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Fürst Potemkin blickte dem Polizeiminister mit düstern Blicken nach, und da er sich jetzt allein und unbeachtet fühlte, sank er wieder auf den Fauteuil nieder, es verschwand der stolze Ausdruck von seinem Antlitz und finstere Wolken lagerten sich auf seiner Stirn.
Es geht etwas hier vor, murmelte er in sich hinein, eine Intrigue ist im Werk, und meine Feinde hoffen mich zu stürzen. Ich sah das gestern an den freudeleuchtenden Augen Panins. Oh, dieser Panin ist mein Feind, und ich hasse ihn fast so sehr wie ich den Alexis Orloff hasse. Ich weiß, daß sie mein Verderben sinnen, daß sie nichts unversucht lassen, mich zu stürzen! Ein Glück für mich, daß Orloff nicht hier ist, daß er mit seiner persönlichen Gegenwart nicht die Pläne des Grafen Panin unterstützen kann! Jeden für sich allein fürchte ich nicht, aber wenn sie Beide zusammen sind, dann ist Orloff die geladene Kanone, Panin die brennende Lunte, und der Schuß wird fallen und mein Haupt zerschmettern!
Und als höre er schon jetzt das Fallen dieses Schusses, so entsetzt sprang der Fürst empor und faßte mit seinen beiden Händen nach seinem Haupt. So stand er eine Weile unbeweglich, bleich, mit großen Augen in das Leere starrend, mit keuchendem Athem da. Aber dann allmälig verschwand die Spannung aus seinen Zügen und ein mattes Lächeln glitt darüber hin. Er ließ die Arme von seinem Haupt niedergleiten und sank langsam wieder in den Lehnstuhl zurück.
Noch fliegt die Kugel nicht, murmelte er leise. Sie steckt noch in der Kanone, und man muß daher bedacht sein, sie in ihrem Lauf zu vernageln. Die Kanone Orloff zu vernageln, ah, das ist ein glücklicher Gedanke! Aber freilich, man kann eine Kanone nicht vernageln, wenn man sie nicht hat, und Orloff ist nicht hier, er hat sich zurückgezogen auf seine Güter, wie die Spinne in ihr Netz. Aber er webt Etwas, ich weiß und fühle es, er webt sein Netz, und denkt mich darin zu fangen! Was ist's? Wo find' ich die Fäden dieses Netzes? Oh hab' ich sie erst, so wär's ein Leichtes, sie mit meinen Zähnen zu zerreißen, aber – wo sind diese Fäden, und wie sind sie angeknüpft? Panin lächelt, wenn er mich sieht, und versichert mich seiner ewigen Freundschaft. Wenn das der Graf Panin thut, so heißt das, er will mir die Augen verblenden, daß ich nicht sehen kann, und glaubt sich seinem Ziel schon ganz nahe. Der Großfürst ist freundlich und zärtlich gegen Panin, und scheint durch ihn sich der Kaiserin selbst versöhnt zu haben. Als ich gestern im Salon der Kaiserin an dem Großfürsten vorüberging, ohne ihn zu grüßen, rief er mir einen Fluch nach, und nachher hörte ich, wie er sich ganz laut zur Kaiserin beklagte über das, was er meine Grobheit und Unverschämtheit nannte. Und Katharina hörte ihn ruhig und lächelnd an, sie zürnte ihm nicht wegen seiner ungebührlichen Ausdrücke, sie befahl ihm nicht zu schweigen, obwohl sie sah, daß ich in ihrer Nähe stand und jedes Wort hören mußte. Das macht, Katharina zittert nicht mehr vor mir und sie hat keine Furcht mehr vor meinem Zorn. Aber sie soll es büßen, beim ewigen Gott, sie soll es schon wieder lernen, vor mir zu zittern, und sich zu beugen unter meinen Willen, sie soll es fühlen, daß sie einen Herrn hat, und daß Potemkin dieser Herr ist.
Und jetzt flammten seine Augen, und er schwang seine geballte Faust hoch empor, drohend, zum zerschmetternden Schlag bereit.
Ja, ja, ich werde sie demüthigen, murmelte er dann zwischen seinen fest auf einander gepreßten Zähnen hervor, ich werde wie der Löwe das Netz zerreißen, mit welchem die heimtückischen Spinnen mich einzufangen gedenken, aber dazu muß ich erst dieses Netz sehen und wissen, wo die Fäden angesponnen sind! Oh, oh, ist es nicht zum rasend werden, daß ich, Potemkin, vor dem ganz Rußland sich in den Staub beugt, den alle Welt allmächtig nennt, daß ich zittere vor Spinngeweben und vor diesen kleinen, jammervollen Schleichern, die ein Tritt meines Fußes zerschmettern würde, wenn sie es nicht verständen, wie die Mäuse, immer von dannen zu huschen, und in ihr Mauseloch zu kriechen, sobald sie meinen Schritt hören, und erst hervorzukommen, wenn ich schlafe, um an meiner Macht zu nagen. Potemkin, Potemkin, sei also auf Deiner Huth, denn die feindlichen Mäuse wachen, wenn Du schläfst.
Er versank wieder in sich selbst und starrte mit großen düstern Blicken in das Leere. Graf Panin beherrscht in gewissem Grade noch immer das Ohr der Kaiserin, sagte er dann leise vor sich hin. Sie hört auf ihn in allen politischen Angelegenheiten, und ihre Freundschaft zu dem alten König von Preußen ist Panins Werk. Er will dieses Bündniß, er will die Freundschaft Preußens, und Katharina stimmt ihm bei. Dies ist der einzige Punkt, in dem sie mit ihrem Sohn, dem Großfürsten, harmonirt; gleich ihm liebt sie den König Friedrich; das ist die Brücke, welche sich Panin zwischen Beiden gebaut hat. Wie, wenn ich diese Brücke zerstörte, wenn es mir gelänge, die Kaiserin anderen Sinnes zu machen? Um Panin und durch ihn Orloff zu stürzen, müßte ich die Kaiserin zu einer ganz neuen Politik bestimmen, müßte sie veranlassen, den entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Auf diesem entgegengesetzten Wege würde sie meinem Todfeind Orloff nicht begegnen, denn Orloff ist preußisch gesinnt, und erhält sich deshalb fern vom Hof, weil der Oesterreicher hier ist. Oh, warum ist dieser Kaiser Joseph ein so stolzer und geiziger Mann, daß es unmöglich ist, sich für ihn zu interessiren! Wenn er zu mir käme, wenn er mir diesen Vorzug vor allen andern Großen dieses Reiches gewährte, er, der alle Einladungen ablehnt, und zu keinem der Großen in's Haus geht, wenn er bei mir eine Ausnahme machte! Ah, das wäre ein Triumph, den ich ihm mit all meiner Macht und meinem Einfluß lohnen wollte. Aber er thut es nicht! Dieser übermüthige Kaiser wagt es mir zu trotzen, er verschmäht meine Einladung, und durch diesen Trotz drängt er mich mit Gewalt hinüber auf die Seite des Königs von Preußen. Aber auf dieser Seite finde ich Orloff und Panin und den Großfürsten, meine drei Todfeinde, welche Katharina mit Preußen verbinden. Ich kann ihre Politik nicht annehmen, denn das hieße, mich ihnen unterordnen; ich kann nur meinen eigenen Weg gehen, und auf diesen Weg muß ich Katharina mit mir herüberziehen, damit ich sie trenne von meinen Feinden. Wie fange ich es an? Was soll ich thun, was muß ich thun, um –
Ein lautes, dreimaliges Klopfen an der Thür ließ den Grafen verstummen.
Se. Excellenz der Graf von Görtz, Gesandter Sr. Majestät des Königs von Preußen, wünscht Sr. Durchlaucht seine Aufwartung zu machen, meldete der eintretende Officier.
Führen Sie den Herrn Gesandten in den kleinen Salon, sagte Potemkin gelassen, und sagen Sie der Excellenz, daß ich sehr bald bereit sein würde, sie zu empfangen!
Ach, der Herr Graf von Görtz finden es für nöthig, mich aufzusuchen, sagte Potemkin leise vor sich hin, indem er wieder nachlässig in seinen Lehnstuhl zurücksank. Das heißt also, der König von Preußen bedarf meiner, und die Intrigue meiner Feinde ist noch nicht ganz so weit gediehen, um dem König eine Garantie des Gelingens zu gewähren. Er bedarf meiner, überlegen wir also ein wenig!
Und der Fürst, ohne im Mindesten darauf Rücksicht zu nehmen, daß der preußische Gesandte ihn erwarte, überließ sich seinem Nachdenken, und überlegte, wie er den Abgesandten des preußischen Königs aufnehmen wolle.
Fast eine halbe Stunde war vergangen, bevor der Fürst mit seinem Ueberlegen zu Ende war und sich aus seinem Lehnstuhl erhob, um sich in den kleinen Salon zu begeben, wo der Graf von Görtz seiner harrte.
Aber trotz dieser beleidigenden Zögerung trat der Gesandte des Königs von Preußen dem Fürsten doch mit seinem verbindlichsten Lächeln entgegen, und erwiderte den nachlässigen Gruß des Fürsten mit einer tiefen und respectvollen Verbeugung.
Potemkin ließ sich im vollen Gefühl seiner Würde auf den Divan niedergleiten, und erst dann deutete er auf einen Fauteuil ihm gegenüber hin, den der Graf sich beeilte einzunehmen.
Se. Majestät der König von Preußen hat mich beauftragt, mich zu Ew. Durchlaucht zu begeben, und in seinem Namen bin ich hier, sagte Graf Görtz feierlich.
Potemkin nickte nur leicht mit dem Kopf, ohne diese feierliche Introduction einer weitern Antwort werth zu halten.
Se. Majestät hat mir einen sehr schmeichelhaften Auftrag gegeben, fuhr der Graf fort.
Entledigen Sie sich desselben, sagte Potemkin gelassen.
Graf Görtz verneigte sich, und indem er sich dann erhob, zog er aus der Brusttasche seines reichen, goldgestickten Gewandes ein Etui hervor, das er dem Fürsten überreichte.
Se. Majestät der König, mein allergnädigster Herr, voll Anerkennung für Ew. Durchlaucht große und leuchtende Thaten, wünscht Sr. Durchlaucht ein glänzendes Zeugniß seiner Zuneigung und Gewogenheit zu geben, sagte Graf Görtz feierlich. Er hat deshalb beschlossen, Ew. Durchlaucht den höchsten und glänzendsten seiner Orden zu verleihen, und Ew. Durchlaucht zum Ritter des schwarzen Adlerordens zu ernennen, dessen Insignien ich die hohe Ehre habe, in diesem Etui Ew. Durchlaucht zu überreichen.
Potemkin nahm das Etui, und ohne es zu öffnen, setzte er es mit vollkommener Gleichgültigkeit auf den Tisch, der neben ihm stand. Kein Zug seines Antlitzes verrieth die stolze Genugthuung, die erinnerlich empfinden mochte; müde und gelangweilt, wie zuvor, blieben seine Mienen.
Ach, sagte er achselzuckend, Se. Majestät sendet mir den schwarzen Adlerorden. Ich bin dem König von Preußen zwar sehr verbunden für diese Auszeichnung, aber doch weiß ich in der That nicht mehr, wie ich die Menge von Auszeichnungen der Art, die ich schon habe, neben einander ordnen kann, und nun soll ich auch den großen Orden des Königs von Preußen noch da anbringen. Potemkins eigene Worte. Siehe: Dohms Denkwürdigkeiten. Th. I. Seite 413.
Sagen Sie selbst, Herr Graf, fuhr er lachend fort, indem er auf seine Brust deutete, welche in doppelter Reihe mit Ordenskreuzen behangen war, wenn ich alle die großen Bänder dieser Orden anlege, werde ich da nicht das Aussehen eines Bandhändlers haben, der sich selber als Aushängefenster dient, und die Proben seines Lagers spazieren führt? Potemkins eigene Worte. Siehe: Masson, Memoires secrètes sur la Russie. Vol. L, p. 161.
Ew. Durchlaucht führen da, um mich Ihres Ausdrucks zu bedienen, die Proben Ihrer Schätze spazieren, aber es sind zugleich die Proben Ihrer Verdienste, Ihres Heldenmuthes, Ihrer Staatsklugheit und Weisheit. Es wäre eine zu weit getriebene Bescheidenheit, wenn Ew. Durchlaucht nicht alle diese kostbaren Proben der bewundernden Welt zeigen wollten, und wenn diese dann den großen Orden meines Herrn, des Königs von Preußen, auf Ihrer Brust vermissen sollte.
Nun denn, um Sr. Majestät dem König von Preußen gefällig zu sein, werde ich ihn tragen, und sage Sr. Majestät meinen herzlichsten Dank für seinen Orden. Sie haben mir weiter nichts zu sagen, Herr Graf?
Graf Görtz warf einen langen, fragenden Blick in dem Salon umher, und ließ denselben besonders auf den schweren Sammetvorhängen der Fenster verweilen.
Ich hätte allerdings Ew. Durchlaucht noch eine geheime Mittheilung zu machen, sagte er, nur müßte ich wissen und überzeugt sein, daß Niemand uns belauschen könnte.
Ah, Sie fürchten die Vorhänge dort, rief Potemkin, der den Blicken des Grafen gefolgt war. Untersuchen Sie dieselben doch und überzeugen Sie sich, daß Niemand dort verborgen ist.
Graf Görtz verneigte sich. Die Versicherung Eurer Durchlaucht genügt vollkommen, sagte er, sitzen bleibend. Erlauben mir also Ew. Durchlaucht, zu Ihnen ein offenes und zutrauliches Wort zu reden?
Im Namen Ihres Monarchen? fragte Potemkin, indem er gleichgültig und zerstreut mit feinen Ordenskreuzen spielte.
Im Namen meines Monarchen! Ew. Durchlaucht wissen, daß der auf acht Jahre geschlossene Allianztraktat zwischen Rußland und Preußen sich jetzt seinem Ende naht.
Wirklich, thut er das? fragte Potemkin nachlässig. Ich wußte es nicht, Herr Graf, denn ich bekümmere mich wenig um diese kleinen Dinge der Politik.
Ew. Durchlaucht haben mehr das große Ganze im Auge und leiten das mit dem kühnen Auge des Feldherrn, dem nichts entgeht. Aber dieser Allianzvertrag mit Rußland gehört für Preußen zu den großen Dingen der Politik, und der König wünscht nichts sehnlicher, als die Erneuerung desselben. Er weiß sehr wohl, wie gefährlich für seine Absichten das Erscheinen des Kaisers Joseph am hiesigen Hofe ist, und ich bin deshalb beauftragt, Ew. Durchlaucht vertraulich um Rath zu fragen, ob Sie meinen, daß, um den Besuch des Kaisers Joseph zu contrebalanciren, es rathsam sei, den Kronprinzen von Preußen auch am hiesigen Hofe einen baldigen Besuch machen zu lassen!
Potemkin erwiderte diese Frage nur mit einem lauten, schmetternden Lachen. Oh, oh, rief er dann, was seid Ihr doch Alle für zaghafte ängstliche Leute! Nicht einmal Eure Besuche wagt Ihr ohne Umstände zu machen und anzunehmen! Als Kaiser Joseph seinen Besuch in Petersburg bei meiner erhabenen Monarchin annoncirte, ließ Katharina erst in vertraulicher Weise bei Eurer preußischen Majestät anfragen, ob ihm dieser Besuch auch nicht unangenehm sei, und jetzt, da der Kronprinz von Preußen auch unser prächtiges Petersburg kennen lernen möchte, fragt die preußische Majestät wiederum erst bei mir an, ob dieser Besuch zweckmäßig ist.
Ja, Se. Majestät wendet sich mit dieser Frage ausschließlich und direct an Ew. Durchlaucht, und von Ihnen allein wünscht der König Rath in dieser Angelegenheit zu empfangen, obwohl mancher Andere vielleicht glücklich wäre, dem König Rath zu ertheilen.
Mancher Andere? Das heißt Panin, – haben Ew. Excellenz den Minister in dieser Angelegenheit nicht um Rath gefragt?
Nein, Durchlaucht, ich habe es nicht gethan, und werde es nicht thun, denn von Eurer Durchlaucht allein wünscht der König Rath anzunehmen.
Zum ersten Mal flog jetzt ein Lächeln der Befriedigung über Potemkins Angesicht, und er nickte mehrmals lebhaft mit dem Kopf. In diesem Fall bin ich bereit, Sr. Majestät zu dienen, so viel es in meinen Kräften steht, sagte er rasch. Wenn der König sich vertrauensvoll und ausschließlich, verstehen Sie mich wohl, sich ausschließlich zu mir halten will, so bin ich bereit, mich mit der ganzen Kraft meines Wollens ihm zu weihen und seine Interessen zu verfechten.
Wie sehr der König von Preußen bereit ist, ausschließlich sich zu Ew. Durchlaucht zu halten, möge Ihnen dies eigenhändige Schreiben Sr. Majestät beweisen, sagte Graf Görtz, einen Brief hervorziehend und ihn dem Fürsten darreichend.
Potemkin nahm ihn ohne irgend ein Zeichen der Ueberraschung, und das Siegel erbrechend, schlug er langsam das Papier auseinander. Dann, nachdem er mit flüchtigen Blicken die Zeilen überflogen hatte, reichte er das Papier dem Grafen Görtz dar.
Se. Majestät schreibt eine etwas undeutliche und unverständliche Handschrift, sagte er, ich bitte Sie daher, mir gütigst dies Schreiben Ihres Souverains vorzulesen.
Graf Görtz, die Absicht Potemkins sehr wohl begreifend, ihm den Inhalt des königlichen Briefes mitzutheilen, nahm das Papier und las mit lauter Stimme, und langsam genug, um jede Phrase ihre gehörige Wirkung thun zu lasten, dieses so überaus schmeichelhafte und freundliche Schreiben des Königs an den Fürsten Potemkin.
Der König begann feinen Brief damit, daß er behauptete, er dürfe nach vielfachen und genügenden Beweisen gar nicht bezweifeln, daß der Besuch des Kaisers von Oesterreich nichts Anderes bezwecke, als die bestehende Verbindung zwischen Preußen und Rußland aufzulösen und ein neues System der Politik zu schaffen. Alsdann erging sich der König in großer Extase über das erhabene Genie des Fürsten, und bat ihn, die Sache Preußens zu unterstützen und des Königs Interessen bei jeder Gelegenheit aufrecht zu halten. Dafür versprach Friedrich wiederum dem Fürsten in jeder Beziehung beizustehen und ihm, wo und wie er es wünsche, nützlich und förderlich zu sein, nicht blos jetzt, sondern auch in der Zukunft, wo er ihm vielleicht von größerm Einfluß sein könne als jetzt. Dieser Brief ist historisch, und sein Inhalt findet sich angegeben in von Dohms Denkwürdigkeiten, Th. I. S. 412, und v. Raumer, Beiträge zur neuern Geschichte, Th. V. S. 435.
Eine lange Pause trat ein, als der Graf zu Ende gelesen. Potemkin hatte sich in den Divan zurückgelehnt, und seine großen Augen zu dem reichbemalten Plafond emporgerichtet, schien er sinnend den Inhalt dieses Briefes zu überlegen.
Da sind einige Phrasen, die ich nicht verstehe, sagte Potemkin dann, und für die ich um einige Erklärungen bitten möchte.
Ich bin beauftragt, Ew. Durchlaucht alle die Erläuterungen zu geben, die Sie nur wünschen mögen.
Nun denn, was bedeutet dieser Satz, den Se. Majestät hier gebraucht: »der König wird versuchen, das möglich zu machen, was unmöglich scheint?«
Das bedeutet, daß der König erfahren hat, daß Ew. Durchlaucht den Wunsch hegen, Herzog von Kurland zu werden, und daß Seine Majestät Alles dazu thun werden, um diesen Wunsch Eurer Durchlaucht zu erfüllen, daß er den König Stanislaus und die Republik Polen, von denen Kurland als Lehen abhängt, bewegen will, es an Ew. Durchlaucht zu übertragen, und daß er dazu beitragen will, den Herzog Biron, der alsdann Kurland verlieren würde, zu entschädigen, indem er ihm bedeutende Vortheile für seine schlesischen Besitzungen zugestehen würde. Dohm. Th. I. S. 413. Es bedeutet dieser Satz ferner, daß der König gern bereit ist, dem zukünftigen Herzog von Kurland unter den deutschem Prinzessinnen eine Gemahlin zu verschaffen.
Nun wahrlich, rief Potemkin lachend, dieser unbestimmte unbedeutungsfähige Satz ist sehr reich an Inhalt. Aber der König legt in der That zu viel Werth auf das kleine Herzogthum Kurland, von dem ich nicht behaupten möchte, daß es mir für die Träume meiner Zukunft genügend erscheint, und welches ich, wenn ich es haben möchte, wohl erlangen und mir zu eigen machen könnte, ohne Se. Majestät deshalb bemühen zu müssen. Was aber die Heirath mit einer deutschen Prinzessin anbelangt, so weiß ich in der That nicht, ob meine gnädige Kaiserin Katharina es wünscht, daß ich mich vermähle, und ich muß diesen Punkt von ihr abhängig sein lassen. Aber nun erklären Sie mir noch den Schlußsatz! Was versteht der König darunter, wenn er sagt, er wünsche mir nützlich und förderlich zu sein, nicht blos jetzt, sondern auch in der Zukunft, wo er vielleicht von größerem Einfluß sein könne, als jetzt?
Graf Görtz ließ noch einmal seine Blicke spähend und mißtrauisch in dem Salon umhergleiten, dann neigte er sich vorwärts, dichter zu Potemkin hin, und sagte mit gedämpfter Stimme: Se. Majestät leistet Ihnen in diesen Worten das Versprechen, Ew. Durchlaucht in so weit mit dem Großfürsten zu versöhnen, daß im Fall des Todes der Kaiserin Ihnen keine Gefahr droht, sondern Ihre Person, Ihre Ehren und Besitzthümer gesichert sind. Raumer, Beiträge etc. Th. V. S. 435.
Diesmal war der Fürst nicht im Stande, seine innere Aufregung, zu unterdrücken, er zuckte lebhaft zusammen, und eine tiefe Gluth übergoß sein Angesicht.
Wie, fragte er hastig und leise, besitzt der König die Macht, meine innersten Gedanken zu lesen, und –
Er vollendete seinen Satz nicht, sondern sprang auf und ging mit großen Schritten einige Mal auf und ab. – Graf Görtz war gleichfalls aufgestanden, und folgte den Bewegungen Potemkins mit stillen, beobachtenden Blicken.
Hat Ihnen der Courier aus Berlin gar keine Briefe für die Kaiserin mitgebracht? fragte Potemkin dann, indem er vor dem Gesandten stehen blieb.
Ja, Durchlaucht, ein eigenhändiges Schreiben des Königs an die Czarina, das ich indessen erst übergeben sollte, wenn ich das Glück gehabt, Ew. Durchlaucht zu sprechen, und Sie mir die Zusicherung Ihres Beistandes gegeben.
Potemkin nickte lebhaft mit dem Kopf. Und wann ist der Allianztractat zwischen Rußland und Preußen abgelaufen?
In einigen Wochen, Durchlaucht. Aber es wäre wünschenswerth, ihn schon jetzt zu erneuern und ihn der Kaiserin baldmöglichst zur Unterschrift vorzulegen, damit sie durch ihr Wort gebunden ist, und die gefährliche Anwesenheit des Kaisers von Oesterreich unsere Allianz nicht zu zerstören vermöchte.
Sie haben Recht, rief Potemkin lebhaft, man muß das Eisen schmieden, so lange es noch heiß ist, und da Ihr mich zu Eurem Schmied ausersehen, nun wohl, so will ich Euch den Willen thun. Es muß Alles so rasch wie möglich geschehen. Ich werde noch heute, oder vielmehr sogleich zur Kaiserin gehen und sie vorbereiten. Kommen Sie alsdann in einer Stunde und begehren Sie eine Audienz, um Ihro Majestät das Schreiben Ihres Königs zu übergeben, und veranlassen Sie den Grafen Panin, in dessen Ressort die Ausführung dieser Sache gehört, noch heute der Kaiserin das Project eines erneuerten Allianzvertrages vorzulegen. Sie sehen, ich meine es ernst mit meinem Eifer für Ihren König, denn ich mache sogar gemeinschaftliche Sache mit meinem Feind, dem Grafen Panin. Aber dafür verlange ich von Ihnen Eins: Schreiben Sie mir das auf, was Sie mir da als Erläuterung des letzten Satzes in dem Brief des Königs gegeben, fügen Sie hinzu, daß der König Sie dazu ermächtigt hat, mir diese Versprechungen zu machen, und geben Sie dem Papier Ihre Unterschrift.
Und darf ich Ew. Durchlaucht um den Zweck dieses Papiers fragen?
Potemkin neigte sich dicht an das Ohr des Grafen. Es ist wegen Lebens und Sterbens, sagte er leise. Wenn der Großfürst zur Regierung kommt, so wird, bei der unbegrenzten Verehrung, welche Paul für den König von Preußen hegt, dieses Blatt schon für's Erste genügen, mich zu beschützen und zu sichern.
Ew. Durchlaucht sollen dieses Blatt haben, sagte Graf Görtz.
Heute noch? Denn Sie begreifen, daß ich auch einer Sicherung und Gewißheit bedarf, wenn ich handeln soll. Die Worte Ihres Königs sind gar so unbestimmt und lassen sich vielfach deuten.
Ich werde ihnen diejenige Deutung geben, welche mein Souverain will, daß sie haben sollen, sagte der Graf rasch. Ich werde Alles, was mir der König befohlen, Ihnen in seinem Namen zu sagen, sogleich aufzeichnen und Ihnen das Papier senden, bevor Ew. Durchlaucht noch zur Kaiserin sich begeben.
Alsdann kann der König von Preußen auf mich zählen, und ich will mit eben solchem Eifer jetzt mich für ihn bei Katharina verwenden, als ich wünsche, daß er sich dereinst für mich bei Paul verwenden möchte!
Ich eile, Ew. Durchlaucht die gewünschte Aufzeichnung zu machen, sagte Graf Görtz, sich zum Abschiede verneigend.
Eilen Sie! In einer Stunde fahre ich zur Kaiserin. Finden auch Sie sich dort ein; es wird sich dort schon Gelegenheit finden, mir das Papier zu überreichen. Adieu!
Ich glaube, daß es Preußen diesmal ehrlich meint, sagte Potemkin, als er allein war. Aber was heißt das, ehrlich meinen? Der König von Preußen meint es ehrlich, das heißt, er giebt mir einen Orden, verspricht mir ein Herzogthum, eine deutsche Prinzessin und seinen dereinstigen Schutz, aber er verspricht mir das Alles nicht aus Liebe zu meiner Person, sondern aus Furcht vor meiner Person. Preußen ist ehrlich, heißt also, Preußen bedarf meiner, und darum schmeichelt es mir. Ah, ich bin also doch mächtiger, als Panin, mächtiger als der Großfürst, denn diese Beiden gehören zu der Partei des Königs von Preußen, und er wendet sich von ihnen ab, und kommt zu mir. Der Eine Potemkin ist mächtiger, als diese Beiden – ja, als diese Beiden, unterbrach er sich selber, aber auch mächtiger als ihrer Drei? Der dritte ist Orloff! Werde ich auch dann noch der Mächtigste sein, wenn Orloff einst wiederkehrt? Ach, dieser Orloff ist der Alp, der mich ewig bedrückt, der wie ein Gespensterschatten meinen Glanz und meine Herrlichkeit umdüstert. Ich kann nicht ruhen, so lange Orloff athmet, sein Leben schon ist für mich eine Gefahr, seine Gegenwart für mich eine Drohung mit einem aufgehobenen Schwert! Er oder ich, Einer von uns Beiden muß weichen, denn Rußland ist zu klein für uns Beide. – Wer aber ist es, der weichen und dem Andern Platz machen muß? Ich nicht, nein, beim ewigen Gott, Ich nicht! Wie ein Elephant will ich da stehen, und unter dem Schritt meiner Füße, die jetzt Millionen Menschen zittern machen, wird doch wohl Raum sein für einen Orloff?
Und indem Potemkin das sagte, brach er in ein lautes, wildes Lachen aus, und seine Augen blitzten auf in Haß und wilder Schadenfreude. Aber als jetzt ein leises Geräusch an der Thür sich vernehmen ließ, schrak Potemkin zusammen, und sein Gesicht nahm einen fast angstvollen Ausdruck an.
Wie wagst Du es, mich abermals zu stören, schrie er dem eintretenden Officier entgegen. Habe ich Dir nicht gesagt, daß ich allein sein, daß ich Niemand empfangen will?
Durchlaucht, ich glaubte, die fremden Gesandten machen heute, wie immer, eine Ausnahme! Der Graf Cobenzl, der Gesandte Oesterreichs, wünscht Ew. Durchlaucht seine Aufwartung zu machen.
Cobenzl? fragte Potemkin rasch. Ist er allein?
Ganz allein, Durchlaucht!
Es ist gut. Geh hinaus! In zehn Minuten öffne die Thüren und laß den Grafen Cobenzl zu mir eintreten.