Balder Olden
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Balder Olden

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Fünfzehntes Kapitel

Wirklich, wie Quartaner auf Lederstrumpfpfaden, schlugen die beiden Eroberer sich durch Deutschland nach Österreich hinüber, dritter Klasse, fast ohne Gepäck, scheu vorbei an Behörden und jedem, der sie vielleicht erkennen würde. Das hieß schließlich: an jedem Wohlgekleideten, an jedem Uniformierten.

War es nicht denkbar – es wäre freilich ungesetzlich gewesen – daß Bismarck verboten hatte, sie ausreisen zu lassen? Bismarck, der Jühlke schon als fleißiges Karlchen gekannt, seine Entwicklung verfolgt, ihm die wärmste Ecke in seinem Bereich zugesichert, würde schäumen, wenn er erfuhr, daß dieser Wohlgesittete sich mit dem rabiaten, unreifen Abenteurer vereinigt hatte!

In Triest lag der Italiener, auf dem sie Zwischendeckplätze belegt hatten.

Zwischendeck für Wochen und Wochen.

Ein Dampfer, der an den Küsten hintrödelte, in jedem Hafen fast Ladung wechselte, der bald nach Stockfisch, bald nach Leder stank . . .

Durch eine Luke fiel wenig Licht in dies Quartier, das sie mit galizischen Juden auf der Auswanderung nach Südafrika und heimkehrenden Negern teilten. Sie aßen aus einem Blechnapf, den sie sich, dreimal täglich im Zug marschierend, von einem Hilfskoch vollklexen ließen, säuberten das Geschirr an einer Pumpe, schliefen im Massenquartier in Hängematten oder an Deck, in Mäntel gehüllt, unter dem Rettungsboot.

Seit Hannover schon ließen sie Bärte stehn. Ein Bad gab es nur in den Hafenstädten, auch da fast heimlich genossen, als etwas Kompromittierendes! Auch in 170 Alexandria oder Port Said wagten sie nicht, für ein paar Tage oder auch nur Stunden Gentlemen zu spielen, im Hotel zu speisen. Paßvisitationen gab es zu jener Zeit nicht. Aber ein Zwischendecker, der plötzlich in weißem Wichs erschien, wäre vielleicht doch um den Flebben gefragt worden.

Wer je in den Osten gereist ist, durch den Suezkanal, das Rote Meer, erkennt bildhaft und schlagend, daß England die Wellen beherrscht.

»Der Suezkanal schien ein britisches Unternehmen; das Rote Meer eine englische See; dann ging es an Persien und Aden vorbei; überall der Union Jack und nichts als der Union Jack . . .«

Sie standen, zwei junge deutsche Zwischendecker, an der Reling eines italienischen Tramp-Dampfers, genährt wie Kulis, gekleidet wie stellungslose Kommis, und berieten:

»Hier wird eine deutsche Marinestation sein! Hier graben wir England sein geliebtes Wasser ab!«

Denn das war Peters klar, und Jühlke würde nie bezweifeln, was Peters erkannt hatte: nun legten sie Hand auf ein Stück Afrika, übergaben es Deutschland, zwangen das Reich, dies großmütig dargebrachte Geschenk anzunehmen. Aus diesem Stück wurde eine Kolonie, aus der Kolonie ein Reich.

Der Flagge folgte der Handel, dem Handel die Macht. Deutsche Soldaten, eine deutsche Kriegsflotte, Flagge und Handel zu schützen! Diese Engländer sollten glotzen!

»Was du nur gegen die Engländer hast?« fragte Jühlke, fremd berührt, denn aus Peters' Projekten klang es wie Haß. »Gar nichts hab' ich gegen sie, Jühlke! Sie sind mir tausendmal lieber als diese teutonischen Bärenhäuter . . . Nur zeigen will ich's ihnen!« 171

Peters schnarrte auf dieser Reise nicht. Er flüsterte beinah, war gedrückt bescheiden, durfte kein Aufsehen erregen. Aber manchmal stöhnte er besessen, fanatisch, halbe Stunden lang, dem armen Jühlke ins Ohr.

»Hast du Weltwille und Willenswelt richtig gelesen? Weißt du, was da zwischen den Zeilen steht – auf Seite dreihundertfünfzehn, dreihunderteinundzwanzig, in den letzten Aphorismen?«

Jühlke wußte es nicht.

»Gescheit ist das Buch, Peters!«

»Ach, gescheit . . .«

»Was hast du schon getan, Jühlke? Deine Karriere im Auswärtigen Amt drangesetzt . . . Gut, die ist futsch. Bismarck bist du los. Dein Vater rauft sich die Haare. Wenn wir nichts erreichen, Jühlke, kannst du als Ziegelträger oder Registrator beim Hofgarten deine Tage beschließen.

Aber ich, Jühlke! Ich kann nur noch sterben . . . Ich muß verrecken oder so absolut gewinnen, wie kein Mensch es für möglich hält! Du weißt ja nicht, Jühlke . . .«

Und dieser Bernhardiner von Jühlke tappte mit breiten Pfoten:

»Eine scheußliche Kiste mußt du da drüben in London verbrochen haben!«

»Scheußlich? Nein, aber grauenvoll! Was kann ich dafür? Lies mein Buch, Jühlke!«

Peters, Zigarren bis zum Stummel paffend, vielleicht sein schmieriges Blechgeschirr zwischen den Knien, vielleicht an der Reling hingerekelt, schmutzig, Nachthimmel des Südens über sich:

»Nicht fragen, Jühlke! Du erfährst alles, wenn wir 172 am Ziel sind! Du erfährst es, überhaupt – alle Welt soll's dann wissen!

Jühlke, ich hab' ein Geheimnis, das frißt mein Herz. Aber erst wenn alle Welt weiß, wer ich bin, soll's jemand erfahren.

Du wirst der erste sein, Jühlke!«

Mitten aus dem Studium heraus – sie lernten um die Wette Negersprachen – fuhr er auf:

»Wenn der Kaiser mir Dank gesagt hat, wenn Bismarck neben mir steht oder unter mir liegt, wenn jeder Rindskopf erkennen muß, daß ich von einem Zweck geworfen bin wie eine Rakete und einfach tun muß, was diesem Zweck dient, – dann! Dann red' ich mir die Leber frei!«

So fuhren sie bei schwerer See und oft seekrank am Kap Guardafui vorbei, Afrikas Ostküste hinunter.

»Jühlke, an Menschen hab' ich nichts als dich. Mein ganzer Bestand. Auf dich kann ich mich verlassen, Jühlke?«

»Wenn du das noch nicht weißt, Peters . . .!«

»Halt's Maul, Jühlke, sag nichts! Ich brauch dich bis zur letzten Faser. Weißt du noch, mein Gedicht als Gymnasiast:

Vielleicht werd ich den Kampf bestehn,
Nur dann ist es vorbei.
Vielleicht werd ich zugrundegehn
Mit allen, die mir treu. – –

»Erinnerst du dich, beim Abitur in Ilfeld?«

»Erst acht Jahre her, Peters.«

»Erst acht Jahre!«

»Alle, die mir treu – das bist du also ganz allein.« 173

Jühlke, vor acht Jahren ein bleicher Gymnasiast, der sich überarbeitet hatte, weil Cicero und Integralrechnung ihm schwer fielen, war heute ein Landstreicher an Afrikas Ostküste, der inzwischen Assessor gewesen, Protégé Bismarcks, hoffnungsvoll wie nur ein deutscher Bursch im Staatsdienst.

Er preßte Peters' Hände.

»Dann geh ich mit dir zugrunde, Peters!«

Bald kam es, nach all den Häfen mit immer schwärzeren Menschengesichtern, immer blauerem Himmel, tollerem Einstürmen des Neuen aus Luft, Geruch, Vegetation, Lebensweise der Menschen.

»Morgen Sansibar, Jühlke! Morgen fängt's an!«

»Und wie denkst du dir den Anfang, Peters?«

»Los! Die Hunderter fliegen, Geschenke gehäuft, Träger gemietet, ein Boot an die Küste. Los, los, los!«

Zum erstenmal schnarrte er wieder.

»Keine Minute wird jetzt mehr verloren!«

Dann kamen, bläulich ansteigend, die Riffe von Sansibar, wurden größer und härter! Kam der Lärm, das Rasseln von Ketten und Kränen an Bord, unermüdliches Spähen durch Feldstecher, Krampf naher Erfüllung im Herzen.

Wälder, die sich im Abend schnell verloren, kantige Häuser, die hinschwammen, eine elektrische Sonne irgendwo, riesig an Leuchtkraft!

Peters kannte diesen Hafen, wie er aus seiner Bibliothek alles kannte, an Physischem und Metaphysischem, das Menschen erreichbar war. Wie beherrschte er Geschichte, Wirtschaft, Sprache, gesellschaftliche Struktur dieser überdämmerten Insel!

»Signalmast vom Sansibar-Hafen! Der Sultansturm! Dort hinten im Blau, das sind die Zimtfelder! 174 Der helle Streifen – Boulevard Italien. Das breite Haus unser Hotel!«

»Hotel gibts hier, Peters?«

»Hôtel d'Afrique Central, Jühlke! Ein Stotterer, ein Schwätzer hat's so genannt. Was ist das, Zentral-Afrika, Petersland, Deutsch-Peters-Land, das weiß heut noch keiner!«

Sie liefen ein in den Hafen, lagen an einem Kai, zwischen indischen Segel-Daus, sturmtüchtig, Schwalben der See, die gebrechlich schienen, zwischen Booten und Barkassen, im Geheul der schwarzen Hafenarbeiter.

Gleich ging's, ehe ein Fallreep gelegt war! Über die Reling im Schwung, Koffer, Bündel, Männer . . .

Durch Nacht über den Kai, durch Gassen, Plätze, keuchende schwarze Träger hinter sich, dem Hotel zu.

Hôtel d'Afrique Central!

 


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