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Klabund

Et meure Paris et Helaine,
quiconques meurt, meurt à la douleur ...
François Villon

Während grade in einigen Zeitungen über die Zukunft oder die Zukunftslosigkeit der Lyrik disputiert wird, stirbt der letzte freie Rhapsode, der letzte aus dem alten Geschlecht dichtender Vaganten, dem das Versemachen so sehr Element war, daß es diesen gebrechlichen Leib für lange Jahre allein an die Erde zu binden schien.

Seine Begabung war unruhig und zuckend; in Beweglichkeit und Maskenkunst ohne Grenze. Es floß immer in einem schmalen Bändchen alles durcheinander: Heine, Rimbaud, Exoten, Rudolf Baumbach, Wedekind, Eichendorffs Mondscheinlyrik und Dialektwitz; Pathos, Melancholie und Biertischzote. Aus dem Einfall wurde blitzschnell Rhythmus, Wort, Refrain. Und über allem schwebte die einschmeichelnde Libertinage des Namens Klabund.

Er hatte keine Zeit und wußte es. Vieles von dem eilig Hingedichteten wird verwehen, trotzdem mehr übrigbleiben als von den meisten bändereichen Lyrikern seit Heinrich Heine. Vielleicht auch »Moreau«, gewiß »Bracke«.

Von seinen siebenunddreißig Jahren waren zwanzig eine rohe, handgreifliche Auseinandersetzung mit dem Tode. Ewige Flucht ins Sanatorium, Flucht vor dem kühlen Luftzug, Erbeben vor einem kleinen Kratzen im Halse, das den nächsten Anfall anzeigt. Das ist ein unmißverständliches Schicksal. Die Herren Poeten pflegen sonst immer sehr allgemein »am Leben« zu leiden. Die Herren Lyriker namentlich pflegen von früher Jugend an mit dem Tod auf gutem Versfuß zu stehen, seinen Namen unnütz zu führen, um doch bald solide zu heiraten und kleine Kinder und dicke Romane zu zeugen. Im Fall Klabund war das Leiden grausam deutlich lokalisiert.

Unter seinen vielen Schriften gibt es einen kleinen, wohl ganz vergessenen Band: »Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde«, der vor acht Jahren in einer Serie herausgekommen ist, die sonst bitterernsten Bildungszwecken diente. Da wird über verstaubte Größen der Literaturgeschichte, die kein Scherer sonst ungeschoren läßt, so freundlich und kurzweilig abgehandelt wie hier:

»Heinrich Laube (aus Sprottau, 1806-1884) schlug die dramatische Pauke, daß einem Sehen und Hören verging. Sein ›Graf Essex‹ war das erste Theaterstück, das ich als Knabe auf der Schmierenbühne einer märkischen Kleinstadt sah. Niemals mehr hat ein Drama solchen Eindruck auf mich gemacht. Ich sehe noch immer den schlotternden Essex im Kerker sitzen und höre auf einem vom Bäcker geborgten blechernen Kuchenteller zwölfmal die Stunde des Gerichtes schlagen. Alle Schauer jagen mir im Gedächtnis daran über den Rücken, und ich drücke den vereinigten Geistern von Laube und Essex pietätvoll und gerührt die Hand.«

Klabund (Alfred Henschke aus Crossen, 1890-1928) wird in die Literaturgeschichte und Nachschlagewerke eingehen. Möge er Federn finden, die so anmutig die Erinnerung an sein kurzes, krankes, melodienreiches Leben wahren.

 

Die Weltbühne, 21. August 1928

 


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