Fritz Müller-Partenkirchen
Kramer & Friemann
Fritz Müller-Partenkirchen

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Nummer 2 und 3

Die Fragen nach den letzten Gründen werden tiefsinnig von uns gestellt und lächelnd vom Leben beantwortet. Eine Lebensbahn springt himmelstürmend ab und mit Entsagung wieder ein – was war der letzte Grund? Da kommen sie mit Schaufeln um ihn aufzuschürfen. Stellt die Schaufeln in die Ecke, lachet lieber: ein kleines Blechstück war's mit »Frei« darauf und mit »Besetzt«.

Zu meiner Lehrlingszeit bei Kramer & Friemann gab's dort einen namens Pframm. Seines Zeichens war er Auflader. Was hat der alles aufgeladen! – die Petroleumfässer, die Rosinensäcke, die Makkaronikisten! – wenn man sie in eine Reihe stellte, wetten wir, es kommt mindestens der Abstand zweier Längengrade heraus. Wobei ich annehme, daß 60 euch der bekannt ist. Ich habe eben nachgeschlagen. 111,111... Kilometer sind es am Aequator.

Als dieser Pframm den hundertelften Kilometer aufgeladen hatte, sagte er: »Es ist genug.« So einer sagt: »Es ist genug«, und die Arme reckt, kann er dir auch eine Rede halten über das Warum und Wie, wenn du ihn fragst. Meine Lehrlingsneugier hat's damals nicht mehr ausgehalten und den Pframm befragen müssen, als er seinen Lederaufladhaken hinschmiß.

»Pframm«, habe ich gesagt, »wenn man solche Aufladschultern hat wie Sie, und einen solchen Aufladlupfer in den Knien wie Sie, so ist es schade, daß –«

»Nix ist schad', junger Herr«, hat Pframm gesagt, und seine Worte kollerten wie die Schmalzkübel, die er auf den Wagen schutzte, »nix ist schad' – Schluß ist, sag' ich – unsereins hat auch sein' Ehrgeiz, blitzbombenelement – und meinen Sie, ich hab' umsonst Buchführung und Kontorkunde bei Klix genommen, ein Vierteljahr lang, die Stunde eine Mark und fünfzig – wieviel Kisten, glauben Sie, daß ich aufladen muß, bis ich eine Mark und fünfzig beieinand' hab' – und jetzt soll ein anderer die Petroleumfässer schmeißen – von jetzt ab bin ich bei der Rigestitatur, der Prokurist hat's mir versprochen, weil er einen Sinn hat dafür, daß man nicht ewig aufladen kann bis an sein selig' End' –«

»Pframm«, schaltet meine junge Weisheit ein, »aufladen muß ein jeder, die Registratur hat auch ihre Mucken –«

»Junger Herr, nix für ungut, aber das verstehen Sie nicht – das kann man nicht vergleichen – oder haben Sie vielleicht siebenundzwanzigtausend Wagen auf- und abgeladen, wie ich – und schaun Sie sich zum Beispiel den Binswanger von der Rigestitatur an – der ist zu mir in die Schul' 'gangen – jawohl zum Lehrer Wiesmaier, das war nämlich der mit dem Kropf – und kommt doch alle Tag' eine Stund' später ins Geschäft als ich und geht dafür eine Stund' früher, der eingebildete Hanswurscht –«

»Aha, Pframm, der Neid also, der blasse Neid –«

»Junger Herr, nix für ungut, aber was ein richtiger Auflader ist, der kennt gar keinen Neid – oder meinen Sie 61 vielleicht, ich beneid' den Binswanger um seine Bügelfalten in der Hos'n – wenn ich wollt', könnt' ich den ganzen Binswanger mit einem Handgriff niederbügeln, den zaundürren Bratheringsstecken, den – aber wie der Aff' sich herausnimmt, mich zu grüßen, wenn ich ihm auf der Straß' begegnet bin – so einen Schlenker macht er mit der linken Hand und stoßt den vorderen Hutrand 'rauf, aber nur ein bissel, daß man es kaum merkt – wo er doch mit mir in die Schul' 'gangen ist – zum Lehrer Wiesmaier – das war nämlich der mit dem Kropf –«

»Also wegen des Grußes ist es, Pframm, daß Sie –«

»Nix für ungut, junger Herr, ich mach mir überhaupt nix aus der dummen Grüßerei – was ein richtiger Auflader ist, halt die Peitsch'n nur ein bissel schief, das ist Gruß grad g'nug – aber deswegen ist der Binswanger doch ein ganz gemeiner Mensch –«

»Na, aufgeblasen eben, Pframm, aber nicht gemein –«

»Nix für ungut, junger Herr, aber war das vielleicht nicht gemein neulich, wo ich mit meinem Schlüssel warten muß vor Nummer 3 –«

»Nummer 3?«

»Nun wissen Sie doch, seitdem der Kramer & Friemann in den neuen Neubau 'zog'n ist, hat doch ein jeder seinen Extraschlüssel für Nummera Null –«

»Sie sprachen doch von Nummer 3?«

»Nix für ungut, junger Herr, Sie brauchen sich nicht dümmer z'stell'n als S' sind, wo doch ein jeder weiß, daß bei uns Nummer Null von Nummer 1 bis 3 geht – und Nummer 1 ist für Herrn Kramer selber und die Prokuristen, was man ja verstehen kann und wo kein vernünftiger Mensch was dagegen hat – aber warum der Binswanger, der Hanswurscht, eine Nummer 2 als Nummer Null hat, mit einer Maschinerie, »Besetzt« und »Frei« – derweil' unser Nummer 3 das nicht hat, sondern alle Augenblick' wackelt einer draußen mit der Klinken, ob's noch nicht frei ist –«

»Aha, und da haben Sie also selbst gewartet, neulich?«

»Ja, heut vor einem Vierteljahr war das, daß ich warten hab' müssen und warten vor Nummera 3 – und hab' ich g'meint, ich derleb's nimmer – auf einmal seh ich, daß einer 62 von Nummer 2 vergessen g'habt hat, die Tür wieder zuzumachen – nix für ungut, junger Herr, aber was täten Sie in einem solchen Fall?«

»Ich ging hinein auf Nummer 2.«

»Auf Nummer 2? Da gehören Sie ja so wie so hin, wo Sie doch vom Personal sind.«

»Hm, ob ich allerdings auf Nummer 1 –«

»Nix für ungut, junger Mann: Sie täten's – Sie täten's ganz bestimmt, – heißt das, wenn's offen wär' und wenn Sie so lang' hätten warten müssen vor Nummer 2, wie ich vor Nummer 3 –«

»Gut also, nehmen wir an, ich hätt's getan – was dann?«

»Dann? Dann nähmen wir an, wie Sie wieder 'rausgehen, käm ein Prokurist – täten Sie sich bei dem vielleicht entschuldigen?«

»Nein, er würde das sicher gar nicht erwarten und –«

»Sehn Sie, da haben wir's, weil er ein anständiger Mensch ist, der Prokurist – aber der Binswanger, der ist ein eingebildeter Hanswurscht, sonst hätt' er mich nicht, wie er mich 'rauskommen sieht, so blöd' ang'schaut und so damisch g'fragt –«

»Was hat er denn gefragt?«

»Wie kommen Sie aus Nummer 2, wie? hat er g'fragt – auf hochdeutsch natürlich – wie man halt fragt, wenn man ein'n derblecken will.«

»Und was haben Sie darauf gesagt?«

»Wie ich aus Nummera 2 komm?« hab' ich g'sagt, »auf meine zwei Füß, wie Euer Hochwohlgeboren sehn«, hab' ich g'sagt. »So«, sagt er, »so? wissen Sie nicht, daß das verboten ist? – »Verboten?« sag' ich, »wo doch offen ist und wo die Maschinerie auf »Frei« steht und wo's überhaupt pressiert –« »Pressiert oder nicht pressiert«, sagt der Depp, »Nummer 2 ist für das Personal reserviert, wissen Sie das nicht?« – »Sie?« sag' ich, »Sie? Auf der Schul' hab'n wir Du zueinander g'sagt, und der Lehrer Wiesmaier, der wo den Kropf g'habt hat, der hätt' uns einen netten Landler 'blasen, wenn wir verschiedene Nummer Null hätten hab'n woll'n in der Schul' –« »In der Schule«, sagt der Aff', »war das ganz was anderes, Verehrter, aber bei 63 Kramer & Friemann gehöre ich zum Personal, wogegen Sie –« – »O mei'« sag' ich, »als ob das auch was wär', zum Personal zu g'hör'n – wenn ich möcht', g'höret ich in einem Vierteljahr grad so gut zum Personal, als wie ein gewisser Binswanger, der beim Lehrer Wiesmaier auch nur einen Dreier im Rechnen g'habt hat wie ich!«

Der Auflader Pframm holte Atem. Die Erinnerung an die Binswangersche Gemeinheit hatte ihn überwältigt trotz seiner kolossalen Lungen und Schultern.

»Nun«, sag' ich, »und was hat darauf der Binswanger –?«

»Bleich ist er word'n, kalkbleich. Sein Taschenkalenderl hat er aus der Westentasch'n zog'n. Aufg'schlag'n hat er's. »In drei Monaten?« hat er 'rauszischt, »gut, heute haben wir den siebzehnten September – in drei Monaten ist der siebzehnte Dezember – wir werden ja sehen – wir werden uns wiedersprechen, Sie – Sie Aufschneider!«

Der Auflader holte wieder Atem.

»Bravo«, sagte ich ermunternd, »bravo, Pframm, heute haben wir den 14. Dezember.«

»Ja«, sagt er, »und morgen fang' ich an in der Rigestitatur, aber« – und eine selige Vertraulichkeit zieht über sein gutmütiges Aufladergesicht – »aber den Schlüssel, den Schlüssel zu Nummera 2, den hab' ich heut' schon 'kriegt – sehn S', da ist er – zeig'n S' einmal den Ihrigen, junger Herr.«

Er verglich ihn mit dem meinigen und wurde immer seliger: »Der eine ist wie der andere – ganz genau – ist doch wunderbar, daß man zwei Sachen so genau –«

Ein Schatten fiel in den Torweg, ein dünner Schatten, in der Richtung gegen Nummer Null.

»Bscht«, wisperte der Auslader mit sonderbarer Eile, »dort geht er, der Aff' – dem komm ich ja leicht vor – wiss'n S', ich bin heut grad extra schon fünfmal grad vor seiner Nas'n auf Nummera 2 – das Gesicht, sag' ich Ihnen, was der jed'smal macht, das Gesicht – »Besetzt! hahahaha . . .«

*

In knapp drei Monaten hatte also Pframm von Nummer 3 auf Nummer 2 umgesattelt. Zum zweiten 64 Stellenwechsel – so was lernt sich – brauchte er noch nicht sechs Wochen.

Ich traf ihn wieder unterm Torweg: »Nun, Herr Pframm, wie weit ist's noch nach Nummer 1?«

»Sie irren sich in der Richtung«, sagte Pframm hochdeutsch und traurig, »ich hab's satt.«

Er sah in seine Hände. Sie waren weich geworden, schwammig weich. Es war nicht schwer zu raten, sie sehnten sich nach alten Schwielen.

»Macht sie Ihnen keine Freude mehr, die Rigestitatur?«

»Registratur«, verbesserte er jetzt mich, »der Teufel soll sie holen.«

»Aber Herr Pframm, ich bitte Sie«, versuchte ich ihn auszuholen, »diese saubere Arbeit –«

»Sauber? Ja, und schauderhaft – ABCD den ganzen Tag, bis man den Drehwurm hat!«

»Aber man hat doch seinen stillen Arbeitsplatz –«

»Still? haha – alle Augenblick' kommt einer hergeschossen: »Pframm, Akt Zuckerfabrik!« – »Pframm! Akt Reisevorschußkonto!« – »Pframm, der Provisionsakt ist nicht nachgeklebt!« – den ganzen Tag, »Pframm! Pframm!« es ist, um aus der Haut zu fahren – nun, einmal wird sich's ausgepframmt –«

»Aber Pframm, Sie wollen doch nicht sterben?« scherzte ich.

»Sterben? nein, gestorben bin ich, leben will ich wieder!«

»Na, Pframm, unsereins lebt auch.«

Er umfaßte prüfend meine Lehrlingsgestalt: »Hm, solange man jung ist, merkt man freilich nicht den Unterschied – aber später – nichts für ungut, Herr Volontär, aber richtig leben tut unsereins doch nur, wenn man zugreift – wenn man stemmen kann und lupfen – wenn man Akten einpappt, weiß man gar nicht mehr, daß man auch Schultern hat und Füße – ja, und wenn dann tüchtig aufgeladen ist, hübsch im Gleichgewicht und hochgetürmt, die Ross' ziehen an und man springt auf mit einem Satz, holla–hu!

»Da wirbelt aber auch der Staub auf, Pframm, wie bei den Akten.«

65 »Staub? Das ist Dreck, Herr Volontär, nicht Staub! Dreck, ordentlicher Dreck, der ist schon recht, der ist gesund. Aber Aktenstaub, pfui Deifel!«

Das Hochdeutsch fiel schon ab. Es konnte nicht mehr weit zu seinem Wagen sein.

»Pframm«, frug ich ihn geradezu, »möchten Sie gern wieder Auflader –?«

Es riß ihn ordentlich hoch: »Mögen? fragen S' nicht so dumm – mit Respekt zu sagen – Herr Volontär – ich mag freilich, aber der Kramer & Friemann wird wohl nimmer mögen – ein Auflader, der vor der Zeit ausspannt, wird er sagen, ist verpfuscht . . .« Er trabte bekümmert ins Kontor ans Pult und fuchtelte wütend mit dem Pinsel im Gummiarabikumglas herum.

Noch einen traf ich wütend an diesem Vormittag. Das war der Lagerhalter Hüttelmann. Ein neuer Fuhrknecht hätte, wie er sagte, den hochgeladenen Wagen ganz vermurkst. »Sehen Sie nur, wie verrückt der Kerl aufgeladen hat, der biegt nicht einmal um die zweite Ecke, eh' er den ganzen Krempel umschmeißt.«

»Warum stellen Sie den ungeschickten Menschen ein?« fragte ich grün.

Da wurde er auch grün vor Zorn. »Warum? warum? man kriegt ja keinen ordentlichen Nachwuchs mehr. Alles drängt sich ins Kontor. Ein jeder will ein feiner Herr sein, Bügelfalten haben, Nummer 1 markieren –«

»Nummer 2«, schaltete ich ein. Aber er hörte nicht vor Eifer. »Ja«, rief er, »solche Leute wenn noch zu haben wären, wie der Pframm selig –«

»Entschuldigung, das weiß ich nun bestimmt: der Pframm ist gar nicht selig, sondern im Gegenteil.«

Er hörte noch immer nicht, vor lauter Händel mit dem neuen Fuhrknecht. Ich mußte ihn am Arme packen: »Herr Hüttelmann, was krieg' ich, wenn es mir gelänge, den Pframm wieder zum Aufladen zu überreden?«

Er schaute ungläubig: »Reden Sie keinen Unsinn, junger Mann, der Mann kommt nicht mehr. Wer sein erstes Pfund Kontorstaub geschluckt hat, ist für uns verloren.«

66 »Mir scheint, es fehlen ihm noch ein paar Gramm am Pfund – was krieg' ich also?«

»Durch Sonn und Mond hau' ich Sie!« brüllte er den Neuen an, »wenn Sie den zweiten Wagen auch so miserabel aufgeladen haben – wahrhaftig, noch miserabler! Runter, alles wieder runter, sag' ich, Sie Kamel von Gottes Zorn!«

Schweigend lud der Neue ab. Bei der letzten Kiste aber drehte er sich um: »Steigts mir den Buckel rauf, ich geh' zur Konkurrenz!«

Sprach's und verschwand zum Hof hinaus.

Hüttelmann rannte verzweifelt um den abgeladenen Wagen: »Wer ladet mir den Wagen auf, he, wer!«

Er war noch keine dreimal um den Wagen gerannt, schätze ich, als ich, den Pframm am Aermel gepackt, herankam: »Da, Pframm, es ist Not am Mann!«

Pframm blinzelte von mir zu Hüttelmann, vom Hüttelmann zu mir, hob die Schultern hoch – nein, es war kein Achselzucken, nur sehen wollte er, ob sie nicht eingerostet wären – schmiß den Kontorrock hin, band sich eine Lederschürze vor und lud aus, lud auf – in schweigender Pracht und Seligkeit.

Nicht minder selig war Hüttelmann inzwischen zum Prokuristen gerannt: Ob er den Pframm wieder haben dürfe?

»Heute lieber als morgen – soll die Registratur schon halb vermurkst haben, der arme Dädalus.«

Hüttelmann hielt's für den Vornamen. »Pframm!« kam er angepustet, »Dädalus Pframm, Sie bleiben wieder bei Roß und Wagen, ich hab's durchgesetzt!«

Pframm hörte gar nicht hin. Er türmte in musterhafter Architektur die letzte Kiste, gab ihr einen letzten Ruck mit seinen Hünenschultern, überschaute alles kritisch, sich mit den Händen langsam in den Hüften wiegend – aufgesprungen war er – holla hüüü –!

Ich lief eine kleine Strecke mit: »Und der Binswanger, he?«

»Der? dem armen Steckerl gönn' ich seinen Gummiarabikum – der hat ja keine Ahnung, wie das wohltut, wenn man wieder seine Makkaronikisten lupfen kann – woll'n S' mitfahr'n, Herr Volontär?«

67 »Wenn ich dürfte«, lachte ich, »aber es geht nicht – ich hab' einen Schlüssel Nummer 2.«

»Ja so, ja so.« Er griff im Fahren in die Tasche. Er schmiß mir einen Schlüssel zu: »Da, geb'n S' dem Materialverwalter Nummer 2. Sag'n S' ihm, ich möchte wieder meine Nummer 3, und ich pfeif auf »Besetzt« und »Frei« – b'sessen war ich, und frei bin ich –!«

Es zwickte mich noch immer: »Aber der Binswanger –«

»– ist ein armer Depp, das hat schon der Lehrer Wiesmaier g'sagt – wiss'n S', der mit dem Kropf – hü, Bräundl, hüüü . . .!«

 


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