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Am nächsten Morgen – es war eine Tat! –zeichnete Peters sich mit fünf Anteilen à fünftausend Mark in die Gründer-Liste seiner Gesellschaft ein, Karl Jühlke mit zwei Anteilen.
Während die Gesellschaft für deutsche Kolonisation, von Peters' Handstreich überrumpelt, schwächer und schwächer wurde, während die bisherigen Anhänger enttäuschte Gesichter zeigten, mit ihrer Wut die Feinde 164 Peters' stärkten, betrieb er zwei Wochen lang mit grimmigem Eifer seine Kapitalbeschaffung.
Die alte »Gesellschaft« war jetzt eine Kulisse, hinter der er sich versteckte. Sie sollte lächerlich wirken – man sollte vom Zwist im eigenen Lager sprechen. Gerade im Schatten dieses Skandals ging er am sichersten seinen Weg.
Als großer Zeichner an der Spitze der Liste war er den wenigen Enthusiasten eine Vertrauen erweckende Person. Es gab ja damals viel Geld in Deutschland – für diese fünftausend Mark kaufte man schließlich ein Lotterielos, wahrscheinlich eine Niete, aber vielleicht, bei einer Möglichkeit unter Tausenden, Anwartschaft auf riesigen Gewinn!
Peters machte den Weg von Haus zu Haus, und wen er einmal am Rockknopf gepackt hatte, den bezwang seine alles niederkämpfende Suada.
War denn – seit Dido – irgendeine Kolonie in anderem Stil erobert worden, als er sich anschickte, die seine zu erobern? »Abenteurer-Komitees« hatten sich in allen Phasen englischer Kolonialgeschichte zusammengeschlossen, hatten ein kleines Kapital mobil gemacht und ihre besten, tapfersten Männer irgendwohin in die wilde Welt geschickt. Nicht anders war Columbus nach Amerika gegangen, ganz so hatte Sir Walter Raleigh dem König von England Indien erobert, Francis Drake die Weltmacht für England.
Hielt man ihm entgegen, das seien andere Zeiten gewesen, in denen die Welt noch nicht zu Interessensphären der europäischen Reiche aufgeteilt war, dann goß er seinen Hohn gerade über diese ängstlich-knochenlose Zeit. 165
Was die Herren Regierer denn überhaupt von Afrika wüßten? Daß es ein Stück weißes Papier auf der Landkarte war, bezeichnet mit den Spuren ein paar tapferer Forscher, darunter Deutscher, deren Berichte zu lesen man in Deutschland noch kaum für nötig hielt. Die Kolonialeroberer des Mittelalters hatten es mit Imperien und geschulten Armeen zu tun! In seinem Afrika aber gab es nur winzige Sultanate unter hungrigen Sultanen, die, für Papierschnitzel oder Glasperlen berauscht, ihre Seligkeit verkauften.
»Es ist Ihnen entgangen, daß wir im Mittelalter leben!« schmetterte er jedem entgegen, der von anderen Zeiten sprach. »Nur einem außer mir ist es nicht entgangen, dem König der Belgier! Mit Ihren fünftausend Mark laufen wir dem den Rang ab und brauchen uns in zehn Jahren vor unseren Kindern nicht zu schämen!«
Die Kaufmannstätigkeit aus der Londoner Zeit, als er Karl Engels Hinterlassenschaft liquidierte, kam Peters zustatten. Er beherrschte die Sprache des Kaufmanns! Daß aber seine Fachausdrücke meist englisch waren, daß er den Londoner City-Slang geradezu betonte, wirkte überzeugend. Wo könnte man besser lernen, was er angeblich verstand, als bei den Briten.
Die wenigen, die nicht längst im feindlichen Lager standen, fanden diesen deutschen Gelehrten, der zugleich ein Londoner Geschäftsmann war und sein eigenes Geld auf das Abenteuer setzte – nicht seriös wie Leute, mit denen man in Deutschland Geschäfte macht; aber gerade als die richtige Mischung aus Phantasterei, Größenwahnsinn, echter Sachkenntnis. Zuletzt entschied seine atemlose Beredsamkeit.
Fünfunddreißig Anteile wurden so gezeichnet, hundertfünfundsiebzigtausend wirkliche und greifbare Mark! 166 Peters fand, es sei für den Anfang genug. Er hatte sich müd gerannt und müde geschrieen, durch viele Wochen.
Hundertfünfundsiebzigtausend Mark – so viel kostete in Deutschland ein kleines Rittergut. Wenn er ein großes Herzogtum dafür erstand, würden ihm in Zukunft Kapitalien zuströmen.
Im August trommelte er seine Aktionäre zusammen. Es war eine seiner napoleonischen Sitzungen, in denen niemand sprach als er, in denen Ämter verteilt und angenommen wurden, wie er es für richtig fand; bei der Abstimmung die Hände nach seinem Kommando hoch flogen.
Das hatte er in Ilfeld gelernt, in den Studentenvereinen, im Proppenbund weitergeübt, dies Überrennen von Zaudernden, Organisieren von Willensschwachen, die für ein paar Stunden lang ins Räderwerk seiner Dialektik gerieten, seiner Stimmgewalt, seines Glaubens an sich selbst.
Die »Gesellschaft für deutsche Kolonisation« blieb wie eine Vogelscheuche am Wege liegen – sie war gerade noch gut genug, von den Zeitungen bespöttelt, vom Auswärtigen Amt mißtrauisch beobachtet zu werden. Aus ihr herausgeschält hatte er seine kleine Kapitalistengruppe, die ihm hundertfünfundsiebzigtausend Mark in die Hand drückte, ihn zum Leiter einer Expedition machte, an der außer Jühlke nur ein neu aufgetauchter Graf Pfeil teilnehmen sollte.
Im Protokoll jener entscheidenden Sitzung stand, von Peters diktiert:
»Der Ausschuß spricht die feste Erwartung aus, daß die Herren keinesfalls ohne den Ankauf von geeignetem Land irgendwo vollzogen zu haben, nach Deutschland zurückkehren werden.« 167
Sie hätten es nicht schriftlich auszudrücken brauchen! Wenn irgend etwas in Peters feststand, war es das: siegreich oder gar nicht heimzukehren. In dem Kanal, den er diesmal durchschwimmen wollte, gab es kein Zufallsfischerboot, den Ertrinkenden aufzunehmen! Diesmal war alles zu gewinnen oder der Tod. Beides schließlich gleich hoher Gewinn.
Die Teilnehmer an jenem Kapitalistenausschuß hatten einander das Ehrenwort gegeben, von ihren Beschlüssen kein Wort laut werden zu lassen!
Es waren Verräter unter ihnen. Am anderen Tag stand alles in der Zeitung!
Die Zeitung behauptete, Peters' Unternehmen richte sich gegen die Ostküste von Afrika. Sie hatte an der Quelle geschöpft!
In den großen Berliner Restaurants wurden gleich darauf ein paar hundert Exemplare einer Agitationsschrift verteilt: Deutschland müßte das Transvaal ergreifen. Diese Broschüre trug den Aufdruck »Geschenk von der Gesellschaft für deutsche Kolonisation«.
Einen Tag später drahtete der Korrespondent der »Times«, kunstvoll informiert, nach London, Peters' Plan richte sich gegen den südlichen Kongo. Die Expedition sei schon über Liverpool unterwegs.
Kaum war das Telegramm von London zurückgekommen, durch Berliner Blätter verbreitet, als vom Vorstand der pro forma noch lebenden Gesellschaft für deutsche Kolonisation ein kerniges Dementi kam. Von Peters in Berlin stilisiert, hieß es da, Peters sei nach Südwestafrika unterwegs.
Unter dem Beifall aller Skeptiker veröffentlichte er endlich: die unpatriotische, kolonialfeindliche Agitation habe solches Mißtrauen gegen ihn verbreitet, daß an 168 Kapital nicht zu denken sei. Ohne Geld keine Expedition, keine Kolonien! Deine große Stunde ist versäumt, Germanien! Man hörte dann nichts mehr von Peters und Jühlke. In Hannover waren sie noch einmal gesehen worden, in Hannover, wo dieser Krakeeler und Unruhstifter Peters zu Hause war. Gottlob, er hatte ausgekräht!
Der deutsche Kolonialverein ließ zum letztenmal drucken, daß er unverrückbar zu seinen Zielen stünde, mit denen ein gewisser Dr. Carl Peters nichts zu tun habe. Dann wurde es still. Keiner von den Zeichnern der Fünftausend-Mark-Anteile wußte, wohin in aller Welt die beiden jungen Pioniere ihr Geld getragen hatten. Traurig und ergrimmt schrieben sie es in den Schornstein.
Bismarck, mißtrauisch und ein besserer Psychologe als die breite Öffentlichkeit, hatte den wirbelnden Gerüchten und Dementis gleich wenig geglaubt. Aber auch er ahnte nicht, in welcher Ecke der Welt zwei junge Deutsche anfangen würden, seine Kreise zu stören, Mißtrauen gegen Deutschland unter die Kolonialmächte zu säen.
Die Pfarrerswitwe Frau Peters und Jühlkes Vater, Hofgartendirektor in Potsdam, bekamen in schlaflosen Nächten keine Antwort auf ihr verzweifeltes Fragen, wohin diese Bengels, Doktoren beide, achtundzwanzig Jahre alt und gestern noch reich an Zukunft, durchgebrannt waren, um ein Indianerspiel zu veranstalten, wie es Quartanern kaum zustand. Sie grämten sich über die Söhne – und schämten sich. 169