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Die Stadt streckt sich vor Glück. Wer denkt noch daran, dass sie einmal stöhnte? Jetzt ist sie gross und blank vor neuer Schönheit und kann atmen, mit breiten Strassen, Gärten und Promenaden. In jedem Jahr fast dieses kaiserlichen Jahrzehnts schlug sich eine mächtige Bahn frei durch das Gerumpel der Gässchen und Häuschen und öffnete sich als Boulevard der allgemeinen Wohlfahrt: die Rivoli bis zum Stadthaus, der Boulevard de Strasbourg, die Avenuen der Kaiserin und des Bois de Boulogne, der Boulevard Malesherbes, der Boulevard du Temple – und alles dies war schon das Werk der ersten fünf Jahre. Neue, grosse, vielstöckige Häuser wuchsen an den Rändern der neuen Alleen, eines wie das andere in der gleichen Uniform der neuen eiligen Pracht, Palais schossen hoch für den neuen Adel und die allerneuesten Autokratinnen: die Gross-Kokotten – pompejanisch für Plonplon, den wichtig gewordenen, sehr griechisch für die Paiva, die nicht mehr jüngste, aber immer noch teuerste Aspasia.
Die Stadt ist gross und reich und wird immer grösser und reicher. Zum Kaiserglück gehört das Glück der Zahl, der grössten Zahl – und wo ist das Ende der Zahlengrösse? Plötzlich dehnt sich die Stadt, im letzten Jahr des Jahrzehnts, nicht satt, sondern hungrig vor Glück, der Subdiktator Haussmann, gehasst und bewundert, aber unanrührbar durch die Hand, die über ihm ist – durch die Unruhhand, die auf allen Mündern ist, zart und fest auf dem Reich, heimlich und peinlich auf allen wunden Stellen des Kontinents –, Haussmann schwingt eine Unterschrift der Glückshand: und Auteuil, Batignolles, Belleville, Berey, La Chapelle, Charonne, Grenelle, Monceau, Montmartre, Passy, Vaugirard, La Villette – elf Kommunen sind eingemeindet und dazu der Bois de Boulogne und der Jardin d'Acclimation. Seht, jetzt hat die Stadt 20 Arrondissements, 80 Quartiere, 7800 Hektar Flächeninhalt, anderthalb Millionen Einwohner, 1500 Strassen mit 740 Kilometer Gesamtlänge – das reicht von Paris bis in die Provence. Das sind kaiserliche Zahlen! Und die neuen Markthallen wachsen auf, ganz langsam, man lässt sich Zeit zu diesem riesenhaften Arsenal des guten Lebens, zu zwölf mächtigen Lebensmittelhallen, sie mögen ein Menschenalter brauchen, bis sie dastehen, in ihrer gargantuesken Bäuchigkeit und versorgenden Funktion, man freut sich, sie langsam wachsen zu sehen und genau zu wissen, dass der Appetit mit ihnen wachsen wird und dass sie da sind, ihn zu befriedigen.
Das neue Glück ist einmal kommandiert worden? Jetzt strömt es durch die neuen Boulevards und zwischen ihren neuen Häusern, die der Freude am Leben mit dem heftigen Aufgebot von Restaurants, Cafés und der konfektionierten Wunderwelt der Warenhäuser dienen, mit sonderbarer Selbstgefälligkeit und Eigenmacht. Das Glück ist da – es ist sogar lokalisiert, jetzt kümmert es sich um nichts anderes mehr. Dass es ein gehorsames Glück gibt, ist zum Lachen. Immer noch, immer noch spielen die Bouffes zum Göttercancan in der Hölle auf. Gab es nicht inzwischen wieder einmal die Hölle auf Erden? Hier ist Paris, und Paris ist das Glück. Jedermann kann es sehen, hören und spüren. Jedermann kann vor dem Café Riche oder den Artistes oder der Closerie des Lilas sitzen und wird nichts sehen als Paris, und das wird ihm genügen. Jener Villemessant, immer wichtigerer Figaro der Boulevards, darf es sagen: ein überfahrener Hund auf dem Boulevard interessiert uns mehr als ein Erdbeben in Japan.
Aber Italien ist nicht weit. Knüpfst du die 740 Kilometer der Neupariser Strassen zusammen und legst du sie nach Südosten, so bist du beinahe in Turin, bei Herrn Cavour. Ist dir, nach alledem, der überfahrene Boulevardhund immer noch näher? Ist der Stadt das Glückshemd näher als der Gloirerock? Da war doch vor einem kleinen Jahr, am 5. August, die Einweihung noch eines breiten, blanken Strassenglücks, des Boulevard Sebastopol! Das war Kaisergloire. Gibt es nicht, noch bevor sich das Jahrzehnt zur Ruhe legt, zwei neue Namen des Schlachtenruhms und sind sie für das unbekümmerte Glück gerade gut genug, einen neuen Boulevard und eine neue Brücke zu benennen? Ist denn das Glück der Stadt schon unabhängig vom Glück des Kaisers? Noch nicht, noch nicht, aber es scheint so, mit der Geburt des neuen Jahrzehnts, als könnte es Unterschiede geben – Stadtglück und Staatsglück – oder als löse sich das eine langsam vom anderen oder gar, als glaube das eine, das deutliche, nicht mehr recht an das andere, das undeutliche, nicht mehr das fraglose an das fragwürdige.
So fragt doch, um Gotteswillen, so fragt doch!
Hier ist das letzte Jahr des zugleich fraglosen und fragwürdigen Dezennalglücks, immer noch, immerzu spielt Offenbach in der Unterwelt, jeder Gassenjunge pfeift sich eins von den schlafenden, den spottenden, den rebellischen, den tanzenden Göttern, die jupiterlichen Machenschaften und der ganze mythologische Kram wachsen dir zum Hals heraus, das Galopplied, das jede Köchin kreischt, der Cancan, den jede Lorette im Bai Mabille tanzt: das Höllische geht in den kleinen Tag ein und ist nicht mehr fürchterlich. Man kennt sich aus mit der Unterwelt, man kennt ihre Praktiken auswendig. Was soll der symbolische Lärm?
Das letzte Jahr hebt mit einer so deutlichen Bemerkung des Kaisers gegen den österreichischen Botschafter an, mit einer so offiziellen Drohung beim Neujahrsempfang, mit einer so sensationellen (weil kaiserlich inspirierten) Broschüre über die Lösung der italienischen Frage, dass man doch Bescheid wissen müsste. Die Börse schreit Zeter und Mordio, die Werte fallen, die Baisse marschiert, Morny ist im Geschäft, Morny ist gross im Geschäft. Er ist blass und stumm. Aber Rothschild redet: der Kaiser kenne Frankreich nicht, vor zwanzig Jahren hätte es ohne grosse Verwüstungen im Innern Krieg geben können, denn fast nur die Bankiers haben Börsenwerte gehabt; heute aber habe alle Welt Eisenbahnkoupons oder Dreiprozentige; das Kaiserreich sei der Friede, habe der Kaiser einmal gesagt, und das nur, das nur sei richtig; aber er wisse nicht, dass es aus sei mit dem Kaiserreich, wenn es Krieg gebe. So sprach der kluge und reiche Mann, und alle Welt gab ihm recht. Alle seiner Welt, dazu gehörten auch die neuen Boulevards, und auch Morny, auch Walewski, der im Ministerrat heftig mit dem plötzlich wichtigen Plonplon zusammenstiess, selbst die Walewska – und dann die fromme Kaiserin. Der Krieg ist unpopulär, der Krieg ist unsinnig, der Krieg kann das Ende sein. Was gab es bei so viel Deutlichkeit noch zu fragen?
Der Kaiser kennt Frankreich nicht? Wie vortrefflich spricht er im Februar zur Kammereröffnung, wie voll sanfter Würde! »Das Land braucht Ruhe. Fort mit diesen falschen Alarmgerüchten, fort mit diesem grundlosen Misstrauen!« Und dann sagte er noch dies, mit seiner sanften Stimme: »Erster Beweggrund und letzte Richterinstanz sind uns Gott, das eigene Gewissen und die Nachwelt.«
Das sind doch friedliche und würdige Worte, gottesfürchtige auch. Der Kaiser auf der Präsidentenestrade sieht gelb aus, neben ihm der Vicekaiser, Präsident des Hauses, sieht grau aus, und beide haben dicke Augensäcke. – Ob er auch, dachte der Vicekaiser, jetzt den Schmerz durch den Körper suchen spürt wie ich, die Sonde einer Krankheit stochern spürt? Er sieht so aus. – Die Sonde stach den Präsidenten ganz fein und vorsichtig vom Magen abwärts und auch vom Magen zum Herz. Er beauftragte am gleichen Tag seinen Finanzagenten, die Baisse-Einlagen zu erhöhen.
Der Kaiser gestattete Herrn Rothschild, die österreichische Anleihe aufzulegen. Das war die Kriegsanleihe; denn Österreich rüstete nicht weniger laut als Piemont. Konnte man sich neutraler zeigen, also friedfertiger? Die Börse steigt, Herr Rothschild ist zufrieden: können es nicht auch die anderen getreuen Eckarte des Friedens sein, Persigny, der grobe Briefe aus London schreibt, wo er noch immer ist, sozusagen in Reserve, und der zeternde Walewski und der verstörte Klerus und auch Eugenie? Wackelt jetzt immer noch die bonne entente mit England, wo die Gallophoben an die Regierung gekommen sind, die Tories, nachdem der mehr als liberale Palmerston, der merkwürdigste Staatsmann, über die Mörderbill gestürzt ist, also eigentlich über Orsini, und seinem Freund Napoleon und etlichen anderen, noch viel dunkleren Freunden in Italien, Ungarn, Serbien, Böhmen, Polen und wohl auch in Süddeutschland nicht mehr den Rücken steifen kann? Werden auch jetzt noch die englischen Konservativen die grosse Reaktionsbrücke nach Österreich schlagen wollen, über das plötzlich nationalistische und drohende Preussen-Deutschland? Was soll denn die europäische Erhaltungswut gegen das Neukaiserreich, das doch bekanntlich der Friede ist? Und das fatale Bündnis mit Piemont ist nur ein Defensivbündnis: das stand im offiziellen »Moniteur« vom 5. März. Und wenn, auf plötzliche Initiative Russlands und die direkte torystische Vermittlungs- und Versöhnungsaktion in Wien durchkreuzend, ein neuer Kongress die italienische Frage lösen wolle, so werde man den guten Willen gutwillig unterstützen.
Man kann nicht loyaler sein, die Börse steigt, der Himmel ist wieder blau. Doch Morny erhöht seine Baisse-Engagements: der Finanzagent rauft sich die Haare, es geht in die Millionen. Doch der Dämon kommt in die Tuilerien, nicht mehr inkognito als Signor Benso, und als er gesagt hatte, was zu sagen war und was kein Mensch sonst hörte, blieb der Kaiser zwei Tage lang zu Bett: so stach die Sonde durch den Leib. Doch Palmerston ist noch da und steht wieder auf und erzwingt Neuwahlen, und es geht nicht um die Wahlreformbill, die den Anlass gibt, sondern um die Entscheidung für Österreich oder für Napoleon, hört doch: für die erhaltende oder für die treibende Sache, wahrhaftig, für den Stillstand oder für die Bewegung. Der gelbhäutige Kaiser also ist die Bewegung, und was bewegt er, welche europäische Kraft beherrscht er? Österreich scheint es zu wissen; denn es hat jetzt siebeneinhalb Armeekorps mobilisiert, aus Angst vor der Toryniederlage und der Isolierung, und dann geht nach Turin das Ultimatum, das unannehmbare.
Jetzt wird die Börse fallen. Morny schluckt Pillen, die aussehen wie Silberkügelchen und gut sein sollen gegen die Sonde im Leib, und er steigert die Baisse-Einlagen. Man kennt Frankreich und die Unpopularität dieses Krieges, man kennt doch auch die Zeit, die sich sehr hastig zu erfüllen scheint, im Galopp. Immer noch, immer noch tanzen die Götter in den Bouffes den galop infernal. Aber die Börse fällt nicht.
Was ist noch viel zu fragen in solchen Tagen, wenn der Krieg da ist, mit einemmal, und wie ein Schlagbaum über die tägliche Strasse fällt und alles aufhält und trennt, auf die alte, böse Weise trennt in Bleibende und Gehende, und wenn die Frauen alle weinen? Warum Krieg ist? Warum die Börse dennoch fest bleibt? Warum alle kleinen Leute ihre Dreiprozentigen und ihre Eisenbahnkoupons festhalten und hochhalten, in sonderbarem Vertrauen? Lasst es den grossen Morny fragen, der jetzt Millionen verliert und dennoch nicht unglücklich ist, nur sehr erstaunt, sehr nachdenklich, auch nicht mehr grauen Gesichts; denn die Sonde ist ihm aus dem Leib gezogen. Er aber wird jetzt die Zeit sondieren, die unberechenbare.
Hier ist der sonderbare Kopf mit dem Käppi. Das Käppi ist wichtig, es ist eine unkaiserliche Kopfbedeckung, trotz der dicken Goldborte: es ist jetzt die Jedermannsmütze. Es gibt, ein wenig schief sitzend und mit weicher Linie sich nach oben verjüngend, zugleich bescheiden und forsch die Parole der Stunde: die Kameradschaft. Seht, der Kaiser trägt das Frontkäppi wie jedermann. Er heisst Napoleon und drückt sich nicht: gut, das ist die Kriegspflicht des Namens. Aber er unterscheidet sich auch nicht vom braven Jedermann: bemerkt es wohl und freut euch über die Entwicklung. Da gab es doch, Soldaten, den berühmten, kleinen Hut, der so einzigartig war und so furchtbar persönlich über dem krachenden Kriegskrater Europas, dass er noch zehn Millionen Tote mit seiner Gloire überdachte und selbst heute nur noch ganz oben, ganz oben auf der Vendôme-Säule ertragen werden kann, unerreichbar und ganz klein von unten. Die Zeiten haben sich geändert, Volkssoldaten, der Kaiser, der euch nicht mehr ausschickt wie damals gegen Krim und Seuche und selbst zu Haus bleibt, sieht aus wie du und du und ist nur, mit Goldtressen, der General, der du auch werden kannst. Er soll sich einmal, vor vielen Jahren, das Querhütchen aufgesetzt haben, das doch nur auf die Säule gehört, und als der zweite Einzigartige in sein eigenes Land eingefallen sein – man darf davon heute nicht einmal mehr sprechen. Die Zeiten haben sich geändert, der Querhut wurde ein Längshut, aber nur für Paraden, und neulich, nicht wahr?, wurde sogar der Paradehut angeschossen, obgleich ihn doch noch viele andere Generäle trugen: er war also immer noch zu einzigartig für die Zeit. Jetzt aber trägt er das allgemeine Käppi und hält den Kopf hin wie ihr alle. Merkt ihr den neuen Sinn der Zeit, Soldaten?
Zwischen den Goldborten des Käppis und des Uniformkragens sitzt der Kopf ohne Hals; denn obwohl der Kragen nicht hoch ist, reicht er bis zu den weichen Backen. Das stille und ausgebrannte Gesicht steckt zwischen lauten und brennenden Farben. Das Käppi ist rot, die Borte von blitzendem Gold. So mit Rot und Gold auf dem ausgelöschten Kopf, mit dem Schutzdach oder der Scheuklappe des breiten, schwarzlackierten Käppischirms über den blicklosen Äuglein: so erschien einst der Staatsgefangene von Ham auf seinem Wallgärtchen, auf dem die Huld Gottes ruhte, – der fahle Wall trug von März bis Oktober bunte Blumen so wie der fahle Kopf das bunte Käppi, die Blumen und das Käppi leuchteten über das Land, der Wall und der Kopf machten sie noch leuchtender, ein wunderbarer Austausch von guten Gefühlen hub an, ein ganz zarter und zärtlicher Handel mit Kameradschaft: und damals entstand in diesem leidvollen Kopf unter Rot und Gold, erinnert euch doch gerade jetzt daran, die »Ausrottung der Armut«.
Nun habt ihr fast zehn Jahre Glück gehabt, Soldatenbürger, sein Glück, und eure Stadt strahlt davon wie sein Käppi, und sein Gesicht kennt ihr und wiederholt ihr, und jetzt seid ihr einander sehr gleich mit Käppi, Imperial, mit Frau und Kind, die zurückbleiben, und auch mit dem bedrohten Leben.
Ganz langsam fuhr der Mann mit dem brennendroten Käppi über den tobenden Platz, auf dem einst die Bastille stand. Die Leute vom Faubourg Saint Antoine bleiben Bastillestürmer, man weiss es, von hier aus pflegt die Revolution abzuspringen, die grosse, rote Wölfin, immer gegen Westen, und wo sie aufsetzt, zerspringt die Strasse zur Barrikade, und hin und wieder landete sie in den Tuilerien. Die Fahrt des feuerroten Käppi ging umgekehrt, von Westen nach Osten, von den Tuilerien zum Lyoner Bahnhof: der Kaiser ging an die Front. Fahnen waren überall, die lustige Trikolore flatterte vor jedem Fenster, Menschen waren überall mit Vivats und Winkhut und Flattertuch: aber die von Saint Antoine, die Bastille-Stürmer, griffen an. Ganz langsam fuhr der Wagen, der offene, weit ausgeschnittene Wagen, mit dem roten Käppi und der weissen Frau, wie mit zwei Zielscheiben. Gab es keine bösen Erfahrungen mit kaiserlichen Kutschen, mit geschlossenen sogar, keine regierende Angst, kein Misstrauen der Allgemeinen Sicherheit gerade vor diesem Quartier der grossen Wölfin? Vor und hinter dem Wagen ritten die Silberritter der Cent-Gardes, sieben in einer Reihe, lauter bärtige Kaisergesichter mit Kriegsgotthelmen, lauter Einzigartige. Zwischen sie und ihren Käppimann warfen sich die von Saint Antoine. Sie wollten ihren Kameraden, der auszog wie alle, um ein Volk frei zu machen, um alle Völker zu befreien, die noch gefesselt sind, ohne die verhasste Silberfessel des Kaiserprunks sehen und sie wollten zu ihm sprechen wie zu jedermann. Wie nennt man den guten Kameraden, der an die Front geht wie du und du? Nicht Herr und nicht Kaiser, beileibe nicht, auch nicht Désiré, wie einst, als sie ihn haben wollten. Wie nennt man einen braven Kerl, dessen Bartenden ein bisschen zum Lachen lang und ausgedreht sind? Nun, man nennt ihn einfach: Moustachu, den Schnurrbärtier. – Heh, Moustachu, alter Moustachu, machs gut! sollst leben! – Der gute Kamerad lachte, Moustachu lacht, man solls nicht glauben, und sein Ziegenbärtchen – besser gesagt: Bockbärtchen, nicht, Moustachu? –, ganz weiss schon an den Rändern, wie überstaubt, wackelt lustig – ja, und die weisse Frau neben ihm, die eigentlich weinen sollte, lächelt ein wenig aus der weissen Schute und nickt gnädig, die gnädige Frau, und sollte doch nicht gnädig sein, sondern traurig. Aber vielleicht ist sie auch traurig, die Fremde, man kennt sich bei Spanischen nicht so aus. – Man wird für Madame schon sorgen, Moustachu, für den Buben auch, kannst unbesorgt sein! – So sprechen zum Käppimann die Frauen, das sind Töchter und Mütter des Umsturzes, sollte man meinen. Der gute Kamerad nickt und winkt und drückt Hände. Und dann springt ein Blusenmann in seinen Blick, ein grauhaariger Mann mit grauen Brauen, die über der Nase zusammenstossen, und grauen Augen und die Kappe artig zwischen den Händen – ein ganz gefährlicher Kerl, würde man seine Strafakten gerade zur Hand haben, notorischer Aufwiegler –, und er rief: »Kannst ruhig fahren, Moustachu, wir machen keine Revolution!« Der gute Kamerad tat etwas Unerwartetes, er nahm das Käppi ab und sagte: »Danke.« Der Kerl winkte mit der Kappe, der Kaiser mit dem Käppi. Dann spannten sie ihm die Pferde aus und zogen den Wagen zum Bahnhof, zwischen den silbernen Erzengeln der Cent-Gardes.
Das ist schon eine Antwort auf die Frage nach dem Krieg, man kann sich damit zunächst zufriedengeben, man kann zu der Einsicht neigen, dass jenem undeutlichen Kopf das deutliche Käppi nicht übel steht und dass der Marsch ins Inferno, den solcher überraschende Beifall der armen Teufel säumte, nicht ohne Kühnheit oder gar Grossartigkeit der Idee unternommen ist. Man hüte sich doch vor dem Gezeter über die mangelnde Klarheit des bedeutenden Unterfangens: ahnst du nicht, spürst du nicht, dass der Stille und Hartnäckige und dir viel zu Rätselhafte sehr genau und sehr lange schon weiss, was er will? Ach, seine Augen sind bewölkt: das ist schon fast sprichwörtlich. Andere Augen gibt es, die sind klar. Aber sehen sie darum auch klarer als er? Rochefort stand an der Julisäule, dort, wo einst die Bastille stand, und sah den Liebessturm der Bastillestürmer auf das rote Käppi, und er wurde ganz irr am klaren Blick, vernebelt und verzweifelt. Ermangelte die Szene der Deutlichkeit? Er konnte sie doch nicht erklären oder er wollte es nicht. Und jetzt ist Krieg, eine zugleich entsetzlich deutliche und undeutliche Sache.