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Otto Nordenskjöld.
Pläne zu fortgesetzter Tätigkeit. – Umschlag in unserer Stimmung. – Die Schlittenfahrt nach der Cockburn-Insel. – Die Blutuntersuchungen des Doktors. – Lagerleben. – Arbeit auf der Seymour-Insel. – Unser Aufenthalt auf der Insel nimmt ein plötzliches Ende.
Mit der Ankunft unserer neu aufgefundenen Kameraden auf der Winterstation begann eine neue Epoche für uns. Wir hatten keine Ahnung davon, eine wie kurze Spanne Zeit wir noch in diesen Gegenden zubringen sollten, aber die Wochen, die wir nun miteinander verlebten, waren nach jeder Richtung hin so verschieden von den bisher verstrichenen, dass man hätte glauben können, es sei ein ganz anderes Personal auf die Station eingezogen.
Es handelte sich jetzt in erster Linie darum, einen Arbeitsplan für die Wartezeit zu entwerfen. Duse und Grunden mussten sich sofort in ärztliche Behandlung begeben und sich vorläufig mehrere Wochen ganz ruhig verhalten.
Im übrigen beschlossen wir, gleich einen kurzen Ausflug nach der Cockburn-Insel zu machen, teils um Seehunds- und Vogelfleisch zu beschaffen, teils um Andersson Gelegenheit zu biologischen Studien zu geben. Ich wäre sehr gern mitgegangen, da aber meine Anwesenheit dort nicht erforderlich war, überliess ich Bodman meinen Platz; Jonassen ging mit, um die Hunde zu pflegen und die Aufsicht über das Fleisch zu übernehmen. Nach der Rückkehr der Kameraden sollten Andersson, Sobral und ich so bald wie möglich nach der Seymour-Insel hinübergehen und dort ein paar Wochen zwecks geologischer und magnetischer Untersuchungen verweilen. Duse sollte, sobald sein Fuss es gestattete, mit Kartierungsarbeiten beginnen.
Es wurde jetzt, wo sich unsere Zahl so bedeutend vermehrt hatte, natürlich recht eng im Hause. Die Schlafstätten für die Neuangekommenen wurden auf dem Boden eingerichtet, wo der lagernde Proviant allmählich immer mehr eingeschrumpft war. Unsere Arbeit vermehrte sich nach verschiedenen Richtungen hin, wir verbrauchten mehr Proviant, und die geringen Reservevorräte an Kleidern und andern Gebrauchsgegenständen wurden stark in Anspruch genommen. Man hätte glauben sollen, dass das alles unsere Stimmung verdüstern würde! Aber gerade das Gegenteil war der Fall! Über uns alle war gleichsam ein neuer Geist gekommen, Scherzen, Plaudern und Lachen tönten von allen Seiten, alte Verstimmungen gerieten in Vergessenheit, jeder tat sein bestes, um die andern zu ermutigen und ihnen zu helfen. Über die Zukunft sprachen wir mit der zuversichtlichsten Hoffnung, die dunkelsten Augenblicke in dem Leben der verschiedenen Partien erzählten wir einander in Form amüsanter Geschichten, niemand, der uns gesehen hätte, würde es für möglich gehalten haben, dass wir uns doch eigentlich in einer ziemlich verzweifelten Lage befanden.
Dass unsere neu angekommenen Gäste dies Leben sehr genossen, ist nur natürlich. Sie konnten sich waschen und reine Kleider anziehen, sie schliefen in einer ordentlichen Koje, erhielten gut zubereitete Speisen, und sie hatten namentlich Gelegenheit, Bücher zu lesen, die ihnen neu waren, das alles musste nach dem entbehrungsreichen Dasein, das sie geführt hatten, ja sehr angenehm sein. Die grossen Speiseportionen, die auf den Tisch kamen, verschwanden schnell, unser aller Appetit hatte sich in unglaublichem Masse gehoben, und es war tue höchste Zeit, dass die Schlittenfahrt nach der Cockburn-Insel zur Ausführung gelangte, damit wir uns mit Vorräten frischen Fleisches versorgten und nicht ausschliesslich auf unsere eigenen Vorräte angewiesen waren, obwohl wir es uns nicht sehr gelegen sein liessen, daran zu sparen. Dabei hatten wir eigentlich alle Veranlassung, die Sache schwarz anzusehen. Wir hatten uns ja sehr darüber gewundert, dass die »Antarctic« sich im vergangenen Sommer nicht hatte blicken lassen, da aber das Meer niemals eisfrei und nur an wenigen Tagen mit Mühe fahrbar gewesen war, so hatte uns das keine Besorgnis eingeflösst. Alle an Bord wussten, dass wir Proviant für zwei Winter mitgenommen hatten, da war es sehr leicht möglich, dass man nach einigen fruchtlosen Versuchen, vorzudringen, lieber umgekehrt war, statt das Schiff in Gefahr zu bringen, jetzt hingegen lag die Sache anders. An der Hoffnungsbucht war das Wasser bis tief in den Herbst hinein eisfrei gewesen. Es blieb also nur noch die Möglichkeit, dass die »Antarctic« eingefroren war, oder dass sie Schiffbruch oder eine schwere Havarie erlitten hatte, die sie an der Rückkehr nach der Hoffnungsbucht verhinderte. Wäre das Schiff in unserer Nähe eingefroren, so hätten wir schon im Laufe des Winters von den an Bord weilenden Kameraden hören müssen. So war denn ein Schiffbruch das wahrscheinlichste, und doch glaubte eigentlich niemand von uns an eine solche Möglichkeit, – wir wollten nicht daran glauben; trotz unzähliger Schwierigkeiten war bisher alles so wunderbar glücklich verlaufen, dass wir auch jetzt in dem entscheidenden Augenblick meinten, unsere Hoffnung würde uns nicht betrügen.
Die ersten Tage waren hauptsächlich der Ruhe gewidmet. Ich begleitete Andersson nach den wichtigsten Fossilienlagern in unserer Umgebung, um ihm Gelegenheit zu geben, die dortigen geologischen Verhältnisse kennen zu lernen. Am 21. machte sich die Schlittenpartie auf den Weg und kehrte schon am 23. zurück, sehr befriedigt von dem Ergebnis der Fahrt. Andersson hatte interessante geologische Entdeckungen gemacht. Der untere Teil der Insel bestand aus Sedimentbildungen von derselben Art und dem gleichen Alter, wie die auf Snow Hill, teilweise aber mit reicherer Fossilien-Fauna. Darüber breitete sich die harte Basaltschicht aus, die der Insel ihre charakteristische Form verleiht, und auf dieser schien noch eine Fossilien enthaltende Ablagerung vorzukommen, die ganz verschieden von allem war, was wir bisher auf diesem Gebiet gefunden hatten.
Es war Bodman gelungen, an dem zum Teil fast senkrechten Abhang bis zum Gipfel der Insel hinauf zu klettern, die jedoch bedeutend niedriger ist, als es Ross angenommen hat; die Höhe beträgt statt der von ihm angegebenen 750 m nur 450 m. Er beschrieb das obere Plateau als grünende Wiese aus Moosen, ungleich üppiger als irgend ein anderer Platz in unserer Umgebung. Von dem Gipfel brachte er allerlei Proben von Basaltlava mit; als eigentlichen Vulkan kann man die Insel aber nicht auffassen.
In ihrer Art ebenso reich war das Ergebnis der Jagd. Zwei junge Seehunde, einige 70 Kormorane, ungefähr 20 Pinguine versorgten uns für lange Zeit mit vorzüglichen Fleischvorräten. Den eindringlichen Vorstellungen unserer neuen Kameraden nachgebend, versuchten wir es, das Fleisch mit Speck der jungen Seehunde zu braten, und fanden zu unserer Verwunderung, dass es hierdurch nicht den geringsten Beigeschmack bekam, im Gegenteil, es schmeckte weit besser, als bei der bisherigen Zubereitung.
Die Schlittenfahrt wurde durch einen unerhört jähen Barometersturz – bis auf 710 mm – zur schnellen Rückkehr gezwungen. Wir hatten seit unserm Zusammentreffen auf dem Eise ganz ausnahmsweise gutes Wetter gehabt. Noch war ja der Sommer nicht gekommen, der Monat, in dem wir uns befanden, entsprach dem April auf der nördlichen Halbkugel; dessen ungeachtet hatten wir aber Wärme und Sonnenschein bei einer Durchschnittstemperatur, die einmal, am 18. Oktober, bis auf +3,9° stieg. Einen so hohen Thermometerstand hatten wir kaum im Sommer für möglich gehalten. Es war natürlich, dass wir uns, als das Barometer so plötzlich fiel, auf einen heftigen Sturm, die Einleitung zu einem neuen Winter, gefasst machten. Der erwartete Sturm kam jedoch nicht. Freilich hatten die nächsten Tage Westwind und einen Temperaturfall bis zu -10° im Gefolge, aber wirklich schlechtes Wetter stellte sich nicht ein. Es sah so aus, als habe die lange Kälteperiode, die seit unserer ersten Ankunft herrschte, jetzt ihre Kraft verloren, ich konnte ruhig meine Vorbereitungen zu unserer Schlittenfahrt nach den Seymour-Inseln fortsetzen.
Schon seit Beginn unseres Aufenthalts auf der Station hatte der Doktor von Zeit zu Zeit Proben von unserm Blut genommen, um die Anzahl der roten Blutkörperchen zu untersuchen. Es war denkbar, dass sich diese unter dem Einfluss der Dunkelheit und der Lebensweise, die wir führten, vermindern würden, aber die Untersuchung ergab im Gegenteil, dass sie bei uns allen ein wenig an Zahl zunahmen. Erst im zweiten Winter arbeitete er eine Methode zur Untersuchung der weissen Blutkörperchen aus. Diese Arbeiten wurden während unserer Schlittenexpedition mit Eifer fortgesetzt. Überraschenderweise stellte es sich heraus, dass sich die Zahl der weissen Blutkörperchen bei uns allen verringert hatte, und ausserdem war das Verhältnis zwischen ihren verschiedenen Formen anders als in normalem Zustande. Deswegen war es von grossem Interesse, jetzt neues Untersuchungsmaterial zu bekommen. Wie ein richtiger Blutsauger empfing uns der Doktor, oft wurden wir mehrmals am Tage gestochen, und man musste sich einer besondern Diät unterwerfen, damit die Versuchsverhältnisse auf richtige Weise variiert werden konnten. Die Ergebnisse waren höchst merkwürdiger Art. Bei Jonassen und mir zeigten sich die gleichen Abweichungen wie bei den übrigen Mitgliedern des Stationspersonals, bei den drei Ankömmlingen von der Hoffnungsbucht war dies nicht der Fall. Eine nähere Begründung der Ursachen zu diesem interessanten Verhältnis wird Dr. Ekelöf selbst in einem ausführlichen Bericht darlegen.
Am 26. Oktober traten Andersson, Sobral und ich die beabsichtigte Schlittenfahrt an. Die Bahn war sehr schlecht, im Sund lag freilich Schnee, wenngleich er auch ein wenig lose war, draussen auf dem offenen Treibeise an der Ostküste mussten wir aber lange Strecken im Wasser waten. Ich hatte gehofft, dass die Hunde ohne Schwierigkeit unser Gepäck ziehen würden, das keineswegs schwer war, da wir nur ganz wenig Proviant mitgenommen hatten. Bald mussten wir uns jedoch selbst vorspannen, und es währte fünf Stunden, bis wir endlich das Depot erreichten. Eigentlich war es meine Absicht gewesen, noch weiter nach Norden vorzudringen, aber wir fanden es zu bequem und verlockend, uns mitten in der Pinguinkolonie niederzulassen, und als wir unser Zelt erst aufgeschlagen hatten, war von einem Weiterziehen keine Rede mehr.
Leider wollte das gute Wetter, das wir bis vor kurzem gehabt hatten, nicht recht wiederkehren. Die folgenden Tage zeichneten sich durch einen kalten, schneidenden Wind aus, der jedoch nicht heftig genug war, um uns im Zelt zurückzuhalten, in dem uns das ewige Flattern und Klatschen der Zeltleinwand im Winde den Aufenthalt verleidete. Allerdings hatte es auch seine grossen Schattenseiten, bei dem Winde im Freien zu sitzen und Fossilien zu sammeln. Ungern nur liessen wir das Zelt in unserer Abwesenheit unbewacht stehen, da eine Sturmböe es leicht zerreissen konnte.
Am ersten Tage besuchten wir den Fundort der Pflanzenfossilien, aber bei dem schlechten Wetter war das Ergebnis nicht sehr reich. An den folgenden Tagen machten wir Ausflüge nach verschiedenen Richtungen hin. Erst am 30. wurde das Wetter gut, so dass Sobral seine magnetischen Arbeiten beginnen konnte, während Andersson und ich in nördlicher Richtung am Strande entlang gingen, nach den Hügeln hinauf, wo ich vor einem Jahr die fossilen Pinguinknochen gefunden hatte. Auch jetzt nahmen wir ein reiches Material von hier mit zurück. Dahingegen gelang es uns nicht, neue, reichere Fundorte zu entdecken, obwohl ich darauf gehofft hatte, da mein erster Besuch sich nur auf eine kurze Zeit erstreckt hatte.
Am nächsten Morgen hatten wir wieder starken Wind mit Schneetreiben, der uns zwang, den ganzen Tag im Zelt zu bleiben, und der während der Nacht in einen wirklichen Sturm überging. Am ersten Tage des Lenzmonates hatten wir ununterbrochen südwestliche Winde, Schneegestöber und -13°. Im Laufe des Tages klärte es sich ein wenig auf, so dass ich ausgehen konnte, aber der Schnee lag in so grossen Wehen zusammengetrieben, dass es oft beinahe gefährlich war, darüber hinweg zu kommen. Wir feierten unsern »1. Mai« so gut wir konnten mit einem Festmahl, das anstatt Brot aus Hundekakes mit Sardinen, Konservensuppe, Fleischpudding in Seehundspeck gebraten, und einem Nachtisch aus gekochten Äpfeln bestand. Wir fanden, dass wir sehr zufrieden mit unserer Lage sein konnten. Rings umher waren wir von wissenschaftlichen Schätzen umgeben, die teils bereits eingesammelt waren, teils uns beliebig zu Gebote standen, draussen in der Ferne erscholl das Brausen der Wellen, die gegen den Eisrand schlugen und uns einen hoffnungsvollen Gruss von entlegenen Ufern brachten, vorzügliche Nahrungsmittel bot uns die Natur im Überfluss: warum sollten wir da nicht froh sein und gemessen, wenn es auch momentan ein recht kaltes Vergnügen war, die Nase zur Zelttür hinauszustecken. Es ist vielleicht nicht überflüssig, den kolossalen Unterschied zwischen einem solchen Leben im Freien während des Winters und während des Sommers hervorzuheben. Im ersteren Falle kommt man nach einer Wanderung in einer Kälte, die es kaum gestattet, dass man auch nur auf Minuten Rast macht, mit steif gefrorenen Kleidern, die Mütze an das Gesicht festgefroren, und mit schmerzenden Füssen nach dem Lagerplatz. Unter solchen Verhältnissen ist es mühevoll, die erforderlichen Arbeiten zu verrichten, zumal alle Gegenstände so durchkältet sind, dass man sie kaum in der Hand halten kann. Sobald wie möglich kriecht man in den Schlafsack, den man selber durchwärmen muss, ehe es dann einigermassen erträglich wird, und am nächsten Morgen beginnt wieder dasselbe Leben. Und doch ist der Frühling die einzige Zeit, die sich für lange Märsche eignet, sowohl in antarktischen und noch mehr in arktischen Gegenden, weil auf der einen Seite die Tage hell und weniger kalt sind als im eigentlichen Winter, während auf der andern Seite das Eis leichter zu passieren ist als im Sommer.
Ganz anders gestaltet sich das Leben im Freien zur Sommerszeit. Selbst wenn es kalt ist, kann man die Ausrüstung leicht in der Sonne trocknen. Der wesentliche Unterschied liegt jedoch darin, dass man draussen oder doch wenigstens im Zelte sitzen kann, ohne zu frieren und ohne beständig auf den Schlafsack angewiesen zu sein. Das Leben auf einem Lagerplatz, so wie wir es hier eingerichtet hatten, lässt sich am besten mit einer Touristenfahrt, abseits von der grossen Heerstrasse, vergleichen. Wieviel mehr Genuss hat man jedoch hier, schon allein im Gedanken an all die Arbeit, die man ausrichten kann!
Wir führten ein herrliches Leben in diesen Tagen. Des Morgens tranken wir Kaffee und brieten Steaks aus Pinguin- oder Seehundfleisch, machten uns dann so schnell wie möglich auf die Wanderschaft, und am Abend musste der zuerst Heimgekehrte das Mittagessen aufsetzen, eine dicke Suppe oder einen Brei aus gedörrten Gemüsen mit in Würfel geschnittenem Pinguinfleisch. Wenn das Wetter gut war, versammelten wir uns erst spät in unserm Zelt, bei Sturm und Regen wurden uns die Abende oft lang, dann sassen wir drinnen, beschäftigten uns mit den gesammelten Versteinerungen oder studierten die Literatur, die wir mitgenommen hatten, um unsere Fossilienfunde hineinzuwickeln. Wir hatten aber auch viel Genuss von den Unterhaltungen, die wir in diesen Stunden miteinander führten. Sobral und ich lauschten in der Regel Anderssons Erzählungen, der ja so viel länger als wir mit der Zivilisation in Berührung gewesen war und allerlei jetzt freilich schon etwas altbackene Neuigkeiten zu berichten hatte. An diesen Abenden hörte ich zum ersten Male alle jene kleinen Einzelheiten, aus denen sich im Laufe eines Jahres in der Welt die Summe der Politik, der Wissenschaften, des täglichen Lebens und des Skandals zusammensetzt. Ich hatte wieder Gelegenheit zu einem Ansichtsaustausch innerhalb der verschiedenen wissenschaftlichen Gebiete, die mich in erster Linie interessieren, ich liess mir ausführlich über alle die Arbeiten berichten, die von der Expedition ausgeführt waren, seit wir uns getrennt hatten, und gemeinsam ergingen wir uns in lichten Zukunftsträumen von neuen Forschungsarbeiten, die wir auszuführen hofften, wenn das Schiff uns abholte; wir malten uns aus, wie schön es sein würde, wieder zum Kulturleben zurückzukehren, und wie wir das alles geniessen würden, was wir am schmerzlichsten entbehrt hatten.
Jetzt fürchteten wir fast, dass das erwartete Schiff zu bald kommen würde. Freilich dachten wir um diese Zeit an keinen andern Entsatz als durch die »Antarctic« und hätten ihre Ankunft unter allen Umständen mit Jubel begrüsst, auf der andern Seite aber lag doch noch so viel interessante Arbeit vor uns, dass wir sehr hofften, das gute Wetter noch einige Wochen zu behalten, ehe wir allen Ernstes von hier aufbrechen mussten.
Ich musste jetzt auf einige Tage nach der Station zurückkehren, um unsere Sommerpläne zu arrangieren. Am 2. November war aber das Wetter so schön, dass ich mich nicht von den Kameraden trennen konnte und beschloss, mit Andersson noch einen Tag zu einer langen Wanderung nach der Cockburn-Insel zu verwenden, wo ich noch niemals gewesen war. Wir brauchten vier Stunden, um von unserm Lager dahin zu gelangen; während Andersson Fossilien sammelte, versuchte ich auf das Plateau am nordöstlichen Abhang hinaufzuklettern, musste aber meine Bemühungen an der letzten, senkrechten Felswand einstellen.
Der Tag war wunderbar klar, und wir konnten deutlich die Berge um die Hoffnungsbucht erkennen. Das Meer lag bis zu der Insel hin eisfrei da, nur hin und wieder bemerkte man ein wenig neues Eis oder Eisschlamm, der sich während des letzten Sturmes gebildet hatte. Am Strande lagen eine Menge Seehunde mit ihren Jungen, und das ganze Bild war ausserordentlich belebt. Gegen 7 Uhr begannen wir den Rückmarsch. Die Sonne hatte bisher kräftig geschienen, jetzt fror es aber wieder, und auf weite Strecken hinaus war das Eis so spiegelglatt, dass man sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte, eine bessere Schlittschuhbahn hätte man sich nicht wünschen können. In der zunehmenden Dämmerung war unser Marsch über das Quertal sehr beschwerlich, es ging auf und nieder zwischen schneegefüllten Spalten, wir mussten über Bäche und durch tiefen Schneeschlamm waten. Es tat wohl, endlich neben dem Zelt ausruhen zu können. Sobral, der eben erst nach Hause gekommen war, hatte auch einen beschwerlichen Tag hinter sich. Es war ihm gelungen, eine magnetische Bestimmung an der nördlichen Spitze der Insel zu machen, dann hatte er die Instrumente noch an den Platz geschafft, wo die nächste Observation vorgenommen werden sollte.
Am nächsten Morgen schliefen wir gründlich aus, und nach dem Frühstück trat ich meine Rückwanderung an. Ich ging über das Plateau der Snow Hill-Insel, das jetzt mit einem dicken Lehmbrei bedeckt war, und befand mich gegen Mittag wieder auf der Winterstation. Duses Fuss war jetzt wieder hergestellt, er hatte inzwischen seine Arbeitsausrüstung in Ordnung gebracht und wollte, von Ekelöf und Jonassen begleitet, am nächsten Tage einen Schlittenausflug nach der Lockyer-Insel machen. Ich kam also sehr gelegen, um Bodman Gesellschaft zu leisten und ihm während der nächsten Tage bei den Observationen behilflich zu sein. Am 4. und 5. blieb ich zu Hause und beschäftigte mich mit Arbeiten auf dem Gletscher. Nachdem ich am 6. meine Morgenwache erledigt hatte, begab ich mich nach dem Frühstück wieder nach der Seymour-Insel, wohin ich allerlei Kleinigkeiten mitnahm, die dazu beitragen sollten, uns das Leben dort noch angenehmer zu machen. Es war meine Absicht, Sobral abzulösen, der jetzt seine magnetischen Arbeiten beendet hatte und nach Hause gehen wollte, um die Observationen auf der Station wieder aufzunehmen. Ich ging, soweit ich konnte, auf dem Treibeise, als dies aufhörte, ging ich an dem schmalen, steilen Eissockel entlang, der sich fast noch überall am Ufer hinzog. Ich hatte mehr als drei Viertel des Weges zurückgelegt, als ich in der Ferne zwei dunkle Gestalten auf mich zukommen sah. Anfänglich hielt ich sie für Pinguine, bald erkannte ich jedoch Andersson und Sobral, die auf dem Heimwege begriffen waren. Der erstere hatte seine rechte Hand arg verbrannt, indem eine Pfanne mit kochendem Seehundspeck von dem Primusapparat heruntergefallen war und sich darüber ergossen hatte. Sie brachen sofort das provisorische Zelt ab und machten sich auf die Wanderung nach der Station, um ärztliche Hilfe zu suchen.
Dies war eine traurige Unterbrechung des fröhlichen Lebens, das wir geführt hatten; Anderssons Arbeiten mussten auf längere Zeit eingestellt werden, und wir konnten nicht wissen, ob die Hand nicht andauernden Schaden erlitten habe. Ich schloss mich den beiden an und kehrte nach der Station zurück, um zur Hand zu sein, falls ich dort irgendwie helfen konnte. Andersson und Sobral machten die verlockendsten Beschreibungen von den letzten Tagen: sie hatten die ersten Pinguineier gesammelt und einen jungen Seehund getötet, dessen Fleisch und Speck sie aufbewahrt hatten, während sie das Blut zu einem Blutpfannkuchen verwendeten, bei dessen Zubereitung sich dann das Unglück ereignet hatte. Diese Schilderungen interessierten Bodman derartig, dass er beschloss, sich am nächsten Tage mit Aakerlund nach der Seymour-Insel zu begeben, um dort einen Vorrat von Pinguineiern für die Station zu sammeln. Die Gelegenheit war ja sehr günstig, da Zelt und Ausrüstung unbenutzt auf der Insel zurückgeblieben waren.
Es war ein rechtes Unglück, dass der Doktor gerade abwesend war, doch erwarteten wir seine Rückkehr schon am nächsten Tage und übernahmen deshalb einstweilen die Pflege der verletzten Hand. Bodman und Aakerlund machten sich am Morgen auf den Weg und Grunden übernahm das Küchendepartement. Indessen verging der Tag, ohne dass die Teilnehmer der Schlittenpartie zurückkehrten, so musste ich mich denn entschliessen, den Verband um Anderssons Hand noch einmal zu erneuern. Gegen 11 Uhr, als es eben still bei uns im Hause geworden war, hörten wir die Hunde heulen, und nach wenigen Minuten fuhr der Schlitten auf den Strand auf. Die Kameraden hatten eine herrliche Fahrt gehabt und reiches Material zu Kartierungsarbeiten gesammelt. Duse hatte die ungefähr 450 m hohe Lockyer-Insel bestiegen. Zahlreiche Seehunde hatten sich auf dem Eise getummelt, mehrere davon wurden erbeutet, auch einige Megalestris, die sich nach der harten Verfolgung, die wir ihnen im vorigen Jahre hatten angedeihen lassen, aus unserer Nähe zurückgezogen hatten.
Das Tagebuch schliesst am 7. November mit folgenden Worten: die Abendobservationen sind schon lange ohne Laterne gemacht, heute haben wir zum ersten Male unser Abendbrot ohne Licht gegessen. Aber es ist auch ein herrlicher Abend, der Mond ist hinter der Seymour-Insel aufgegangen und leuchtet hell, voll und brandgelb, steht aber ganz tief am Horizont. Im übrigen macht alles, was wir rings umher erblicken, einen ganz winterlichen Eindruck, sowohl das Eis, das ungebrochen daliegt, so weit das Auge reicht, als auch der blassblaue, wolkenlose Himmel.
Als ich diese Worte niederschrieb, ahnte ich nicht, dass es die letzten Aufzeichnungen in meinem Tagebuch von der Winterstation sein sollten!