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Peter Martin Lampel

Der Staatsanwalt in Liegnitz hat einen Fememord aufgespürt, von dem auch die genauesten Kenner dieses traurigen Kapitels nichts geahnt haben.

Alle Hochachtung, Herr Prokurator!

Es gibt einiges mit Peter Martin Lampel zu rechten, der eben noch ein Bürgerschreck war und heute schon sein Publikum mit einem alle Extreme gleich inbrünstig umarmenden Liberalismus rührt. Wie schnell geht bei den Geschöpfen der Berliner Konjunktur der Weg der Läuterung, der Weg vom »In tyrannos!« zum Juste-milieu. Ein kleines halbes Jahr, und die Spanne von »Revolte« und »Giftgas« zu der homosexuell ornamentierten Maxdreyerei der »Pennäler« ist zurückgelegt. Sire, ce n'est pas la révolution, c'est une émeute!

Viel ist gegen Peter Martin Lampel zu sagen, doch nicht dem Staatsanwalt von Liegnitz, der ihn zum Fememörder machen will, gebührt das Wort. Das Verfahren scheint nicht viel solider gebaut zu sein als Lampels Stücke, nur fehlt deren braves Ethos.

 

Lampel hat jetzt einen Femeroman veröffentlicht, in dem vermutlich persönliche Erlebnisse verarbeitet sind. Auch Herr Bronnen hat einen Fememord genau beschrieben, obgleich er sich damals nicht in Oberschlesien, sondern wahrscheinlich grade am Ostpol aufgehalten hat. Herr Bronnen hat eine bestialische Lebensnähe gefunden, die nicht aus der faktischen Zeugenschaft, sondern aus dem Wunsch herrührt, dabeigewesen zu sein, während der heutige Sozialmoralist Lampel mit Schrecken an Vergangenes zurückdenkt und deshalb recht blaß bleibt. Herr Bronnen ist der Gefährlichere von beiden.

Es wird Lampel vorgeworfen, an einer der oberschlesischen Bluttaten des Freikorps Oberland beteiligt gewesen zu sein. Bis jetzt ist weder bekannt, ob ein solcher Mord wirklich stattgefunden hat, noch ist eine Leiche vorhanden. Nur ein Geständnis eines Herrn Müller liegt vor.

In Oberschlesien ist 1920/21 sehr viel gemordet worden. Hier entstand die schwarze Feme, die dann weiter nach Norden rückte. Schließlich hat es so etwas wie eine Generalamnestie für alles gegeben, weil man die Toten nicht lebendig machen und auch die Täter nicht finden konnte und weil ersten und letzten Endes doch alles fürs Vaterland, fürs teure, geschehen war. »Es wurde der Mantel der Liebe darüber gebreitet«, wie es in dem Femeprozeß der »Weltbühne« der Staatsanwaltschaftsrat Lesser ausdrückte. Warum wird der Mantel jetzt weggezerrt?

Niemals hat Lampel seine rechtsradikale Vergangenheit verhehlt, niemals, daß er in den chaotischen Jahren, wie unzählige junge Leute, überall da war, wo Bürgerkrieg gespielt wurde, bald rechts, bald links. Diese wilden Zeitläufte sind vorüber, und die zahlreichen Begnadigungen seitdem suchten der Tatsache Rechnung zu tragen, daß man für kollektiven Wahnsinn nicht jeden einzelnen zur Rechenschaft ziehen kann.

Es soll aus dieser Zeit ein Gutachten vorhanden sein, in dem Lampel als schwerer Psychopath gekennzeichnet worden ist. Solche Gutachten gibt es über viele Leute, und sie machen keinen Staat damit, und dann gibt es noch viele andre, die keines haben, aber rechtens einen nervenärztlichen Befund als Kokarde am Hut tragen müßten. Was besagt es gegen Lampel, daß er in einer wirren Zeit verwirrt gewesen ist?

Es gibt heute in Deutschland Hunderte von Männern, die in Oberschlesien und anderswo »Verräter« abgekillt haben und denen deshalb das Frühstück nicht schlechter schmeckt. Was bewegt den Staatsanwalt von Liegnitz, sich als Bluträcher zu gebärden, wo doch die patriotischen Motive der oberschlesischen Metzeleien für alle Staatsanwälte bisher außer Frage standen, denn keiner hat sich jemals gerührt? Oder richtiger: der Staatsanwalt muß ja automatisch auf eine Anzeige reagieren, aber durch welche unterirdischen Kanäle mag diese Denunziation geflossen sein?

Ich fürchte: Lampel könnte zwanzig Fememorde auf dem Gewissen haben – wenn seine schriftstellerische Arbeit nur die Linie seiner oberschlesischen Zeit beibehalten hätte, würde ihn niemand behelligen. Aber er gilt für die nationale Hinterwelt als ein wichtiger Exponent des sogenannten hauptstädtischen Kulturbolschewismus, und der sollte getroffen werden. So suchte man in der Vergangenheit des Mannes, bis man endlich etwas fand. Nun soll die Justiz die Vendetta einer obskuren Clique vollziehen.

Lampel hat harte Kämpfe mit der Zensur gehabt; er ist auch ein besonderer Favorit der Filmzensur. In München-Kuhschnappel hält man ihn für einen überaus bösartigen Sittenverderber. Es ist nicht so schlimm damit, unser Autor fing in dem günstigen Konjunkturklima schon an, sich zu entwickeln. Die Leitung in die Provinz ist lang. In Berlin wird der arme Lampel schon von den Radikalen preisgegeben, über die Provinz kommt er erst jetzt als eine schreckenerregende rote Wolke. Grund genug zum Einschreiten.

Die Wege der deutschen Zensur sind wunderlich verschlungen. Die Zensur ist eben nicht identisch mit den behördlichen Überwachungsstellen, gegen die es direkte Mittel gibt. Es lassen sich jederzeit an die Dutzend Paragraphen des Strafgesetzbuchs gegen ein bei den National- und Sexualmuckern unbeliebtes Schriftwerk anschirren; so kann die in der Verfassung gewährleistete Gedankenfreiheit leicht illusorisch gemacht werden und dabei noch die Fiktion des liberalen, zensurlosen Staates gewahrt bleiben. Und es bleibt außerdem noch der gegen Lampel gewählte Weg, einen bekämpften Autor, den man nicht kleinkriegen kann, mit irgendeinem gemeinen, ganz unliterarischen Verbrechen in Verbindung zu bringen. Das verschafft nicht nur dem Mann ein häßliches Odium, sondern infamiert die Richtung, die Sache, die Anhängerschaft. Gegen diese perfide Anonymität der Zensur gilt es, Waffen zu finden.

Seit geraumer Zeit wird von rechtsradikaler Seite eine laute Kampagne geführt für die Begnadigung des Oberleutnants Schulz und seiner Mitverurteilten. Bedeutet das Vorgehen gegen Lampel einen Teil der Befreiungsaktion? Will man sich aus dem linken Lager Geiseln holen, um eine Pression ausüben zu können?

Die »Weltbühne«, in der vor Jahren die ersten stichhaltigen Mitteilungen über die Fememorde gemacht worden sind, hat immer wieder hervorgehoben, daß es sich nicht um die Abstrafung der armseligen Werkzeuge, der Klapproths et cetera handle, sondern um die Feststellung der politischen Höchstverantwortlichkeit. Diese Frage hat uns einen Prozeß eingebracht, den wir verloren haben, weil von uns eine Antwort verlangt wurde, die eigentlich die Herren Zeugen von der Reichswehr hätten geben müssen. Wir sind in diesem Prozeß unterlegen, weil wir vor einer silberbetreßten Mauer von Ministerialoffizieren standen, in deren schweigende Widerstandskraft nicht Bresche zu schlagen war. Keine Geheimloge hätte verschwiegener sein können als diese Herren. Möge der Himmel verhüten, daß die von Herrn von Seeckt geschaffene Wehrmacht sich jemals im Felde zu bewähren habe, aber ihre Tauglichkeit für den Gerichtssaal hat sie bewiesen.

Dennoch ist es nicht unbedenklich, Peter Martin Lampel mit den Fememorden zu verkoppeln. Denn dadurch wird dieses ganze inzwischen von der Zeit ziemlich verschüttete Thema plötzlich wieder freigelegt. Und nun gar Oberschlesien, über dessen Gräber der Mantel der Liebe gebreitet worden ist. Es ist unmöglich, einen Fall Lampel zu fabrizieren, ohne daß daraus ein Fall Oberschlesien wird. Der Mantel der Liebe, nein – es ist auch der Mantel der Scham. Hunderte von feigen, kaltblütigen Morden sind in Oberschlesien begangen worden von irregeführten enthusiastischen Dummköpfen, die zur höhern Ehre der Nation nächtlich geschaufelte Gräber füllten. Niemand hat bisher danach gefragt, und die Beteiligten haben nicht geredet. Wollt ihr einen der Zeugen dieser entmenschten Zeit herausgreifen und bezichtigen – gut, dann fordern wir die Generalanklage! Dann sollen sie alle zur Verantwortung gezogen werden, die mitgemacht haben, die Tausenden, für die das heute weite Vergangenheit ist und die Morgen für Morgen friedlich an ihre Arbeitsstätte gehen und so ruhig Glockenschlag zwölf ihre Stulpen auspacken, wie sie damals Gurgeln abgeschnitten haben. Dann soll die mit dem breiten geduldigen Fahnentuch des Vaterlandes bedeckte blutige Affenschande, die sich »Verteidigung Oberschlesiens« nannte, endlich sichtbar gemacht werden.

Sie müssen sich entscheiden, meine Herren Denunzianten. Wollen Sie den Fall Lampel aufziehen, so sollen Sie dafür den Fall Oberschlesien bekommen! Voilà ...

 

Die Weltbühne, 12. November 1929

 


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