Balder Olden
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Balder Olden

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Sechzehntes Kapitel

Um eine Bucht braungelbe Dünen, von Palmen beherrscht. Ein paar Schuppen aus Wellblech, in denen die Sonne weiß blitzt, Negerhütten zu schwarzen Klumpen geballt – das ist der Hafen von Saadani. Über einem Wellblechdach, dem Regierungsgebäude, flattert die Fahne des Sultans von Sansibar.

Eine Dau, lächerlich klein und gebrechlich, stößt sich unter vielgeflickten Segeln in den Hafen hinein. Es ist Ebbe, selbst für dies Jammerfahrzeug ist der Hafen nicht tief genug. Ein harter Stoß, die Planken beben, Holz kracht, Masten zittern. 175

Aber es dringt kein Wasser ein, die Dau lebt, von deren Reling Deutschland seine Hände nach Afrika streckt.

Die nächste Flut wird sie heben, flottmachen, dem Ufer zutragen!

Wann die Flut einsetzt?

In einer Stunde, so Allah will.

Dreihundert Meter vor Afrika, einen Büchsenschuß weit vom Ziel – und warten!

Ein kleiner Mann in Khaki, den Schnurrbart gesträubt, empörte Augen hinter scharfen Gläsern, steht im Bug des Schiffes, reckt die Arme, fuchtelt mit seinem Kiboko, der Reitpeitsche aus Nilpferdhaut.

»Hamisi, spring!«

Hamisi ist Peters' Diener, ein großer, schöner Bursch mit sanften Augen voll Goldglanz. Er steht sehr feierlich da, in seinem weißen Hemd, das rote Käppchen auf der schwarzen Wolle, – und lächelt zweifelnd.

»Spring!«

Das Instrument aus Nilpferdhaut pfeift drohend durch die Luft – Hamisi trägt nichts als den dünnen Kanzu.

»Kali kabissa« denkt er, »besonders scharf ist mein neuer Herr!«

Er gauzt auf, ehe die Peitsche ihn noch berührt hat, und schwingt sich über Bord.

Gleich klebt Peters in seinem Nacken, der kleine, leichte Peters mit seinen eisernen Schenkeln.

Jetzt findet Hamisi die Sache lustig. Er wird sogar ein bißchen stolz – Peters ist »bwana mkuba«, der große Herr, bei dieser Reise.

Es ist eine Ehre, ihm als Reitpferd zu dienen. 176

»Heia, heia!« kräht Peters. Sein greller Ruf tanzt über die Fluten.

Hamisi reicht das Wasser kaum bis zur Brust, er lacht, trabt los.

»Heia, heia!«

Es geht Peters nicht schnell genug.

Plötzlich ist kein Hamisi mehr da, über seinem roten Fez schlagen die Hafenwasser zusammen. Peters' Kiboko peitscht die Flut, daß sie schäumt. Er fuchtelt und brüllt. Aber seine Knie lassen den Hals des Negers nicht.

»Herrgott, Peters!« schreit Jühlke entsetzt vom Schiff her. »Wahnsinn!«

Aber Hamisi hat das Gleichgewicht nicht verloren. Unter seinen Füßen hebt sich der Boden wieder. Prustend, Salzwasser sprühend, glücklich setzt er die Wanderung fort.

Da stehen Schwarze am Strand, sehen den kleinen brüllenden, gestikulierenden Bwana auf seinem zweibeinigen Reittier winken, lachen, kommen Hamisi entgegen, strecken ihm die Hände zu.

Er will sie ergreifen. Aber der Boden wird plötzlich lehmig und glatt – Hamisi torkelt, fällt, und über seinen Kopf weg fliegt Peters auf afrikanisches Festland, liegt da wie eine Qualle, umklammert mit allen Vieren zugleich den wild ersehnten Boden.

»Hier bin ich, hier bleib ich!« schmettert er zur Dau hinüber und denkt an Wilhelm den Eroberer, der ebenso den Boden Englands betreten.

Jetzt wirklich, durchnäßt und unter einem Katarakt schallenden Lachens, beginnt seine Eroberung.

Einen von den lachenden Schwarzen winkt er, rasch auf die Beine gekommen, mit dem Kiboko heran. 177

»Du führst mich zur Hindu-Duka!«

Sie führen ihn alle, eine jauchzende Vorhut.

Aus den Lehmhütten kommen Weiber heraus, ein Kind an der Brust, eines rittlings auf der Hüfte. Sie tragen schöne bunte Tücher, das Haar geschmückt, Messingringe um Hand- und Fußgelenke. Ihre weißen Zähne, ihre goldenen Augen lachen.

Immer noch mehr nackte Kinder, schwarz leuchtend, kriechen auf allen Vieren heraus, Männer, gutmütig blickende Riesen in weißen Hemden, rotem Fez stehen Spalier.

Nackte Neger aus dem Busch, Schensi, die in den Hafen gekommen sind, um Waren zu tauschen, Arbeit zu suchen, reißen die Mäuler weit auf und genießen die Stunde.

Ein weißer Mann, dem Meer entstiegen!

Für eine Stunde ist kein Arbeiten, kein Handeln, kein Beten noch Tanzen in Saadani.

Vor dem Wellblechschuppen des indischen Krämers ballt sich die Menge.

»Bwana Duka! Ein weißer Herr!«

Schlank, lang, mit melancholischen Augen, tritt der Braune aus seiner Duka, leuchtend das Götzenzeichen seiner Kaste auf die Stirn gemalt. Er legt die Hand zum Gruß vor das Haupt, beugt sich oft.

»Du bist der große Herr, von dem ich Briefe der Freundschaft erhalten habe?«

»Hast du meine Befehle ausgeführt, Hindu?«

Der Duka-Walla beugt sich abermals.

»Sechsunddreißig Träger sind zu deinen Diensten, großer Herr!«

»Was, ich hab vierzig bestellt! Was für Bräuche!«

»Sechsunddreißig werden dir genügen, großer Herr!« 178

»Hast du Wohnung für mich und mein Gefolge besorgt?«

»Mein Haus ist dein Haus, großer Herr!«

Dann verschwindet Peters in der Duka, der lange Hamisi auf seinen Fersen, dann der Hindu.

Das Volk steht da, tauscht Eindrücke, ahmt Peters' Kommandostimme in höchster Fistel nach.

Immer wieder kräht einer:

»Was für Bräuche! Testuri gani!«

Dann halten ein paar Hundert Neger sich vor Lachen die Bäuche. »Ein scharfer Herr« sagen sie. »Kali kabissa! Aber ein Kind in unserem Land!« – – –

Bald darauf kam die Flut.

Mit ihr ging die Expedition an Land: Jühlke, Graf Pfeil, der in Sansibar zu Peters gestoßen war, Herr Otto, ein junger Kaufmann, landeskundig, den Peters in Sansibar in Dienst genommen – Ramassan, ein schwarzer Dolmetsch, der alle Negersprachen bis tief ins Innere kannte, fünf Leibdiener der weißen Herren, der Koch. Sie kamen schweigend durch die Gasse gewandert, Revolver im Gürtel, Gewehr im Arm.

Hinter ihnen, in langer Kette, schleppten die vom Duka-Walla für Peters geheuerten Träger ihre Koffer und Lasten. Die Gabenlasten aus Sansibar, für die Peters ein Sultanat kaufen will.

Dieser Einzug war ernst und gebieterisch, die Herren, großgewachsen, blondbärtig, wirkten mit ihren blaustrahlenden Augen fremd und furchtbar.

Das Hafenvolk verlief sich. Es gab nichts mehr zu lachen. Abends saßen die Herren in der Veranda des Inders, auf Feldstühlen, um einen richtigen Tisch. Sie hatten zähe Hühner und zähes Ziegenfleisch mit Reis 179 gegessen, rauchten schwere Zigarren, sahen sich mit Augen an, die über die eigene Lage erstaunt waren. Wie ein Wirbelwind hatte Peters' Wille, nur dieses kleinen, erregten Menschen Wille, sie hierher, über Meere und Weltteile, zusammengewirbelt.

Er schrieb. Es wagte niemand zu sprechen. Eine Stallampe hing über dem Tisch, bebte in der Abendbrise. Ihr gelbes Petroleumlicht tanzte über Peters' Papiere, seine Landkarte, seine nervöse, hohe Stirn.

Was hinter dieser Stirn jetzt beschlossen wurde, hieß Schicksal für alle. Sie wagten kaum, die blonden, großen, gewichtigen Herren, dann und wann ihr Glas einander zuzuheben.

Bis Peters endlich seine Papiere zurückschob, noch einmal auf die Karte blickte, den Kopf hob, Zwickergläser blitzen ließ.

»Meine Herren«, schnarrte er, aber mit gedämpfter Stimme. »Unsere Lage erinnert an die eines Ihnen bekannten Herrn Cortez, der, seine Hand auf Amerika legend, die Schiffe, die ihn dorthin getragen hatten, verbrannte.

Vorgestern hat mir unser Konsul in Sansibar einen Erlaß des Reichskanzlers vorgelegt: unsere Expedition genießt für unser Leben wie für unsere Erwerbungen keinerlei Reichsschutz!

In dieser Stunde muß ich es Ihnen mitteilen – so beschämt als Deutscher, daß ich es nicht früher über die Lippen brachte!

Es ist sehr wahrscheinlich, daß Bismarck seinen Konsulen eine andere Sprache diktieren wird, wenn die Expedition geglückt ist. Aber einstweilen klingt dies amtliche Dokument ungefähr so wie eine Aufforderung, uns zu ermorden . . .« 180

»Wie kannst du!« warf Jühlke ein. Aber Peters schnarrte ihn nieder.

»Ich bitte, mich nicht zu unterbrechen!

Es ist mir ferner gemeldet worden, daß ein paar Kilometer landeinwärts Hungersnot herrscht.«

»Küschtetratsch« bemerkte Herr Otto. »Das verzählese jed's Jahr um diese Zeit.«

»Sollte mich freuen.«

»Endlich sollen die Massai, ein besonders kriegerischer Stamm zwischen Kilimandscharo und Viktoria-See, im Anmarsch gegen die Küste sein.«

»Der gleiche Küschtetratsch!«

Diesmal ließ Otto sich nicht das Wort abschneiden, denn er war ein schwäbischer Rechthaber. Und an diesem Tisch war er der einzige »alte Afrikaner«.

»Mit einem ordentliche Kiboko und drei Träger geh ich Euch von hier bis an die Weschtküscht spaziere! Aufständische Negerstämm bekomme Fünfundzwanzig auf der Nackte – das nenne mir: Aufständ niederwerfe!

So halte's mir alte Afrikaner!«

»Ich möchte auch die Meinung äußern, daß wir mit acht Gewehren und sechsunddreißig Speerträgern unter diesen nackten Wilden eine gewisse militärische Macht darstellen«, bemerkte Pfeil. Hauptsächlich, um überhaupt etwas zu bemerken, denn Peters behandelte diesen ihm aufgedrängten Begleiter wie schlechte Luft.

Diesmal würdigte er ihn einer Entgegnung.

»Ob auf diese bewaffneten Träger im Ernstfall zu rechnen ist, Graf Pfeil . . .«

»Im Ernschtfall kriegt jeder Träger, auf den nicht zu rechne ischt, Fünfundzwanzig. So mache's mir alte Afrikaner. Danach ischt auf ihn zu rechne.«

»Wenn ich trotz so viel ungünstiger Momente ohne 181 eine Stunde Aufschub an die Ausführung meines Planes gehe, habe ich gewichtige Gründe. In Sansibar hält sich unter Führung eines Leutnant Bekker eine belgische Expedition auf, die von der Küste zu den Seen marschieren soll. Belgische Etappen sind schon auf der ganzen Strecke angelegt. Nur die Gerüchte von Hungersnot und Massaigefahr haben Leutnant Bekker bis heute zurückgehalten. Diese Unglücksnachrichten sind es also, die unseren Plan allein ermöglichen.«

Peters richtete sich auf, schaute seine drei Adjutanten, von denen nur einer ihm wirklich ergeben war, mit strengsten Augen an.

»Deutschlands letzte, unwiderruflich letzte Chance!

Ich will Ihnen, meine Herren, in letzter Stunde, jedem einzeln die Möglichkeit geben, sich von einem Unternehmen zurückzuziehen, das unter so verzweifelten Auspizien beginnt. Sie haben beobachtet, daß von den wenigen deutschen Herren, die uns in Sansibar ein Lebewohl gesagt haben, keiner das Wort ›Auf Wiedersehn‹ gebrauchte.«

»Ich bleib dabei, Peters, auf Tod und Leben!« brüllte Jühlke.

Graf Pfeil, ein wenig bleich, gab die Erklärung ab, daß man auch hier im Busch für Deutschlands Ehre fallen könne.

Herr Otto bemerkte, mit seinem Kiboko in der Hand könne das Auswärtige Amt ihm am Abend begegnen. Ihm und jedem alten Afrikaner.

»Nur immer Hamsascharin, meine Herre! Das heißt auf deutsch: Fünfundzwanzig!«

»Schön. Ich nehme diese Bemerkungen als Zusage absolutester und treuester Gefolgschaft. Ich erwarte freilich Situationen, die auch der älteste Afrikaner mit 182 dem Kiboko nicht lösen kann. Ich mache Sie deshalb aufmerksam, daß Sie von dieser Stunde an, wie Schiffsoffiziere auf dem Kriegsschiff im Gefecht, absoluteste Disziplin, den unverbrüchlichsten Gehorsam zu halten haben. In einer Lage wie der unsrigen kann es nur einen Willen geben, und das ist mein Wille.

Falle ich aus, dann übernimmt Doktor Jühlke das Kommando, um eine nationale Aufgabe durchzuführen, für die ich gern mein Leben lasse.

Fällt auch Doktor Jühlke, dann hat Graf Pfeil den Befehl.

Unsere Barmittel verwaltet der jeweilige Kommandeur. Ebenso habe ich Order gegeben, daß er über die Kredite bei O'Swald in Sansibar verfügungsberechtigt ist. Guten Abend, meine Herren.«

Peters verschwand.

Zwei Stunden lang suchte ihn Jühlke in dunkler Nacht, fand ihn endlich, nah dem Dorf, unter einer Palme kauernd, den Kopf auf beide Fäuste gestützt. Vor seinen Augen das silbrige Meer.

Jühlke hockte sich neben den Freund, den er liebte, hörte Peters' würgenden Atem und seinen tobenden Herzschlag.

Sie schwiegen lang, dann sagte Jühlke:

»Das hat Bismarck getan!«

Nach einer langen Pause:

»Erledigt sind wir ja doch, Peters. Er will uns tot. Warum nicht gleich, zusammen, – sterben?«

Der trotzige, kleine Eroberer stöhnte nur durch knirschende Zähne:

»Das wollen wir erst noch sehn!« 183

 


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