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Otto Nordenskjöld.

XXVIII. Die Heimkehr mit der »Uruguay«.

Der Besuch in der Hoffnungsbucht. – Die argentinische Entsatzkommission. – Die Ankunft auf der Staaten-Insel und in Santa Cruz. – Wieder im La Plata-Flusse.

 

Ehe wir für immer die antarktischen Gegenden verliessen, hatten wir noch ein Interesse wahrzunehmen. Auf der Winterstation an der Hoffnungsbucht hatte Andersson eine grossartige Sammlung von Pflanzenfossilien und andern geologischen Proben niedergelegt, die Frucht einer langwierigen und mühevollen Arbeit. Bei sonnenhellem Wetter dampften wir an der Dundee-Insel entlang, noch einmal warfen wir einen Blick auf diese Landschaft, die uns die Macht der Gewohnheit, wenn auch nicht lieben, so doch als Teil unseres eigenen Lebens betrachten gelehrt hatte. Wir bogen in den Sund ein, vorüber an den Inseln, die ich nach unsern Errettern die Argentinischen genannt habe: die Irizar-Insel und die Uruguay-Insel, und gingen schliesslich in der Bucht vor Anker, die meine erste Erinnerung von der östlichen Küste des Landes bildet. Das Wetter sah recht drohend aus, und der Kapitän wünschte, so schnell wie möglich ins offene Wasser hinauszukommen, weshalb nur Andersson und ich an Land ruderten. Dort stand ihre jetzt verfallene Hütte, die, nachdem das Dach und die innere Zeltwand fortgenommen waren, nur einem gewöhnlichen Steinhügel glich, aber auch noch in dieser Gestalt der Zukunft ein Zeugnis davon ablegen konnte, was Menschen auf diesem Fleck Erde ausgerichtet hatten. Rings umher wimmelte die grosse Kolonie von Pinguinen, die offenbar froh waren, wieder die unumschränkten Beherrscher ihrer Welt zu sein.

Die Nacht brach bereits herein, als wir das Deck der »Uruguay« wieder betraten. Jetzt endlich war die Arbeit beendet, die zweijährige Arbeit in der Welt des Eises und die dreieinhalbmal vierundzwanzigstündige fast ununterbrochene Wirksamkeit, die einen so denkwürdigen Abschluss dieser Periode bildeten. Jetzt konnten wir uns alle der Ruhe hingeben, bis zu der Stunde, wo wir wieder in das pulsierende Weltleben eintraten.

Hier könnte auch mein Bericht von der Expedition seinen Abschluss finden. Aber als Rahmen zu dem Gemälde, das meine Kameraden und ich in dem Vorhergehenden zu geben versucht haben, dürften unsere Eindrücke von der nun folgenden Übergangsperiode von Interesse sein, wenn man eine Zeit so benennen kann, die von der vorhergehenden so verschieden war, dass sich kaum ein Vergleichspunkt finden lässt.

Es ist natürlich, dass wir den lebhaften Wunsch hegten, alle möglichen Aufklärungen über die Expedition zu erlangen, die unsere Rettung vollbracht hatte. Ehe die »Antarctic« zum letztenmal die bewohnte Welt verliess, hatte J. Gunnar Andersson teils nach Schweden, teils an das General-Konsulat in Buenos Aires einen Bericht über die Pläne der Expedition erstattet und darin gesagt, dass, wenn man bis zum 1. Mai 1903 keine Nachricht von der »Antarctic« erhalten habe, man annehmen könne, dass ihr ein Unglück zugestossen sei. Auf diese Äusserung hin hatte die schwedische Regierung einen Kostenanschlag gemacht, dessen Bewilligung die Gyldènsche Expedition ermöglichte, zu der ausserdem auf privatem Wege grosse Beiträge eingesammelt waren.

Ganz unabhängig hiervon entwarf der berühmte Gelehrte F. P. Moreno einen Plan zu einer von Argentinien ausgehenden Entsatzexpedition, der auch zur Ausführung gelangte, dank dem energischen Auftreten des Marineministers Kommandeur Onofre Betbeder. Die ursprüngliche Absicht war, ein Schiff in Norwegen oder in Schottland zu kaufen, da aber in dieser Jahreszeit nichts passendes zu erhalten war, beschloss man, ein älteres Kanonenboot, die »Uruguay« umzubauen. Dass so ein eisernes Schiff niemals ein gutes Eismeerschiff werden konnte, kräftig genug, um einen dichten Gürtel aus Packeis zu zwingen, liegt ja auf der Hand, aber nichts, was für Geld zu machen war, wurde ausser acht gelassen, und im Grunde war nicht viel von dem alten Schiff übrig geblieben, mit dem ich im Jahre 1895 die Fahrt zwischen Buenos Aires und dem Feuerland gemacht hatte. Als eigentümlicher Beweis für die Verschiedenheit der Eisverhältnisse in den verschiedenen Jahren, zu der man ein Gegenstück im nördlichen Fahrwasser kaum kennt, mag für alle Zeiten die denkwürdige Erfahrung dienen, dass dasselbe Gebiet, wo vor einem Jahr in der günstigsten Sommerzeit ein Schiff wie die »Antarctic« vom Eise zermalmt wurde, jetzt schon zu Anfang des Monats, dem auf der nördlichen Halbkugel der Mai entspricht, von der »Uruguay« durchschifft werden konnte, ohne dass man auch nur auf einen hindernden Eisgürtel gestossen wäre. Es wäre sicher möglich gewesen, in diesem Jahre eine gute Strecke südlich an der Küste vorzudringen.

Anders Karlsen. Erster Maschinist auf der »Antarctic«

Als Chef der Expedition wurde der damalige Marineattaché in England der Kommandeurkapitän Irizar, zurückberufen. Der zweite Offizier war Kapitän Hermelo, dem sich die Leutnants Jalour und Fliess, sowie als Repräsentant für Chile Leutnant Chandler Bannen anschlossen. Als Arzt fungierte Dr. Garrochategui, und das Amt der Maschineningenieure versahen die Herren J. Bertodano und G. Carminatti. Der hauptsächlichste Teil der Ausrüstung wurde in England angeschafft, grosse Geschenke wurden von verschiedenen argentinischen Firmen gemacht, und infolge angestrengter Arbeit war man schon im Oktober zum Aufbruch bereit. Dass die Ausrüstung reichlich und von bester Art war, können wir alle aus eigener Erfahrung bezeugen.

Der Verabredung gemäss, sollten die schwedische und die argentinische Expedition zusammenwirken, und zu diesem Zweck sollte die letztere in Ushuaia auf die erstere mindestens bis zum 1. November warten. Indessen wurde der »Frithiof« unterwegs so sehr zurückgehalten, dass noch am 26. Oktober, von welchem Tage die letzten von Punta Arenas über Ushuaia abgesandten Telegramme datiert waren, keine Nachricht eingetroffen war, wie weit der »Frithiof« gekommen sei. Da ausserdem die Witterungsverhältnisse günstig erschienen, hielt Kapitän Irizar es für unverantwortlich, über die verabredete Zeit hinaus zu verweilen, was ja auch ganz natürlich war, in Anbetracht der Besorgnisse um unsere Sicherheit, die seine Expedition ins Leben gerufen hatten. Infolge der unerwartet günstigen Eisverhältnisse, und noch mehr infolge des wunderbaren Zusammentreffens mit Larsen an demselben Tage, an dem die »Uruguay« auf unserer Station anlangte, war es ihr vergönnt gewesen, nur zehn Tage nach Abgang des Schiffes aus Ushuaia uns alle an Bord versammelt zu sehen.

Selbstredend waren Irizar und seine Begleiter erfreut über das Glück, das ihrem Unternehmen vergönnt gewesen war, aber selbst unter diesen Verhältnissen kann ich nicht umhin, die beispiellose Gastfreundschaft hervorzuheben, mit der wir an Bord empfangen wurden. Eine vollständige Ausrüstung an Winterkleidern lag für uns bereit, und alles, was wir sonst gebrauchten, erhielten wir aus den Privatvorräten der Offiziere. Dass diese uns ihre ganze Bequemlichkeit zum Opfer brachten, habe ich ja bereits erwähnt; nichts wurde versäumt, was uns den Aufenthalt an Bord so angenehm wie möglich machen konnte, und mit herzlichem Dank kann ich bezeugen, dass mir niemals eine grössere persönliche Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit begegnet ist.

Da Kapitän Irizar ebenso wie wir den lebhaften Wunsch hegte, so schnell wie möglich eine Telegraphenstation zu erreichen, so wurde beschlossen, dass nach einem Besuch des argentinischen Observatoriums auf der Neujahrsinsel, zwecks Vergleichung unserer magnetischen Instrumente mit den dort aufgestellten, unser nächstes Ziel der leicht zugängliche Hafen von Santa Cruz sein sollte.

Durch stürmisches Wetter zog sich die Ueberfahrt so in die Länge, dass wir erst am 18. November die Staaten-Insel erreichten. Bodman und Sobral stiegen an der Neujahrsinsel an Land, während wir andern nach der Hauptinsel fuhren, wo wir im Cook-Fjord vor Anker gingen. Kaum hier angelangt, wurde ein Boot herabgelassen, und so viele von uns, wie Platz fanden, eilten hinab, um die Gelegenheit zu benutzen, wieder festen Boden unter den Füssen zu haben.

Nie werde ich den Eindruck vergessen, den das Fis und die Einöde in den antarktischen Ländern auf mich ausübten, als ich vier Tage nach unserer Ausreise an demselben Punkt, auf dem wir uns jetzt befanden, ihre erste Bekanntschaft machte. Jetzt wiederholte sich derselbe Eindruck in umgekehrter Reihenfolge. Der Cook-Fjord selber ist grossartig mit steilen, bewaldeten Bergwänden, und hohen, kühn geformten Gipfeln, auf denen an einzelnen Stellen noch kleine Schneeflecke sichtbar waren. Eine schmale, niedrige Landzunge trennt sie von der von Süden her eindringenden Vancouver-Bucht. Ich will mich hier nicht auf alle die älteren Besucher berufen, die diese Natur als fürchterlich in ihrer öden Wildheit beschrieben haben, denn diese Schilderungen sind wahrscheinlich sehr übertrieben. Aber davon abgesehen, kann man schwerlich einen schlagenderen Beweis für die Wahrheit des Satzes finden, dass alles auf Vergleich beruht, als den Eindruck, den diese Natur jetzt auf mich machte.

Das argentinische Observatorium auf der Neujahrsinsel

Der Tag war regnerisch, und wir trugen noch immer dieselbe warme Kleidung wie während der Überfahrt über den Drake-Sund. Wir landeten an einem kleinen Streifen Landes mit bunten Geröllsteinen und leisem Wellengeplätscher, aber wie verschieden dies auch von dem war, was im allgemeinen unsern Blicken in den Südpolargegenden begegnete, so vergass ich doch alles über dem unbeschreiblichen Genuss, nach so langer Zeit zum erstenmal grünes Gras zu sehen. Und was war das, was dort zwischen den Steinen hervorschimmerte? Eine Blume, klein und unbedeutend, und doch, welchen Sturm von Gefühlen erweckte sie nicht in mir! Ich gehe weiter, dem Lande zu, zuerst unter der dichten Wölbung grünender Buchengesträuche, dann in einem kleinen Tal entlang, wo hohe Bäume wuchsen. Welche überwältigende Pracht, welch ein Grün, welchen Reichtum besassen nicht diese Bäume, selbst im Vergleich zu anderm, als den fast unsichtbaren Flechten, die für uns so lange die ganze Pflanzenwelt vertreten hatten. Und als ich ein paar Berberitzen sah, die ganz mit roten, glockenförmigen Blüten übersät waren, da glaubte ich mich plötzlich in ein wirkliches Paradies versetzt. In der Luft flogen Insekten, darunter auch einige grosse, gelbe Schmetterlinge, in den Büschen rings umher zwitscherten Scharen kleiner Vögel. Ich mochte gar nicht weiter gehen! Die Sonne brannte nicht mit der stechenden Hitze, wie man ausnahmsweise einmal in dem eisbedeckten Süden erleben kann, sondern sie strahlte eine feuchte, erquickende Wärme aus, wie sie da unten nicht denkbar ist. Man hatte ein Gefühl, als sei man in ein Treibhaus gekommen, aber der uns umgebende Wald war keine Treibhausvegetation, sondern reiche, echte Natur, und wenn ich meinen Eindruck mit etwas anderm vergleichen soll, so fällt mir nichts besseres ein, als meine Gefühle beim Anblick der Tropenwälder Brasiliens.

In der Frühe des 20. ging die Fahrt wieder nordwärts, und am Nachmittag des 22. dampften wir in den Santa Cruz-Fluss ein. Abermals standen wir im Begriff, einen dieser Riesenschritte zu machen, der uns, die ersten Bewohner der West-Antarktik, wieder in gewöhnliche Repräsentanten abendländischer Zivilisation verwandeln sollte. Ein grosser Fluss, selbst das war schon etwas neues für uns. Dort am Ufer lag eine menschliche Wohnung, eine ganze Gruppe von Häusern, eine argentinische Estancia. Oben auf den Grashügeln weidete eine Herde Schafe, und dort in der Ferne kam ein Reiter; wie sonderbar uns dies alles jetzt erschien! Eine Reihe Häuser tauchte am Horizont auf, eifrig betrachteten wir durch das Fernrohr die erste kleine Stadt, die unsern Besuch empfangen sollte, und dort alle Gläser traten schnell in Wirksamkeit, dort sahen wir zum erstenmal seit zwei jähren eine Vertreterin des weiblichen Geschlechts!

Aber nichts von alledem hatte uns hierher gelockt. Jetzt standen wir dem grossen Augenblick gegenüber, wo wir der Welt kundtun sollten, was wir ausgerichtet, wo wir unsern Lieben mitteilen sollten, dass wir uns endlich auf dem Heimwege befanden. Ich hatte einen Bericht über das Schicksal der Expedition geschrieben, bestimmt, auf telegraphischem Wege Sr. Majestät dem König übersandt zu werden, ferner ein Telegramm an den Präsidenten der argentinischen Republik und an den Marineminister, sowie an den Generalkonsul in Buenos Aires, und ausserdem hatte fast jeder von uns einen ganz kurz gefassten telegraphischen Gruss an unsere nächsten Angehörigen im Norden aufgesetzt. Wir waren indes nicht die einzigen, die den Wunsch hatten, sich des Telegraphen zu bedienen; der Chef der »Uruguay« hatte einen ausführlichen Bericht ausgearbeitet, der auf diese Weise befördert werden sollte, die Offiziere, die Korrespondenzen für argentinische Zeitungen übernommen hatten, schickten spaltenlange Artikel ab, und wohl an Hundert Privattelegramme der Offiziere und Mannschaften an Verwandte und Freunde lagen bereit, um dem Draht übergeben zu werden. Ich liess mir keine Zeit, zu Mittag zu essen, sondern begab mich gleich in Begleitung eines der Offiziere mit dem ersten Boot an Land. Eine ganze Schar von Menschen kam uns am Ufer entgegen, staunend und fragend und laut jubelnd, als sie erfuhren, mit welchem Erfolg die von ihrem Lande entsandte Expedition gekrönt war. Wir eilten nach der Telegraphenstation, es vergingen mehrere Stunden, ehe alle Telegramme durchgesehen und sortiert waren; ehe wir aber den Platz verliessen, hatten sich doch die ersten Nachrichten schon über die Erde verbreitet, von unsern wunderbaren Schicksalen erzählend, und verkündend, dass die nördliche wie auch die östliche Küste der West-Antarktis bis zum Polarkreise hinab jetzt geographisch und naturwissenschaftlich erforscht waren.

In Santa Cruz

Noch einen guten Teil des folgenden Tages verweilten wir in Santa Cruz, um uns Kleider und allerlei andere Gebrauchsgegenstände anzuschaffen. Ausserdem benutzten wir die Gelegenheit, unsere erste zivilisierte Mahlzeit an Land einzunehmen, deren Glanzpunkt aus Hammelbraten mit frischen Kartoffeln bestand. Der Hauptzweck unseres Verweilens war jedoch der Wunsch, Antwort auf so viele der abgesandten Telegramme wie nur möglich abzuwarten. Aus Schweden konnten wir keine Nachricht erhalten, aber Präsident Roca sandte uns einen telegraphischen Glückwunsch zu unserer Errettung und zur Betretung des argentinischen Bodens. Von der schwedischen Expedition wusste man in Santa Cruz nichts, aber Kapitän Irizar erhielt in einem seiner Telegramme die Nachricht, dass sie vor einigen Tagen Punta Arenas verlassen habe, und dass sie jetzt folglich von keinem Telegramm zu erreichen sei. Diese Kunde kam uns ganz unerwartet, wir hatten immer gehofft, dass wir der schwedischen Expedition begegnen würden, und dass sie einige Monate für wissenschaftliche Forschungen in der Antarktis opfern würde; mehrere unter uns waren keineswegs abgeneigt, sich ihr in diesem Falle anzuschliessen.

Bei zunehmender Wärme und immer günstigerer Witterung ging die Fahrt von Santa Cruz gen Norden schnell von statten. Alle unsere Tätigkeit war jetzt auf Briefschreiben konzentriert, alle Plätze am Tische, wo ein Tintenfass stehen konnte, waren beständig besetzt. Der Chef hatte den 1. Dezember als den Tag unserer Rückkehr nach Buenos Aires angegeben; bei dem jetzt herrschenden Wetter machte es keine Schwierigkeit, in dieser Beziehung pünktlich zu sein. Schon am Morgen des 30. November liefen wir in die mächtige, gelbliche Flut des La Plataflusses ein, bei einer erstickenden tropischen Hitze, die wir trotz der dünnen Kleidung sehr empfanden. In einer entlegenen Bucht ging die »Uruguay« vor Anker, weil noch ein Teil der zum Empfang nötigen Arbeiten, wie Malen und Reinigen, im Schutz gegen Seegang ausgeführt worden musste.


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