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Rahel, die schöne Tochter des reichen Banquiers Eskeles Flies, war allein in dem glänzenden Gemach, das ihr die verschwenderische Liebe ihres Vaters eingerichtet hatte, und das nur das erste war in einer Reihe von Gemächern, die mit einem Glanz und einem Luxus ausgestattet waren, der eines Königs nicht unwürdig gewesen. Rahel aber war seit frühester Jugend an diese Pracht gewöhnt und blickte mit kalten, gleichgültigen Augen auf den Luxus, der sie umgab. Weder die goldprunkenden Meubles, noch die reichen orientalischen Teppiche, die Lustres von Bergcrystall, die kostbaren Gemälde, die großen venetianischen Spiegel konnten ihr jemals ein Lächeln, ein freudiges Wort abgewinnen, und inmitten aller ihrer Schätze und ihres Luxus stellte das schöne Mädchen selber sich immer in schmuckloser Einfachheit dar. Vergebens war es, daß ihr Vater die kostbarsten Kleiderstoffe für sie aus Paris bringen ließ, daß er ihr die schönsten Brillanten und Perlen schenkte, ihr Bracelets, Ohrgehänge und allerlei andere Schmuckgegenstände brachte, Rahel erschien immer doch nur im einfachen weißen Gewande, und eine frische Rose oder ein lichtes Band war der einzige Schmuck ihrer Toilette.
Und Rahel war bewunderungswürdig in dieser einfachen Toilette; ihre Jugend, ihre Schönheit, ihre Grazie, das war der Schmuck, den sie angelegt, alle Brillanten überstrahlte ihr glühendes feuriges Auge, und schöner als alle Perlen schimmerten die zwei Reihen weißer Zähne bei ihrem süßen Kinderlächeln zwischen ihren Purpurlippen hervor. Wenn sie in ihrem leichten weißen Gewande durch die Reihe der glänzenden Prunksäle ihres Vaters daher schritt, so war sie immer doch die Königin und Herrin derselben, und eine unnennbare Hoheit und Unschuld umgab ihre hohe schlanke Gestalt.
Rahel, wie gesagt, war allein in ihrem Cabinet. Sie lag anmuthig hingestreckt auf dem Divan von dunkelgrünem Sammet, wie ein Schwan, der sich im Grün des Ufers gebettet hat. Ihr voller weißer Arm, von dem der weite weiße Spitzenärmel herabgesunken war, ruhte auf der Seitenlehne des Divans, und in die aufgestützte Hand hatte sie ihr Haupt gelehnt, von dem in langen Locken das schwarze, glänzende Haar niederrieselte auf ihren vollen Hals und die schönen üppigen Schultern. In ihrer Rechten hielt sie einen Brief, auf den ihre gesenkten Augen gerichtet waren, und ein wundervolles süßes Lächeln umspielte ihre feinen purpurrothen Lippen, während sie las.
Als sie zu Ende gelesen, ließ sie langsam die Hand mit dem Brief in ihren Schooß niedersinken, und das Haupt ein wenig rückwärts neigend, schlug sie, in sinnende Betrachtungen vertieft, ihre strahlenden schwarzen Augen zur Decke empor.
Oh, mein armer, geliebter Freund, flüsterte sie leise, er hofft Alles von der Großmuth des Kaisers. Er jauchzt der Zukunft entgegen, als ob sie im Stande wäre, uns glücklich zu machen! Uns glücklich zu machen! Kein Kaiser kann das, denn wo ist das Land der Welt, in dem eine Jüdin das Weib eines Christen werden darf? Auch der edle Kaiser Joseph wird nicht so weit gehen in seiner Toleranz, er wird die Fesseln der Schmach vielleicht von uns nehmen, aber er wird uns den Christen nicht gleichstellen! Und ich darf niemals daran denken, auf andere Weise diese Schranke wegzureißen, welche mich von meinem Geliebten trennt! Es würde meinen Vater tödten, wenn seine Rahel eine abtrünnige Tochter seines Volkes würde. Nein, nein, nie darf das geschehen! Besser ist es, meine eigene Liebe zu tödten, als die Mörderin meines Vaters sein! Ach, mein armer Vater, und ach, mein armer Geliebter! Euch Beiden gehört mein Herz, und doch werde ich dem Einen entsagen müssen, um dem Andern meine Liebe zu beweisen! Wem aber, wem soll ich entsagen?
Sie schwieg und blickte träumerisch sinnend empor, aber immer höher glühte ihre Wange auf, immer feuriger blitzte ihr Auge, immer stürmischer wogte ihr Busen, und nicht mehr im Stande, in so ruhiger, friedlicher Stellung zu verharren, sprang sie, leicht wie eine Gazelle, von dem Divan empor und schüttelte hochaufathmend ihr Haupt, daß die Locken, schwarz wie die Todtenvögel, ihr Antlitz umflatterten.
Nein, mein Geliebter, rief sie glühend, nein, nicht Dir kann ich entsagen! Ich habe Dir meine Liebe und Treue geschworen, und ich werde meinen Schwur erfüllen, oder sterben! Das Weib soll ihrem Geliebten folgen, und um seinetwillen soll sie Vater und Mutter verlassen. Vater und Mutter, warum denn nicht auch ihren Glauben und ihren Gott! Ich werde den Muth dazu haben, wenn es also sein muß, ich werde Alles hingeben für Dich, mein Günther, denn ich weiß, ich bin der Stern Deines Lebens, und wenn ich Dir untergehe, ist es Nacht um Dich, und ich weiß auch, daß Du die Seele meiner Seele bist, und daß ich lieber mein ganzes Dasein hinwerfen will, als Dir entsagen, von Dir mich abwenden! So will ich denn kämpfen für meine Liebe und mein Glück, und in diesem Kampf untergehen, oder Siegerin sein!
Sie nahm den Brief, den sie vorhin gelesen, und preßte ihn lange und fest an ihre glühenden Lippen, dann faltete sie ihn zusammen und schob ihn in ihren Busen.
Du sollst der Schild sein, mit dem ich meine Brust umpanzere, sagte sie mit einem reizenden Lächeln, indem sie den Brief an ihrer Brust verbarg. Von Dir beschützt, zittere ich nicht, sondern werde Muth haben, den Kampf zu wagen, und –
Ein leises Klopfen an ihrer Thür machte sie verstummen; ehe sie Zeit hatte zu einer Antwort, öffnete sich die Thür, und eine hohe, männliche Gestalt trat herein.
Mein Vater! rief Rahel freudig, und mit ausgebreiteten Armen flog sie zu ihm hin und schmiegte sich zärtlich an seine breite, kräftige Brust.
Herr Eskeles Flies streichelte zärtlich ihr dunkles Lockenhaar und drückte einen Kuß auf ihre hohe weiße Stirn.
Ich habe Dich zwei Tage nicht gesehen, mein Vater, sagte Rahel mit leisem Vorwurf.
Ich war hinunter gefahren nach Brünn, meine Tochter, um einmal die großen Fabriken, die ich dort angelegt, zu inspiciren.
Aber Du warst gegangen, ohne Abschied zu nehmen!
Abschied nehmen ist gar eine schlimme Sache, sagte ihr Vater lächelnd, und ich mag nichts damit zu thun haben. Aber ich liebe das Heimkehren, und Du weißt wohl, Kind, so wie ich die Schwelle meines Hauses betrete, ist mein erster Gang immer zu Dir! Und heute, Rahel, komme ich als Freudenbote!
Rahel hob ihr Haupt von seiner Brust empor und sah ihm fragend in das lächelnde Angesicht. Als Freudenbote? fragte sie. Betrifft Deine Botschaft uns Beide?
Nicht uns Beide allein, Rahel, sondern unser ganzes Volk! – Sieh mich an, meine Tochter, und sag' mir, ob Du keine Veränderung an mir findest.
Rahel trat zurück und überschaute lächelnd die große stolze Gestalt ihres Vaters. Nein, sagte sie, das ist dasselbe energische ausdrucksvolle Angesicht, dieselbe mächtige Gestalt, derselbe Blick, dasselbe gütige Lächeln und auch dieselbe gewohnte Toilette sogar. Doch nein, da seh' ich eine Veränderung. Du hast das gelbe Band, das Zeichen der Schmach, vergessen, das der Jude um seinen Arm tragen muß.
Der Kaiser hat es von meinem Arm gelöst, Rahel, von dem Arm unsers ganzen Volkes. Wir sollen nicht mehr gezwungen sein, als Abzeichen ein gelbes Band oder gelbe Aermel zu tragen. Die Schmach der Jahrtausende will der Kaiser von uns nehmen, und auch für die Juden soll es fortan Menschenrechte geben!
Der Kaiser ist ein edler, großmüthiger Monarch! rief Rahel mit freudestrahlendem Angesicht.
Freilich, wir sind so tief hinabgestoßen in die Abgründe der Sclaverei und der Verachtung, sagte ihr Vater düster, so tief, daß es schon Großmuth erscheint, wenn man uns einen Finger darreicht, an dem wir uns ein wenig aufrichten können, um nicht ganz zu versinken in unserm Elend. Der Kaiser will ein wenig wieder gut machen von dem Uebel, das man uns, hier, wie aller Orte, zugefügt! Wir sollen nicht mehr nöthig haben, das gelbe Band, das bisher den Juden kenntlich machte, zu tragen! Aber wozu braucht's auch des gelben Bandes für die feinen christlichen Augen. Sie werden uns doch erkennen, denn der Kaiser, der uns die gelben Bänder nimmt, kann uns doch die langen Nasen und das schwarze Haar, und alle die kleinen Züge, an denen die christliche Liebe den Juden erkennt, nicht aboperiren!
Und mögen sie uns immerhin erkennen, sagte Rahel lächelnd, der Kaiser wird's nicht dulden, daß sie uns verspotten und uns um unsers Glaubens willen verhöhnen und zurücksetzen, wie sie es bisher gethan.
Der Kaiser wird wenig Zeit haben, an uns zu denken, Rahel, sagte ihr Vater achselzuckend. Er wird genug zu thun haben, für sich selber zu sorgen und sich die Schaar seiner Feinde abzuwehren, die sich mit jedem Tag vergrößert, weil der Kaiser seinem erstaunten Volk mit jedem Tag neue Überraschungen bereitet. Er hat damit angefangen, die Aufhebung der Klöster zu befehlen, und als die Mönche und Nonnen sich nach Rom wandten um Hülfe, und als der Papst an den Kaiser schrieb und befahl, der Kaiser sollte die Kirchengüter unangetastet lassen, erklärte der Kaiser, Rom habe in seinen Landen keine Befehle zu ertheilen. Da überkam ein Schrecken das österreichische Volk, und sie bebten schon ein wenig zurück vor dem Kaiser, der selbst an den Papst nicht mehr glaubte. – Aber der Kaiser ging noch weiter, er gab das Toleranzedict, er erlaubte den Nichtkatholiken, den Protestanten und Lutheranern, sich Kirchen zu bauen, frei und offen ihre Religion zu bekennen, er gestattete ihnen, in den Staatsdienst zu treten und versprach ihnen Anerkennung und Förderung.
Aber in seinem Toleranzedict vergaß er doch unserer, gedachte er nicht der armen Juden!
Er hat's jetzt nachgeholt, Rahel, auch gegen uns will er Toleranz üben, und jetzt geht ein Schrei der Wuth durch alle seine christlichen Lande. Wie ich jetzt durch die Straßen Wiens fuhr, sah ich, wie sich überall an den Straßenecken, wo die neue Verordnung des Kaisers angeheftet war, das Volk zusammenrottete, und mit finstern Gesichtern und höhnischem Lachen die seltsame Mähr las, daß der Jude auch ein Mensch sei, der Rechte habe, dem man sogar jetzt gestatten wolle, für sein gutes Geld sich Acker zu pachten und Landmann zu werden, oder ein Handwerk zu erlernen. Acker zu pachten, mein Kind, besonders unkultivirten Acker, aber zu kaufen, das soll uns noch immer nicht verstattet sein. Ramshorn: Kaiser Joseph II. S. 259. Und dies Wenige, was uns vergönnt wird, schon das scheint diesem christlichen Volk zu viel, schon um dessentwillen nennen sie den Kaiser einen Gottesleugner, und seine Humanität scheint ihnen ein Verbrechen! Laut auf offener Straße hörte ich das Volk ihn verwünschen, und ihm wegen seines Unglaubens mit der Rache des Himmels drohen!
Die Rache des Himmels wird über Diejenigen kommen, die den edlen und großmüthigen Kaiser verwünschen! rief Rahel glühend.
Ihr Vater zuckte die Achseln. Wenn der Himmel wirklich Rache übte für die Erbärmlichkeit der Menschen, sagte er, hätte er dann nicht längst seine Blitze herniedersenden und unsere Peiniger strafen müssen? Nein, mein Kind, Gott überläßt es den Menschen selbst, das Verbrechen der Menschen an ihnen zu rächen. Weißt Du, was die Rache der Juden an den Christen ist? Der Reichthum. Sie haben uns Alles genommen, Ehre, Rang, Titel und Orden, aber eine Macht ist uns geblieben, das Geld! Das habe ich seit lange erkannt, und darum habe ich gearbeitet und gestrebt, Nacht und Tag, darum habe ich gerechnet, gescharrt und geknausert, und Tausende zu Tausenden gefügt, bis die erste Million da war. Ist die aber erst da, so ist der Weg zu der zweiten gebahnt, und sie läßt nicht lange auf sich warten! Sie ist auch bei mir rasch gekommen, und eine dritte, eine vierte, eine fünfte und eine sechste ist ihr gefolgt! Der Jude Eskeles Flies ist ein reicher Mann geworden durch seine eigene Kraft, er hat Fabriken angelegt, und wenn er eintritt in die Hallen, so neigen sich demüthig vor ihm die fünfhundert Christen, denen der Jude Nahrung und Verdienst giebt! Und wenn er durch die Straßen geht, so grüßen ihn selbst die vornehmen Herren Grafen und Barone, und nicken ihm gar freundschaftlich zu, und flüstern zu einander: das ist der reiche Eskeles Flies, denn in ihrer Ehrfurcht vor meinem Geld vergessen sie's schon, mich den Juden Eskeles Flies zu nennen. Selbst der Kaiser nickt mir freundlich zu, wenn er in seinem Cabriolet an mir vorüber fährt, denn selbst der Kaiser ist der Schuldner des Juden geworden, und er hat es nicht verschmäht, sich von dem Juden mit dem gelben Band um den Arm eine Million Gulden zu leihen! Oh, ich sag' Dir, Kind, an jenem Tage, als ich das Geld in die kaiserliche Staatskasse ablieferte, da hüpfte mein Herz vor Freuden, ich that, was ich nicht gethan hatte seit dem Tage Deiner Geburt, ich weinte vor Freuden und sank nieder auf meine Kniee und dankte Gott!
Oh, sprich nicht so, mein Vater, rief Rahel, angstvoll sich an ihn schmiegend. Du verleumdest Dich, und ich kenne Dich besser, als Du Dich selber kennst! Dein Herz hängt nicht am Gelde, und Du, der Du so einfach bist in Deinem Leben und Deinen Bedürfnissen, Du bist es Dir, gleich mir, bewußt, daß es nicht der Reichthum ist, welcher glücklich macht.
Du irrst, Rahel, mein Kind, sagte Eskeles Flies mit einem leisen Kopfschütteln. Der Reichthum allein ist es, der den Juden glücklich machen kann, denn der Reichthum ist unsere Macht und unsere Ehre. Der reiche Jude Eskeles Flies! Siehst Du, vor dem beugen sich die stolzen Christen, denn das kleine Wörtchen reich, das ist sein Titel, sein Adelsdiplom, seine Würde und sein Orden. Sie haben unserm Ehrgeiz alle Quellen verstopft, und so hat er sich denn ergießen müssen in einen einzigen Weg, der ihm geblieben, in den Weg zum Reichthum, und so haben wir Alle bei uns ein einziges Talent gebildet, das Talent: Geld zu verdienen; und des Juden Hand ist geworden wie ein Magnet, wenn er die Finger ausstreckt, so tanzen die Thaler und die Ducaten aus den Kästen der Christen hervor und hängen sich an seine Fingerspitzen, und schauen ihn an mit liebäugelndem Glanz, denn sie wissen's gar wohl, daß sie nirgends besser gehegt und gepflegt werden, als in den Kästen und den warmen, liebkosenden Händen der Juden! Rahel, Rahel, ich hoffe, daß eine Zeit kommen wird, in der die Juden alles Geld und alle Papiere an sich gebracht haben, in der die Juden den Königen Gesetze geben, und in den Cabinetten der Kaiser entscheiden werden über Krieg und Frieden der Nationen. Denn ohne Geld werden sie keine Kriege machen können, und wenn die Juden alles Geld und alle Millionen in ihren Kästen haben, so werden wir es sein, die zu entscheiden haben, ob Krieg sein soll, denn wir werden es sein, die das Geld dazu leihen. Oh, mein Kind, die Juden werden die Christen aufeinander hetzen, kraft ihres Geldes, und wenn sie sich einander die Hälse brechen, und wenn das Christenblut in Strömen dahin fließt, dann werden wir Juden es sein, die es vergossen haben, wir Juden, welche die Christen dafür bezahlen, daß sie einander schlachten! Und das wird die Rache sein, die wir nehmen an diesen Christen, welche die Liebe im Munde und den Haß und den Hochmuth im Herzen tragen!
Ueberlaß den Andern die Rache, mein Vater, sagte Rahel mit zitternder Stimme. Die Rache ist ein ätzendes Gift, dessen Berührung schon krank macht, und das Glück tödtet. Gönne uns unser Glück, mein Vater, laß uns besser sein, als diese stolzen Christen, die uns, wie Du sagst, unsere Nasen, unser schwarzes Haar und unsere kleinen Eigenthümlichkeiten nicht verzeihen können, und sich darüber ärgern, daß wir reich sind.
Ja, rief ihr Vater lebhaft, sie ärgern sich über unsern Reichthum! Das ist meine Genugthuung, deshalb umgebe ich Dich und mich mit fürstlichem Luxus, deshalb habe ich ein Hôtel, reich galonirte Lakayen, eine glänzende Tafel, eine prachtvolle Equipage, deshalb führe ich den Haushalt eines großen Herrn, denn sie ärgern sich über unsern Reichthum! Sie ärgern sich, daß der Jude Eskeles Flies mehr Geld hat, wie sie, und daß er es mit vollen Händen zum Fenster hinaus wirft; aber er weiß, daß es immer verdoppelt wieder zur Hinterthür herein schlüpft, während, wenn die faulen Grafen es zum Fenster hinausschmeißen, es nicht wieder kommt, weil sie zu stolz sind zu arbeiten, und neues Geld zu verdienen! Sie ärgern sich, daß, wenn sie in Noth sind, der Jude ihnen Geld leiht, und mit ihren Wechseln und ihren Verschreibungen ihre Ehre in seine Judentasche steckt. Sie ärgern sich, daß er glänzende Diners giebt, und doch kommen sie, wenn er sie einladet, denn ihrem lüsternen Gaumen behagen die herrlichen Weine und die seltenen Speisen, die der Jude ihnen vorsetzt, und die er selber oft mit königlicher Verachtung an sich vorübergehen läßt, weil das Gesetz ihm verbietet, davon zu essen. Und sie ärgern sich jetzt am meisten darüber, daß der reiche Jude Eskeles Flies außer seinem Geld noch einen Schatz besitzt, der mehr werth ist, als alle Millionen der Welt, eine junge, schöne und geistreiche Tochter!
Oh, rief Rahel erröthend, jetzt, mein Vater, habe ich wohl ein Recht zu sagen, daß Du in der Lebhaftigkeit Deines Gefühls übertreibst! Vorher durfte ich es nur denken, jetzt darf ich es sagen: Du gehst zu weit, mein Vater, zu weit im Tadeln, wie im Loben. Der Haß und die Liebe haben Deine sonst so klaren und tiefblickenden Augen ein wenig verblendet; Du unterschätzest die Christen, und Du überschätzest Deine Tochter!
Ihr Vater zog sie in seine Arme und drückte ihr schönes Haupt zärtlich an seine Brust. Nein, mein Kind, ich überschätze Dich nicht, sagte er innig. Du bist wirklich schön, reizend, anmuthig und geistreich. Es ist nicht blos mein Vaterauge und mein Vaterherz, das Dich dafür hält, sondern ganz Wien sagt es, ganz Wien spricht von der schönen Rahel, der Tochter des reichen Eskeles Flies.
Still, mein Vater, still! Oder willst Du, daß Deine Tochter ein eitles, hochmüthiges Geschöpf werde?
Ich will, daß meine Tochter sich ihres Werthes bewußt sei, und daß sie ihre Vorzüge gebrauchen lerne!
Gebrauchen? Und wozu, fragte Rahel verwundert.
Dazu, meine Tochter, daß Du das Glück Deines Vaters vollständig machst, und ihm hilfst, seine Rache an den hochmüthigen, stolzen Christen zu vollenden! Oh, mein Kind, Du weißt es nicht, welch ein stolzes Gefühl befriedigter Rache mein ganzes Wesen durchglüht, wenn ich Dich sehe, umschwärmt von Grafen und Baronen, die sich um Dich drängen, und sich ehrfurchtsvoll beugen vor Deiner Schönheit und den Millionen Deines Vaters. Rahel, gebrauche Deine Schönheit und Deinen Geist, um zu machen, daß alle diese vornehmen Herren als Deine überwundenen Sclaven zu Deinen Füßen liegen, und dann schreite mit verächtlichem Fuß über sie hin, und gönne mir das Glück, all' diesen demüthig Werbenden zu sagen: »Meine Tochter ist eine Jüdin und will eine Jüdin bleiben, und niemals wird sie sich herablassen, eines Christen Weib zu werden, denn sie verachtet die Christen, wie Ihr die Juden verachtet, wenn sie nicht reich sind!« – Gönne mir einen solchen Tag des Triumphes, meine Tochter, und dann fordere von mir was Du willst, ich werde es Dir gewähren, und sollte ich die Sterne vom Himmel herniederziehen!
Rahel antwortete nicht; ihr Haupt ruhte noch immer an ihres Vaters Brust; er sah nicht, daß die Thränen in hellen Strömen aus ihren Augen flossen, aber er fühlte, daß ein krampfhaftes Zittern ihre ganze Gestalt erschütterte, und mit einem Ausruf des Schreckens hob er sie empor und trug sie zum Divan hin. Sie ließ es geschehen, daß er sie sanft auf denselben niederdrückte, daß er sich neben sie setzte, und leise seinen Arm um ihren Nacken schlang, um sie wieder an sein Herz zu ziehen.
Warum weinst Du, Rahel? fragte er leise und angstvoll. Sage mir, was bedeuten diese Thränen? Oh, Kind, treibe Deinen Vater nicht zur Verzweiflung, sage mir, warum Du weinst?
Ich weine, weil das, was ich lange fürchtete, jetzt als eine entsetzliche Wahrheit vor mir steht, flüsterte sie schluchzend. Ich weine, weil mein Vater, mein theurer, angebeteter Vater, seine Rache und seinen Haß mehr liebt, als sein einziges Kind, denn seinem Haß will er die Seele seines Kindes opfern, und um seiner Rache willen soll seine Tochter sich zu einer elenden Coquette erniedrigen, welche die Liebe, die Unschuld und die Tugend dem stolzen, herzlosen Ruhm opfert: die elende Begier einiger armen, verschuldeten Grafen und Barone erregt zu haben!
Ich sage Dir aber, fuhr sie fort, ihr Haupt rasch emporhebend und ihren Vater mit blitzenden Augen und glühenden Wangen anschauend, ich sage Dir, mein Vater, und ich schwöre es Dir bei dem Andenken an meine Mutter, die uns dort oben erwartet, ich werde niemals mich zu solcher Coquetterie erniedrigen, und niemals soll es gesagt werden, daß Rahel in kaltem höhnischem Uebermuth Liebe zu erwecken suchte, ohne sie erwidern zu wollen! Oh, jetzt verstehe ich erst, weshalb Du all' diesen Herren erlaubtest, in unser Haus zu kommen, jetzt begreife ich, warum dieser hochmüthige Wüstling, vor dem meine Seele zurückschaudert, und der sich in ganz Wien den Namen des Frauenverführers erworben hat, warum der Graf Liechtenstein Podstadzky das Recht hat, sich Deiner Tochter zu nahen und mir seine schlimme Gesellschaft aufzudrängen!
Ihr Vater stieß einen Ausruf der Freude aus und ein strahlendes Lächeln flog über sein Antlitz hin. Du liebst ihn also nicht? fragte er, ihre beiden Hände ergreifend und sie fest an seine Brust drückend. Sag' es, meine Tochter, wiederhole es mir noch einmal, Du liebst ihn also nicht, diesen schönen Grafen Podstadzky?
Wie? Ich sollte ihn lieben, diesen entarteten Wüstling, diesen Menschen ohne Herz, ohne Geist und ohne Seele? rief Rahel mit dem Ausdruck tiefen Abscheues.
Und ich Thor fürchtete, daß das Herz meiner Rahel sich verirrt habe, ich Thor fraß heimlich manche Nacht schon an diesem Schmerz, und als ich vorhin Deine Thränen sah, da war's mir, als ob ein Dolch mir in's Herz führe, denn ich meinte, Du weintest, weil Du meinen Worten angemerkt, daß ich nimmer den Grafen Podstadzky zu meinem Schwiegersohn annehmen würde, selbst wenn der Kaiser es erlauben wollte, daß der verschuldete Graf, um sich zu erretten, eine Jüdin zu seiner Gemahlin machte. Aber nun ist Alles gut, nun athme ich wieder leicht und frei, und nun freut's mich, zu denken, daß der vornehme Graf die Tochter des Juden liebt!
Nein, mein Vater, dieser Mensch liebt mich nicht, sagte Rahel verächtlich, er liebt nichts als sein Vergnügen und sich selbst. Aber er belästigt mich mit seiner Frechheit, und ich bin nicht gewillt, seine Beleidigungen länger zu ertragen!
Oh, er hat es gewagt, Dich zu beleidigen? rief ihr Vater mit drohendem Ton. Was ist es, mein Kind? Was that er Dir?
Er ist während dieser Tage, da Du verreist warst, drei Mal hier gewesen, um mich zu besuchen. Ich ließ ihn abweisen; da hat er es gewagt, sich schriftlich an mich zu wenden und mir durch mein Kammermädchen einen Brief zustellen zu lassen, einen Brief, in welchem der freche Mensch es gewagt, mir eine glühende Liebeserklärung zu machen und mich um eine geheime Zusammenkunft zu bitten. Lies Du selbst, mein Vater, und dann sage, ob ich nicht ein Recht habe, diesen Menschen zu verachten!
Sie nahm den geöffneten Brief, der vor ihr auf dem Tisch lag, und reichte ihn ihrem Vater dar.
Herr Eskeles Flies las ihn und sein Antlitz flammte auf in Zorn. Siehst Du, meine Tochter, sagte er mit tiefem Grimm, siehst Du, das ist die Sprache, welche die Christen vermeinen, gegen ein ehrbares unschuldiges Mädchen führen zu dürfen, weil sie eine Jüdin ist, weil sie außerhalb der Gesellschaft steht! Aber wir wollen diesen Uebermüthigen strafen für diese Beleidigung, ganz Wien soll es erfahren, daß wir den Grafen verachten und verspotten!
Wie, mein Vater, rief Rahel entsetzt, Du willst Deine Tochter zum Gerede und Gespötte der Welt machen?
Nein, Rahel, aber ich will der Welt, welche, wie ich weiß, schon gewagt hat, ein Liebesverhältniß zwischen Dir und dem Grafen zu muthmaßen, ich will der Welt beweisen, daß sie sich geirrt, und daß die schöne Rahel und ihr Vater den Grafen Liechtenstein Podstadzky verachten. Deshalb, meine Tochter, bitte ich Dich, ja, ich verlange es von Dir, daß Du dem Grafen die erflehete Zusammenkunft bewilligst und ihm eine Stunde bestimmst, in welcher Du ihn hier in Deinem Zimmer empfangen willst. Aber es muß eine Tagesstunde sein, unter dem vollen Glanz der Sonne und des Lichtes kann meine Tochter den Grafen Liechtenstein Podstadzky empfangen, denn Rahel Eskeles Flies hat nicht nöthig, den Tag zu scheuen und ihr Thun zu bergen unter dem Schleier der Nacht!
Ich werde thun, was Du befiehlst, sagte Rahel seufzend, obwohl ich Dir gestehen will, mein Vater, daß mein Herz bangt, und ich wünschte, wir begnügten uns, den Grafen einfach von unserer Thür zu weisen und ihn niemals wieder die Schwelle unseres Hauses überschreiten zu lassen.
Damit er vielleicht lachend seinen Kumpanen und aristokratischen Freunden erzählt, die schöne Rahel liebe ihn, und ihr Vater habe ihm einige Millionen geboten, wenn er sie zu seiner Gemahlin mache, er aber habe sein adlich Wappen nicht beschmutzen wollen und sei deshalb fortgeblieben aus unserm Hause? Oh, ich kenne ja diese Verleumdungen, welche die stolzen Christen allzeit bereit haben, wenn es gilt, sich an einem Juden zu rächen, und deshalb, Rahel, muß ganz Wien wissen, daß ich es bin, welcher den Grafen Podstadzky verachtet. Thue also diesmal meinen Willen, Rahel, ich befehle es Dir nicht mehr, aber ich bitte Dich darum: schreib' dem Grafen, daß Du ihm eine Zusammenkunft bewilligst, gieb ihm eine Stunde an, wann er kommen soll!
Damit er meinen Brief seinen Freunden zeige? fragte Rahel. Damit er die Welt glauben mache, ich habe ihn geliebt, und deshalb habest Du ihm gezürnt? Ist es durchaus Dein Wille, daß er hierher komme, so werde ich hinschicken und ihn mündlich einladen. Meine alte treue Amme soll hingehen, sie kennt mein Herz und wird nichts Schlimmes von ihrer Rahel denken, selbst wenn diese den Grafen Podstadzky zu sich einladen läßt.
Warum willst Du nicht das Kammermädchen hinsenden, das Dir den Brief des Grafen gebracht hat?
Weil ich sie sofort ihres Dienstes entlassen und sie verabschiedet habe, mein Vater.
Das war es, was ich hören wollte, sagte ihr Vater lächelnd. Ich finde meine Rahel immer so, wie ich sie erwartete, stolz und keusch, und ohne den leisen Schimmer eines Fleckens auf ihrer klaren, jungfräulichen Stirn. Oh, nur Geduld, Geduld, mein Kind, ich will Dich belohnen für diese Stunde, und da Du die Grafenkrone des Herrn Podstadzky verschmähst, will ich um Deine schöne Stirn eine Freiherrnkrone legen. Du siehst mich erstaunt an? Ja, mein Kind, das bleibt vorläufig mein Geheimniß, aber ich denke, Du sollst es bald erfahren, was der reiche Jude Eskeles Flies unter der freisinnigen Regierung des edlen Kaisers Joseph mit seinem Gelde sich Alles erkaufen kann! Aber jetzt lebe wohl, man erwartet mich im Comptoir, ich muß rechnen, mein Kind, rechnen, denn meine Millionen müssen sich verdoppeln, damit ich meiner Rahel ein Königreich kaufen und ihr zu Füßen legen kann!
Er küßte seine Tochter auf die Stirn und erhob sich dann, um das Zimmer zu verlassen. Aber schon an der Thür angelangt, wandte er sich noch einmal um.
Ist der Geheime Secretair des Kaisers, Herr Günther, wieder hier gewesen? fragte er lächelnd.
Ja, er war hier, sagte Rahel gelassen.
Und Du hast seinen Besuch angenommen?
Ich habe ihn angenommen, mein Vater, denn Du selbst warst es, der ihm den Besuch unseres Hauses erlaubt hat.
Ihr Vater schwieg einen Augenblick. Und doch glaube ich, sagte er dann, daß es besser wäre, wenn Du ihn seltener empfingst. Du, in Deiner Unbefangenheit und dem stolzen Gefühl Deiner Ueberlegenheit, hast vielleicht nicht gesehen, was die wachsamen Augen Deines Vaters längst errathen haben: dieser junge Mann liebt Dich, Rahel, er liebt Dich wahrhaft. Nicht so wie die übermüthigen Aristokraten, sondern mit einem redlichen Herzen. Ich glaube wahrhaftig, er könnte kühn genug sein, zu vermeinen, die schöne Rahel Eskeles Flies könnte ihren Vater und ihren Glauben aufgeben, um das Weib eines kleinen Geheimsecretairs zu werden, eines Subaltern-Beamten, dessen Bruder der Kammerdiener des Kaisers ist und den Vorzug genießt, Seiner Majestät die Stiefel ausziehen zu dürfen. Ich habe solche kühne Wünsche in den Augen des jungen Menschen gelesen, und wenn ich auch lachen muß über seine Vermessenheit, so jammert es mich doch zugleich, weil er, obwohl ein Christ, doch ein guter Mensch ist. Vielleicht ist's noch Zeit, ihn von seiner Liebe zu heilen und ihn zur Besonnenheit zurückzuführen. Behandle ihn also strenge, oder besser noch, nimm ihn gar nicht mehr an. Du siehst, Rahel, ich bin nicht immer so schlecht, Dich zur Coquetterie verleiten zu wollen, und ich bitte selbst für den armen, kleinen Geheimsecretair Günther. Armer, junger Mensch! Er hat den Anblick der Sonne nicht ertragen können und seine Augen sind ihm davon geblendet worden! Es ist also besser, ihn die Sonne nicht mehr sehen zu lassen und ihn so zur Vernunft zurückzuführen. Also, es ist abgemacht, der Cabinetssecretair Günther wird nicht mehr angenommen!
Er nickte seiner Tochter noch einmal lächelnd zu und ging dann eilig hinaus.
Rahel schaute ihm, wie erstarrt vor Schreck, mit weit aufgerissenen Augen nach, bis sein Schritt in der Ferne verhallte. Dann aber sank sie wie zerschmettert auf ihre Kniee nieder, und ihre Hände vor ihr Antlitz schlagend, flüsterte sie mit verzweiflungsvollem Schmerz: oh mein Gott, ich soll ihn nicht mehr sehen! Ich soll ihn aufgeben und verlassen, ihn, den ich ewig lieben werde!
Schluchzen erstickte ihre Stimme, und in dem mit so viel Pracht und Reichthum ausgestatteten Zimmer vernahm man nur noch das tiefe Klagen, die bangen Seufzer der schönen Rahel, der Tochter des reichen Juden Eskeles Flies, die sich arm und elend fühlte, trotz der Millionen ihres Vaters.