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Drittes Buch.
Die neue Zeit


I.
Der Schwur

Maria Theresia war nicht mehr. Am neunundzwanzigsten November 1780 ging sie heim zu ihren Vätern, heim zu ihrem geliebten »Franzel«, dem auch noch der letzte Liebes- und Sehnsuchtsruf der sterbenden Kaiserin gehörte. Mit verklärtem Antlitz, mit strahlendem Auge wollte sich Maria Theresia von ihrem Lehnsessel erheben, auf welchem sie den Tod erwartete; Kaiser Joseph, der mit der zärtlichsten Theilnahme eines Sohnes Tag und Nacht an dem Krankenbett seiner Mutter verweilte, hielt sie sanft zurück. Wo wollen Ew. Majestät hin? fragte er. Maria Theresia breitete die Arme aus und rief: »Zu Dir! Zu Dir! Ich komme!« – Dann sank sie zurück und ihre sterbenden Lippen flüsterten mit einem letzten Lächeln: Franz! Mein Franz!

Maria Theresia war nicht mehr. Ein finsterer Trauerschleier lagerte sich über das sonst so heitere und lachende Wien. Die Edlen und Guten betrauerten die große Kaiserin, weil sie sie geliebt und bewundert hatten, weil sie während einer Regierungszeit von vierzig Jahren sich immer großsinnig, mild und sanft gezeigt, weil sie immer den Willen gehabt, das Rechte und das Gute zu thun. Die Unedlen und Schlechten, die Heuchler und Schmeichler jammerten um Maria Theresia's Tod, weil sie, selber wahrheitsliebend, keusch und tugendhaft, nicht geahnt hatte, daß Jene nur eine tugendhafte, fromme Maske vor ihr Antlitz gelegt, und alle die guten und edlen Eigenschaften, um deren willen sie Maria Theresia belohnt und befördert hatte, nur auf ihren Lippen, aber nicht in ihrem Herzen besessen hatten. Sie klagten nicht darüber, daß Maria Theresia, die edle Regentin, gestorben, sondern nur darüber, daß die Quelle verstopft sei, aus welcher ihnen sonst Reichthum und Ueberfluß geströmt, die Quelle der Pensionen, der Gnadengehalte, der Titel und Aemter.

Maria-Theresia war nicht, mehr. Das Geläute der Glocken, das dumpfe Rollen der Trommeln verkündete den Wienern, daß eben die Leiche der Kaiserin hinabgesenkt worden in die Gruft der Kapuzinerkirche, und daß Kaiser Franz, der so lange auf dem Paradebett von Stein seiner Kaiserin geharrt, sie endlich jetzt wieder an seiner Seite hatte. Mit dröhnendem Schall waren die eisernen Pforten der Grabkapelle wieder hinter der kaiserlichen Leiche zusammengeschlagen und heimgekehrt waren alle die Tausende, welche als Leidtragende, freiwillig oder befohlen, die Kaiserin auf ihrem letzten Weg durch ihr geliebtes Wien begleitet hatten.

Auch Kaiser Joseph war heimgekehrt von dem schweren Gang, und gefolgt von seinen Vertrauten, dem Feldmarschall Lacy und dem Grafen Rosenberg, hatte er sich in sein Cabinet zurückgezogen. Eine tiefe Traurigkeit sprach aus seinem edlen Angesicht, schwermüthig und bewölkt war seine Stirn. Die Arme ineinandergeschlagen ging er langsamen Schrittes, gesenkten Hauptes auf und ab, ganz der beiden Herren vergessend, denen er doch befohlen hatte, ihm in sein Cabinet zu folgen, und die sich in eine Fensternische zurückgezogen hatten, nicht wagend, das tiefe Schweigen des Kaisers nur mit einem Wort, einem lauten Athemzug zu unterbrechen.

Endlich aber schien Joseph aus seinem traurigen Nachdenken zu erwachen und ihrer zu gedenken. Grade auf sie zuschreitend, blickte er die beiden Freunde lange und forschend an.

Bin ich ein schlechter und undankbarer Sohn gewesen? fragte er mit tiefer, bewegter Stimme. Ich beschwöre Euch, meine Freunde, keine Höflings-Antworten, sondern die reine, ungeschminkte Wahrheit: bin ich ein schlechter und undankbarer Sohn gewesen gegen meine große Mutter Maria Theresia? Lacy, beim Andenken an Ihre eigene Mutter verlange ich von Ihnen, daß Sie mir die Wahrheit sagen!

Beim Andenken an meine eigene Mutter werde ich die Wahrheit sagen, rief der Feldmarschall ernst und feierlich. Nein, Ew. Majestät sind kein schlechter, kein undankbarer Sohn gewesen. Sie haben vielmehr mit edler Selbstüberwindung die großen Lasten Ihrer Sohnespflicht ertragen, Sie haben oft genug Ihr eigenes stolzes Herz überwunden, und sich schweigend und gehorsam dem Willen der Kaiserin gebeugt, selbst wenn Sie wußten, daß dieser Wille irrt. Das ist meine wahre und aufrichtige Meinung!

Und die Ihre, Graf Rosenberg? fragte Joseph mit einem trüben Lächeln.

Die Meine ist, daß Ew. Majestät nicht blos kein schlechter und undankbarer Sohn gewesen, sondern ein sehr edler, versöhnlicher Sohn, dessen Herz weich blieb und sich nicht verhärtete gegen seine Mutter, obwohl ihm seit seiner frühesten Jugend viel Anlaß dazu geworden. Ew. Majestät haben in Demuth und Geduld mehr ertragen, als ein thatendurstiger, ehrgeiziger Mann ertragen könnte, wenn ihn nicht die Liebe und die Treue immer an die Pflicht des Sohnes gemahnt hätten, Ew. Majestät haben mehr geschwiegen, als jeder Andere gethan haben würde, dem nicht die Sohneszärtlichkeit die Lippen geschlossen!

Ich habe geschwiegen, aber mein Herz hat gegrollt, sagte der Kaiser düster, ich habe Vieles ertragen, aber ich habe es nicht ertragen mit Freudigkeit, sondern mit Unwillen, und Maria Theresia hat das mit klarem Blick erkannt. Sie hat auf meiner düstern Stirn die Vorwürfe gelesen, die meine Lippen nicht sprachen. Ich habe ihr viel gezürnt, sie aber hat oft um mich geweint! Oh, diese Thränen meiner Mutter brennen jetzt auf meiner Seele und beunruhigen mein Gewissen!

Ew. Majestät sollten daran gedenken, daß die Kaiserin alle die kleinen Zerwürfnisse früherer Tage vergessen und vergeben hatte, sagte Graf Rosenberg, daß sie während der letzten Wochen ihres Lebens nur erfüllt war von Dank und Liebe für ihren kaiserlichen Sohn, der ihrer pflegte mit der Treue und der Hingebung, wie nur die wahre Liebe deren fähig ist!

Ew. Majestät sollten auch gedenken, sagte Lacy, daß Maria Theresia mit dem klaren Blick, welcher Sterbenden eigen zu sein pflegt, erkannt hatte, wie viel Kummer und Schmerzen sie, ohne es zu wollen, Ew. Majestät bereitet hat, und daß sie, groß und edel, wie sie es immer war, wenn nicht fremde Einflüsse über sie Macht gewonnen, Ew. Majestät um Vergebung gebeten!

Ich habe mir dies Alles selbst gesagt, rief Joseph, ich habe es mir in diesen schlummerlosen Nächten hundert Mal wiederholt, und dennoch bleibt der Stachel des Vorwurfs in meinem Gewissen, und dennoch gäbe ich jetzt freudig Jahre meines eigenen Lebens darum, wenn meine Mutter noch lebte, wenn ich ihr in unbegrenzter Hingebung meine Liebe und meine Unterwerfung beweisen könnte!

Gönnen Ew. Majestät der großen Kaiserin doch die Ruhe im Grabe und die Seligkeit im Himmel, rief Lacy fast unwillig. Maria Theresia war müde des Lebens und ist freudig gestorben. Ew. Majestät aber müssen jetzt freudig leben, eingedenk der hohen Erbschaft, welche der Tod der Kaiserin Ihnen gegeben hat! Diese Erbschaft ist ein Staat, sind viele Millionen Menschen, welche von Ew. Majestät ihr Glück und ihre Ruhe erwarten!

Es ist wahr, rief Joseph glühend, ich habe eine große Erbschaft empfangen, und ich schwöre es hier in dieser Stunde vor Euch, meinen Zeugen, ich schwöre es, ich will diese Erbschaft treu und rechtlich verwalten, nicht als ein übermüthiger stolzer Erbe, der verschwenden darf in üppiger Lust, was sein ist, sondern als ein treuer Verwalter, der Gott und seinem Nachfolger Rechenschaft schuldig ist! Ich schwöre es, ich will meinen Unterthanen ein guter Kaiser sein! Die Thränen meiner Mutter, welche sie um mich geweint, ich will sie trocknen in den Augen der Unglücklichen, und die Liebe, welche sie sterbend mir geschenkt, will ich vererben auf ihr Volk! Ihr könnt mich an diesen Schwur mahnen, wenn ich seiner einst vergessen sollte. Aber jetzt fordere ich auch von Euch ein Gelübde, jetzt, am Anfang einer neuen Zeit stehend, fordere ich von Euch Beiden auch einen Beweis Eurer Treue!

Sprechen Sie, Sire, rief Lacy mit einem schönen Lächeln, ich bin bereit, Alles zu thun, was Sie wünschen können!

Setzen Ew. Majestät meine Treue auf die Probe, sagte Rosenberg feierlich, ich weiß, daß sie nicht wanken wird.

Der Kaiser legte seine beiden Hände auf die Schultern seiner Freunde, und sah sie mit zärtlichen Blicken an. Beneidenswerth der Mann, sagte er, der sich rühmen darf, wie ich, zwei treue Freunde zu haben! Aber hört, was ich von Euch fordere! Ich stehe jetzt am Anfang einer neuen Welt, am Beginn eines neuen Daseins. Ich bin jetzt der Kaiser meines Volkes, frei endlich zu thun, was ich will, frei, die Pläne zu verwirklichen, die ich lange Jahre schweigend in meinem Herzen genährt, frei, um meinen Willen zur That werden zu lassen und meine Gedanken zu Handlungen. Ich will das Gute und das Rechte, ich will die Guten glücklich machen, und den Bösen ein Schrecken sein, ich will mein Volk befreien von den Ketten der Unwissenheit, in denen es so lange geschmachtet, ich will es frei, groß und stark machen! Ich will, daß es Licht werde in meinem Reich, und die Finsterlinge will ich austreiben aus ihren Höhlen und Schlupfwinkeln, ich will, daß die Tugend geehrt, und das Laster verachtet werde, und ich will es daher strafen, wo es sich zeige, wie ich die Tugend belohnen werde, wo ich ihr begegne! Aufklärung! das sei das große Wort, welches ich mit leuchtender Sternenschrift auf meine Krone schreibe, und der ich jeden Gedanken und jeden Pulsschlag meines Lebens weihe! Aber wenn mein Eifer einmal mich abführen sollte vom rechten Wege, wenn ich in dem Wunsch, das Gute zu thun, irren sollte in dem Bestreben dazu, wenn ich, einzig nur die Zwecke im Auge habend, mich in den Mitteln vergreifen sollte, dann ist der Moment gekommen, wo ich von Euch Beiden den Beweis Eurer Freundschaft und Eurer Treue verlange. Dann sollt Ihr frei und wahr vor mich hintreten und mich warnen, dann sollt Ihr ohne Furcht vor dem Kaiser, nur eingedenk Eurer Freundschaft, mich Euer mahnendes und warnendes Wort vernehmen lassen! Wenn Ihr meint, daß ich mich in einem Irrthum befinde, so sollt Ihr mich aufklären, wenn Ihr seht, daß ich mich hinreißen lasse von meinem glühenden Thatendrang, so sollt Ihr mich warnen; sollt auch dann nicht schweigen und verstummen, wenn Eure Warnung mich unwillig macht und ich Euch von mir weisen möchte. Gerade dann sollt Ihr Eure Stimme lauter vernehmen lassen, und, mich gemahnend an diese Stunde, sollt Ihr von mir fordern, daß ich Euch höre und Eure Warnung beachte. Wollt Ihr das, meine Freunde? Wollt Ihr mir schwören, mir zu allen Zeiten die Wahrheit zu sagen, so oft ich sie von Euch fordere, aber in großen und wichtigen Momenten sie mich auch dann hören zu lassen, wenn ich sie nicht von Euch fordere?

Ich schwöre es Ew. Majestät! riefen Lacy und Rosenberg wie aus Einem Munde.

Gott und der Kaiser haben Euren Schwur gehört, sagte Joseph feierlich, und Euer Freund dankt Euch, daß Ihr ihn geleistet habt. Gebt mir Eure Hände, Ihr meine treuen Freunde! Ich danke Euch für die Liebe, die Ihr mir bisher bewiesen, ich danke Euch für die Liebe, die Ihr mir noch ferner erzeigen werdet! Oh, an Euch werde ich niemals zweifeln, von Euch Beiden bin ich überzeugt, daß Ihr mir Eure Freundschaft bewahren werdet bis zu meinem Tode!

Ew. Majestät sind der jüngste von uns Dreien, sagte Lacy, und Sie sprechen von Ihrem Tode, als könnten wir Sie überleben!

Das Alter, mein Freund, zählt nicht nach Jahren allein, sagte der Kaiser mit einem wehmüthigen Lächeln. Das Alter zählt nach den Wundennarben, die das Leben auf unsere Stirn und unser Herz gezeichnet, und wenn Ihr diese bei mir zählt, so werdet Ihr Beide sagen müssen, daß ich länger gelebt habe als Ihr, und daß ich also früher sterben werde. Versprecht mir, bis zu meinem Tode treu bei mir auszuhalten, und mir dereinst die Augen zuzudrücken!

Das werden Ihre Kinder, das wird Ihre Gemahlin thun, Sire! rief Graf Rosenberg.

Ich werde mich nicht wieder vermählen, sagte der Kaiser düster, der Entschluß ist gefaßt und er ist unabänderlich. Mein Neffe Franz von Toscana wird mein Sohn sein, auf ihn will ich die Liebe übertragen, die ich vielleicht für eigene Kinder hegen könnte, und für ihn will ich dereinst werben um eine Gemahlin. Die Kaiserin Katharina hat schon meine vorläufige Werbung angenommen, und wird einwilligen, daß ihre Adoptivtochter Elisabeth von Würtemberg, die Schwester der Gemahlin des Großfürsten Paul, einst die Gemahlin meines Neffen werde! Möge er glücklicher sein in seiner Ehe, als ich es gewesen bin! Sprecht mir nicht mehr von solchen Plänen, meine Freunde, mein Herz ist ausgebrannt und leer an Liebe!

Und doch schlägt es so warm und groß für die Menschheit und für Ihr Volk! rief Rosenberg.

Ja, meinem Volk gehört mein ganzes Herz, und darum ist darin auch kein Platz für ein Weib! sagte der Kaiser lächelnd. Oh mein armes, viel geplagtes, geduldiges, treues Volk! Dich allein will ich fortan lieben! Dich will ich frei, Dich will ich glücklich machen! Zerreißen will ich die Bande, mit denen die Priester Eure Geister gefesselt, und die Ketten, mit denen sie Euer Gewissen belastet haben. Ihr sollt nicht mehr am Gängelband geleitet werden, wie die Kinder, sondern Ihr sollt als Männer betrachtet, als Männer geachtet werden! Ein Volk von freien Männern und von tugendhaften Frauen, von unschuldigen Kindern und sorgenlosen Greisen will ich um mich haben, es soll hell werden in meinen Staaten, und die ägyptische Finsterniß, von der mir die Benedictiner in Prag einst unter ihren Klosterschätzen ein Stückchen gezeigt, die ägyptische Finsterniß möge unter den Mönchen und in den Klöstern verbleiben, aber die Augen meines Volkes sollen mir die Priester nicht mehr damit verblenden. Und jetzt an's Werk, meine Freunde, an's Werk! Mein Volk ruft mich, und jeder Moment meines Lebens gehört ihm! Ihr habt mein Gewissen beruhigt, und ich habe Euren Schwur empfangen, daß Ihr treu zu mir halten wollt. Oh, mit zwei Mentoren wie Euch an meiner Seite, muß und wird es mir schon gelingen, mein Volk glücklich zu machen, und mir ein wenig Ruhm zu erwerben!


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