Fritz Müller-Partenkirchen
Kramer & Friemann
Fritz Müller-Partenkirchen

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Wamprecht

Früher gab es Kaffeeriecher, die in Haus und Straße nach verbotenen Kaffee forschten. Auch bei Kramer & Friemann gab es einen Kaffeeriecher. Wamprecht hieß er, der alte Wamprecht. Er forschte aber in erlaubtem Kaffee. Wir Lehrlinge konnten seinen Nutzen lange nicht begreifen: »Kriegt den doppelten Gehalt eines Buchhalters«, kritisierten 173 wir, »und was hat er groß zu tun? Angebotene Kaffeesorten durchzuriechen und mit wichtig hochgezogenen Brauen zu behaupten: »Ischt guat . . . ischt schiach« – als ob das auch was wäre – für das Sündengeld mach' ich zehnmal einen Kaffeeriecher.«

»Ich auch«, sagte Buchhalter Vater, »wenn's nur auf den guten Willen ankäm.«

»Worauf denn sonst noch?«

»Auf die Nase.«

Alles was recht ist, eine Nase hatte Wamprecht, eine Riesenzinke, mit der sieben naseweise Lehrlingsnasen zusammengebacken, nicht hätten konkurrieren können.

»Und auf die Größe kommt es nicht mal an«, belehrte Vater weiter, »sondern auf den Riecher.«

»Gott«, schnüffelten wir Lehrlingsnasen, »daß der eine Kaffee voller oder schwächer als der andre riecht, das wissen unsere Nasen auch.«

Der Buchhalter holte schweigend eine Rechnung aus dem Fach.

»Michelson Brothers, Rio de Janeiro, Pfund Sterling 5017. 2. 3.«, lasen wir.

»Das sind hunderttausend Mark für fünfzehnhundert Sack Kaffee«, fügte er hinzu.

»Na ja«, beharrte unsere Lehrlingsklugheit, »und was weiter?«

»Was weiter? Plus Wamprechts Nase verdienen wir 'ne schöne Stange Gold daran.«

»Und ohne?« zwinkerten wir.

»Wär' es möglich, daß wir nichts verdienten oder gar noch draufbezahlten.«

Langsam fingen jetzt auch wir die Wamprechtsnase zu verehren an. Einen mystischen Glanz bekam sie. Einen metallischen hatte sie schon ohnehin.

»Schaut ihm mal zu«, sagte der Prokurist, »es ist eben eine neue Mustersendung aus Hamburg eingetroffen.«

Da stellten wir uns im Musterzimmer ehrfurchtsvoll an die Wand und schauten zu. Der Kontordiener legte feierlich die blauen Mustertüten auf den langen Tisch. Weiß erglänzten auf den blauen Körpern die rechteckigen Zettelbrüste 174 mit der Aufschrift »Santos good average Ernte 1891«, »Maracaibo flachbohnig good middle«, »Guatemala 1890 großbohnig voll« . . . und in Reihen lagen die spitzigen Dreiecksgesichter mit den Einaugen der Messingmusterklammer, erwartungsvoll wie wir: Was nun?

Nun ging zum zweitenmal die Türe auf. Frau Schräder, die Putzfrau, stellte die kleine Rösttrommel mit der Spiritusbeheizung auf den Tisch. Nicht minder feierlich.

Erst das drittemal trat langsam Wamprecht durch die Türe. Vielmehr seine Nase. Denn was sonst noch an ihm war, schlenkerte nur nebensächlich um die Wamprechtsnase. Wir hatten das Gefühl, daß ein Posaunenchor jetzt blasen müßte, als die Nase schweigend glänzend in das Musterzimmer schritt.

Uns sah er an, wie Priester Messeknaben anschaun, die den Weihrauch streuen. Die erste Tüte griff er, »Preanger Gold perlbohnig mild«, drückte gütig in die Ränder, daß das Opfer bauchig wurde, sich blähte, und das Kaffeeblut herausrann in die hohle Wamprechtshand: »Herr, hier bin ich, was soll ich tun zu deinem Lob und Preis?«

Langsam und strahlend senkte sich die Riesennasenampel ins Kaffeegeriesel, flackerte, schnüffelte, schwang erwägend hin und her und zischte leise: »Ds, ds, ds . . .«

Kam die nächste Tüte, »Java dunkelgelb riesenbohnig mokkaartig Vollgeschmack«, neigte sich und rann und sah die Ampel glühn und hörte des Wamprechtsgottes Stimme: »Ds, ds, ds . . .«

Kam die dritte Tüte, die vierte, die fünfte, die ganze lange Opferreihe wurde vorgemustert: »Ds, ds, ds . . . ds, ds, ds . . . ds, ds, ds . . .«

Ein Wink, der Priesterkontordiener zündete die Spiritusflamme unter der Rösttrommel an. Ein zweiter Wink, ich durfte einen Mustertüteninhalt in die Trommel schütten. Scheu und zitternd tat ich's. Die Bohnen prasselten. Gerüche stiegen auf. Nebel wallten. Brasilien hob sich aus der Ozeanbläue. Kaffeewälder rauschten. Bahnen keuchten. Dampfer tuteten. Federn schrieben auf Fakturen: Kramer & Friemann Soll an 100 Sack Mokka klein perlbohnig vollschmeckend . . . Ein dritter Wink, die Priestergehilfin 175 Putzfrau Schräder kurbelte die Rösttrommel. Gleichmäßig feierlich. Choralmusik, kein Lehrlingsherz vergißt sie. Aus dem Nebel heben sich Kontore, rollen Wägen, knallen Knechte mit den Peitschen, fahren Ladendiener mit den Schaufeln in die Kästen: »Gnädige Frau, diese Sorte Maracaibo kann ich Ihnen ganz besonders empfehlen . . .«

Die Riesennase schnuppert leicht. Das Rösten ist zu Ende. Ein vierter Wink, Frau Schräder hört zu kurbeln auf. Auf die Trommel. Wieder wallen Opferdämpfe. Braun und glänzend perlt's aus der Höhle.

»Na, Herr Wamprecht«, platzte der Prokurist ins Musterzimmer, »ist der Maracaibo was für unsere Mittelkundschaft?«

»Ds, ds, ds«, macht's mißbilligend unter der Augurennase, »muß mir's überlegen – über Mittag – nicht so einfach – ds, ds, ds.«

Der Prokurist nickt und geht. Einen Lehrling sticht der Hafer: »Entschuldigung, Herr Wamprecht, der alte Kassendiener sagt, früher hätten Sie sofort aus dem Handgelenk –«

»Ds, ds, ds, der alte Kassendiener ist ein altes Rindvieh.«

»Ja, und warum können Sie erst nach dem Mittagessen –?«

»Ds, ds, ds, Sie sind ein junges Rindvieh.«


Des alten Wamprechts Tod fiel noch in meine Lehrzeit. Ein Stück der alten Firma sank mit ihm ins Grab. Wehmütig habe ich seine Nase mitbegraben helfen. »Alle müssen einmal sterben«, sagte am anderen Tage der Vorstand der Kaffeeabteilung, »auch unser Wamprecht. In Gottesnamen, wenn er nur seine Nase vererben hätte können. Sie ist unersetzlich. Nie hat jemand den Kaffeegeschmack der Kundschaft so genau getroffen, als – was gibt's denn?«

»Eine Frau ist draußen –«

»Meinetwegen.«

»Sie sagt, sie sei die Haushälterin unseres Wamprechts und –«

»In welcher Sache –?«

»In Sachen Kaffee, sagt sie.«

176 »Ich lasse bitten.«

Sie kommt herein, rotkariert, zahnluckig, freundlich zwinkernd. Hausdiener Vogel, der die Volksgestalten kennt, wie irgendeiner, zwinkert gleichfalls und faßt sein Flüsterurteil so zusammen: »Kaffeeurschel.«

Kaffeeurschel ist in meiner Heimatstadt ein Frauenzimmer, das mit Kaffee aufsteht, mit Kaffee zu Bett geht und dazwischen einundzwanzigmal am Tage den warmgestellten Göttertrank kritisch untersuchend aus der Ofenröhre zieht, während sie sich in der Nacht mit etwas weniger behilft.

»Also ich wär' halt dem Herrn Wamprecht seine –«

»Weiß ich. Sie wünschen?«

»Also ich hätt' halt frag'n woll'n, ob ich die Kaffeemüsterln weiter krieget' zum Probieren?«

»Welche Kaffeemuster?«

»Halt die er all'weil heim'bracht hat und die i' probieren hab' müssen all'weil.«

»Sie?«

»No ja, weil sei' Nas'n und sei' Zung'n nimmer auf der Höh' war'n und er g'sagt hat, niemand treffet' so wie ich den G'schmack von eurer Kundschaft – jaa –«

»Wie, Sie wollen einen Maracaibo von einem Preanger unterschei –?«

»Ds, ds, ds –«

Der Kaffeevorstand schloß einen Augenblick die Augen. Ihm war, der alte Wamprecht lebe.

»– und einen flachbohnigen Guatemala von einem Santos good middle ordinary –?«

»Ds, ds, ds, ein' Schmarr'n – ob 'n d' Leut mög'n oder net, schmeck' i' halt – ds, ds, ds . . .«

Auf Grund dessen schloß man einen Vertrag mit der Kaffeeurschel, einen lebenslänglichen Geheimkaffeeprobiervertrag, kraft desselben wir nicht nur die Zufriedenheit unserer verwöhntesten Kaffeeabnehmer behielten, sondern auf Salärkonto noch ein doppeltes Buchhaltergehalt ersparten. 177

 


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