Fritz Müller-Partenkirchen
Kramer & Friemann
Fritz Müller-Partenkirchen

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Nicht für voll

»Herr Vater«, sagte ich zum alten Stadtbuchhalter M–P, »ich hab' gehört, wir kriegen ein – e.«

Er schaute übers Konto, rückte an der Brille: »Lehrlingsgewäsch.«

»Bitte sehr, Herr Vater, ich weiß es von Fräulein Olga.«

»Kenn ich nicht.«

»Olga Hüttelmann, die Tochter unsres Lagerhalters, ist die Freundin von Berta Schwarz, der Neuen.«

119 »Kenne ich auch nicht.«

»Jetzt noch nicht, Herr Vater, aber bald. Ans dritte Fenster kommt sie zu den Kunden mit S.«

»Unsinn, S hat doch der Niedermeier.«

»Aber das Sch gibt er ab, es wird ihm zuviel.«

»Schämen soll er sich: an ein Frauenzimmer!«

Er machte wütende Einträge. Ein neues Konto sollte überschrieben werden: Weiß.

»Herr Vater, Sie haben Schwarz geschrieben.«

»Verflucht! Da sehen Sie, was für einen Unsinn solch ein Frauenzimmer – mit meinem Willen kommt sie nicht herein, und wenn der Niedermeier nicht ein solcher Lappschwanz wäre.«

»Bscht, da kommt sie mit dem Prokuristen – sehen Sie, ans dritte Fenster – hab' ich's nicht gewußt!«

Der alte Buchhalter nahm die Brille ab. Er blinzelte unsicher. Auch der Prokurist war nicht ganz sicher, man sah's ihm an. Das ganze Kontor wurde unsicher: Unerhört. Bei Kramer & Friemann ein Frauenzimmer!

»Was soll ein Flietscherl im Kontor?« murmelte Zifferer, der Mann der Preislisten.

»Eine fade Nocken in der Firma, Gott behüt' mich!« murmelte Dollmann, der Fakturist.

»Das arme Hascherl kann mir leid tun«, sagte Enders, der Kreditmann.

Der nervöse Niedermeier zitterte hinter seinem S.

Aber das Frauenzimmer, das Flietscherl, die Nocken und das arme Hascherl stand fest und frisch am dritten Fenster und schaute. Der Prokurist schwankte noch. Dann sagte er laut: »Fräulein Berta Schwarz übernimmt das Sch. Ich heiße Sie willkommen und wünsche Ihnen Glück –«

»Mir hat keiner Glück gewünscht, als ich eintrat«, brummte der Zifferer.

»Herr Vater«, fuhr der Prokurist fort, »Sie als Aeltester nehmen sich des Fräuleins weiter an – ich muß auf die Reichsbank.«

Da geschah das erstaunliche, daß Vater auf das Flietscherl zuging, ihr fest ins Aug' sah und die Hand gab: »Sie 120 werden's nicht leicht haben, Fräulein Schwarz, bei so vielen Mannsbildern –«

Das Kontor fiel aus der Erstarrung, es lächelte.

»– aber wenn man einen guten Willen hat, wie Sie – und was kann, wie Sie – und überhaupt – also, das ist Herr – deswegen brauchen Sie nicht rot zu werden, Herr Niedermeier – und hier will Ihnen unser Herr Zifferer die Hand geben – und hier Herr Enders – na na, nicht drängeln bitte . . .^

Fräulein Schwarz war nicht schön, was man so heißt. Damals freilich war sie die einzige Frau auf fünf Dutzend Männer in täglich neun Stunden. Also war sie schön trotzalledem. Also wurde sie verehrt. Also stellte ihr Herr Zifferer zu Beginn der Arbeitswoche ein Blumensträußlein auf das Pult. Also rückte Herr Niedermeier alle Dienstag mit einem zweiten Sträußchen nach. Also ließ es sich Herr Dollmann Mittwochs auch nicht nehmen. Also lustwandelte Berta Schwarz am Samstag in einem Garten statt im Sand der Kundenschulden Sch.

Mit mancher Arbeit tat sie sich auch noch schwer. Zum Beispiel mit der Zinsenstaffel. Das ist keine Schande. Es gibt viele Bücher darüber. Und noch immer kommt ein neues, das es besser weiß. Kein Wunder also, daß sie fragen mußte: »Und wie steht's mit den roten Zahlen für die Vortragsposten, Herr Niedermeier?« – »Geben Sie, ich mach' es gerne für Sie.« – »Darf ich es nicht selber –« Aber da rechnete er schon auf Mord und Brand.

Oder ein Kunde Mellinger verkaufte sein Geschäft an einen namens Schindler. Das gab einen Saldoübertrag von Herrn Vaters Reich in die Sphäre Sch. »Herr Vater, lassen Sie mich im Memoriale den Uebertrag besorgen.« – »Ist schon besorgt«, lächelte Herr Vater. – »Aber ich hätte doch gern selber –« – »Nein, nein, das bißchen Aufmerksamkeit müssen Sie einem alten Knaben nicht verkümmern, Fräulein Schwarz.«

Oder es waren die neuen Zahlungsbonitäten von Herrn Endres Listen in die Konten einzutragen. »Herr Endres, darf ich um die Listen bitten?« – »Bitten ja, Zweck hat's freilich keinen.« – »Und warum nicht?« stammelte sie verwirrt. – 121 »Weil ich's gestern Abend für Sie eingetragen habe, liebes Fräulein.«

Alle überboten sich. Am schlechtesten im Rennen schnitt Herr Ebel ab. So gern hätte er die Mahnungen ihr abgenommen. Aber über »Darf ich –?« kam er nicht hinaus vor Schüchternheit. So jung ich war, daß gerade dieser ihr am treuesten ergeben war, sah ich doch. Man hat dafür Augen, wenn man selbst verliebt ist. Wenn man selber bis zum Halse errötet, als es eines Abends pfeilgerad' und hold auf einen zugesegelt kam:

»Und wie kommt ihr denn mit meiner Freundin aus, Herr Müller?« – »Oh, glänzend, Fräulein Olga.« – »Ja ja, ich weiß, aber eine Blödheit ist es doch.« Aus allen Himmeln fiel ich: »Eine Blödheit?« – »Nun ja, sie meint es ernst mit ihrer Arbeit, ihr aber nehmt Fräulein Schwarz nicht für voll.« – »Bitte, Fräulein Olga, wir verehren sie sogar.« – »Ei, wir? da macht sich etwa ein gewisser Jemand auch nichts draus, mit mir an einem Sonntagnachmittag unter den Arkaden –« –»Oh, Fräulein Olga, das wenn Sie mir erlaubten«, stammelte ich begeistert. – »Ihnen?« schauspielerte sie, »nein, das erlaubt man nur solchen, die man voll nimmt.« – »Und mich nehmen Sie also –?« – »– erst dann voll«, lachte sie, »wenn Fräulein Schwarz bei euch auch voll genommen wird – dann auf Wiedersehn, Herr Müller, unter den Arkaden.«

Sie war davongeflattert. Ich bewegte an dem Abend große Pläne. Ein Zufall, daß Herr Ebel von der Straßenbahn mitten in diese Pläne sprang. War das ein Finger Gottes? Alles hab' ich ihm erzählt. »Nicht voll?« sagte er nachdenklich, »nicht voll? ja, das ist's, ich danke Ihnen.« – »Wofür?« Aber Herr Ebel war davon und sparte sich die Antwort auf den nächsten Tag.

Dieser Tag war fast ein Drama. »Herr Niedermeier«, kam Fräulein Schwarz, »wollen Sie mir sagen, wie man diese überfälligen Posten –?« – »Nicht nötig, Fräulein Schwarz, hab' auf diesem Blatt schon alles für Sie ausge –« – Aber da langte eine Hand herein, zerriß das Blatt und sagte ruhig: »Welch ein Unsinn, Fräulein Schwarz ist doch kein Kind. Wenn Sie's nicht erklären wollen, werde 122 ich –« Knirschend deckte ihr Herr Niedermeier das Gesetz der überfälligen Zinsenposten auf.

Eine Stunde später trat der alte Herr Vater an ihr Pult: »Denken Sie, Fräulein Schwarz, ich kann die Mahnungen, die ich für Sie geschrieben, nicht mehr finden.« – »Ich freue mich, endlich lerne ich sie selbst zu schreiben.«

Gegen Mittag kam Herr Endres liebenswürdig angetänzelt: »Ich weiß, Sie plagen sich seit Tagen mit der Versandstatistik Ihrer Kunden. Hier habe ich für Sie – Donner, wer hat mir die Tinte draufgeschüttet!« Während er wütete, fing ich einen Blick auf.

Er kam vom Pulte des Herrn Ebel: »Sieh, ich nehme dich für voll.«

Was soll ich noch erzählen? Etwa, daß Fräulein Schwarz seit reichlich zwanzig Jahren Ebel heißt?

Und ich? Je nun, ich hab' vor reichlich ebensoviel Jahren unter den Arkaden wandeln dürfen. Sogar ungestraft. Denn Fräulein Olga Hüttelmann hat heute alle sechs Wochen ein anderes Dienstmädchen und heißt Olga Maier.

 


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