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Ich habe oben unsere Bausorgen bis zu dem Zeitpunkt geschildert, wo die Hütte in eine mächtige Schneemasse gehüllt, uns einen Schutz bot, in dem wir ruhig den Stürmen, die da kommen würden, Trotz bieten konnten. Mein Bericht muss nun wieder zu dem Anfang der Überwinterung zurückkehren, um zu zeigen, wie wir uns Feuerung und Speisen verschafften.
Bis Ende Februar hatten wir in der Hoffnung auf die baldige Rückkehr der »Antarctic« hauptsächlich von den Vorräten aus dem bei unserer Landung errichteten Depot gelebt. Aber mit dem 1. März trat in dieser Hinsicht eine völlige Umgestaltung in unsern Lebensgewohnheiten ein. Während wir uns bisher in ganz zivilisierter Weise ernährt hatten, fristeten wir jetzt plötzlich unser Dasein fast ausschliesslich von den Erzeugnissen der uns umgebenden Natur.
Wie ich bereits in einem früheren Kapitel erwähnt habe, war durch ein Versehen, das mir allein zur Last fiel, die an Land geschaffte Quantität unseres wichtigsten Proviantartikels, des Brotes, bedeutend geringer, als es unsere Absicht gewesen war. Von dem ursprünglichen Vorrat (225 kg) waren zu Anfang der Überwinterung nur noch ungefähr 170 kg vorhanden. Mit diesem knappen Mass hielten wir auf folgende Weise haus: Jeden zwanzigsten Tag wurde aus dem von den ursprünglichen drei Brotfässern, das wir während der Zeit gerade in Gebrauch hatten, ein Sack von ungefähr 12 kg Inhalt gefüllt. Diese Brotmenge, wurde nun in drei gleiche Teile geteilt, von denen jedem eines durch das Los beschieden wurde. Duse verwahrte sein Brot in dem Sack auf, Gründen besass einen Beutel, in dem er auf der Schlittenfahrt seine Reservekleider untergebracht hatte, und ich legte meinen Teil in einen Rucksack der bisher zu allerlei ganz verschiedenen Zwecken benutzt worden war. Während der drei Wochen, die bis zur nächsten Brotverteilung verstrichen, konnte nun jeder mit seinen 4 kg (d. h. 200 g pro Tag) nach Belieben verfahren.
An Konservenfleisch, Brot, Butter, Kakao, Kaffee und Zucker wie auch an Petroleum stellten wir gleich zu Anfang der Überwinterung die Mengen zurück, die wir im nächsten Frühling auf unserer Schlittenfahrt nach Snow Hill nötig zu haben glaubten. Der Überrest unseres Depotproviants war nicht grösser, als dass er, auf den ganzen Winter verteilt, gerade ausreichte, um eine kleine Abwechslung in die trübselige Einförmigkeit der Naturproviantierung zu bringen.
Unsere Speiseordnung während der Überwinterung in der Hoffnungsbucht war die folgende:
Montag.
Frühstück: Gebratenes Fleisch, Pinguin oder Seehund, Kaffee.
Mittagessen: Suppe von Pinguin- oder Seehundfleisch und gedörrte Gemüse, gebratenes Fleisch.
Abendbrot: Gebratenes Fleisch, Tee.
Dienstag.
Frühstück: Gebratenes Fleisch, Kaffee.
Mittagessen: Eingelegte Heringe, Suppe (siehe Montag), gebratenes Fleisch.
Abendbrot: Gebratenes Fleisch, Tee.
Mittwoch.
Frühstück: Gebratenes Fleisch, Kaffee.
Mittagessen: Suppe (siehe Montag), gebratenes Fleisch.
Abendbrot: Gebratenes Fleisch, Tee.
Donnerstag.
Frühstück: Gebratenes Fleisch, Kaffee.
Mittagessen: Suppe (siehe Montag), gebratenes Fleisch.
Abendbrot: Grütze, gebratenes Fleisch, Tee.
Freitag.
Frühstück: Gebratenes Fleisch, Kaffee.
Mittagessen: Eingelegte Heringe, Suppe (siehe Montag), gebratenes Fleisch.
Abendbrot: Gebratenes Fleisch, Tee.
Sonnabend.
Frühstück: Gebratenes Fleisch, Kaffee.
Mittagessen: Suppe (siehe Montag), gebratenes Fleisch.
Abendbrot: Gebratenes Fleisch, Tee.
Sonntag.
Frühstück: Gebratenes Fleisch, Kaffee mit Sahne
Gezuckerte, kondensierte Milch. (während des ersten Teils der Überwinterung Kakao mit Zucker und Sahne).
Mittagessen: Eingelegte Heringe, Konservenfleisch mit Konservensuppe, gebratenes Fleisch, Extrakaffee.
Abendbrot: Gebratenes Fleisch, Tee.
Aus dieser Tabelle ergibt sich unsere Winterspeiseordnung bis zum 1. Juni, wo wir infolge drohenden Mangels an Brennmaterial den Entschluss fassten, nur zwei Mahlzeiten täglich zu kochen. Seit diesem Tage trat insofern eine Änderung ein, als wir das Mittagessen und das Abendbrot zu einer Mahlzeit vereinigten, die zum Beispiel des Montags aus Pinguinsuppe, Seehundsteak und Tee, am Donnerstag aus Grütze, Steak und Tee bestand. In Bezug auf die Speiseordnung muss noch bemerkt werden, dass wir abwechselnd in der einen Woche dreimal und in der andern Woche viermal eingelegte Heringe bekamen.
Der Kaffee, den wir während dieses Winters tranken, war so unschuldiger Art, dass auch nicht der allererbittertste Gegner dieses Getränkes ihn uns verweigert haben würde. Auf anderthalb Liter Wasser nahmen wir nämlich jeden Morgen einen Esslöffel voll gemahlenen Kaffee! Das Produkt, das wir nach tüchtigem Kochen dieser Mischung erzielen, hatte eine sehr schwach bräunlich-gelbe Färbung und einen leisen Anflug von dem Geruch und Geschmack des Kaffees. Dass so unerhörte Luxusartikel wie Zucker und Sahne nicht im alltäglichen Leben vorkamen, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Des Sonntags morgens bekam ein jeder von uns einen Teelöffel voll gezuckerter, kondensierter Milch zum Kaffee. Am Sonntagnachmittag, wie auch zuweilen bei irgend einer festlichen Gelegenheit an Wochentagen, kochten wir von dem täglich gesammelten Kaffeesatz sogenannten »Extrakaffee« von allerbescheidenster Stärke.
Der Tee, den wir am Abend bereiteten, war in seiner Art ebenso schwach wie der Kaffee am Morgen, aber wir gaben ihm ein wenig mehr Geschmack durch einen Zusatz von ein paar kleinen Zitronensäurekrystallen.
Die Grütze, an der wir uns zweimal wöchentlich delektierten, war bei unserm chronischen Kohlenhydrathunger ein grosser Leckerbissen. Die infolge von Schimmelbildung zum Teil zu weichen Klumpen zusammengewachsenen Graupen wurden in einer Mischung aus Schnee und Seewasser gekocht, nie aber hat mir eine in der Heimat mit Milch und Butter bereitete Grütze auch nur annäherungsweise so gut geschmeckt, wie dies elende Gericht in der Steinhütte. Graupen müssen bekanntlich sehr lange kochen, und um uns die Mühe zu ersparen, zweimal wöchentlich diese langwierige Prozedur zu wiederholen, kochten wir den grossen Kochtopf auf einmal voll und liessen die Hälfte davon bis zum nächsten Grütztag stehen, wo sie in Seehundsöl gebacken und oft mit gebräunten Würfeln von Seehundspeck angerichtet wurde. In dieser Form war die Grütze ein besonders beliebter Leckerbissen.
Ein paarmal im Laufe des Winters erfreuten wir unsere Gemüter mit einem eigentümlichen Backwerk, das Grunden während seiner Robbenfangreisen im nördlichen Eismeer hatte backen lernen und das »Dänga« hiess. Dies sonderbare Gericht bestand aus Brotkrumen, in einer Mischung aus Salz- und Süsswasser aufgeweicht und in Seehundsöl gebacken. Es war gar nicht leicht, einen Dänga gut zu bereiten, so dass er schmackhaft und genügend durchgebacken war, ohne verbrannt zu sein. Auch zu diesem Gericht schmeckten gebräunte Speckwürfel vorzüglich.
Die Sonntage waren unsere grossen Festtage, an denen alle drei Mahlzeiten, namentlich aber das Mittagessen, eine ersehnte Abwechslung in die dürftige Einförmigkeit der Woche brachten. Über alle Beschreibung schön war aber der erste Sonntag in jedem Monat, an dem wir einen Schnaps zu Tische bekamen. Nachdem wir zwei Flaschen Spiritus für die Schlittenfahrt im Frühling zurückgestellt hatten, waren noch anderthalb Flaschen übrig. Bei gehöriger Verdünnung (ein Teil 96prozentiger Spiritus und ein Teil Wasser) reichte dies zu einem »Schnaps« für den ersten Sonntag in jedem Monat, wie zu einigen andern festlichen Tagen. Duse hatte eine kleine Taschenflasche mit einem Metallbecher, der bei dieser feierlichen Gelegenheit die Runde machte. Bei dem »Monatsschnaps« beglückwünschten wir uns gegenseitig, dass wir dem ersehnten Ziel wieder um einen Monat näher gerückt waren.
Einmal goss einer von uns aus Versehen seinen Schnaps zu schnell herunter. Er ärgerte sich den ganzen Monat darüber, als aber dann der nächste Schnaps kam, schlürfte er ihn mit tiefem Ernst und liess ihn langsam durch die Kehle gleiten.
Ganz ausnahmsweise setzten wir wohl einmal einen »Extra-Schnapstag« an. In erster Linie sind unter diesen die drei Geburtstage zu erwähnen. Wir waren alle drei gleichaltrig, und unsere Geburtstage fielen alle in die Zeit, die wir in der Steinhütte zubrachten. Zuerst wurde ich am 3. Juli 29 Jahre alt, dann feierte Duse seinen 30. Geburtstag am 2. August, und schliesslich, unmittelbar vor unserm Aufbruch, am 25. September, wurde Grundens 29. Geburtstag festlich begangen. Duse besass eine Miniatur-Flagge, die bei diesen feierlichen Gelegenheiten an der Zeltstange befestigt wurde, gerade über dem Kopf des Geburtstagskindes. Gratulationsreden und Erwiderungen wurden bei dem Schlürfen des Schnapses gehalten, und das Mittagessen hatte ein von der alltäglichen Anordnung abweichendes, für unsere Verhältnisse feierliches Gepräge.
An dem Nationaltag der Norweger, dem »siebzehnten Mai«, wollten Duse und ich Grunden eine kleine Überraschung bereiten. Ich waltete an diesem Tage des Amtes als Koch. Als die Kameraden, die am Vormittag fort gewesen waren, um ein auf dem Schnee festgefrorenes Seehundsfell loszueisen, zurückkehrten, wehte die Flagge von einem Schneeschuhstab herab, und ich bewirtete sie mit einem gründlich angebrannten Kuchen aus aufgeweichten Brotkrumen, einigen Stücken gedörrten Obstes, etwas Zucker und einigen Löffeln kondensierter Milch.
Am bedeutungsvollsten und denkwürdigsten unter unsern Festtagen waren jedoch die Mittsommer- oder hier unten vielmehr die Mittwintertage.
Mehr und mehr hat das lange nächtliche Dunkel den kurzen Tag des Südens beschränkt, bis schliesslich die feuersprühende Scheibe der Sonne um die Mittagszeit kaum über den Rand des Festlandeises draussen an der nördlichen Landzunge aufsteigt. In machtlosem Sehnen schweift der Gedanke weit, weit weg zu den Gegenden, wo jetzt Sommer ist, wo die Nächte kurz und hell sind, zu dem alten Lande jenseits des Weltmeeres, dem Lande der Kindheit, wo jetzt in allen Dörfern der Mittsommerreigen getanzt wird.
Aber auch hier unten ist die Mittsommerzeit eine Festzeit, und zwar in noch tieferer Bedeutung. Sie ist ja der Meilenstein auf dem langen Wege durch das Dunkel des Winters, hinter dem die abfallende Kurve des Tageslichts sich in immer kräftigerer Steigung erhebt, bis die Zeit kommt, wo wir nach Süden aufbrechen können, dem Frühling und der Befreiung entgegen.
Der Mittsommertag ist daher in gewisser Beziehung der Weihnachtstag des südlichen Winters. Es war ein eigentümlicher Zufall, dass wir den Rest der Tannenbaumlichte von der »Antarctic« mitbekommen hatten. Das kleine Päckchen hatte unberührt dagelegen, denn wir wollten die Lichte bis zu unserm Aufbruch im Frühling aufsparen, wo die Nächte noch dunkel waren. Drei Stück der kleinen Kerzen holten wir nun jedoch hervor. Grunden befestigte drei hölzerne Pricken in wagerechter Lage an die Zeltstange, und auf das äusserste Ende eines jeden dieser Arme wurde ein Licht gestellt. Als dann das aus Schweinebraten und Obstsuppe bestehende Festmahl aufgetragen war, löschten wir die Tranlampe aus und zündeten die drei Weihnachtslichter an, deren hellschimmernde, kleine Flammen alle Ecken und Winkel in dem russigen Zelt erhellten. Das Schnapsglas in der Hand, hielt Duse eine kurze Rede, die in dem Wunsche gipfelte, dass der fernere Teil des Winters uns ebenso unberührt von den Widrigkeiten des Daseins lassen möge, wie die Zeit, die jetzt hinter uns lag, dass wir auch in Zukunft als gute Kameraden zusammenhalten möchten, und dass der Frühling eine glückliche Lösung aller der ernsten Fragen bringen möge, mit denen sich unsere Gedanken unablässig beschäftigten.
Ich habe nun unsere seltenen und kärglichen Festtage geschildert und gezeigt, dass der »Kulturproviant«, der uns für die Überwinterung zur Verfügung stand, freilich gering war, aber doch hinreichend, um damit eine willkommene Abwechslung in die unbeschreibliche Einförmigkeit unseres Daseins zu bringen. Diese Lebensweise durchzuführen, war überhaupt nur dadurch möglich, dass wir zu Anfang der Überwinterung Gelegenheit hatten, von dem uns umgebenden Tierleben einen Tribut zu fordern, der uns mit Feuerung und Nahrungsmitteln versorgte.
Am 19. Februar hielten wir unser erstes grosses Schlachten unter den Pinguinen ab. Die Adeliae-Jungen waren nun fast so weit, dass sie ins Wasser gehen konnten, und namentlich sie erkoren wir zu unsern Opfern. Mit Stöcken bewaffnet, näherten wir uns von verschiedenen Seiten einem Hügel, wo sich eine grosse Schar von jungen und ausgewachsenen Pinguinen niedergelassen hatte. Sie waren so wenig scheu, dass wir ganz nahe an sie herankommen konnten, ehe sie Zeichen der Unruhe zu erkennen gaben. Als aber die Schläge fielen, zerteilte sich die Schar in wilder Flucht. Da galt es denn, sofort einen der Flüchtlinge aufs Korn zu nehmen und ihn in schnellem Lauf zu verfolgen, bis er mit einem Schlag auf den Kopf zu Boden gestreckt wurde. Dies war ein rohes und blutiges Handwerk, aber Not kennt kein Gebot.
Wir töteten an diesem Tage nicht weniger als 150 Pinguine. Nachdem wir die grossen Brustmuskeln ausgelöst hatten, das einzige, was wir für den Wintervorrat gebrauchen konnten, liessen wir die geöffneten Leiber in der Nähe des Zeltes liegen. Hier versammelte sich bald eine grosse Schar von Raubmöwen, Möwen und Seeschwalben, die sich um die leckern Bissen stritten und den lieben langen Tag einen ohrenzerreissenden Lärm machten. Sie leisteten uns indes einen wertvollen Dienst, indem sie die Haut von Fleisch und Fett säuberten. Mit Leichtigkeit liessen sich dann die rein gefressenen Häute von den ebenfalls ziemlich abgenagten Skeletten lösen, und wenn wir nun die Felle zum Trocknen auf dem Boden ausbreiteten, mit der Fleischseite nach oben, so hackten die kleinen, gierigen Seeschwalben die letzten übriggebliebenen Fettreste fort. Auf diese Weise verschafften wir uns Ende Februar eine recht ansehnliche Menge getrockneter Pinguinhäute, die dann in der Hütte mancherlei Verwendung fanden.
Die Mehrzahl der Pinguine hatte sich jetzt jedoch schon aufs Meer begeben, und die zurückgebliebenen wurden mit jedem Jagdtage scheuer. Auf unsern zerfetzten Schuhen, deren lose untergebundene Seehundsfellsohlen sehr schlüpfrig waren und ausserdem beständig in Unordnung gerieten, wurde es immer schwerer, die auf den gefrorenen glatten Abhang schnell entfliehenden Pinguine zu verfolgen. Als wir am 12. März unsere Steinhütte in Besitz nahmen, hatten wir trotzdem 340 Pinguine in gutem Verwahrsam untergebracht, nämlich in drei mit Steinblöcken bedeckten Haufen an dem nordöstlich von unserer Hütte gelegenen Abhang.
Jetzt waren alle Adeliae-Pinguine verschwunden, und zu Ende des Monats sassen nur noch einige grosse Scharen brütender, alter Papua-Pinguine im Schutz der Klippen am Strande. Am 29. Februar erschlugen wir 90 Stück davon. Von nun an aber war der Boden an den meisten Stellen mit einer ganz tiefen, dichten Schneeschicht bedeckt, durch die wir nur mühsam hindurchwaten konnten, während die Pinguine, auf dem Bauch liegend, in rasender Eile den Abhang hinab »schwammen« und sich ins Meer stürzten. Es war jetzt fast unmöglich, in ihre Nähe zu gelangen, aber wir wollten doch unsern Vorrat an Patronen nicht auf Pinguinjagd schmälern. Am 5. April erschlugen wir 15 Stück und am 7. kaum die doppelte Zahl. Unserer Berechnung nach gebrauchten wir noch 100 Stück, um für den Winterbedarf ausgerüstet zu sein. Jetzt befanden sich aber nur noch einige hundert Pinguine an Land, und die waren alle sehr scheu.
Da kam ich auf den Gedanken, ob man nicht möglicherweise den losen Schnee, der uns so hinderlich und für die Pinguine so vorteilhaft war, benutzen könne, um eine Falle für die Tiere zu machen.
Beistehendes schematisches Bild gibt eine Vorstellung von meiner Anlage. H ist der Meeresstrand, der hier durch einen mehr als meterhohen Eissockel gebildet wird. In den losen Schnee grub ich ein Loch von 1,5 m Durchschnitt und ungefähr der selben Tiefe, sowie zwei Graben, die mir das Material zu zwei Wällen lieferten, von denen sich der eine bis an den Strand erstreckte. Es war meine Absicht, eine Pinguinschar zwischen diese in der Grube mündenden Wälle und von dort aus in die Grube hinein zu treiben. Als das Ganze fertig war, fühlte ich mich meiner Sache so sicher, dass ich nach der Hütte zurückkehrte, um Duse, der an diesem Tage auch ohne Beschäftigung war, zu einem Versuch einzuladen. Wir fanden am Strande jenseits der Falle fast alle noch an Land befindlichen Pinguine in einer Schar von mindestens 2-300 Stück versammelt. Diese Schar trieben wir langsam vor uns her, bis die ersten an der Mündung der Falle standen. Als die ganze Schar dort wenden und auf das Land hinauf entweichen wollte, liefen wir vorwärts, schrieen und winkten mit den Armen. Ein grosser Teil der dicht gedrängten Schar stürzte doch an uns vorüber und entkam, einige Pinguine taumelten kopfüber den Abhang hinab ins Meer, zwischen den Wällen aber bewegte sich ein Strom von schreienden Tieren. Die Grube war in einem Augenblick gefüllt, und über diese lebende Masse hinweg gelangten die letzten Scharen ins Freie hinaus. Jetzt begann ein Morden brutalster Art. Die Schläge hagelten nur so auf die gefangenen Tiere hinab, und ein toter Pinguin nach dem andern flog aus der Grube heraus. Sie standen in mehreren Schichten übereinander, und die untersten waren schon tot, wahrscheinlich infolge von Erstickung, als wir sie herausholten, um ihnen den Todesschlag zu versetzen. In wenigen Minuten war die Grube leer, und als wir unsere Beute nachzählten, stellte es sich heraus, dass wir 101 Stück erlegt hatten. Es war schon ganz dunkel, ehe wir mit dem Auslösen der Brustmuskeln aller dieser Tiere fertig waren.
Die Pinguine waren uns gutmütige Kameraden gewesen, und ihr drolliger Anblick hatte uns wesentlich zerstreut und belustigt in jenen einförmigen Tagen, als wir hier auf die Rückkehr der »Antarctic« warteten. Es war daher treulos und undankbar von uns, durch diese grässlichen Schlachtereien ein bisher völlig ungestörtes Vogelleben zu beunruhigen. Aber ich glaube, niemand wird es uns verdenken, dass wir so viele von diesen Tieren töteten, wie wir unumgänglich nötig zu haben glaubten. Trotzdem hätten sie uns nicht vor dem Hungertode bewahren können, wenn wir nicht später eine kleine Anzahl Winter-Seehunde erlegt hätten.
Diesen letzten Fang einberechnet, hatten wir jetzt einen Wintervorrat von 570 Pinguinbrüsten. Zusammen mit den Pinguinen, die zu verschiedenen Zeiten von dem Koch für den betreffenden Tag getötet und gleich verzehrt wurden, erschlugen wir während unseres Aufenthalts in der Hoffnungs-Bucht etwas über 700 Pinguine. Noch während des letzten Teils des April versuchten wir möglichst noch jeden Tag eines solchen Vogels habhaft zu werden, um damit unsere Tagesrationen zu verlängern. »Jetzt gehe ich hinaus und schlage unsern Braten tot,« pflegte der Koch zu sagen.
Bis gegen Ende Februar, d. h. so lange wir noch auf die baldige Rückkehr der »Antarctic« hofften, spielte das Pinguinfleisch nur bei einer der drei Mahlzeiten des Tages eine Rolle, und dann auch stets nur als Suppe aus fein gehacktem Fleisch mit einem Zusatz von gedörrten Gemüsen gekocht. Als aber die Überwinterung als nahe bevorstehende Tatsache an uns heranrückte, und es notwendig wurde, diese Art Fleisch als Hauptnahrung zu benutzen, fingen wir an, über die Möglichkeit einer Abwechslung in der Bereitung nachzudenken. Gebratener Pinguin war ein Gericht, das wir schon an Bord der »Antarctic« als durchaus geniessbar erkannt hatten. Aber unsern kleinen Margarinevorrat, der ungefähr der Menge des Brotes entsprach, konnten wir nicht gut als Bratfett benutzen. Da kamen wir am 1. März auf den glücklichen Gedanken, das Fleisch in dem Fett zu braten, das bei den Pinguinen selber unter der Haut und zwischen den Därmen sass. Dies Pinguinsteak erregte einen förmlichen Jubel, das Fett verlieh ihm freilich einen eigentümlichen scharfen Geschmack, der jedoch von der wohlwollenden Kritik als angenehme Würze bezeichnet wurde. Durch dies Experiment erschloss sich uns eine ganz neue Perspektive für unsere Speisenbereitung während des Winters.
Am nächsten Tage machte Duse eine neue, vorzügliche Erfindung, nämlich grillierten Pinguin! In den Brotfässern sammelte sich durch das Zerbröckeln des Schiffsbrotes eine nicht geringe Menge feinen Abfalles an. Hierin wälzten wir die Stücke Fleisch um, und nach dieser vorbereitenden Behandlung schmeckte das Fleisch viel mürber und besser, als wenn es auf gewöhnliche Art gebraten wurde.
Es stellte sich jedoch bald heraus, dass es nicht möglich sein würde, die Menge Pinguinfett einzusammeln, die für eine solche Speisenbereitung während des ganzen, langen Winters erforderlich war. Wir hatten freilich daran gedacht, den Versuch zu machen, das Fleisch mit Seehundspeck zu braten, uns aber des gefürchteten »Trangeschmackes« wegen davor gescheut. Eines Tages, kurz nach unserm Einzug in die Hütte, tischte uns Grunden einige gebratene Stücke Fleisch auf, die einen auffallend reinen und angenehmen Geschmack hatten. Sie waren mit Seehundsfett zubereitet!
Jetzt waren alle Sorgen in Bezug auf die Beschaffung von Bratfett überflüssig, und wir brieten den ganzen Winter hindurch alles in Seehundsfett. Jeden Abend schnitt der Koch einen ganzen Berg Speckscheiben, für das Braten am folgenden Tage bestimmt, und auf diese Weise verbrauchten wir täglich ½-1 kg Seehundspeck. Wenn das Fett in der Pfanne aus den Speckscheiben ausgelassen war, blieben davon nur ganz kleine, zusammengeschrumpfte knusperige Stücke zurück, die wir »gebratenen Speck« nannten und als solchen mit Appetit verzehrten In diesem Zusammenhang möchte ich noch erwähnen, dass unsere Bratpfanne aus einer flachen Konservenbüchse, mit einem Nagel und einem Holzklotz als Griff, angefertigt war..
Duse war unermüdlich darin, Jagd auf die Seehunde zu machen, die von Zeit zu Zeit auf dem flachen Felsstrand auftauchten. Seine Lieblingswaffe war eine Repetierpistole (Mauser-Typus), mit der er sehr sicher zielte. Während der letzten Wochen im Zelt pflegte er mit Grunden nach beendigter Arbeit einen Spaziergang an den Strand zu machen, um nach Seehunden auszuspähen. Wenn ich dann bei meiner Beschäftigung in der Nähe des Zeltes den Knall eines Schusses hörte, der eine abermalige Vermehrung unseres Speckvorrates verkündete, so setzte ich schnell den Kaffeekessel auf das Feuer, um mit einem Extratropfen das frohe Ereignis zu feiern. Als wir in die Hütte zogen, hatten wir zehn Seehunde getötet, von denen einige sofort ihres Speckes beraubt wurden, den wir in der Nähe unserer Wohnung in einem mit Steinen beschwerten Hügel verwahrten. Das Fell wurde in der Sonne getrocknet und kam uns im Laufe des Winters sehr gelegen als Material zur Anfertigung von Schuhzeug. Die Felle der Seehunde, die in grösserer Entfernung von der Hütte erlegt wurden, liessen wir dahingegen oft mit allem Speck am Platze liegen, mit einigen grossen Steinblöcken beschwert, um sie späterhin im Winter, als der Boden mit Schnee bedeckt war, nach der Hütte zu schleifen.
Während wir noch im Zelte hausten, machten wir bereits Versuche, mit Speck zu heizen, aber erst nach mehrwöchentlichem Aufenthalt in der Hütte gelang es uns, alle Schwierigkeiten in Bezug auf die Einrichtung und die Pflege der Tranlampen zu überwinden.
Wir brauchten zwei solcher Lampen, eine kleinere zur Beleuchtung und eine grössere zu Feuerungszwecken in der »Küche«. In beiden Fällen bedienten wir uns leerer Konservendosen von verschiedener Grösse und Form, je nach den verschiedenen Zwecken. Zu der Lampe nahmen wir eine flache Heringsdose, die wir mit kleinen Speckwürfeln füllten, zwischen die wir einen aus einer Zeltleine verfertigten Docht steckten. Glücklicherweise hatten wir ein paar tüchtige Bündel von diesen Hanfleinen mit an Land genommen. Als wir aber die beiden grossen »Kochqualmer« einrichteten, mussten wir ganz mächtige, dicke Dochte haben, um eine hinreichend grosse und kräftige Flamme zu erzielen. Während ein ganz kleines Stück Hanfleine für einen Docht in der Lampe ausreichte, mussten wir zu jedem Docht in dem Kochapparat ein mehr als meterlanges Ende haben. Dies sah bedenklich aus. Bald würde es uns an Material für die Dochte fehlen. Da machten wir glücklicherweise die wichtige Entdeckung, dass die Kochapparate auch ohne Dochte brannten. Eines Tages brannte nämlich der eine Apparat so lange, bis alle Speckstücke ausgeschmolzen und das Öl verbrannt war, so dass am Boden der Dose nur eine schlackenartige Masse zurückblieb, der Docht war völlig verbrannt, aber das Feuer hatte sich allmählich über die ganze Oberfläche der Schlackenmasse verbreitet. Es stellte sich jetzt heraus, dass, wenn man von Zeit zu Zeit vorsichtig ein paar Speckstücke auflegte, der Apparat auch ohne Docht unbegrenzt brennen konnte.
Während der ersten Zeit hatten wir unbeschreiblich viele Quälereien mit unsern Kochapparaten. Zuweilen erschien es uns ganz unmöglich, sie zum Brennen zu bringen. In der Morgenkälte 2-3 Stunden damit hinzubringen, um »Feuer anzumachen«, das war ein sehr mässiges Vergnügen. Zuweilen war es nicht möglich, die kleine, trübe Flamme, die zwischen den Speckstücken flackerte, zu entfachen. Dann konnte es 5-6 Stunden währen, bis die Pinguinsuppe fertig war, und einmal war die Suppe aus diesem Grunde erst gegen Mitternacht geniessbar.
Allmählich aber kamen wir hinter die Geheimnisse der Tranqualmer-Technik, und gegen Ende des Winters waren wir förmliche Virtuosen im Anfachen eines flammenden Feuers mit Rauch und Russ.
Nicht ohne Grund führten die Kochapparate ihren Namen »Tranqualmer«. Obwohl wir sie mit einem ganzen Kranz von Luftlöchern zwecks vollständigerer Verbrennung versehen und ausserdem aus leeren Schweinebratendosen einen Schornstein angefertigt hatten, der von der Küche direkt ins Freie führte, so füllte sich doch die Küche jedesmal, wenn wir den Apparat anheizten, mit dichten Rauchmassen. Zuweilen, wenn der Schneesturm nicht nur das Kochrohr, sondern auch alle andern kleinen Löcher verstopfte, füllte ein so dichter Rauch das Zelt, dass wir bei dem schwachen Lampenschein einander kaum zu erkennen vermochten. Es war sonderbar, dass wir diese Unmengen Rauch so gut vertragen konnten. Nur ganz ausnahmsweise riefen sie einmal Kopfschmerzen und Übelkeit hervor.
Die Lampe liessen wir auch während der Nacht brennen, um die Luft im Zelt ein wenig zu erwärmen, jeden Abend bekam sie einen neuen Docht, wurde mit Speck gefüllt und in dem jetzt nicht benutzten Unterteil unseres Petroleumkochapparats an einen brandsicheren Platz gestellt. Zuweilen, wenn auch nur selten, brannte sie ruhig die ganze Nacht hindurch, gewöhnlich aber erlosch sie gegen Morgen. Ein paarmal fing die ganze trocken gebrannte Speckmasse Feuer und entwickelte einen scharfen, brenzeligen Qualm, der uns hätte ersticken können, wenn nicht einer von uns erwacht wäre und das rauchende Ding gelöscht hätte.
Von dem Tage an, als wir die Hütte bezogen, wurden alle Arbeiten gleichmässig unter uns verteilt. Jeden dritten Tag kam an einen jeden von uns die Reihe, draussen im Vorplatz auf der Gemüsekiste zu sitzen und unser einfaches Mahl zu bereiten. Wenn der arbeitsvolle Kochtag beendet war, kroch man mit einem angenehmen Gefühl der Erleichterung in den Schlafsack, denn nun hatte man zwei ganze, freie Tage vor sich! Aber die Beschäftigungslosigkeit war auf die Dauer nicht angenehm. Schon am zweiten Tage lag man da und sehnte sich, wieder an die Küchenarbeit zu kommen. Auf diese Weise entstand ein wohltuender Wechsel in dem übrigens sträflich einförmigen Winterleben.