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Aminta auf dem Autobus

Auf dem Verdeck. Autobus 2. An der Linkstraße steigt der dicke Herr zu meiner Rechten aus, und ich rücke einen Platz weiter. Neben eine Dame. Diese Dame ist Aminta. Was für ein toller Zufall! Da neben mir sitzt Aminta, vor acht Jahren die große Passion. Da neben mir sitzt ahnungslos Aminta, ganz wie einst, etwas in sich verloren, die Augen gesenkt. Noch immer dieses feine Profil, die acht Jahre haben keine Umschichtungen an diesem zarten, blassen Gesicht vorgenommen. Jetzt sehe ich ganz deutlich unsern Abschied damals vor mir: Wartesaal II. Klasse in Altona, völlig verrückte Szene ... »Nein, du, du darfst nicht ...!« Ich weiß nicht mehr, wer damals nicht durfte, aber einer durfte nicht. Dann rennt sie mit hysterischem Lachen in die bitterkalte Nacht hinaus. Ich hinterher. Sie steht, händeringend, totenblaß, gerade im häßlichen Kreideglanz des Laternenlichtes. Ich packe ihre Handgelenke, presse sie, rede ihr zu. Eine Unmenge zärtlichen Unsinn. – Jetzt sitzt sie plötzlich neben mir, ungewiß wie eine Erscheinung. Ich erinnere, daß sie immer etwas Gleitendes, Huschendes hatte, daß immer über der glücklichsten Stunde der Schatten jäher Trennung lag, daß ich sie immer das Phantom nannte.

»Aminta«, sage ich, und sie wendet sich leicht zur Seite. »Aminta, kennst du mich noch?« Ein fragender Blick, leichtes Erröten. Sie nickt. Ich fasse ihre Hand. »Aminta«, sage ich gerührt, »werd ich zum zweitenmal deinen Frieden stören?« Wie entsetzlich geschmacklos, so etwas zu sagen. Geradeso wie vor acht Jahren. Ach, um jede Frau bildet sich ein eigener Jargon.

Und jetzt fange ich an, die Abschiedsszene zu rekapitulieren. Altona, der Wartesaal, das fahle Licht der Laterne. Und drücke ihre Hand. Immerzu.

Eben am Kurfürstendamm sagt sie ganz unvermittelt: »So, jetzt muß ich aussteigen. Was Sie da sagten, war ja ganz nett, aber geht mich nichts an. Ich bin nämlich gar nicht Ihre Aminta.« Und sie zeigt sich mir zum erstenmal en face. Nein, diese klirrende Stimme, dieses weite ironische Auge, das ist nicht Aminta. Ich fühle den Autobus in wahnsinnigen Kurven, bergauf, talab. Die Gedächtniskirche kreist. Dann fasse ich mich schnell. Das Ganze sei ja nicht auf eine bestimmte Person gemünzt, ein nicht alltäglicher Annäherungsversuch, nicht wahr, wir müßten uns auf alle Fälle wiedersehen.

Sie steht schon an der Treppe. »Ich glaube nicht, mein Freund«, sagt sie, »entschuldigen Sie, ich rede ohne Spott: Sie haben mir ein zu gutes Gedächtnis. Man fängt nicht genauso an, wie man aufhörte. Und ich bin eigentlich nicht dazu da, Ihrem kleinen Roman die Pointe zu liefern, die Ihnen vor acht Jahren nicht eingefallen ist.«

Sie geht schnell hinunter. Ich sehe sie noch unten im Menschengewühl. Sie geht sehr eilig, wie zu einer Verabredung. In zwei Minuten wird sie wohl nicht mehr allein sein.

Und wenn sie am Ende doch Aminta war? Ja, war es denn damals anders? Phantom, Phantom ...

 

Das Tage-Buch, 31. Oktober 1925

 


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