recht, von zu druckenden Artikeln Kenntnis zu nehmen, nicht bestreitbar ist und von mir niemals bestritten wurde. Ich werde auch hinzufügen, daß es von mir immer so gehandhabt wurde.
Sie werden mir bestätigen, daß das stimmt. In etwa zwei Fällen habe ich es nicht getan; und Sie sind darüber zunächst mal in die Luft gegangen. Ich betone aber heute wie damals: es lag keine prinzipielle Weigerung vor, sondern die vielleicht berechtigte, vielleicht auch nur spleenige Erwägung, es wäre aus Gründen der Taktik besser, Sie im Stande der Unschuld zu lassen, damit Sie für Ihre Person dementieren können.
Also Ihr Kontrollrecht ist nicht anzufechten. Wenn Sie es früher nicht oft geltend machten, so lag das in technischen Gründen und räumlicher Entfernung.
Die Artikel Kaminskis finde ich nicht schlecht. Einige waren ausgezeichnet, andre wieder matter. Das Niveau scheint mir anständig. Aber ich bin kein normaler Leser, draußen mag ein andres Kriterium angängig sein. Mein Urteil in diesen Dingen ist hier überhaupt begrenzt. Ob ich draußen dasselbe tun würde wie Kaminski, weiß ich nicht. Anders als ein Betrachtender denkt der Handelnde.
Das ist kein Drehen um den heißen Brei. Ich bitte, mich darin zu verstehen. Mein ganzes Urteil über die »Weltbühne« ist heute zwiespältig. Manches hat mir recht gut gefallen, manches gar nicht. Wenn ich auch gelegentlich den Kopf geschüttelt habe, so überwog bei mir immer das Gefühl: Mensch, es ist ein holdes Wunder, daß das rote Heft Woche für Woche erscheint, trotzdem du nicht dabei bist und der Herr Sozius ... Nun, da kommen wir auf den schmerzlichsten Punkt: das Loch im Süden ...
Die heutige Leitung hat es schwer: sie muß auch Ihren Platz füllen. Das ist unmöglich, und vor dieser Aufgabe habe ich niemals gestanden. Deshalb muß ich auch tolerant sein, denn ich weiß nicht, ob ich so einem Fatum gewachsen wäre.
Doktor!!! Machen Sie wieder reger mit. Sie haben sich als Produzierender selbst ausgeschaltet, und deshalb sind Sie als Laitiker jetzt unwillkommen. Dieser Konflikt mit Kaminski ist doch nur so zu verstehen. Sie haben durch Ihr konsequentes Fernbleiben Ihrer Autorität geschadet, und Sie schaden durch Ihr Schweigen sich noch mehr. Wenn Sie wieder leibhaftig dabei sind, dann werden solche Querelen ja wesenlos. Niemand wird auf die Idee kommen zu mucken. Ach, wenn ich mit Engelszungen redete ...
Die Sache im »Montag Morgen« war eine Leistung von Herrn Olden. Citron trägt, wie ich mich überzeugt habe, keine Schuld. Dennoch bin ich für eine kleine Sperre seiner Tätigkeit bei uns, denn wir wollen uns schließlich nicht auf dem Bauch rumtrampeln lassen. Das ist eine notwendige Demonstration, nicht so sehr gegen Citron als vielmehr gegen Olden und Steinthal, der behauptet, »er wolle nur mein Bestes«. Ich bin weder als Redakteur noch als Mensch noch als Insasse einer preußischen Strafanstalt in der Lage, das zu bestätigen. Asch hat mich beschworen, gegen Olden nichts zu unternehmen. Wie lange ich passiv bleibe, weiß ich nicht. Aber ich habe keine Lust, eine miserable Advokatenkabale auf meinem Rücken austragen zu lassen.
Verübeln Sie mir meinen Appell (siehe oben) nicht. Es läßt sich noch manches dazu sagen.
Meine eigene Arbeit kommt nach manchen Hemmungen endlich in Schuß. Brüten Sie wieder über einer größeren Sache?
Lassen Sie bald von sich hören. Ich bin with all the wishes of the season
Ihr Oss
*
Tegel, 18.12.32
Lieber Doktor,
vielen Dank für Ihren Brief. Einstweilen ist eine Stockung eingetreten, die zum Aufschub von Wochen, vielleicht auch zu völligem Versacken der Amnestie führen kann. In diesem Land ist eben alles irregulär (nicht irrational, wie viele meinen). Jedenfalls ist es ganz unmöglich, einen dringenden persönlichen Wunsch an die parlamentarische Maschine zu binden. Seien Sie ganz ruhig über mich: ich habe durchaus die innere Konstitution, um durchzuhalten. Und fällt die ganze Geschichte am Ende ins Wasser, dann Cambronne, lieber Freund, Cambronne ...
Ich weiß nichts von Ihren Dispositionen. Sollte ich doch im Laufe der nächsten Zeit freikommen und Sie dann wieder nach Norden reisen, so müssen wir uns irgendwo sehen, falls Sie nicht nach Berlin wollen.