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Wir können weiterleben, dichten, werkeln, wenn ein Quader im Fundament geborsten ist.
Wir Menschen sind furchtbar zäh, loben ein Beefsteak, wenn der Goldglanz unserer Himmel blaß wird, klammern uns nach der Vernichtung unserer Essenz an armes Beiwerk des Lebens.
Acht Tage lang an einem Schmerz gewürgt, Selbstmord überlegt, verworfen und wieder in Erwägung gezogen, die helle Stille einer Schiffskabine mit Weh gefüllt, daß sie zur Schreckenskammer wurde, – Peters hatte sich ausgelitten zur Erschöpfung.
Wer so, aus Siegesbahnen geworfen, einsam sein Schicksal duldet, findet plötzlich, mit müden neuen Augen, im Leben manches erbärmlich Angenehme.
Kanaltrajekt, Zwischendeck, indische Dau – das waren Peters' See-Erfahrungen. Welch ein Kontrast dies blitzende Schiff! Spiegelglatt die Promenadendecks, Orchester, blumengeschmückte Tafel, gekachelte Bäder!
Man kann daran ein bißchen Freude haben.
Auch, ganz allmählich, an einem Gespräch mit klugen, gesitteten Herren, die ungefähr schon wissen, wer man ist, woher man kommt, wohin. Da war Herr Rudolph Gebhard aus Elberfeld, Freund des Bankherrn von der Heydt, der in großen Geschäften reiste. 205
Peters warb nicht um ihn, drängte ihn nicht mit seiner Beredsamkeit. Sie unterhielten sich nur, und Gebhard bekannte sich als Kolonialenthusiast, versprach Empfehlungen an von der Heydt.
Im ganzen lief die Reise gemächlich hin, nach der ersten Woche ohne Schlaf, Nahrung, Denken.
Da Selbstmord in dieser Stunde Fahnenflucht hieß, Verrat an allen Freunden, am eigenen Leben, gab es nur das: Maud nie wiedersehn! Auch an kein Wiedersehn denken. An sie zu denken, freilich, blieb nie erspart.
Wie das zu tragen war?
Arbeit!
Die würde es jetzt geben, daß die Stunden keines Tages reichten. Das Rad war angekurbelt, er mußte es im Lauf halten! So müd' er war – neue Ziele werden kommen, neuer Ehrgeiz. Da war erst der Reichsschutz. Falls er verweigert wurde, Verhandlung mit Belgien. Gleich danach die Finanzierung.
Vom Kapital der Gesellschaft war ja fast nichts verbraucht. Aber die Erwerbungen ausnützen, das Land kolonisieren, in großem Stil und besserem Stil, durch gut ausgerüstete Expeditionen das Erworbene verzehnfachen – dazu bedurfte es eines solchen Kapitals, wie die kleine Gruppe seiner Anteilzeichner es nicht aufbringen würde.
Neuorganisieren also, Versammlungen, Aufrufe. Die Banken mobil gemacht, Leitartikel geschrieben – es würde schon gehn, mechanisch, was er so weit getrieben.
Auch ohne dieses Lohen, Schwung der Seele, der einst Unmögliches vollbracht.
Am fünften Februar kam Peters in Berlin an und stand am Abend desselben Tages vor dem Ausschuß der Gesellschaft für deutsche Kolonisation. 206
Daß er gegen die von ihm diktierten Beschlüsse der Gesellschaft in Ostafrika eingedrungen war, verübelte ihm – nach so ungeahntem Erfolg – kein Mensch.
Warum er, statt auf kürzestem Weg heimzukehren, den irrsinnigen Umweg über Bombay genommen, fragte niemand.
Peters hatte ganz selbstherrlich, damals noch ein anderer als heute, auf der Fahrt nach Bombay einen Expeditionsbericht für Bismarck geschrieben und angefragt, ob der Erlaß vom letzten Oktober endgültig die Stellung des Reichs zu »seiner« Kolonie bestimme.
An der Gesellschaft, den Kapitalisten vorbei, hatte er sich an den Kanzler des Reiches gewandt!
Auch das war heute Recht.
Nur daß Peters selbst mit dem Reich nicht verhandeln wollte, erregte Staunen. Glückstrahlend aber nahm Graf Behr-Bandelin das Mandat entgegen.
Er schüttelte Peters die Hand, rühmte sich, der alte Herr, daß er stets zu seiner Fahne gestanden.
Sie glühten alle, jeder beschenkt, jeder stolz!
Sie hätten Peters umarmt und geküßt, die steifgebügelten Berliner Herren, die seit Sedan und Versailles nicht mehr so jung gewesen.
Sie hätten zuletzt, nach den Beschlüssen des Tages, gesungen, gezecht, Raketen der Beredsamkeit steigen lassen – hätten sie ihren Peters wiedergehabt, den Vielgelästerten, Schnarrenden, Beschwingten, der so seltsam anziehn, so durchaus abstoßen konnte.
Aber die Reise hatte an seiner Kraft gezehrt. Matt schien der achtundzwanzigjährige Held, ein zerstörtes Lächeln um den Mund, gleichgültig für Lob und Glückwunsch. 207