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Das Buch, das diesen Namen trägt, hat in Deutschland ein unverdientes Schicksal gehabt. Die Presse, die den Erfolg macht, verschweigt es. Der Verfasser, Konstantin Fedin, ein junger Russe, hat eine Art neuer Histoire contemporaine schreiben wollen, er hat versucht, die überquellende Stoffmasse der Jahre 1913 bis 1921 in einen Roman von normalem Umfang zu pressen. Die Zeitgeschichte des Anatole France ist ironisch und sozial-idealistisch. Doch dieser Russe, den die Epoche Lenin geformt hat, ist nur ironisch, soweit er das in seinen Augen tod- und fäulnisgeweihte Westeuropa betrachtet, in seinem Rußland sieht er unpathetische Arbeit. So werden die Westlichen zu Karikaturen und Puppen, die Russen stehen ernst, wenn auch unverschönt in der Handlung. Das bedeutet auch kompositorisch einen Bruch. Der Verfasser hat nicht den erzählerischen Wirbel Babels, nicht die Teufelsgrazie Ehrenburgs, die über Blut und Kot noch ihre Raketen verspritzt. Aber dieser Roman von Kriegselend, Verschwörungen, Bürgerkrieg, Soldatenräten und Revolutionskomitees ist mit zupackender Festigkeit geschrieben. Es sind Szenen aus dem Deutschland der Kriegszeit drin, die uns unsre Romanciers schuldig geblieben sind. Der Roman ist im Malik-Verlag erschienen.
»Die kritischen 39 Tage von Serajewo bis zum Weltbrand« von Eugen Fischer sind ein historischer Roman und nicht, wie man glaubt, eine historisch-politische Untersuchung. Der Herr Verfasser ist zwar Sachverständiger des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses für die Kriegsschuldfragen, hat gewiß eine beträchtliche Aktenkenntnis erworben, aber hier macht er wenig Gebrauch davon, sondern begnügt sich mit einer gemütvollen Zubereitung. Während sonst in Kriegsschuldbüchern aller Welt nur Schurken und Unschuldlämmer agieren, sieht Herr Fischer in den Staatsmännern von 1914 arme Getriebene, Gezeichnete des Schicksals, die unter bittern Gewissensqualen das große Sterben über die Menschheit verhängten.
Es ist jedenfalls nett, daß einer diesem vielbehandelten Stoff nun auch eine seelsorgerische Seite abgewonnen hat. Gewiß, es fällt kein böses, verletzendes Wort – selbst Grey und Poincaré sind die Satanshörner abgeschraubt, selbst Lichnowsky widerfährt Gerechtigkeit –, aber ich empfinde es etwas fatal, daß der deutsche Schuldanteil dabei diminutiv wird und, wo sich ein Fleckchen zeigt, es sogleich vom allgemeinen Tränenregen fortgespült wird. Das österreichische Ultimatum erscheint Herrn Fischer als ein ziemlich normaler diplomatischer Akt, er begreift die Aufregung darum nicht. Was hätte es schon geschadet, wenn Serbien für geraume Zeit unter die gute Zucht der österreichischen Monarchie gekommen wäre? »Auch Serbien«, meint der Herr Verfasser nämlich, »war ein Land, dem die geistige und sittliche Führung durch eine hochentwickelte Großmacht des europäischen Kulturkreises noch lange Zeit hätte nützen können«, und blickt uns aus guten Tübinger Theologenaugen fragend ins betroffene Antlitz. Das Buch ist bei Ullstein erschienen, aber es gehört zu Diederichs.
Die Weltbühne, 5. Juni 1928