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VI.
Die Ausleuchtung

Du giebst mir Dein Wort, mein Vater, daß Du ihn nicht länger als fünf Minuten hier in meinem Zimmer läßt? fragte Rahel.

Ich gebe Dir mein Wort, erwiderte ihr Vater, nicht länger soll er hier bleiben, als nöthig ist, um meine Vorbereitungen zu treffen.

Deine Vorbereitungen! rief Rahel angstvoll. Laß mich zum Mindesten wissen, was Du beabsichtigst, mein Vater?

Einen Scherz, weiter nichts, rief Herr Eskeles Flies lachend. Nur eine Annonce an die guten Wiener, daß der reiche Jude Eskeles Flies nichts zu schaffen haben will mit dem vornehmen und reichen Grafen Podstadzky Liechtenstein. Will nur dem Herrn Grafen und dem ganzen Wien ein Licht anzünden, daß sie Alle erkennen sollen, es sei nicht wahr, daß die schöne Rahel Eskeles Flies den Grafen Podstadzky liebe. Habe nur Vertrauen, meine Tochter! Ah, da schlägt es elf Uhr! Die Stunde des Rendezvous! Adieu, meine Rahel, adieu, und sei standhaft! Gönne es Deinem Vater, daß er mindestens mit einem lustigen Scherz ein wenig seine Rache kühle an den hochmüthigen Christen, die kein Herz in ihrer Brust tragen, denn sonst würde es sich erbarmt haben des Jahrtausende alten Jammers unsers Volkes. Horch, da kommen Schritte durch das Vorzimmer! Adieu, meine Rahel! Dein Vater ist verreist, und Dein glücklicher Liebhaber kommt!

Er nickte ihr lachend zu und schlüpfte durch die Seitenthür von dannen. Es war Zeit, denn eben öffnete sich da drüben die Thür und der Graf Podstadzky erschien auf der Schwelle.

Rahel bebte in sich zusammen, und statt, wie er zu erwarten schien, dem Grafen entgegen zu gehen, schwankte sie rückwärts und machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand nach ihm hin.

Aber der junge Graf achtete nicht darauf. Mit strahlenden Augen und einem siegesgewissen Lächeln näherte er sich dem schönen Mädchen, und breitete die Arme nach ihr aus, um sie an sein Herz zu ziehen.

Endlich, mein holder, schöner Engel, flüsterte er, endlich ist die Stunde des Glücks für mich gekommen, endlich will die schöne Rahel meine Liebe erhören, endlich will sie mein sein und mich zu dem Glücklichsten der Sterblichen machen!

Wer sagt Ihnen, daß ich das will? fragte Rahel, indem sie mit einer stolzen Handbewegung die Arme des Grafen zurückschleuderte und einen Schritt zurücktrat.

Nun, thust Du es nicht schon jetzt, mein schöner Engel? fragte der Graf lächelnd. Hast Du mir nicht ein Rendezvous bewilligt?

Wer hat Ihnen erlaubt, mich Du zu nennen? fragte Rahel, glühend vor Zorn.

Die Liebe hat mir das erlaubt, meine reizende Rahel! rief er lachend. Die Liebe, welche gemacht hat, daß die schöne Rahel mir ein Rendezvous gewährte, die Liebe gestattet auch, daß ich Dich Du nenne, und daß Du es mir erwiderst. Oh, mein herrliches Kind, was haben wir Beide denn noch zu schaffen mit den kalten Formen der Welt! Was kümmert es uns, wie sich die Menschen da draußen benehmen in der Welt! Unsere Herzen sprechen zu einander in der Sprache des Glückes, der Liebe, der Seligkeit! Wir bedürfen der Welt nicht mehr und ihrer Formen, Eins wollen wir sein in Liebe, Eins in Hingebung und Wonne! Komm, mein Engel, wozu diese Sprödigkeit? Niemand ist hier, der uns belauscht!

Gott ist hier, sagte Rahel ernst, Gott hört es, wie Sie mich beschimpfen, und er wird Sie dafür strafen!

Oh, rief der Graf lachend, Gott hat nicht Zeit, den Rendezvous aller Liebenden in Person beizuwohnen und ihren Worten zu lauschen. Der einzige Gott, welcher hier ist, das ist der Gott Amor, mein Kind. Oh Rahel, Rahel, wie schön Du bist mit diesen blitzenden Augen, wie ich Dich anbete in Deiner stolzen, herrlichen Schönheit!

Er wollte sie wieder in seine Arme ziehen, aber sie wehrte ihn stolz zurück. Herr Graf Liechtenstein Podstadzky, fragte sie mit stolzem Ton, sind Sie hierher gekommen, um mir Ihre Hand, Ihren Namen und Ihr Herz anzubieten?

Oh, ich wäre der Glücklichste der Sterblichen, wenn ich das könnte, rief der Graf glühend. Aber Du weißt es, meine herrliche Rahel, die Gesetze unserer Kirche gestatten es dem Christen nicht, eine Jüdin zu heirathen.

Geben Sie mir also einen Beweis Ihrer Liebe, sagte Rahel.

Ich bin bereit, Dir jeden Beweis meiner Liebe zu geben, sprich nur, mein Engel, was kann ich thun!

Werden Sie Jude! sagte Rahel feierlich.

Jude? Ich? Der Graf Podstadzky soll Jude werden? rief er, in ein lautes, übermüthiges Lachen ausbrechend.

Werden Sie Jude, damit Sie mir Ihre Hand reichen können, fuhr Rahel fort. Werden Sie Jude, und Rahel Eskeles Flies wird Ihr Weib werden, und alle Millionen ihres Vaters werden Ihr Erbtheil sein!

Graf Podstadzky lachte nicht mehr, er verwünschte sogar in seinem Herzen seinen eigenen Uebermuth, der ihn lachen gemacht, und nahm eine ernste Miene an, denn die Erinnerung an die Millionen des reichen Juden hatte ihn besonnen gemacht.

Was kümmern mich die Millionen Deines Vaters, sagte er, ich liebe und will nur Dich, meine Rahel. Ich wäre selig, wenn ich Deinen Vorschlag annehmen, wenn ich – seine Zunge sträubte sich, es auszusprechen – wenn ich Jude werden könnte! Aber auch dies erlauben die Gesetze unseres Landes uns nicht. Der Christ darf seine Religion nicht ablegen und Jude werden.

So steht denn die Religion auf immer trennend zwischen uns und nie kann der Graf Podstadzky Liechtenstein der Gemahl der Jüdin Rahel Eskeles Flies werden. Wußten Sie das, Herr Graf?

Wohl wußte ich das, meine theuerste Rahel, aber was fragt die Liebe nach den Hindernissen, die sich der Ehe entgegensetzen? Die Liebe genügt sich selber, sie gedenkt nicht der Zukunft, sie lebt nur der Gegenwart, der süßen, bezaubernden Gegenwart. Komm, meine Rahel, laß uns dieser Gegenwart genießen.

Wagen Sie es nicht, mich zu berühren, rief Rahel, mit flammenden Zornesblicken vor dem auf sie eindringenden Grafen zurückweichend. Gehen Sie, aber erst hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe. Ich habe Ihrer unverschämten Bitte genügt, ich habe Sie hierher kommen lassen, nicht aber, weil ich Sie liebe, sondern weil ich Sie verachte, und weil der Graf Podstadzky eine Züchtigung dafür verdient, daß er es gewagt hat, mich zu beleidigen und in meiner Ehre zu kränken. Und jetzt gehen Sie, mein Herr, wir haben einander nichts mehr zu sagen.

Und mir erlauben der Herr Graf, daß ich die Ehre haben darf, Sie heraus zu begleiten, sagte hinter ihnen eine laute spöttische Stimme, und wie der Graf sich umwandte, sah er da Herrn Eskeles Flies, welcher sich ihm näherte, in seiner Rechten eine große brennende Wachsfackel haltend.

Der Graf erbleichte, aber schnell seine Fassung wieder gewinnend, fragte er mit einem übermüthigen Lachen: Sind wir im Fasching, und wollen Sie Gott Amor mit der brennenden Fackel darstellen?

Ja, das will ich, Herr Graf, sagte Eskeles Flies, ich will für Sie Gott Amor sein und Ihnen mit meiner Fackel leuchten, damit Ihr Fuß nicht strauchele, und damit Sie niemals abirren von dem rechten Wege, von dem Wege der Tugend, der Ehre und der Redlichkeit.

Herr Eskeles Flies sagte das mit so bedeutender Betonung, mit so feierlichem Ernst, daß der Graf stutzte und einen scheuen, forschenden Blick auf das Antlitz des Banquiers warf. Dieser erwiderte den Blick mit so scharfem, durchbohrendem Anschauen, daß der Graf ganz verwirrt und angstvoll das Auge zu Boden senkte.

Kommen Sie, Herr Graf, sagte Herr Eskeles Flies, erlauben Sie, daß ich und meine Dienerschaft Sie hinausleuchten.

So sprechend stieß er die Thür auf, und jetzt bot sich dem Grafen ein seltsamer Anblick dar.

Den ganzen Vorsaal entlang hatten sich die reichgallonirten Livréebedienten des Banquiers in zwei Reihen, dicht wie eine Mauer aufgestellt, Jeder von ihnen mit einer großen Wachsfackel in der Hand, deren gelbes flackerndes Licht seltsam contrastirte zu der Helle der Wintersonne, die mit ihren glänzenden Strahlen durch die Fenster hereinblitzte.

Kommen Sie, wenn es Ihnen gefällig ist, Herr Graf, sagte der Banquier vollkommen ernsthaft, erlauben Sie mir, Sie heimzuleuchten.

Und mit seiner Fackel in der Hand schritt Herr Eskeles Flies vorwärts. Der Graf zögerte einen Moment, sein Fuß sträubte sich, vorwärts zu schreiten in dieser lächerlichen Prozession, und einen finstern, scheuen Blick nach allen Seiten werfend, suchte er nach einem Ausweg, dieser Lächerlichkeit zu entfliehen. Aber er sah, daß dies unmöglich war. Hinter ihm hatte Rahel die Thür verschlossen, und an beiden Seiten der Thür hatten sich die Diener so nahe aufgestellt, daß es unmöglich war, seitwärts an ihnen vorbei zu schlüpfen, unmöglich, diese dichte brennende Mauer zu durchbrechen.

Il faut faire bonne mine au mauvais jeu, murmelte der Graf achselzuckend, und mit einem spöttischen Lächeln schritt er vorwärts.

Jetzt stieß der ihm vorleuchtende Banquier die Thür auf, welche auf den Vorplatz und zur Treppe führte. Auch hier derselbe Anblick. Auch hier standen die Diener und Livréebedienten des Banquiers den Vorplatz entlang bis zur Treppe, und auf der Treppe bis hinunter auf den Flur, bis dicht hin zu der Hauptthür, deren beide auf die Straße hinausführende Flügel weit geöffnet waren. Und jeder von diesen Männern, die mit mühsam verbissenem Lachen zu dem Grafen hinschaueten, hatte eine brennende Wachsfackel in der Hand, die mit ihrem flackernden gelben Licht ihrer selber und des Grafen zu spotten schien.

Wieder suchte der Graf nach einem Ausweg, um zu entfliehen, aber wieder umsonst, denn hier, wie da drinnen, standen die Diener dicht neben einander wie eine Mauer, ihre Fackeln dem Grafen entgegen streckend, sobald er die Mitte des Spaliers verlassen, und zu ihnen herantreten wollte.

Und wieder verneigte sich Herr Eskeles Flies mit einem spöttischen Lächeln und sagte laut: Erlauben Sie mir, Herr Graf Podstadzky Liechtenstein, daß ich Sie heimleuchte.

Der junge Graf suchte noch immer das übermüthige Lächeln auf seiner Lippe festzuhalten, und schritt mit anscheinender Gelassenheit, mit hochgehobenem Haupt vorwärts, über den Vorplatz der Treppe hinunter und über den Flur bis zur Hausthür hin.

Hier endlich hoffte er der lächerlichen Prozession überhoben zu sein. Aber das war ein Irrthum. Auch außerhalb der Hausthür zu beiden Seiten derselben standen wiederum die reich gallonirten Livréebedienten des Banquiers, mit brennenden Fackeln in den Händen, und bildeten neben der Straße, zur Seite des langen, Herrn Eskeles Flies gehörenden Hôtels ein doppeltes Spalier. Und hinter diesem Spalier schob und drängte sich auf der Straße eine ungeheure Menschenmasse bis dicht an die Thüren des Hôtels. Jeder Vorübergehende war, angezogen von dem seltsamen Fackelzug bei Tage, stehen geblieben, um das Ende dieser wunderlichen Faschings-Prozession abzuwarten, und zu erfahren, was der reiche Banquier Eskeles Flies, den ganz Wien kannte, mit diesem Aufzug bezwecke. Dieser ganze Auftritt hat sich in Wahrheit so zugetragen. Siehe darüber: Briefe eines reisenden Franzosen Th. I. S. 405. Ferner: Friedels Briefe aus Wien. Th. II. S. 380.

Herr Eskeles Flies, die Fackel in der Hand, erschien eben auf der Schwelle seines Hôtels, und hinter ihm sah man das bleiche spöttische Gesicht eines jungen Mannes, den die näher heranwogende Menge sich bis jetzt vergeblich bemühte zu erkennen.

Da wieder verneigte sich Herr Eskeles Flies, und mit so lauter, dröhnender Stimme, daß kein Ton derselben der lauschenden Menge verloren ging, sagte er: Erlauben Sie mir, Herr Graf Podstadzky Liechtenstein, daß ich Sie heimleuchte.

Lachen und wohlgefälliges Murmeln durchlief die Menge, hundert und aber hundert Augen wandten sich auf den jungen Mann hin, der jetzt mit finstern Mienen, mit fest zusammen gepreßten Lippen hinter dem Banquier in der Mitte der Diener, die mit ihren Fackeln ihm leuchteten, dahin schritt.

Seht da, rief eine kichernde Stimme aus dem Volkshaufen, der reiche Jude hat, wie es scheint, einen Marder in seinem Hühnerstall gefangen und er leuchtet ihn heim, wie er sagt.

Und der Marder ist der schöne Graf Podstadzky Liechtenstein, rief eine andere Stimme. Ihr kennt ihn doch, den schönen jungen Herrn, der sich den stolzen Titel »der Frauenverführer« erworben hat. Seht nur, wie er beschämt von dannen schleicht, denn der Jude leuchtet ihn heim aus seinem Hause.

Der Jude leuchtet den Grafen heim, hohnlachte, jubelte, schrie die Menge, und unter diesem Lachen und diesem Geschrei schritt der Graf weiter durch die Reihe der Diener mit ihren brennenden Fackeln, Wuth im Herzen, mühsam nur eine äußere ruhige Haltung bewahrend.

Jetzt endlich waren sie am Ende des Spaliers, am Ende des Hôtels angelangt. Herr Eskeles Flies wandte sich um, und dem Grafen mit einem freundlichen, verbindlichen Lächeln in das zornige Antlitz schauend, sagte er mit schmetternder Stimme: Ich habe die Ehre mich dem Herrn Grafen Podstadzky Liechtenstein zu empfehlen. Oder wünschen Ew. Gnaden, daß ich Sie noch weiter heimleuchte?

Es ist genug, sagte der Graf mit leiser wuthzitternder Stimme. Ich werde Sie für diese Beleidigung zur Rechenschaft ziehen. Wir wollen doch sehen, ob es schon dahin gekommen ist, daß der Jude ungestraft den Edelmann beleidigen darf!

Ich fürchte, Herr Graf, daß es dahin gekommen, daß der Jude auch Menschenrechte hat, sagte der Banquier lächelnd, ich fürchte, daß der Jude, kraft dieser Menschenrechte, welche die Gerechtigkeit des Kaisers ihm verliehen, wohl befugt ist, einen ihm und seinem Hause angethanen Schimpf von sich abzuwehren, und müßte er dabei auch dem hochgeborenen Grafen eine Beleidigung anthun. Verklagen Sie mich doch vor dem Kaiser und dem Gericht, ich werde alsdann meine Gegenklage anbringen.

Oh, seht da, der Jude will es wagen, gegen den Grafen zu klagen! rief Graf Podstadzky Liechtenstein mit einem verächtlichen Achselzucken.

Ja, bei Gott, sagte Eskeles Flies laut genug, um von der Menge verstanden zu werden, ja, bei Gott, der Jude will es wagen, gegen den Grafen zu klagen, denn Dank unserm edlen Kaiser, ist jetzt der Jude auch ein Mensch vor dem Gesetz, Dank unserm edlen Kaiser, ist auch der Graf nur ein Mensch vor dem Gesetz, und wird gerichtet und gestraft wie jeder Andere. Es ist eine neue Zeit angebrochen, Herr Graf, eine Zeit der Gerechtigkeit und der Freiheit. Der Kaiser will allen seinen Unterthanen ein gerechter und gnädiger Herr sein, und er hat gesagt: vor dem Gesetz sind alle meine Unterthanen gleich, und nach denselben Gesetzen soll der geringste wie der höchste meiner Unterthanen gerichtet werden. Es lebe unser gerechter und gütiger Kaiser! Es lebe Joseph, der Vater seines Volkes!

Es lebe Joseph, der Vater seines Volkes! rief die Menge ihm nach, und unter diesem Jubelgeschrei des Volks schlich sich der vornehme Graf beschämt und wüthend von dannen.

 

Schluß des zweiten Bandes.

 


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