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XXIX. Von Buenos Aires nach Schweden.

Unser Empfang in Buenos Aires. – Die Reise mit der »Tijuca« über den Ozean. – Daheim!

 

Die Südpolarexpedition war beendet; in tropischer Hitze, mitten in einem Gebiet, in dem sich Millionen Menschen rührten, ganz nahe dem Bevölkerungszentrum der südlichen Halbkugel, lagen wir und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Für uns war dies ein Moment grosser Spannung. Die letzten Nachrichten, die wir aus der Heimat erhalten hatten, waren jetzt anderthalb Jahre alt; was hatte sich nicht alles in einer so langen Zeit ereignen können! Und was würde man draussen in der Welt über uns und unser Unternehmen sagen? Wir wussten, dass wir grössere Resultate errungen hatten, als wir beim Antritt unserer Expedition zu hoffen gewagt, unser Gewissen sagte uns, dass wir unter den obwaltenden Verhältnissen unsere Pflicht getan hatten. Aber es hatten sich uns aussergewöhnliche Schwierigkeiten in den Weg gestellt, auch wirkliche Unglücksfälle, und das kleine Wort »Missgeschick« hat schon so oft die Welt das Ergebnis vergessen lassen, während man diejenigen hart beurteilt, denen nicht in allen Stücken das Glück hold war.

Bei fleissiger Arbeit lagen wir in unserer versteckten Bucht, als wir gegen Mittag am Horizont zwei Rauchwolken auftauchen sahen, die immer näher kamen. Bald konnte ein geübtes Auge zwei von den kleineren Dampfern der Flotte erkennen, die in der Regel zu hydrographischen Arbeiten auf dem La Plataflusse benutzt werden. Sie steuerten schnell auf uns zu, machten eine scharfe Biegung und fuhren um die »Uruguay« herum, während die Musik spielte und die Flaggen grüssten. Dann wurden Boote ausgesetzt, und bald war eine ganze Schar Marineoffiziere auf Deck der »Uruguay« versammelt. Stürmische Glückwünsche tönten von allen Seiten, und was das beste war, der Konsul hatte uns unsere Post mitgeschickt, freilich sehr unbedeutend, da alles, was sich in diesen Jahren angesammelt hatte, mit dem »Frithiof« auf dem Wege gen Süden war, doch aber das wichtigste, die Telegramme, enthaltend. Wenn auch die meisten ohne Nachricht blieben, so hatte auf der andern Seite auch niemand traurige Kunde erhalten. Erst jetzt konnten wir uns mit frohem Herzen der überströmenden Liebenswürdigkeit hingeben, die uns von allen Seiten zu teil wurde. Nun erfuhren wir auch von dem grossartigen Empfang, den man uns in Buenos Aires zu bereiten gedachte. Noch zwei Tage mussten wir hier liegen bleiben und warten, nur damit alle Vorbereitungen getroffen werden konnten. Erst am Nachmittag des 2. Dezember sollte unser Empfang stattfinden, aber schon in der Frühe des nächsten Morgens fuhren wir den Fluss hinauf und gingen auf der Aussenreede von Buenos Aires vor Anker.

Welch ein Unterschied schon hier im Vergleich zu dem stillen, friedlichen Leben auf Snow Hill! Beständig musste man die angefangenen Arbeiten unterbrechen, um alle die Fragen der uns besuchenden Journalisten zu beantworten. Schon jetzt wurden wir von Bittstellern belagert, die unsere Namensunterschrift auf einer Ansichtskarte zu haben wünschten, eine Äusserung von Interesse, die schliesslich derartig überhand nahm, dass die ganze Zeit, die wir in Buenos Aires verbrachten, nicht ausgereicht haben würde, um allen Wünschen gerecht zu werden. Obwohl ich in dieser Hinsicht mein bestes tat, habe ich noch manche unerfüllten Versprechen auf meinem Gewissen. Unsere verzögerte Landung hatte indes den grossen Vorteil, dass wir Gelegenheit fanden, unserer Garderobe notdürftig aufzuhelfen, in unseren Bemühungen bereitwillig unterstützt von Schneidern und Equipierungsgeschäften, die schon jetzt anfingen, ihre fast zu glänzenden Geschäfte mit unserer Expedition zu machen.

Am Morgen des 2. brachen wir jegliche Verbindung mit dem Lande ab. Schon um 2 Uhr fing es an, um uns her lebhaft zu werden, und flaggengeschmückte Dampfer zeigten sich überall. Um 2½ Uhr lichtete die »Uruguay« die Anker und setzte sich langsam in Bewegung, dem Ufer zu steuernd. Je weiter wir gleiten, je mehr Dampfer treffen wir, grosse und kleine, alle vollgepackt mit Passagieren, die uns mit Hurrarufen und Tücherschwenken begrüssen, während die Musikkapellen spielen und die Schiffe ununterbrochen ihre Dampfpfeifen ertönen lassen. Es ist ein Lärmen und Jubeln, von dem sich niemand eine Vorstellung machen kann; bald sind wir von mehr als vierzig Dampfern umgeben, die teils neben uns fahren, teils in unserm Kielwasser folgen.

Wir nähern uns dem Strande, wir biegen in den engen Einlauf zu den Docks ein. Überall, so weit man sehen kann, nach allen Seiten, sind die Ufer mit zahllosen Menschenscharen bedeckt, alle Gebäude und Anlagen, die Kais und die an ihnen vertäuten Ozeandampfer sind mit Flaggen geschmückt und gedrängt voller Menschen. Im Hintergrund des Docks erhebt sich eine hohe Tribüne, an deren Fuss die »Uruguay« landet. Der Präsident der Republik war im letzten Augenblick durch den Tod eines Bruders am Erscheinen verhindert, aber alles, was es in der Hauptstadt an hervorragenden Persönlichkeiten gab, Minister und Offiziere, Repräsentanten von Obrigkeiten und Gesellschaften, hatte sich hier versammelt, um uns willkommen zu heissen. Der Vorsitzende des Festkomitees, Dr. Montes de Oca, hiess uns willkommen, der Marineminister sprach im Namen der Flotte und überreichte Irizar seine Vollmacht als Fregattenkapitän.

Es war jetzt an der Zeit, die Wagen zu besteigen, die uns durch die Strassen der Stadt nach dem in der Calle Florida gelegenen Marineoffizierskasino führen sollten, wo ein Empfang stattfand. Kaum war es uns möglich, uns durch die Volksmenge einen Weg nach den Wagen zu bahnen. Es ist schwer, sich eine Vorstellung von der Szene zu machen, die nun folgte, möglich ist so etwas auch nur in einer Weltstadt, und zwar in einem Lande mit südländisch lebhafter Bevölkerung. Ich habe keine Ahnung davon, wie viele Menschen in Bewegung waren, wahrscheinlich mehrere Hunderttausende, und doch hatte die Regierung absichtlich keinen allgemeinen freien Tag angesetzt, damit die Volksmenge nicht zu gross werden sollte. Man sagte freilich, etwas ähnliches wäre in Buenos Aires niemals vorgekommen. Langsam, mit grosser Schwierigkeit, drangen die Wagen vor durch grüssende Scharen unter unablässigen tausendstimmigen Vivatrufen. Überall wurden uns Blumen zugeworfen, arme Arbeiterfamilien hatten sich ihren Bedarf von den Bäumen des Parks geholt, von andern Seiten wurden uns die kostbarsten Sträusse in den Wagen gereicht; aber alles war uns gleich willkommen, um so mehr, als dies fast die ersten Blumen waren, die wir seit Jahren gesehen hatten. Die Wagen füllten sich mit Blumen: ein Teppich von Blüten und Grün, die aus den Fenstern und von den Balkons herabgeworfen wurden, ohne uns zu erreichen, bedeckte die Strassen. Und dann denke man, dass wir noch vor wenigen Wochen als arme, aufgegebene Schiffbrüchige im ewigen Eise weilten!

Die »Uruguay« läuft in den Hafen von Buenos Aires ein

Nach einer kurzen Empfangsfeierlichkeit begaben wir uns durch die jetzt reich illuminierten Strassen nach unserer Wohnung. Die grösste Zeitung Südamerikas, »La Pressa«, hatte in ihrem stattlichen Millionenpalast in der vornehmsten Strasse von Buenos Aires ein ganzes Stockwerk dem Kapitän und den Gelehrten von der »Antarctic« zur Verfügung gestellt. Hier hatten wir unser Hauptquartier während der Zeit, die wir an Land verweilten, umgeben von allem, was nur die grossartigste Gastfreundschaft ersinnen kann.

Im Zusammenhang mit dem allgemeinen Interesse, mit dem unsere Expedition geehrt wurde, stand wohl auch die Aufmerksamkeit, die uns von der deutschen Dampferlinie, der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiff-Gesellschaft, erwiesen wurde, indem sie uns eine freie Reise nach Europa mit ihrem Dampfer »Tijuca« anbot.

Infolgedessen beschlossen wir, Buenos Aires am 10. Dezember zu verlassen. Am Abend vorher hatte die argentinische geographische Gesellschaft für uns einen grossartigen Empfang in dem grössten Theatersalon von Buenos Aires veranstaltet. Vor einem Publikum von mehr als 3000 Personen, unter denen sich alles befand, was die Stadt an repräsentativen und glänzenden Persönlichkeiten besass, hielt ich einen Vortrag über die Expedition, während Leutnant Jalour und Skottsberg in aller Kürze Bericht über die Fahrt der »Uruguay« und den Untergang der »Antarctic« erstatteten.

Die beiden falkländischen Matrosen, die an der letzten Fahrt der »Antarctic« teilgenommen hatten, wurden in Buenos Aires abgemustert; aber noch ein anderer Abschied stand uns bevor. Unser argentinischer Begleiter, Leutnant Sobral, der von Anfang an alle Schicksale mit uns geteilt hatte, sollte nämlich hierbleiben. Niemand war getreuer bei seiner Arbeit gewesen als er, und das einzige, worüber ich mich beim Abschied von ihm freuen konnte, war, dass es ihm beschieden war, wohlbehalten zu seiner Familie und in seine Heimat zurückzukehren.

Die Überfahrt auf der »Tijuca« war die angenehmste, die man sich denken konnte, und wenn wir das Weihnachts- und Neujahrsfest nun doch noch einmal fern von der Heimat zubringen sollten, so konnte es in keinem angenehmeren Kreise geschehen. In Madeira kam uns ein französischer Journalist entgegen und in Vigo ein schwedischer, beide waren ausgereist, um während der Heimfahrt unser Geschick und das Ergebnis unserer Forschungsfahrt kennen zu lernen. In Boulogne, wo wir mitten in der Nacht eine halbe Stunde verweilten, wurden wir von einer Deputation, mit dem Maire und dem Präsidenten der Handelskammer an der Spitze, empfangen, die uns einen wirklich wundervollen Blumenaufsatz in den Farben Frankreichs überreichten. Am 6. Januar langten wir in Hamburg an, wo wir schon draussen auf der Elbe von der Direktion der Dampfergesellschaft, von Vertretern der skandinavischen Kolonie und den wissenschaftlichen Kreisen der Stadt, wie von persönlichen Freunden empfangen wurden.

Am Abend des 8. setzten wir mit der Bahn unsere Reise gen Norden fort. Den folgenden Tag verbrachten wir in Kopenhagen in angenehmer Gesellschaft dortiger Geographen und Polarfahrer. Gegen Abend gingen wir an Bord des Dampfers, der uns nach Schweden hinüberfahren sollte. Einsam wanderte ich auf Deck, als in der dunklen Nacht die Lichter an der heimischen Küste auftauchten; und einsam sandte ich einen demütigen Dank empor, dass es mir und so vielen meiner Begleiter vergönnt war, diesen Augenblick zu erleben. Noch ein paar kurze Minuten, und wir hatten am Kai von Malmö angelegt.

Grosse Menschenmassen waren in Bewegung; man begrüsste uns mit Blumen und führte uns in Wagen die kurze Strecke bis an das Bahnhofsgebäude. Im Portal angekommen, blieb ich überrascht stehen: die grosse Halle, war mit einem mächtigen Gesangchor angefüllt, der bei unserm Eintreten anstimmte: »Ich kenne ein Land hoch oben im Norden«. Tränen traten mir in die Augen, das also war der Gruss der Heimat! Ein schönerer hätte mir nicht zuteil werden können. Diese ersten Augenblicke auf schwedischem Boden waren so inhaltsreich, dass sie wohl im stande waren, die Erinnerung an jahrelange Mühseligkeiten zu verwischen.

Offiziere und Mannschaft der »Antarctic« bei der Heimkehr nach Schweden

Jetzt schlug die Stunde der Trennung; glücklicherweise hatte man die Anordnung getroffen, dass wir alle gemeinsam nach Stockholm fahren und uns erst dort trennen sollten. Vielen Grund hatte ich, den Kameraden beim Abschied zu danken. Einer kräftigeren Stütze, als mir die beiden, mir am nächsten stehenden Männer, die Chefs der Überwinterungsstationen an der Hoffnungsbucht und auf der Paulet-Insel, der Dozent Andersson und Kapitän Larsen gewährten, hat sich wohl nie ein Expeditionsleiter erfreuen können; man kann lange suchen, ehe man einen tüchtigeren und arbeitsameren wissenschaftlichen Stab findet, wie die Männer, die meine Begleiter waren; sowohl in Zeiten des Erfolges wie während der grössten Schwierigkeiten hatten uns die Offiziere und die Mannschaft der »Antarctic« ohne Murren zur Seite gestanden, stets bereit zu den härtesten Arbeiten und den grössten Opfern, um die Tradition früherer Polarexpeditionen, die aus ihrer skandinavischen Heimat entsandt waren, nicht zu Schanden zu machen.

 

Druckfehler-Verzeichnis.

Korrekturen in beiden Bänden eingearbeitet. Jo.


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