Fritz Müller-Partenkirchen
Kramer & Friemann
Fritz Müller-Partenkirchen

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Die alte Zeit

Einer unserer Lehrlinge hieß Stunk. Und so war er auch. Schon am zweiten Tage hatte er den ersten Krach.

Herr Zwiesel kam auf Besuch. Zwiesel & Sohn waren alte Kunden. Also hieß es, ihn bei guter Laune zu halten.

»Stunk, holen Sie für Herrn Zwiesel und mich zwei Theaterkarten«, sagte Herr Kramer.

Stunk ging. »Halt, Stunk, für meine Frau noch eine dritte«, rief ihm Herr Kramer nach.

Stunk kam mit zwei. »Wo ist die dritte?« Stunk, der nicht zugeben wollte, daß er die dritte vergessen habe, warf sich in die Handelsgesetzbuchbrust: »Zwei sind geschäftlich, die dritte ist privat; laut Paragraph soundso des Handelsgesetzbuches ist der Lehrling nicht verpflichtet . . .«

»Das kann ja nett werden«, sagte der Kassierer Brandmann, dem er zugeteilt war, »Stunk, kopieren Sie mal dies Blatt.«

Stunk kopierte. »Stunk, fegen Sie mal mit dem Besen jene Spinnewebe überm Kassenschrank herunt–«

»Besen? Spinnewebe? Bedaure sehr, Herr Brandmann, aber laut Paragraph soundso des Handelsgesetzbuches braucht ein Lehrling andere als kaufmännische Arbeiten niemals zu . . .«

Dann rückte Stunk an meinen alten Posten bei Buchhalter Vater. »Wenn überhaupt mit einem«, dachte ich, »dann wird er sich mit dem vertragen.«

Ja, Schnecken! Schon nach einer Woche hielt er ihm das Handelsgesetzbuch unter die Nase: »Alter Herr, ich kenne jetzt den Kram in Ihrer Sparte –«

»Hm, es geht.«

»Und da laut Gesetz der Lehrling reihum in alle Sparten einzuweihen ist –«

»Hem, Herr Stunk, Zeit lassen, Zeit lassen –«

»Zeit? Habe keine Zeit – will vorwärtskommen – will –«

»Na, bis zum Kommerzienrat hat's noch eine hübsche Strecke, – Herr Kramer brauchte dazu –«

207 »Kramer? alte Schule – haben 'n anderes Tempo, wir Jungen –«

»Hum, Junge? in der Tat, mein Junge –«

»Hrem, Herr Vater, ich mache Sie aufmerksam, daß das Kaufmannsgericht auch für Beleidigungen an Lehrlingen zuständig ist und ich bei Wiederholung nicht verfehlen werde, die mir gesetzlich zustehende Befugnis . . .«

»Gott behüt' mich«, seufzte der Vater, als ich ihn begleiten durfte, »wenn der neue Nachwuchs so wird –«

»Es sind nicht alle so, Herr Vater«, sagte ich mit Pharisäerdünkel.

»Nein, nein, die neue Zeit ist anders – Gott, wenn ich da an meine Lehrzeit denke –«

»Ach ja, Herr Vater, Sie haben mir schon lange versprochen, von Ihrer Lehrzeit Anno –?«

»›Anno‹? Vor einem Menschenalter sagte man noch ›Jahr‹, Verehrter«, lächelte er. Dann spürte ich fast väterlich seine Hand auf der Schulter: »Komm mal mit.«

Wir stiegen steil in seine Wohnung. Er setzte Tee auf, deckte, machte es behaglich, wie nur Mutter es sonst konnte. Er schlug die alten Beine übereinander, paffte und begann: »Ja, mein Sohn: fünf Jahre Lehrzeit bei Göggelmann & Sohn waren keine leichte Sache. Fünf Jahre morgens früh um vier Uhr 'raus, mein Freund – aber haben sie mich mürb gemacht, die fünfe und die viere? – schau die alten Vaterknochen an – kannst zufrieden sein, wenn du in meinem Alter noch so aufrecht neben deinem Hauptbuch stehst. Im Waschkrug oft ein Klumpen Eis. Also wie ein Pfeil mit offner Hemdenbrust übern Schneehof und den Schlafkopf untern Brunnen, bis er dampfte von Wasser und morgenfrischer Unternehmungslust. Dann Kaffee gebrannt in der großen Rösttrommel, bis ich wieder dampfte. Eine Probe des gebrannten Tagesquantums brachte ich dem alten Göggelmann ans Bett. Erst dieser Wunderduft machte ihn aufstehfähig. Kritisch klemmte er die Bohnen zwischen seine Finger. Ohne recht die Augen aufzumachen, brummte er noch regelmäßig: »Noch 'n bischen dunkler, Junge! Hast die andern schon geweckt?« – »Erst den Kaffee, sagten Sie, Herr Gög –.« – »Dummes Zeug, als ob's nur ein erst gäbe – 208 ein ordentlicher Lehrbub' setzt sich aus lauter erst zusammen.« – »Soll ich dann von morgen ab –?« – »Morgen? dummes Zeug – ein ordentlicher Lehrbub' hat kein morgen – setzt sich aus lauter heute zusammen – na, mal hopp!« Dann weckte ich und klopfte wie ein rasender kleiner Derwisch im ganzen Haus herum, von Morgenflüchen umprasselt: »Der verdammte Junge, wieder zwei Minuten zu früh geweckt – na, warte, wenn ich dich nachher unter die Finger kriege . . .!« Sie kriegten mich alle unter die Finger, nach der Reihe, war ich doch als ein einziger Lehrling einem jeden extra unterstellt. Hat's mir was geschadet? – nein, mein Sohn, die Handelsbübchen von heutzutage – nimm's nicht krumm – kriegen nicht die Hälfte unserer alten Menschenlehre – in Büchern und in aufgeblasenen Rechten stunken sie herum, statt sich den Wind um steife Ohren wehen zu lassen – ja, wenn es um besagte Ohren immer nur der Wind gewesen wäre, damals – Püffe waren's auch, Verehrter. Ist deshalb eine Perle aus der Kron' gefallen? Schon deshalb nicht, mein Junge, weil eine ordentliche Lehrlingskrone keine billigen Perlen, sondern teure Dornen hat. Gott, wenn man heute einem an die Krone faßt – »Wo ist das Gesetzbuch!« schreien sie, die Mutterbüblein. Gesetz? Gesetz, mein Sohn, ist: Frühe Püffe, gute Püffe – späte Püffe, bittre Püffe. Püffe überhaupt bleiben keinem erspart. Ich kannte aber mehr als einen, der verspätete Püffe mit dem Leben hat quittieren müssen, mehr als einen, ja . . .«

Er sog lange an seiner Pfeife.

»Beim Wecken sind Sie stehengeblieben, Herr Vater«, weckte ich ihn.

»Richtig, hinterm Wecken kam das Nachfüllen der Vorratsschubladen – Junge, Junge, wie ist man da mit Penang ganz und Mehlis 3 und Karolinenextrareis und Sultaninen eleme vertraut geworden, und Kaffeesorten hat man blindlings unterscheiden können, ob die Heimat Java oder Rio oder Ecuador war. Die ganze Kolonialwelt ist farbig und duftig in uns selber hochgeblüht. Da können eure Warenkundebücher in der Schule nicht dran hin. Jeden Handelshochschulabsolventen mit der ersten Note will ich noch jeden Tag mit Chinatee betrügen statt des verlangten Ceylon, daß ihm 209 grüner vor den Augen wird als es mein Tee ist – wir damals haben nach dem dritten Lehrjahr fünfzehn Pfennige Preisunterschied pro Pfund aus jedem Fingerhut voll heraus gerochen, ohne ihn erst in euren Reagenzgläsern aufkochen zu müssen, und überhaupt –«

»Und hinterm Vorratsnachfüllen, was kam da, Herr Vater?«

»Da kam – da kamen sie langsam ins Kontor getropft, der dicke Maier, dann der gotische Maier –«

»Gotisch?«

»Na ja, zum Unterschied. Er hatte so einen spitzbogigen Schädel. Aber, Hand aufs Herz: gelernt habe ich die Buchhalterei bei ihm. Wenn auch nicht wissenschaftlich, wie auf euren höheren Handelsschulen, wo es Lehrer geben soll, die sich miteinander streiten, ob Passiva plus Gewinn gleich Aktiva, oder Aktiva minus Passiva gleich Gewinn – als ob das nicht gehupft wäre wie gesprungen.«

»Herr Vater, ganze Bücher für und gegen hat man da geschrieben. Zwei Professoren kenne ich, die waren Jugendfreunde. Aber später hat sich der eine für die P+G=A Gleichung entschieden, der andere für A–P=G. Seitdem gehen sie steif und grußlos auf der Straße aneinander vorbei. Ihre Frauen schauen sich nicht an. Und in ihren Büchern spucken sie voreinander aus.«

»Nicht möglich«, lachte er und spuckte vergnügt und kunstvoll über meine Lehrlingsknie diagonal durchs Zimmer in den Spucknapf, »übrigens, solche Spucker gab's auch damals, nur nicht wissenschaftlich. Der gotische Maier konnte rasend werden und im Zischen spucken, wenn ich An und Per im Konto wegließ – daß ich's nur gestehe: ich hab' es oft nicht aus Versehen weggelassen, sondern nur um seine wundervollen Wutausbrüche zu studieren. Da war der dicke Maier anders. Den brachte nichts aus seiner Heiterkeit. Nur eine schwache Stelle hatte er: fürs Theater hielt er sich geboren.«

»Wie unser Herr Spreißler im Zigarrenlager«, schaltete ich ein.

»Nicht nur der. In jedem Kaufmannshause brennt bei jedem zweiten Angestellten zwischen fünfzehn und 210 fünfundzwanzig eine felsenfeste Ueberzeugung: Eigentlich gehörte ich aufs Theater.«

»Und ist's Ihrem dicken Maier damals besser hinausgegangen, als unserm Spreißler?«

»Ja, er hat sich seine Bühne bei Göggelmann & Sohn im Keller aufgeschlagen. Ohne Risiko und immer vor vollen Bänken. Ach, wie viele Viertelstunden haben wir uns abgestohlen, um den Deklamationen des dicken Maiers Beifall zu klatschen, daß der Keller dröhnte und der griechische Wein in den Fässern rebellisch wurde.«

»Aber, der alte Herr Göggelmann?«

»Der hörte droben wohl das Dröhnen, lief aber immer in der falschen Richtung. Hintenherum hatten wir uns längst an unsere Arbeitsstätten heraufverflüchtigt, als er pustend angekeucht kam: »Wo waren Sie, Herr Maier?« – »Mal draußen, mal drinnen – mal drinnen, mal draußen, wie das die menschliche Konstitution von Zeit zu Zeit verlangt, Herr Göggelmann.«

»Hören Sie, Herr Vater, man war zu eurer Zeit so wenig auf den Mund gefallen, wie heute der Herr Stunk.«

»Nur daß wir kein Handelsgesetzbuch dazu brauchten. Freilich, der Hauptunterschied von heute und damals liegt wo anders, junger Freund«, setzte er nachdenklich zu.

»Wo, Herr Vater?«

»Man hat sich damals nicht so schrecklich gesperrt, mal einen tüchtigen Stumpen Unrecht zu erleiden. Man war nicht so zimperlich. Man war reicher. Man wußte, daß man unterm Druck von Leiden besser wächst, als unter Paragraphen. Man hat noch Sinn gehabt für den Humor des Drucks, der doch nur zeitlich ist, den sie aber heute gar so ernsthaft nehmen, daß sie im Reichstag die Gesetzmaschine knarren lassen, wenn mal ein Lehrling in Posemukel aus Versehen eine hinter seine ebenso hochgeborenen als nassen Oehrchen kriegt.«

Das war die längste Rede, die ich Vater halten hörte. Ihr Sinn ist mir erst später aufgegangen. Damals war sie mir nur unbehaglich. »Herr Vater«, lenkte ich ihn ab, »und was kam hinter dem Theater?«

»Die Wirklichkeit, mein Lieber, Botengänge hab' ich machen müssen, mit solcher Fixigkeit, daß mir das 211 Lehrlingsherz zum Halse aufschlug: »Da und da geh' hin!« schrien sie mich an, »rasch, sollst schon wieder da sein!« Briefe hab' ich schreiben müssen, daß es mir den Zeigefinger durchgedrückt hat – da schauen Sie her.«

Er zeigte mir den alten Finger, der durch Millionen Soll und Haben seine Zahl und Schrift gemalt hat.

»Auch den linken Zeigefinger haben Sie beinah' platt geschrieben«, sagte ich ehrfürchtig.

Er lachte. »Nein, mein Lieber, diese Plattheit kommt vom Schreiben nicht, die kommt von der Liebe.«

Unwillkürlich sah ich mich im Vaterzimmer um. »Nein«, fing er meinen Blick auf, »stehn und hängen tut sie nirgends. Auch in keinem Album ist sie heimlich eingesperrt. Sie war in jenem Augenblicke überwunden, als mein Blut floß.«

Blut? Herrn Vaters Altgestalt ward wieder jung, romantisch sah ich ihn verwundet im Duell. »Nee«, lachte er, »Duell war's nicht, wenn's auch um die Wurst ging. Nämlich um die Leoniwurst. Nämlich ich habe aushilfsweise auch bedienen müssen bei Göggelmann & Sohn. Nämlich bedienen, daß Arme und Beine nur so verschlenkerten vor Eile. Nämlich daß kaum Zeit war, Kunden ins Gesicht zu schauen. Nämlich eines Tages stand natürlich sie vor mir, die einzig eine, ohne daß ich sie erkannte. Sie, die keine Ahnung meiner stillen Liebe hatte. Sie, die nur leichthin sagte: »Für achtzig Pfennig Durcheinander, bitte.« Ich schnitt und schnitt Wurst und Wurst. Bei der Leoni sah ich auf, erkannte sie, bezwang mich, schnitt und schnitt – »Um Gotteswillen«, rief sie, »Ihr Fingerspitzchen!« Zu spät, ein Stück von meinem Finger war beim Durcheinander. Lachend ging sie aus dem Laden. Ich glaube, wenn ich ihr mein Herz in Scheiben zugeschnitten hätte, sie hätte auch gelacht und keinen Pfennig mehr bezahlt als achtzig Pfennig für den Durcheinander.« Er lachte nicht. Nur nachdenksam betrachtete er den alten Zeigefinger: »Ja, mein Freund, so wird man platt und alt und bleibet – unbeweibet.«

Lehrlingstäppisch, wie ich war, versuchte ich zu trösten: »Na, Herr Vater, nur den Kopf nicht verlieren –«

»Kopf?« sagte er sachlich, »nein, der Kopf war unbeteiligt damals. Der gehörte den Indianerbüchern. Es kam da noch 212 ein zweiter Lehrling, der hatte ganze Stöße in seinem Koffer. Damit steckte er mich an. Wir lasen, bis der Kopf geraucht hat.«

»Aber hatten Sie denn Zeit dazu, Herr Vater?«

»Nein, wir mußten sie uns stehlen. Abends neun Uhr in die Klappe, war die strengste Regel. Fünf Minuten nach neun schauten Göggelmann & Sohn von unten nach dem Lehrlingsfenster, ob das Licht gelöscht war, und dann alle zehn Minuten wieder. Der Fall lag verzweifelt. Noch dazu, weil wir totmüde waren, und der Schlaf uns bleischwer an die Lider fuhr. Aber jung, wie wir waren, besiegten wir den Schlaf und besiegten Göggelmann & Sohn. Den Schlaf vermittels heimlichen kalten Tee in der Ofenröhre. Und Göggelmann & Sohn vermittels einer andern Röhre, die wir – Patent Vater – aus einem Hosenbeine konstruierten, das kunstvoll um die Lampe gebunden wurde und mit dem andern Ende sich bei knapper Durchsicht auf den Tisch gestützt hat, sanft bestrahlt vom hosenbeinig eingefangenen Lichtkegel, und in einer Nacht von uns verschlungen samt Old Shatterhand, dem Trapper, unzähligen zischenden Pfeilen und sausenden Tomahawks, von den mit Kettenkugeln hingemetzelten Feindeshaufen gar nicht zu reden.«

»Und am andern Morgen, Herr Vater?«

»Waren wir frisch beim Zeug. Ja, während der Handvoll Schlaf hab' ich noch Zeit gefunden, traumzuwandeln. Wenn Frau Göggelmann & Sohn noch lebte, könnte sie bestätigen, wie ich eines Nachts um eins im Hemde auf dem Gang gestanden bin und mittels einer Kerze unzählige Fingerspitzeln in den Wassereimer zu schneiden versuchte – oh, es waren wundervolle harte Zeiten, junger Mann!«

Zwiespältig saß ich da: sollte ich beneiden oder bemitleiden? Er aber las mich ab: »Beneiden Sie mich ruhig, und wenn Sie einmal später einen Sohn in eine Lehr' zu geben haben, verraten Sie ihm nur mein Glücksgeheimnis: Kleine Lehre, große Mühe – Gott, wie arm sind doch dagegen die modernen Lehrlinge, die von der Schule serienweise in die großen Bankgeschäfte rückten und dort außer Bügelfalten und einem versilberten Spazierstöckchen, das sie Sonntag vormittags zur 213 Wachtparade schwingen dürfen, nichts erleben, keinen Shatterhand und keine Fingerspitzchen.«

Da aber ward ich heiß. »Sie täuschen sich, Herr Vater, auch wir Neuen haben Shatterhand und Fingerspitzchen. Blut fließt auch in uns zum Durcheinander. Und es ist nicht wesentlich, daß unsere Hosenbeine Bügelfalten haben, während wir darüber, statt darunter Berne und Bölsche lesen, statt Indianerbücher.«

»Bscht, bscht«, begütigte er meinen Eifer, »Ihr mögt noch gehen, grausen aber tut mir, wenn ich an die Kaufmannslehre in der Zukunft denke.«

»Herr Vater, ich glaube, Sie sehen auch da zu schwarz.«

»Zu schwarz?« Er faltete ein Heftchen auseinander. »Der Stunk hat's liegen lassen. Es sind die Statuten des Klubs Kopierpresse. Hören sie: »Ziel unseres Volontärklubs ist Abschaffung des mitteralterlichen Instituts der Lehrzeit. Mittel dazu ist die Organisation freier Volontärverbände. Tod allen Sklavenhaltern! Es lebe die Volontärrevolution!« – Na, junger Freund, treten Sie doch ein in diesen Idealklub, in diese Metzgerstätte der Poesie unserer alten schönen Lehrzeit!«

Hohn und Schmerz stritten auf dem alten guten Gesicht. Ich fühlte tief mit ihm. Ich mußte ihn aufrichten, so jung ich war: »Herr Vater«, sagte ich, »hat's zur Zeit von Christoph Kolumbus auch Lehrlinge gegeben?«

»Natürlich.«

»Und auch zur Zeit der Befreiungskriege?«

»Selbstverständlich.«

»Und glauben Sie nicht, daß die Kolumbuslehrlinge über die Befreiungslehrlinge sich ähnlich gesorgt haben würden, als – als – nun als Sie, Herr Vater über den Volontärklub Kopierpresse?«

Er sah mich lange an. »Junge«, sagte er und strich mir übers Haar, »du hast viel gelesen und bist nicht dumm. Wollte nur, du hättest recht, aber lies doch selbst: »Abschaffung der Lehrzeit überhaupt.«

»Herr Vater, sagten Sie nicht selber, abschaffen könne kein Mensch seine Lehrzeit, nur verschieben?«

Er war fast betroffen: »Junge«, sagte er langsam, »dann 214 blieben wir also in alle Zukunft eine Art Kolumbuslehrlinge –«

»Ja, Herr Vater«, fiel ich freudig ein, bekennereifrig, »Kolumbuslehrlinge, die niemals müde werden wollen, neue Welten zu entdecken!«

Er sagte nichts. Es wurde ganz still im alten Junggesellenzimmer. Die Uhr tickte. Seine Pfeife verglomm. Der Tee wurde kalt. Aber goldhell blieb er. Hell, wie des alten Buchhalters Stirne, hinter der versunkene Lehrzeiten neckisch spielten und Taue in die Neuzeit warfen, sehnsüchtige Taue: »Heda, faßt an, tut mit!«


Ich habe gestern meinen Sohn der Lehre übergeben, und ich weiß: »Vater, du bist lang gestorben. Längst schon verwaltest du da droben irgendein himmlisches Kontokorrent M–P. Schaue mal einen Augenblick darüber und herab: Sie fassen an, die Neuen, sie tun mit nach ihrer Weise.«

 


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