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Das alte Boot in der Kochtopfbucht

IV. Zeltleben und Bootsfahrten.

Bei sonnigem windstillen Wetter dampften wir am Morgen des 1. Mai wieder in die Cumberland-Bucht hinein.

Auf das hohe, steil abfallende Vorgebirge zwischen den beiden grossen Fjordarmen steuerte die »Antarctic« zu. An der linken Seite des Vorgebirges lockte uns ein Tal mit üppigen, tussockbewachsenen Abhängen. Oben auf dem Berge, der dies Tal von dem südlichen Fjordarm trennte, musste der Kartograph freie Aussicht über einen grossen Teil des Fjordsystems gewinnen, taleinwärts schien der Weg für weite Exkursionen offen da zu liegen, und eine kleine Bucht an der Mündung des Tales stellte uns einen guten Lagerplatz in Aussicht.

Vor der Bucht angelangt, verminderte die »Antarctic« ihre Fahrt. Das grosse Boot, das wir während unseres Aufenthalts an Land behalten sollen, wurde ausgesetzt, und hilfsbereite Hände reichten uns alle unsere Sachen hinab.

Unsere Gesellschaft bestand aus Duse, Skottsberg mir und einem falkländischen Jungen, Andrew, der für die Süd-Georgienfahrt geheuert worden war. Aber das Boot war so überfüllt durch die reichhaltige Ausrüstung, dass wir hoch oben zwischen Zelt und Schlafsäcken sitzen mussten. Das Segeltuchkajak im Schlepptau, ruderten wir in die Bucht hinein, während die »Antarctic« wieder in die offene See hinausdampfte.

Leise schaukelten wir auf den langen Rücken der Dünung dahin. Immer stärker rauschte und brauste die Brandung uns von der nächsten Landzunge entgegen, wo sich eine turmförmige Klippe an der Mündung der Bucht erhebt. Jetzt glitt unser Boot an dem Kelprande vorüber, und glücklich in der Bucht angelangt, entdeckten wir auf der östlichen Seite eine ganze kleine Bucht mit schmalem Einlauf und niedrigem Klippenstrand, einen wirklich idealen kleinen Bootshafen. Durch die Kelps hindurch, die fast die Mündung versperrten, ruderten wir da hinein.

Hier war das Wasser spiegelglatt, und wenn wir, uns über den Bootsrand neigend, hineinsahen, so erblickten wir auf dem felsigen Meeresgründe einige der farbenprächtigsten Bewohner des Meeres, zarte Kalkalgen, die als krustenförmige Überzüge auf den Steinen wachsen, dunkelrote Algen mit den zierlichsten Blattformen und grosse, orangefarbene Seesterne. In der Nähe des Bootes steckte ein Seeleopard seinen langen, schmalen, eidechsenähnlichen Kopf aus dem Wasser, und am Strande vor uns lagen ein paar träge Vertreter seines Geschlechts und sonnten sich in einem kleinen Rinnsal, das wie ein glitzerndes Band über den Strandkies dahinmurmelte.

Sobald unser Gepäck ausgeladen und das Boot an den Strand gezogen war, ging Duse, mit Andrew als Handlanger, auf den nächsten Berg, um die Kartierungsarbeiten zu beginnen, während Skottsberg und ich das Lager aufschlugen.

Dicht an dem murmelnden Bach errichteten wir unser grosses Zelt.

Die Seeleoparden erwachten durch das ungewöhnliche Geräusch, sie blinzelten hinterlistig zu uns hinüber, rollten sich eine Weile hin und her und glitten dann mit geschmeidigen Bewegungen ein Stück weiter, um dort ihre träge Ruhe fortzusetzen.

Wir schlugen noch ein kleines Zelt als Aufbewahrungsraum für Instrumente und Sammlungen auf. Der Proviant wurde zu einem Hügel aufgetürmt und mit einer Persenning bedeckt, und dann gingen wir an die Einrichtung des grossen Zeltes.

Eine runde Tischscheibe mit einigen Holzklötzen, die als Beine dienten, wurde an der Zeltstange aufgestellt. Eine hölzerne Kiste diente als Vorratskammer, die Schlafsäcke wurden in einer Ecke des Zeltes verstaut und allerlei Kleinigkeiten erhielten ihren Platz dort, wo sie am wenigsten im Wege waren.

Unter allen diesen Arbeiten verging die Zeit schnell. Als das Lager einigermassen in Ordnung war, machten wir uns schleunigst an die Zubereitung des Mittagessens, damit es zur Rückkehr der Kameraden fertig sei. Der kurze Wintertag neigte sich schon seinem Ende zu, als wir uns zu Tische setzten, und in tiefer Dämmerung leerten wir beim Kaffee ein Glas Punsch auf den ersten Mai und tauften unsern schönen kleinen Hafen zu Ehren des Tages die »Maibucht«.

Früh am nächsten Morgen brachen wir alle vier vom Lager auf. Duse, Skottsberg und Andrew bestiegen den über unserm Zeltplatz belegenen scharfen Bergkamm, dem ich später den Namen Duse-Berg gab. Ich selber wanderte talaufwärts, um mich durch eine Übersicht-Rekognoszierung zu vergewissern, wie weit wir unsere Exkursionen nach dieser Richtung hin erstrecken konnten.

Ganz in der Nähe des Lagerplatzes kam ich an ein paar eisbedeckten kleinen Seen vorüber. Der erste, ein unbedeutender Tümpel, speiste mit dem Überschuss seines Wassers das kleine Gerinnsel, das bei unserm Lager in die Bucht mündete. Der andere See, langgestreckt und bedeutend grösser, wurde von einem ganz wasserreichen Bach durchströmt, der in den inneren Teil der Maibucht auslief. Eine gute Strecke weiter talaufwärts stürzte sich dieser Bach als schäumender Giessbach eine steile Felswand hinab. Als ich diese Wand hinaufkletterte, erblickte ich einen dritten eisfreien See, der viel grösser war als die beiden andern.

In diesem ganzen Tal befindet sich jetzt kein noch so anspruchsloser Gletscher, nur an den Felsabhängen lagern einige vieljährige Schneewehen. Überall aber traf ich auf Spuren einer früheren grossen Vergletscherung, auch Moränenkies und hübsch geschrammte Gletscherblöcke, die davon zeugten, dass einstmals eine mächtige Eismasse das ganze Tal ausgefüllt hatte. Dies war, abgesehen von einigen kleineren Funden der deutschen Expedition in der Royal-Bay, der erste Beweis für eine allgemeine Vergletscherung Süd-Georgiens in vergangenen Zeiten, und mit Rücksicht hierauf nannte ich später das Tal Bore-Tal.

Eine Strecke oberhalb des eisfreien Sees schien das Tal eine Passhöhe zu bilden, auf deren entgegengesetzter Seite es also nach einer noch unsichtbaren Gegend zu abfallen musste. Um zu sehen, ob unser Exkursionsgebiet sich nach dieser Richtung ausdehnen liesse, wanderte ich weiter bergauf, dem Fass zu. Was ich dort sah, war höchst überraschend. Nach Süden zu, also nach der Insel hinein, breitete sich ein weitgestrecktes Talsystem aus, dessen niedrigste Partien zum Teil auch jetzt noch meinen Blicken verborgen waren, und ganz in der Ferne, nach Süd-Südost zu, lag ein grosses Gewässer, von dessen tiefblauer Oberfläche einige umherschwimmende Gletscherstücke sich in kräftigem Farbenkontrast abhoben. Zuerst nahm ich an, dass dies ein grosser See sein müsse. Als ich aber, um eine bessere Übersicht zu gewinnen, den Duse-Berg ein Stück hinaufkletterte, ward ich über meinen Irrtum aufgeklärt. Viel weiter, als ich bisher vermutet hatte, erstreckte sich der Cumberland-Fjord mit verzweigten Armen ins Land hinein, die Wasserfläche, die ich gesehen hatte, gehörte zu einem Fjordarm, der durch eine gewaltige Endmoräne fast von dem Hauptfjord getrennt war. Hier fand ich übrigens Spuren einer ehemaligen Vergletscherung, so grossartig und eigentümlich deutlich, dass ich trotz der grossen Entfernung bald eine bestimmte Auffassung von dem sonderbaren Zeugnis erhielt, das sie ablegten. Diese alten Gletschererscheinungen sind so auffallend prachtvoll, dass sie im Zusammenhang mit der allgemeinen Schilderung der Natur Süd-Georgiens wohl eine ausführlichere Behandlung verdienen.

Der untere Teil des Bore-Tals. Alle kleinen Hügel sind mit Tussock bewachsen. An der Bucht innerhalb der turmförmigen Klippe (Maibucht) lag unser Lager.

Aber wenn auch mein Geologenherz hastiger schlug vor Freude über den ersten Anblick des »Moränenfjords«, so blieb ich, eine Strecke weiter gelangt, doch einen Augenblick in atemloser Spannung am Felsabhang stehen, von einem höchst sonderbaren Anblick gefesselt. Dicht unter dem Felsen zog sich eine kleine, bisher nicht von mir bemerkte Bucht des Fjords hin. Vom Fusse des Felsens ging eine niedrige Landzunge aus, die eine Meerenge zwischen dem Fjord und der kleinen Bucht bildete, und jetzt kommt das Eigentümliche – auf dieser Landzunge, ein Stück strandaufwärts, stand ein grosses, grün gestrichenes Boot.

Gab es hier andere, fremde Menschen in diesem Fjord, in dem wir vier uns nach der Abfahrt der »Antarctic« allein glaubten? Es war mir wohlbekannt, dass die nordamerikanischen Pelzseehundfänger in den letzten Jahren Süd-Georgien aufgesucht haben sollten. Aber jetzt war keine Jahreszeit für den Pelzseehundsfang, und es war daher sehr überraschend, ein fremdes Boot am Strande zu sehen. Ich sauste den Bergabhang hinab, dass die Steine nur so um mich herumtanzten. Aber keine Menschenseele war auf der Landzunge sichtbar. Im Gegenteil, alles deutete darauf hin, dass seit langer Zeit kein Besucher den Frieden der Natur gestört hatte. Ein paar Seeleoparden tummelten sich am Strande, und überall in dem hohen, üppigen Tussockgras stiess ich auf Krickenten, die mit schnellem Flügelschlag entflohen.

Das Boot hatte hier offenbar viele Jahre lang gestanden, denn das Tussockgras wuchs ringsumher hoch, und während der ganzen Zeit, dass ich es mass, trippelte eine kleine, unerschrockene Seeschwalbe (Chionis) auf der Reeling auf und nieder. Es war ein grosses, unbedecktes Boot, 9 m lang und 3,3 m breit, fast zu gross, um als Deckboot von einem Schiff hierher gebracht zu sein, auf der andern Seite aber viel zu klein, als dass man selbständig nach dieser stürmischen Küste über das Meer hätte hinüber fahren können.

Das Boot war nicht die einzige Spur von Menschen. Draussen am Strande lag ein Hügel aus Ziegelsteinen, und am Rande des Tussockgrases, ganz in der Nähe des Bootes, stand ein gusseiserner Kochtopf, in dem grosse Stücke von Seehundfleisch lagen. Draussen am Ebbestrand fand ich noch sechs solcher Kochtöpfe, einige von den Wellen fast überspült. Auf dem einen konnte ich ein teilweise verrostetes und undeutliches Warenzeichen lesen:

Johnson & Son
W–ping Dock
London.

 

Es war nicht leicht, eine Schlussfolgerung zu ziehen, zu welchem Zwecke alle diese Sachen hierher gebracht waren.

Einige Tage später trafen wir in unserer eigenen Bucht auch alte Spuren von Menschen. Innerhalb der Mündung des Baches, der den oben erwähnten eisfreien See durchfliesst, fanden wir nämlich in dem inneren Teil der Maibucht in der steilen Felswand eine Grotte. Die Höhle, deren Mündung teilweise durch einen tussockbewachsenen Erdwall verdeckt wurde, bildet einen äusseren Raum von 20 m Länge und 8 m Breite und hat ungefähr dieselbe Höhe im Innern, während der Ausgang ein wenig niedriger ist. Von diesem grossen Raum erstreckt sich ein schmaler Gang noch fünf Meter geradewegs nach innen hinein.

In dieser Grotte trafen wir die Überreste von zwei Lagerfeuern sowie einen Korken, eine Blechdose, ein Stück Leder und allerlei Knochenreste von Tieren, die die ehemaligen Bewohner der Höhle dort verzehrt hatten.

Unser Lager lag ausserordentlich idyllisch an dem kleinen Hafen in der Maibucht. Die Seeleoparden, deren Lieblingsaufenthaltsort der Strandkies dicht am Zelte war, liessen wir ganz in Frieden. Sie kamen und gingen, fischten eine Weile draussen in der Bucht und krochen dann wieder an den Strand, um in Ruhe und Behagen die Mahlzeit zu verdauen. Zuweilen des Nachts, wenn wir wach lagen und lauschten, wie der Sturm das Zelt rüttelte, konnten wir dicht neben uns an der Aussenwand des Zeltes so einen Burschen hören, der dort lag und sich wälzte und in unruhigem Schlummer stöhnte. Zu nächtlicher Zeit, wenn alles still war, schnatterten wohl auch ein paar Enten, kaum sechs Meter von der Zeltwand entfernt, in dem Bach. Wir hüteten uns wohl, diese Tiere zu stören, denn sie bereiteten uns viel Vergnügen. Wenn wir Appetit auf einen Entenbraten hatten, gingen wir weiter in die Bucht hinein auf Jagd.

Die Tage eilten dahin, und die Zeit war eigentlich schon verstrichen, die die »Antarctic«, der Verabredung gemäss, für die Fahrt an der Küste entlang verwenden sollte. Wir fingen schon an, uns mit der Möglichkeit zu beschäftigen, dass dem Schiff ein Unglück zugestossen sein könnte, und in diesem Falle hatten wir eine lange Wartezeit vor uns, denn erst im August sollte von den Falklandsinseln ein Segelschiff entsandt werden, falls wir bis dahin nicht zurückgekehrt waren.

Am westlichen Strande der Maibucht

Der mitgenommene Proviant allein konnte für eine so lange Zeit nicht ausreichen. Wir machten uns daher vertraut mit den Erzeugnissen des Landes, mit Leopardensteaks und Pinguinsuppe, was beides vorzüglich schmeckte.

Die Arbeiten in der Umgebung der Maibucht waren nun abgeschlossen, wir wollten daher jetzt eine Bootsfahrt in das Innere des westlichen Fjordarms unternehmen. Um das Boot nicht mit überflüssigen Gegenständen zu beschweren, wie auch um so wenig Zeit wie möglich zu vergeuden, beschlossen wir, kein Zelt mitzunehmen, sondern statt dessen in dem Boot unter einer Persenning zu schlafen.

Am Morgen des 11. Mai, um 10 Uhr, waren wir zum Aufbruch bereit. Wir hielten uns während des Ruderns dicht am Strande, der sich hier in hohen, senkrechten Felswänden erhebt. Schon zu Anfang der Fahrt hatten wir den Wind aus dem Innern des Fjordes entgegen, und es war daher ein hartes Stück Arbeit, unser grosses, schweres Boot vorwärts zu bringen. Wenn eine stärkere Böe wehte, konnten wir es kaum gegen den Wind halten. Gegen 1½ Uhr hatten wir aber doch einen Punkt erreicht, an dem die hohe Felswand von einer kleinen Bucht unterbrochen ward. Hier landeten wir.

Oben am Tussockrande gewahrten wir einen schlafenden Seeleoparden. Er erschien uns sehr geeignet für Speise und Feuerung, und ich hatte denn auch nichts eiligeres zu tun, als an Land zu springen und ihm eine Kugel ein paar Zoll hinter das Auge in den Schädel hinein zu jagen.

Hier trafen wir die einzige nennenswerte Pinguinkolonie, die wir während unseres ganzen Aufenthaltes auf Süd-Georgien beobachteten. Es war eine Schar von einigen Hundert Papua-Pinguinen, die oben auf einem kahlen Fleck in dem Tussockgras nisteten. Von Zeit zu Zeit kamen sie in kleineren Gruppen vom Meere herauf an den Strand. Sie sahen sehr drollig aus, wenn sie mit wichtiger Miene auf uns zu marschierten, wie eine kleine Patrouille mit ihrem Korporal an der Spitze.

Der Duse-Berg. Die »Antarctic« in der Kochtopfbucht

Der Abend war windstill bei herrlichem Mondschein. Auf einem schönen Platz oben zwischen den Grasbüscheln zündeten wir ein Feuer von Leopardenspeck an, unter das wir die dürren Blattscheiden des Tussockgrases mischten, und um dieses gemütliche Feuer herum sassen wir alle und tranken unsere Abendschokolade.

Wir begaben uns im Boot zur Ruhe mit Tussockgras unter den Schlafsäcken, fühlten aber trotzdem die Bootsrippen sehr deutlich. Ausserdem lagen wir so eng unter den festen Ruderbänken, dass wir uns nicht umdrehen konnten, sondern die ganze Nacht in derselben Stellung verharren mussten, in der wir in den Schlafsack gekrochen waren, weshalb unsere nächtliche Ruhe gerade nicht sehr erquicklich wurde. Wir beschlossen denn auch, nicht wieder im Boot zu schlafen.

Am folgenden Morgen begaben wir uns auf den über dem Lagerplatz gelegenen Berg. Von hier aus hatten wir eine wundervolle Aussicht über das grosse Gletscherende des Westfjords, den Neumayer-Gletscher, der uns verlockte, eine Eiswanderung zu planen für den Fall, dass die »Antarctic« in den nächsten Tagen nicht wiederkehren sollte.

In dem Tal innerhalb der Pinguinbucht, in dem wir im Laufe des Tages umherstreiften, fanden wir nicht die geringste jetzige Gletscherbildung, stiessen hingegen überall auf Moränenkies und geschrammte Steine, die von einer früheren Eisbedeckung zeugten. Jetzt hatte ich mir bereits eine übersichtliche Kenntnis von dem Umfang der früheren Vergletscherung verschafft, und es war mir klar, dass das ganze Fjordsystem wahrscheinlich einmal mit einer gewaltigen Eismasse angefüllt gewesen ist, die die Landzungen an der Mündung des Fjords überschritten und draussen in dem offenen Meer in einer mächtigen Abbruchsteile geendet hat.

Während Duse seine kartographischen Arbeiten auf dem Berge fortsetzte, den wir zuerst bestiegen hatten, gingen Skottsberg und ich quer über das breite, kesselförmige Tal zu einem 414 m hoch gelegenen Pass, der zu unserer grossen Verwunderung eine freie Aussicht über das Bore-Tal bis weithin nach dem Moränenfjord und dem inneren Teil des Südfjords gewährte. Von hier aus nahm ich das Panorama von dem Moränenfjord und seiner Umgebung auf, das Seite 68 wiedergegeben ist.

Während des Aufstiegs in dem Pass hatten wir weit weg im Westen zwischen den Bergen eine grosse Wasserfläche mit darauf schwimmenden kleinen Eisbergen und einem Kelprand an der Mündung bemerkt, der in hohem Masse an das Aussehen des Moränenfjordes erinnerte. Als Skottsberg eine Strecke oberhalb des Passes auf den Bergabhang hinaufkletterte, sah er da drinnen zwei kleine Fjordarme, vollkommene Miniaturbilder des Moränenfjordes, durch eine aus Moränenschutt gebildete Landzunge von einander getrennt und von dem Westfjord durch Unterseebarren abgesperrt, deren Lage durch Kelpränder markiert wurde, die sich zwischen der Mündung der kleinen Fjordarme erstreckten. In diese Buchten münden zwei Eisströme, die ich Lyell- und Geikie-Gletscher genannt habe.

Andersson. Grunden. Wennersgaard. Das »Steinsprengerlager«

Als wir gegen 4½ Uhr nachmittags unten am Boot bei unserer Pinguinsuppe sassen, das Branntweinglas in der Hand, im Begriff, unsern Mittagsschnaps zu uns zu nehmen, sahen wir plötzlich die »Antarctic« am entgegengesetzten Ufer langsam in den Fjord hineindampfen. Das Glas wurde unter jubelnden Hurrarufen in die Höhe gehoben, und dann tranken wir auf das Wohl unseres lieben alten Schiffes.

Nach Einbruch der Dunkelheit zündeten wir ein grosses Feuer aus Seehundspeck und dürren Tussocks am Strande an, um der »Antarctic«, die im Jasonhafen geankert hatte, kund zu tun, wo wir waren. Bald wurde an Bord eine Laterne als Antwort auf unser Signalfeuer gehisst, und später erfuhren wir, dass der Kapitän auch eine Rakete abgebrannt hatte, die jedoch von uns nicht bemerkt worden war.

Wir hatten in der vergangenen Nacht das Schlafen im Boot herzlich satt bekommen und richteten daher jetzt unser Nachtlager um ein grosses Feuer oben im Tussockgras ein. Das war ein grosses Glück für uns und unsere Instrumente!

Das Wetter war im Laufe des Tages sehr wechselnd gewesen, am Morgen ruhig und klar, zur Mittagszeit Schneesturm, und nun am Abend schwere Sturmböen ohne Schnee. Ehe wir in die Schlafsäcke krochen, sassen wir noch eine Weile plaudernd um das Lagerfeuer. Hier unten in dem mehr als meterhohen Tussockgras war es warm und angenehm infolge des trefflichen Feuers, von Zeit zu Zeit zog aber der Sturm heulend über das wehende Gras dahin. Während wir dort in guter Ruhe sassen, kam eine Böe, die stärker war als alle vorhergehenden, und vom Strande her vernahmen wir einen eigentümlich rasselnden Laut. Wir stürzten hinaus. Unser eigenes Signallicht war längst erloschen, aber in weiter Ferne, drüben über dem Fjord, schimmerte das kleine freundliche Licht in der Laterne der »Antarctic«. Es war fast pechdunkel hier am Strand, der Wind heulte auf dem Berge an der Luvseite, und draussen um die Landzunge herum donnerte der Wogenschwall.

»Das Boot ist weg!« rief jemand in der Finsternis. Und wirklich, es befand sich nicht mehr an seinem Platz, die Steinblöcke, die es stützten, lagen einsam da. Mit Hilfe der am Boden noch befestigten Bootsleine fanden wir es oben am Tussockrande wieder. Der Sturm hatte es mehrere Meter von seinem ursprünglichen Platze weggeschleudert, den von Eis schlüpfrigen Strandabhang hinan, und das wunderbarste war, dass es offenbar einen förmlichen Sprung über die grossen Steinblöcke hinweg gemacht haben musste, die wir, um es zu stützen, zu beiden Seiten aufgetürmt hatten. Die Kameras, Theodoliten usw. fanden wir unbeschädigt im Boot wieder, in das wir sie glücklicherweise hineingelegt hatten, ehe es seine merkwürdige Reise über Land antrat. Hätten sie, wie am vorhergehenden Abend, wo wir im Boot lagen, daneben gestanden, so wäre wohl nicht viel davon übrig geblieben. Das einzige, was auf diesem Platz zurückgeblieben war, eine Petroleumkanne aus Blech, hatte, der Sturm ergriffen, und erst nach langem Suchen fanden wir sie, ganz plattgedrückt und leer, oben zwischen den Tussocks wieder.

Die ganze Nacht hielten wir Wache, teils um acht auf das Boot zu geben, das jetzt noch fester vertäut wurde, teils um das Lagerfeuer zu unterhalten, um das die Schlafsäcke in den tiefen Rillen zwischen den Grasbüscheln lagen. Ich hatte die letzte Wache zwischen 4 und 6 Uhr morgens. Um fünf Uhr fing ich an, über dem Lagerfeuer Frühstück zu kochen, das aus Kaffee und Fischklössen bestand, und eine halbe Stunde später weckte ich die Kameraden. Nach beendeter Mahlzeit hatten wir eine saure Arbeit mit dem Festnageln des Kieleisens des Bootes, das sich ein ganzes Stück losgelöst hatte. Deswegen waren wir erst um 8 Uhr zum Aufbruch bereit, eine Verzögerung, die sehr ärgerlich war, denn wir wollten gern die Untersuchung des inneren Teils des Fjords beenden, ehe die »Antarctic« kam, um uns abzuholen. Nachdem wir an einer in den Strandkies gesteckten Stange einen Zettel mit der Mitteilung über unsern Plan befestigt hatten, setzten wir die Fahrt fjordeinwärts am Ufer entlang fort.

Der Morgen war sonnig und windstill. Das Rudern machte uns daher verhältnismässig wenig Mühe, so dass wir schon gegen 11 Uhr an den Moränenausläufern zwischen den beiden kleinen, von mit Kelp bewachsenen Schwellen abgesperrten Fjordbuchten anlangten. Zwei Stunden später hatte Duse seine kartographischen Arbeiten beendet, und nun waren wir bereit, uns nach dem Jasonhafen zu begeben.

Das Wetter sah jetzt sehr drohend aus, die Luft stand dunkel über dem Fjord, auf dessen Oberfläche die ersten Windstösse dahin eilten. Aber wir sehnten uns, an Bord zu kommen, zu gutem Essen, einem ordentlichen Bett und munteren Kameraden. Deshalb liessen wir alle Bedenken fahren und setzten quer über den Fjord.

Es währte jedoch nicht lange, bis wir einsahen, dass wir ein gefährliches Spiel trieben. Von dem Gletscherrande herab warfen sich die Sturmböen auf den Fjord, peitschten seine Wellen zu zischendem Schaum auf und wirbelten uns eine Wolke von Meerrauch entgegen. Es pfiff und schäumte um das Boot, wenn so eine Böe an uns vorüberfegte. Damit das Boot nicht kentern sollte, hielt ich es so nahe wie möglich an den Wind Aber auf diese Weise, lagen wir fast auf einem Fleck und stampften, während die Ruderer alle Kräfte aufboten, um das Boot gegen den Wind zu halten. Es verlohnte sich auf die Dauer nicht, denn der Sturm wurde mit jeder Minute heftiger. Wir beschlossen daher, ab und auf das jenseitige Ufer hin zu halten. Ich wartete, bis zwischen zwei Böen eine Pause entstand. Da griffen wir alle auf einmal zu, und im Handumdrehen hatte das Boot die gefährliche Drehung gemacht. Jetzt war es eine andere Sache. Das Boot war freilich viel zu gross für eine so kleine Bemannung, wenn es sich darum handelte, gegen den Wind anzurudern, glücklicherweise war es aber auch scharf und lenzte gut im Sturm. Aber wenn die Böen kamen, bäumte es sich förmlich gegen den Wind auf, und ich vermochte es nicht mit dem Steuer allein niederzuhalten, die Kameraden mussten mit den Rudern nachhelfen, bald auf der einen, bald auf der andern Seite. Es war eine masslose Spannung. Schnell trieben wir aus dem Fjord hinaus, während wir uns allmählich dem Ufer näherten, das unser Ziel war. Bald waren wir dicht unter der nördlichen Küste. Der Jasonhafen lag jetzt gerade vor uns in Lee, aber wenn wir seine Mündung auch glücklich erreichten, würde es uns dann gelingen, mit dem Boot an die »Antarctic« heranzukommen? Eine ganz kleine Bucht lag gerade vor uns. Wir beschlossen, den Versuch zu machen, dort an Land zu gehen, bis das Unwetter vorübergezogen war. Als wir aber in die Nähe der Mündung dieser Bucht kamen, erblickte ich, der ich im Achtern sass, mit der Aussicht voraus, eine ganze Reihe kochender Brandungen, auf die wir in rasender Fahrt zueilten. Es war das sichere Verderben, das dort unser wartete. Wir mussten also doch versuchen, nach dem Jasonhafen zu kommen. Wieder entfernte sich unser Boot von dem Ufer, wieder eilten wir an der Landzunge und der schäumenden Brandung vorüber. Bald waren wir an dem Vorgebirge der Jasonbucht, hatten es umschifft und kamen in ruhigeres Wasser. Aber der Sturm heulte, als käme er aus einem Riesenblasebalg aus dem Innern der Bucht. Die »Antarctic« lag weit, weit weg, oben in der Bucht, so dass sie winzig klein erschien. Langsam arbeiteten wir uns ganz nahe an das Ufer heran; wenn die Windstösse kamen, stand das Boot still und stampfte oder trieb ein wenig zurück. Die Ruderer strengten ihre Kraft bis zum äussersten an, die Muskeln spannten sich, die Ruder bogen sich ganz krumm.

Je näher wir kamen, desto grösser erschien uns die »Antarctic«. An Bord war man jetzt auf uns aufmerksam geworden. Die ganze Reeling war schwarz von Menschen, und als wir endlich an der Schiffsseite anlegten, erscholl ein fröhliches und herzliches, donnerndes Hurra!

Unten in der Messe bereitete uns der Steward schnell ein kleines Mittagsmahl, und während wir assen, berichtete Larsen in kurzen Zügen über die Fahrt der »Antarctic« an der Küste entlang. Sie waren oben am nordwestlichen Teil der Insel in der Possession-Bay und der Bay of Isles gewesen. Fast die ganze Zeit war das Wetter sehr ungünstig. Orkanartige Schneestürme hatten einander in schneller Aufeinanderfolge abgelöst, wodurch die Schiffahrt zwischen den unzähligen kleinen Werdern und Schären sehr erschwert worden war. In einer dunkeln Nacht begann die »Antarctic«, nachdem beide Anker längere Ketten bekommen hatten, um sie sicherer gegen den zunehmenden Sturm zu halten, mit dem Achtern auf einen unterseeischen Grund zu stampfen. Larsen ging jetzt mit aller Fahrt vorwärts, während die Anker eingeholt wurden. Dann suchte er sich im Dunkel und Schneetreiben einen neuen Ankerplatz.

Trotz aller dieser Gefahren und Widerwärtigkeiten hatte die Schiffspartie während dieser Zeit dennoch wertvolle Arbeiten ausgeführt. Wohlgelungene Schleppnetzzüge, Beobachtungen in Bezug auf die frühere Vergletscherung der Insel und der Fund brütender Paare und Daunenjungen des grossen Albatros (Diomedea exsulans) waren die wichtigsten Ergebnisse dieser Fahrt.

Am Morgen nach unserer Wiedervereinigung mit der »Antarctic« lichtete das Schiff die Anker und steuerte nach der Maibucht hinüber, wo wir unser Zelt, unsere Sammlungen usw. an Bord nahmen. Dann liefen wir in den Südfjord ein, und nachdem in der Mitte desselben eine Lotung vorgenommen worden war, ankerte die »Antarctic« gegen 2 Uhr nachmittags in der Kochtopf-Bucht.

Hier blieben wir einen ganzen Monat bis zu unserer Abfahrt nach Süd-Georgien am 15. Juni liegen.

Während des ersten Teils unseres Aufenthaltes in diesem Hafen wurden unsere wissenschaftlichen Arbeiten in hohem Masse durch ruhiges und sonniges Wetter begünstigt. Der Schnee, der gefallen war, schmolz zum grössten Teil wieder fort, die Temperatur stieg oft mehrere Grad über Null und das Land bekam ein fast sommerliches Aussehen. Die Kartographen streiften nach verschiedenen Richtungen umher, die geologischen Studien schritten unter den günstigsten Bedingungen vor, die Zoologen und der Botaniker waren angespannt tätig. Mehrmals ging das Schiff zwecks Lotungen und zoologischer Arbeiten in den Fjord hinaus und kehrte dann bei Einbruch der Nacht wieder in die Kochtopf-Bucht zurück.

Auch für die Mannschaft der »Antarctic« waren diese vier Wochen äusserst angenehm. Des Sonntags, wenn sie keinen Dienst hatten, unternahmen die Matrosen bei gutem Wetter kleine Ausflüge, um Enten zu jagen, eine Bergspitze zu besteigen oder ähnliches.

Ein sehr beliebtes Vergnügen war das Fischen. Die Kochtopfbucht erwies sich als ungewöhnlich fischreich, und wir fingen direkt vom Schiff mehr als 700 grosse und ausserordentlich wohlschmeckende Fische, die zwei verschiedenen Arten der Nototheniden, einer den antarktischen Gewässern eigentümlichen Familie, angehörten. Drei Wochen lang bildeten frische Fische einen sehr wesentlichen Bestandteil der Ernährung an Bord.

Ende Mai hörte das schöne, sommerliche Wetter auf. In der Zeit vom 5. bis 12. Juni tobten fast ununterbrochen zum Teil sehr heftige Schneestürme, die eine etwa einen Meter hohe Schneedecke über das Land ausbreiteten. Der Winter hatte uns nun allen Ernstes jede Möglichkeit zu fortgesetzten Arbeiten am Lande genommen.

Am 15. Juni dampften wir aus der Cumberland-Bay heraus, steuerten zuerst gerade von der Küste ab und stellten hierbei mittels einer Lotleine die Tiefen- und Breitenverhältnisse der Küstenbänke fest. (Siehe die Kartenskizze S. 29.)


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