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Das Packen. – Der Abschied von Snow Hill. – Noch einmal nach der Station zurück. – An Bord der »Uruguay«. – Die Ankunft auf der Paulet-Insel. – Die Expedition wieder vereint.
Kisten und Säcke wurden jetzt hervorgesucht, und das Packen war bald in vollem Gange. Vieles von dem, was wir mitnehmen wollten, war schon fertig und brauchte nur an den Strand hinabgetragen zu werden, vor allem die Sammlungen, die wir im Laufe der Zeit zusammengestellt hatten. Schon bei Sonnenaufgang konnten die ersten Schlitten abfahren. Der Transport war lang und schwierig, das Eis war sehr schlecht, und alles musste ungefähr sechs Kilometer entfernt, nach der östlichen Spitze der Insel transportiert werden. Auch auf dem Schiff, das uns abholte, war es sehr eng, darauf waren wir bereits vorbereitet, und wenn wir Buenos Aires einmal erreicht hatten, so stand uns noch die lange Fahrt über den Ozean bevor. So blieb uns denn keine Wahl: wir mussten viel zurücklassen, das entweder an sich oder durch die damit verknüpften Erinnerungen für uns von Wert war. Dahin gehörte in erster Linie fast unsere ganze Ausstattung, Schlitten, Schlafsäcke, Einrichtungen aller Art, ferner die umfangreichen bakteriologischen Apparate des Doktors, unsere benutzten Kleider mit all den daran haftenden Spuren unserer Lebensweise und die in dieser Beziehung noch weit interessanteren Gegenstände, an welche die Kameraden während ihrer Überwinterung an der Hoffnungsbucht so viel Arbeit und Nachdenken verwendet hatten, und die, wenn sie in die Heimat mitgenommen wurden, der Welt von den Entbehrungen erzählen konnten, mit denen das antarktische Eskimoleben verbunden war.
Larsen begab sich gleich am Morgen an den Sund, um an Bord der »Uruguay« zu gehen, wo er, wie man leicht verstehen wird, mit Überraschung und Freude wie ein von den Toten Auferstandener begrüsst wurde. Jetzt war auch die Rettungsexpedition beendet, jetzt war es klar, dass wir alle in ihrer Obhut zur Zivilisation zurückkehren würden. Kurz zuvor hatte sich der zweite Offizier an Bord, Kapitän Hermelo, auf der Station eingefunden, um mir mitzuteilen, dass der Chef sein äusserstes tun werde, um die Verlorenen aufzufinden. Ich konnte ihm darauf erwidern, dass das Aufsuchen keine weitere Mühe machen würde, als eine einfache Fahrt nach der Paulet-Insel.
Wir hatten in den letzten Tagen das schönste Wetter gehabt, jetzt fing leider ein kräftiger Wind an zu wehen, und es war klar, dass das Anbordschaffen der Sachen fast unüberwindliche Schwierigkeiten im Gefolge haben würde. Um so wichtiger war es daher, falls der Wind ein wenig nachlassen sollte, keinen Augenblick zu verlieren. Schlitten auf Schlitten wurde entsandt, mit so schweren Lasten, wie nur die Hunde und die Mannschaft sie zu ziehen vermochten. Im Laufe des Tages blieben alle, die ihre Arbeit beendet hatten, dort zurück, eine Gelegenheit abwartend, um sich an Bord des Schiffes begeben zu können. In später Nachmittagsstunde hatten wir endlich den wertvollsten Teil unserer Ausrüstung, Aufzeichnungen, Photographien und die empfindlichsten Instrumente an den Strand hinabgeschafft und auf die Schlitten wie an die verschiedensten Personen verteilt. Alles stand jetzt bereit, zum letzten Male ging ich durch die Räume, wo wir in den verflossenen Jahren so viel erlebt hatten, die aber jetzt öde und unordentlich aussahen. So sorgfältig wie möglich wurde die Tür verrammelt, und wir eilten zu dem wartenden Schlitten hinab. Der kleinste der Hunde, Klein-Kalle, wollte nicht mitkommen, ich musste zurückgehen und ihn suchen, aber er widersetzte sich so kräftig, dass wir ihn schliesslich auf dem Schlitten festbinden mussten. Ein letzter Blick auf den Platz, mit dem so viele Erinnerungen verknüpft waren, und wir begaben uns alle auf das Eis hinaus.
Die Last war sehr schwer und die Schlitten sanken beständig in den tiefen Schneeschlamm ein, es ging aber trotzdem vorwärts, und bald waren wir draussen an der Stelle, wo die ersten Fuhren abgeladen waren. Alles lag noch dort. Unsere Kameraden, die vor uns angelangt waren, sassen noch da, und nicht einmal Kapitän Hermelo hatte an Bord kommen können, obwohl der Tag schon zu Ende ging. Die »Uruguay« ging eine Strecke vom Ufer entfernt hin und her und hatte im Laufe des Tages ein unangenehmes Erlebnis gehabt, indem sie auf Grund geraten war, während eine grosse Eisscholle, die an ihrer Seite entlang trieb, die Situation einen Augenblick recht kritisch machte. Gleichzeitig hatte das Schiff eines seiner Boote verloren, das an der Seite geschleppt hatte. Die See ging hoch, aber wir erwarteten trotzdem, dass ein Boot kommen und uns abholen würde; und so sassen wir denn da am Strande und beobachteten das Manöverieren des Schiffes. Aber eine Stunde nach der andern verstrich, ohne dass es den Anschein hatte, als kümmere man sich um uns, und als bald die Nacht hereinbrach, blieb uns nichts weiter übrig, als zurückzukehren und noch einmal Schutz unter dem Dach der Station zu suchen.
Der Wind hatte zugenommen, und in einem kalten, pfeifenden Schneesturm legten wir den Heimweg über das Plateau zurück. Es war ein beschwerlicher Tag gewesen, obwohl wir an dies Klima und diese Lebensweise gewöhnt waren, und für uns war das Haus selbst in seiner jetzigen Verfassung gut genug. Dahingegen tat es uns leid, dass wir dem argentinischen Freund, der so unerwartet unser Gast geworden war, nicht etwas mehr Bequemlichkeit zu bieten vermochten. Wir schliefen aber, so lange es uns vergönnt war, alle gut während der letzten Nacht unter dem Dach der Snow Hill-Station.
Indes durften wir keine Zeit versäumen und standen daher am nächsten Morgen sehr früh auf. Ich verliess als erster die Station und versprach, von dem Plateau-Hügel zu signalisieren, falls sich die Verhältnisse zur Einschiffung günstig erweisen sollten. Ich musste weit gehen, bis ich sehen konnte, dass die »Uruguay« ihre Boote ausgesetzt hatte, und als ich nach dem Basalthügel zurückkam, sah ich, dass das Signalisieren keinen Zweck mehr hatte. Es war inzwischen viel windstiller geworden, und auf der Station war man klug genug gewesen, um einzusehen, dass es vernünftig sei, sich so schnell wie möglich auf den Weg zu machen.
Als wir an unserm Depot anlangten, war bereits eine Bootsladung abgeholt, und in ganz kurzer Zeit legten zwei Boote am Ufer an, das eine von Larsen gesteuert, der mir, indem er an Land stieg, eine Apfelsine reichte, die er von der »Uruguay« mitgebracht hatte, der erste Gruss, den ich aus der Kulturwelt erhielt. Bald waren die Boote beladen und gingen wieder in See. Ich selber blieb noch zurück, sammelte die Überbleibsel unserer Sachen zusammen und wartete auf allerlei anderes, was noch nicht angelangt war.
Kurz bemessen war die Zeit, die ich noch an dem Strande dieser Insel verbringen durfte, auf der wir unsere Station gehabt hatten. Als die Boote zurückkehrten, waren wir alle bereit, und mit schnellen Ruderschlägen ging es der errettenden »Uruguay« entgegen, die stolz auf den Wogen schaukelte. Offiziere und Mannschaft hatten sich an der Reeling aufgestellt, die schwedische Flagge wehte am Topmast, als wir uns näherten, und ein brausender Hurraruf begrüsste uns beim Betreten des Deckes. Dies war ein feierlicher Augenblick, unsere Expedition mit allen ihren Sorgen und Widerwärtigkeiten, aber auch mit ihren reichen Erinnerungen an Arbeit und Entdeckungen war jetzt beendet, – wir waren hinfort nur Gäste und Passagiere.
Einige Augenblicke später, und wir befanden uns auf dem Wege gen Norden. Die Fahrt erfuhr jedoch noch eine Unterbrechung. Infolge des hastigen Aufbruchs von der Seymour-Insel waren unsere Sammlungen dort zum Teil zerstreut liegen geblieben, und mit Kummer hatte ich daran denken müssen, wie wenig wir von den in hohem Masse interessanten Pflanzenfossilien mit in die Heimat führten. Ich selber hatte nicht gut dahin zurück gekonnt, aber Gunnar Andersson hatte sich in der Frühe dieses Morgens in Begleitung eines Mannes dorthin aufgemacht, und diese beiden mussten wir nun am Nachmittag von der Pinguinbucht abholen. Das Boot, das zu diesem Zweck entsandt wurde, nahm von der »Uruguay« ein herrliches Proviantdepot mit, zum Nutzen kommender Expeditionen in diesen Gegenden.
Es war fast Abend geworden, ehe das Boot zurückkehrte und wir alle versammelt waren. Ich stand allein auf Deck und liess die Blicke an der vorübereilenden Küste entlangschweifen. Wie sonderbar erschien es mir, dass ich hier jetzt auf einem Dampfer fuhr, wenn ich an unsere Wanderungen zu Fuss oder mit dem Schlitten dachte. Wie hatte sich unsere Lage in einer so kurzen Zeit von 48 Stunden verändert! Aber in die Freude über die Gewissheit, jetzt auf dem Heimwege zu sein und für die Zukunft alle Sorgen abgeschüttelt zu haben, die so lange unser Gemüt bedrückten, mischte sich ein Gefühl tiefer Wehmut. Eine Phase des Lebens war jetzt abgeschlossen, sollte nie wiederkehren. Wie viele Erinnerungen knüpften sich nicht an jede Felsklippe, über die das Auge glitt, niemals würde ich diese beiden kahlen Sandsteininseln vergessen, die lange Jahre hindurch unsere Heimat gewesen waren!
Jetzt fuhren wir an der nördlichen Landspitze vorüber, und das Land lag hinter uns, entschwand mehr und mehr unsern Blicken. Ich ging in die Messe hinab, und unter Geplauder mit unsern liebenswürdigen Wirten enteilte der Abend. Es war eng an Bord geworden, wenn auch lange nicht so eng wie später, nachdem sich unsere zwölf zurückgebliebenen Kameraden mit uns vereinigt hatten. Der zweite Offizier hatte mir seine Kajüte überlassen, und während unsere Wirte sahen, wie sie am besten unterkamen, waren wir Fremdlinge aufs beste einquartiert.
Noch hatte ich eine Aufgabe zu erfüllen, ehe ich mich dem Genuss des Schlafes hingeben konnte. Doch warf ich mich angekleidet in meine Koje, um eine Stunde zu ruhen, bis wir die Paulet-Insel erreichten. Vor zwei Uhr war ich schon wieder auf Deck. Es war ein herrlicher Morgen mit der wunderbaren nächtlichen Beleuchtung, wie man sie nur in den Polargegenden sieht. Alles war still, das Meer tiefblau und eisfrei, und nur einige Würfel und Schollen schimmernden Eises erschienen hin und wieder auf der Oberfläche. Vor uns erhob sich die Eiswölbung der Dundee-Insel, und den Mittelpunkt in diesem Gemälde bildete die dunkle vulkanische Insel, die jetzt unser Ziel war.
Immer näher heran kamen wir, schon unterschieden wir mit dem Fernrohr das mächtige Wahrzeichen, das die Schiffbrüchigen auf dem höchsten Gipfel errichtet hatten, um die Aufmerksamkeit einer erwarteten Entsatzexpedition auf sich zu ziehen. Alles schlief noch, ausser den sich im Wasser tummelnden Scharen von Pinguinen, die schleunigst vorübereilten, als wollten sie den Weg an den Strand zeigen, wo unsere Gefährten von einer Rettung träumten, die, ohne dass sie es wussten, ihnen schon so nahe war. Das Eis verdichtete sich immer mehr und bildete an der Insel einen zusammenhängenden Rand. Jetzt fuhren wir an der letzten Landspitze vorüber, und vor uns lag die unermessliche Pinguinkolonie, die ich vor 22 Monaten von der »Antarctic« aus besucht hatte. Nun zeigte man uns einen niedrigen, kaum sichtbaren Steinhügel, der während so langer Zeit zwanzig Personen als Heim gedient hatte.
Es war Schlag 4 Uhr, als die Sonnenscheibe sich über dem Horizont erhob, die ganze Natur in ihren goldenen Glanz hüllend. Tief ergriffen von der Bedeutung der Stunde, betrachteten wir das uns umgebende Bild, als plötzlich die Stille durch die Dampfpfeife der »Uruguay« unterbrochen wurde. Einmal, zweimal, dreimal liess sie ihren Ton erschallen, der von dem Echo der Felsen zurückgeworfen wurde. Während meines ganzen Lebens habe ich mich nicht so ergriffen gefühlt, wie in diesem Augenblick. Feierlich ist nur ein schwacher Ausdruck, aber er ist der bezeichnendste, den ich finden kann. Alles war so anders als in dem denkwürdigen Augenblick, wo ich selber als überraschter Teil mitten in der Handlung stand. Hier war ich im Grunde nur ein Zuschauer, aber ich empfand es deswegen vielleicht um so tiefer, dass wir doch alle als unerwartete Erretter zu den Kameraden kamen und sie aus einer Lage befreiten, die an Düsterkeit wohl kaum übertroffen werden kann.
Eine ganze Weile war vergangen, seit die Dampfpfeife ertönte, da wurde es in dem Steinhaufen lebendig. Einer nach dem andern kroch aus der Luke heraus. Man glaubte fast sehen zu können, mit welchen Blicken der Verwunderung sie uns betrachteten, noch im Zweifel, ob es Traum oder Wirklichkeit sei, man sah, wie sie eifrig gestikulierten und miteinander redeten, und wie alle allmählich an den Strand herunterkamen. Bald waren auch unsere Boote ausgesetzt, und wir suchten, uns zwischen den Eisstücken hindurchwindend, nach einem geschützten Platz, an dem wir landen konnten. Russgeschwärzt, schmutzig, abgemagert, in zerrissenen Kleidern kamen uns unsere Kameraden entgegen, aber ihre Gesichter, denen die Entbehrungen des Winters ihr Gepräge aufgedrückt hatten, strahlten vor Freude. Wir begrüssten einander – nach wechselvollen Geschicken war die Expedition wieder vereint.
Es war noch allerlei zu beschaffen, ehe wir die Fahrt fortsetzen konnten. Fast mit Andacht betrachteten wir die feuchte, schwarze Hütte, in der alle diese Männer einen ganzen Winter zugebracht hatten. Alle Kostbarkeiten mussten gesammelt werden, sowohl das, was einstmals von der »Antarctic« gerettet wurde, wie auch die wissenschaftlichen Schätze, die während des Aufenthalts auf der Insel zusammengetragen waren. Auch hier wurde ein ausgezeichnetes Depot von dem Proviant der »Uruguay« errichtet, und man konnte sich kaum eines Gefühls des Neides erwehren, wenn man daran dachte, was diese Vorräte an Konserven, Zucker, Brot usw. bedeutet haben würden, wenn sie ein paar Monate früher dort vorhanden gewesen wären. Auch als Erinnerung an unsere Expedition wurde ein nicht geringer Vorrat an Konserven, Schiffsbrot, Petroleum und andern Artikeln dem Depot übergeben.
Jetzt lag uns noch die Erfüllung einer traurigen Pflicht ob. Einer der Kameraden hatte während des gestrigen Tages an Bord der »Uruguay« ein Kreuz mit Inschrift gezimmert, das bestimmt war, den mächtigen Steinhaufen zu krönen, unter dem Wennersgaard seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Schweigend umstanden wir den Hügel, in tiefer Dankbarkeit gegen Ihn, der uns davor bewahrt hatte, für immer von dem Vaterlande und unsern Lieben in der Heimat getrennt zu bleiben und unser Leben an diesem öden Strand zu beschliessen, wo die Scharen der Pinguine bald die einzige Grabeswache bilden würden.
Alle Arbeiten wurden mit Energie betrieben, aber das Depot war gross, und die Entfernung von dem Landungsplatz war weit. Indessen vergingen auch diese Stunden, und endlich waren wir bereit, uns wieder an Bord zu begeben. Genau zählten wir alle nach, die in die Boote stiegen, damit niemand in der letzten Stunde zurückbleiben möchte. Abermals bestiegen wir das rettende Schiff, das jetzt den Kurs nach dem dritten Überwinterungsplatz, der Hoffnungsbucht, lenkte.
Und hier müssen wir nun die Mannschaft von der »Antarctic« selber ihre merkwürdigen Schicksale schildern lassen, von der Stunde an, wo Andersson und seine Begleiter in der Hoffnungsbucht an Land stiegen bis zu den beiden Wiedervereinigungstagen vom 8. und 11. November 1903.