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Jeder richtige Lehrling fühlt sich wöchentlich zweimal verkannt und dreimal beleidigt. Darin sind sie alle gleich. Verschieden sind sie nur darin, wie sie darüber hinwegkommen. Ich tat's mittels Wenn. Dabei ist's mir so gegangen:
Ins Warenlager kam ein neuer Expedient. Schramm hieß er. Er war tüchtig, rechtlich, unbestechlich, mit einem Worte eine erste Kraft. Aber, er sagte zu mir »Stift«.
»Mein Name ist Müller«, sagte ich.
»Ist gut, Stift« sagte er.
»Wenn Sie beim Stift beharren, dann – dann –«
»Nu, was ist dann?« sagte er gemütlich.
»Dann Sind Sie auch kein Expedient in meinen Augen, sondern – sondern –«
»Nu, was denn?«
»Sondern ein Versandmensch – so!«
»Habe nichts dagegen – zählen Sie mal den Bestand der Stearinkerzen im hinteren Lager nach, Stift.«
Wütend ging ich in das hintere Lager. Die Stearinkerzen lagen aufgeschichtet in den obersten Fächern. Ich schleppte eine Staffelleiter her. Brütend saß ich auf der höchsten Staffel vor den Kerzenpaketen und fing zu zählen an. Bis zwanzig kam ich. Da fiel mir wieder ein: »Stift hat er gesagt, der – der Schuft!« Wenn man »Schuft!« sagt, kann man nicht mehr weiterzählen. Wenigstens fünf Minuten lang. Noch dazu, wenn es sommerheiß ist und man mit dem Kopfe an die Lagerdecke stößt. Aber Auftrag ist Auftrag. Also: Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig . . .
Bei dreiundfünfzig fiel es mir von neuem ein: »Stift hat er gesagt, der – Schuft! – na, warte, wenn – wenn –« Ich spürte hundert Möglichkeiten hinter »Wenn«. Aber wieder schob der Kerzenauftrag sie zur Seite: Vierundfünfzig, fünfundfünfzig, sechsundfünfzig . . . endlich: neunundneunzig Stearinkerzenpakete waren es. So, nun hatte ich mir das Wenn verdient: »Stift hat er gesagt, der Schuft, – na, warte, wenn – wenn ich dich mal zwischen Dunkel und Sixtminet im Sporergäßchen treffen sollte . . .«
Von meinem Hochsitz sah ich durch die Oberluke auf den 108 Hof. Eine Katze saß auf einer Tonne. Es war die Firmakatze, angestellt fürs Jagdgebiet des großen Warenlagers. Sie war tüchtig, rechtlich, unbestechlich, mit einem Worte eine erste Kraft. Aber es ging über ihre Kräfte. Deshalb hatte sich die Oberkatze einen Lehrling zugelegt. Diese Unterkatze saß am Fuß der Tonne und wurde eben eingeweiht: »Und was ich noch sagen wollte, Stift –«
»Ich heiße Miezi«, schaltete die Unterkatze ein.
»Ist gut, Stift.«
»Ist das auch bei Katzen so«, dachte ich auf meinem Hochsitz, »meinetwegen, ich bin keine Katze – ich heiße Müller – und wenn er wieder Stift zu mir sagt, dieser Schuft – und wenn ich ihn im Dunkeln in der Sporergasse treffe – und wenn ich einen Stecken bei mir habe – und er keinen –«
Huii, fuhren draußen Oberkatze und Unterkatze aufeinander los. Die Oberkatze beutelte die Unterkatze im Genick. Verflucht, die Oberkatzen scheinen immer einen Stecken bei sich zu haben. Mit dem Sporergäßchen war es nichts. Ich mußte es mit einem andern Wenn versuchen.
Es ging nicht. Mir fiel nichts ein. Ich brauchte einen Vorspann für das neue Wenn: »Stift hatte er zu mir gesagt, Stift, der Schuft! – na, warte, wenn ich's meinem großen Bruder sagte –«
Draußen hatte sich die Unterkatze von der Genickbeutelei erholt. Sie ging wütend nach dem Tore: »Na, warte, wenn ich's meinem großen Bruder sage – –!« »Hihi, du hast ja keinen großen Bruder!«
Teufel, ist ja wahr, ich hatte gleichfalls keinen großen Bruder: »Na, warte, wenn ich meinen Onkel Cäsar auf dich hetze – den berühmten Onkel, der Anno achtundvierzig bei der Revolution beteiligt war, und von dem es heißt, daß er einmal geschrieben hat: ›Und wenn wir bis an die Knöchel in Fürstenblut waten müssen . . .‹«
Draußen drehte die Unterkatze den Kopf drohend zurück: »Na, warte, wenn ich meine Tante Mau auf dich hetze – die berühmte Tante, die Anno was weiß ich die Katzenherrscher einer ganzen Straße in die Flucht schlug – auch wenn du es nicht glauben solltest –«
»Doch, doch«, schnurrte gemütlich die Oberkatze auf der 109 Tonne, »ich weiß davon – nur ist's ein bischen lang her – deiner Tante sind seitdem die Zähne ausgefallen –«
Teufel, ist ja wahr, auch meinem Onkel Cäsar sind seitdem die Zähne ausgefallen, und er fährt in einem Rollstuhl durch den Stadtpark.
»Na, warte, wenn – wenn – nun, wenn die Außenwelt versagte, lege ich mich selbst ins Zeug – – warte, warte, wenn ich einmal nicht mehr Stift bin – wollte sagen, Lehrling – sondern Buchhalter – ja, und dann Abteilungsvorstand – ja, und dann vielleicht Prokurist – ja, und dann selbst ein Prinzipal, der unsrem jetzigen Prinzipal die ganze Firma abkauft – ja, und wenn ich dann den Auftrag geben werde: ›Bringt mir mal den Expedienten Schramm in mein Privatkontor –‹«
Draußen saß die Unterkatze auf dem einen Hoftorpfosten und zischte in der Richtung nach der Tonne: »Na, warte, wenn ich einmal keine kleine Katze mehr bin, sondern eine erwachsene Katze – ja, und dann Familienvorstand – ja, und dann vielleicht von dieser Firma mit der alleinigen Konzession für die Mäusejagd im Lager betraut werde – ja, und wenn ich dann den Auftrag geben werde: ›Bringt mir mal jene Oberkatze von damals –‹«
»So werden sie dir sagen«, sagte die Oberkatze: »Ist ja längst gestorben –«
Teufel, ist ja wahr, auch der Expedient Schramm wird mit dem Sterben nicht drauf warten können, bis ich jene lange Leiter aufgestiegen wäre: »Na, warte, wenn ich – wenn ich – was denn gleich – helf', was helfen mag – richtig, wenn der Versandmensch irgendeine Tochter hätte – ja, und wenn die Tochter irgendwo und irgendwann ins Wasser fiele – ja, und wenn ich sie vom Tode des Ertrinkens rettete, – ja, und wenn sie mir vor Dankbarkeit um den Hals fiele: ›Ewig dein‹ – ›Ich bedaure sehr, mein Fräulein‹, würde ich dann sagen, ›aber Sie werden einem Menschen, den Ihr Vater einen Stift geheißen hat – jawohl einen Stift – kaum die Hand fürs Leben geben wollen –‹«
»He, fertig mit dem Kerzenzählen? Wie viele Pakete, bitte?«
»Neunundneunzig«, sagte ich und stieg froh herunter. Denn 110 er hatte ›Bitte‹ zu mir gesagt, jawohl, ›Bitte‹, der grobe Schramm. –
»Neunundneunzig, schön – und hier ist meine Tochter, die bei der Prinzipalsfamilie einen Besuch machen soll – wenn Sie so gefällig wären, meiner Tochter den Weg zu zeigen, Herr Müller – –.«
Herr Müller! Keine Spur von Stift mehr! Selig ging ich an der Tochter Seite. Sie war so nett und lieb zu mir und gab mir die Hand zum Abschied. Ja, sogar »Auf Wiedersehen!« sagte sie, »Herr Müller.«
So gut ging mir die Arbeit nach der Rückkehr von der Hand. Auf einmal aber stand ich still: »Weiß Gott« dachte ich, »wenn Fräulein Olga heute oder morgen in das Wasser fiele – verflixt, verflixt, ich kann ja gar nicht schwimmen, sondern nur ein wenig paddeln –«
»Heda, ich habe die Stearinkerzen nachgezählt – es sind nicht neunundneunzig, sondern hundertundein Pakete – ich sag' es ja: es ist doch kein Verlaß auf einen Stift –«
»Stift!« begehrte ich auf, »Herr Schramm, Sie haben vorhin, als Ihre Tochter da war –«
»Na ja, vor Frauensleuten – aber im Geschäfte müssen Sie erstmal zuverlässiger werden – nicht nur etwas paddeln, sondern richtig schwimmen lernen, eh' ich auf den ›Stift‹ verzichten kann, wertester Herr Müller . . .«