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VII.
Katharina und Joseph

Katharina lag, als der Kaiser zu ihr eintrat, in graciösester Nachlässigkeit auf dem Divan, und schien gar nicht zu ahnen, daß es der Kaiser sein könne, welcher da zu ihr komme. Sie flog daher, als sie Josephs ansichtig ward, mit einem Schrei freudiger Ueberraschung aus dem schwellenden Polster empor, und eilte dem Kaiser lächelnd entgegen, ihm ihre beiden Hände darreichend.

Der Kaiser bückte sich und küßte diese Hände. Ich komme zu Ew. Majestät, sagte er, weil ich mich krank fühle und ermattet, und weil ich Ihres Anschauens bedarf, um mich wieder stark und lebenskräftig zu fühlen! Ich habe schlimme Nachrichten aus Wien, Majestät. Meine Mutter kränkelt und begehrt dringend meine baldige Rückkehr.

Das sind zwei böse und traurige Nachrichten auf einmal! rief die Kaiserin schmerzlich. Sie sagen mir, daß die größte und edelste Frau, welche jemals einen Thron geschmückt hat, leidend ist, und lassen mich zugleich befürchten, daß Sie mich verlassen wollen. Aber Sie dürfen das nicht, Sire, es wäre grausam, mich so bald schon eines kaum gewonnenen Freundes berauben zu wollen! Nein, nein, Sie dürfen mich nicht schon wieder verlassen, jetzt, da kaum die Scheidewand gefallen, welche so lange Oesterreich und Rußland von einander getrennt hat.

Ja, es war wirklich wie eine hohe spanische Wand, welche uns von einander schied, rief Joseph lächelnd, und der König von Preußen stand als spanischer Windmacher neben der Wand, und blies immerfort dagegen und hielt sie aufrecht mit dem Hauch seiner Verleumdungen und Bosheiten. Aber ich sehnte mich immer nach dem Anblick der stolzen und kühnen Beherrscherin Rußlands, und da mir die spanische Wand zu hoch war, um darüber fortschauen zu können, riß ich sie nieder, und sprang drüber weg, und kam hierher, um zu Ew. Majestät Füßen niederzufallen, zu meinem eigenen Entzücken und zum wahren Entsetzen des Königs von Preußen, der den russischen Kaiserhof gern als eine Domaine betrachtet, die er wenigstens als Schildwache umschreitet, da er sie nicht als Herr besitzen kann. Oh, es war in der That der schönste Gedanke meines Lebens, hierher zu kommen, um mein Herz zu stärken an dem Anblick der genialsten und größten Frau, welche mit dem Feuer ihres Geistes jetzt die Welt durchstrahlt, und die dazu berufen scheint, die ganze Welt vor ihr sich beugen zu sehen!

Nein, Sire, ich verdiene Ihr Lob nicht, sagte Katharina traurig, ich bin nicht die größte Frau; der Sohn der erhabenen Kaiserin Maria Theresia darf mich nicht so nennen! Sie besitzt alle Tugenden, welche eine Sterblichgeborene schmücken können, die Weisheit des Gesetzgebers, den Heldenmuth des Kriegers, und endlich die Tugend, Ehrbarkeit und Unschuld des Weibes! Ach, mein Freund, ich gehöre nicht zu den Auserwählten, denen das Schicksal vergönnt hat, inmitten der Stürme dieser Erde sich die Unschuld des Himmels zu bewahren. Ich habe ein großes und stolzes Erdenloos erhalten, aber ich habe großen und stolzen Lohn dafür zahlen müssen! Ich bin eine Kaiserin geworden, aber ich bezahlte meine Krone mit den höchsten Schätzen der Frau! Still, unterbrechen Sie mich nicht, sagen Sie nicht, daß es nicht so ist! Wir sind hier allein, und Niemand hört dies Bekenntniß, das ich aus vollster Wahrheit meiner Seele dem Sohn Maria Theresia's ablege. Sie ist die genialste und größte Herrscherin, denn sie ist die tugendhafteste Frau!

Aber sie ist eine Frau geblieben auch als Herrscherin, sagte Joseph lächelnd, sie regiert mit dem Herzen, während Katharina von Rußland nur allein mit ihrem Kopf regiert, und ihrem Herzen nur dann Rechte gewährt, wenn die großen Geschäfte ihrer Regierung ihr Zeit und Muße dazu lassen. Oh, Ew. Majestät tragen Ihre Krone nicht als Weib, sondern als ein starker, willenskräftiger Mann, und wie wollen Sie denn von einem Mann verlangen, daß er sich in den Stürmen und dem Tosen des Lebens die Tugend der Unschuld bewahre. Wer groß sein will, muß die Schuld kennen, denn die Unschuld kann nur im Verborgenen unangetastet bleiben. Sobald sie sich hinauswagen will in das Leben, verliert sie durch die Schlechtigkeit der Menschen ihre Krone, und geht entweder umher im zerlumpten Bettelgewande, ein Spott der Welt, oder sie erkauft sich mit ihrem Herzblut einen Purpurmantel, und lernt von den Schuldigen, wie man es machen muß, um die Schlechten zu besiegen, und der Welt Gesetze zu geben. – Wären Sie unschuldig geblieben und rein von aller Schuld, so wären Sie niemals Katharina die Große geworden. Es giebt leider jetzt so viele Männer, welche Weiber sind, daß man Gott danken muß, endlich einmal ein Weib zu sehen, welches ein Mann ist!

Sie verstehen es auf eine neue Art zu schmeicheln, rief Katharina lächelnd, aber man muß ein Weiberhasser sein, um in dieser Weise zu schmeicheln. Sind Sie das, Sire?

Ich würde die Weiber anbeten, wenn es deren viele gebe, wie der Mann Katharina, sagte Joseph. Aber ich habe solcher Art zu meinem Unglück keine weiter kennen gelernt, und daran ist mein Leben gebrochen und zerschellt, daran sind meine Hoffnungen untergegangen und meine Wünsche gescheitert. Oh Kaiserin, was habe ich nicht Alles gewünscht, gewollt und erstrebt, welche große Pläne, welche kühne Zukunftswünsche glühten nicht in meinem Herzen, aber die Weiber, die Weiber haben mir Alles untergraben und vernichtet, wenn ich auch nicht sagen will, daß sie Alle lange Kleider trugen und zum schönen Geschlecht gehörten. Und es ist ihnen gelungen, meine Energie ist gebrochen, und von dem Joseph, welcher ich einst gewesen, ist kaum noch eine Spur geblieben.

Sie lästern sich selber, Freund, rief Katharina, ihm schalkhaft drohend. Ich meine doch, der Kaiser Joseph habe uns erst kürzlich bewiesen, daß es ihm nicht an Energie gebricht, und daß sein Ehrgeiz sich nicht gern in Grenzen einengen läßt.

Ach, Ew. Majestät gemahnen mich an den Zwetschkenrummel, den ich gegen Baiern unternommen! Es war die letzte Don Quixoterie des deutschen Kaisers, der noch für die Idee schwärmte, ein einiges, großes Deutschland aus der Zerfallenheit der deutschen Stämme aufrichten zu können, und mit seinem Deutschland einen neuen Stern aufgehen zu lassen an dem europäischen Staatenhimmel. Ach, Majestät, warum mußten Sie es gerade sein, die meine Schwärmerei brach, Sie, von allen europäischen Fürsten der Einzige, welcher fähig war, mein Herz zu begreifen und meine Pläne zu billigen? Diese Pläne, welche doch zuletzt nichts Anderes beabsichtigen, als die alten Raubritter und Rattenkönige aus ihren Burgen und Schlupfwinkeln zu vertreiben, den Augiasstall des deutschen Reichskammergerichts zu reinigen, und das lebendige und wahre Recht an die Stelle des todten, lügnerischen Actenrechtes zu setzen! Glauben Sie mir, Katharina hätte einen guten und nützlichen Nachbarn gefunden an dem Kaiser von Deutschland; er würde treu und groß an Ihrer Seite gestanden sein und würde Ihnen geholfen haben, die Welt zu erobern, die Uebermüthigen zu züchtigen, und Recht, Wahrheit und Gerechtigkeit zu etwas mehr als zu einer Fabel zu machen. Aber Katharina, die große Herzenskündigerin, ließ dies Eine Mal sich den stolzen, kühnen Blick umnebeln von allerhand Dünsten, die der altgewordene König von Preußen, den seine Unterthanen den Einzigen nennen, vor ihr aufzuwirbeln wußte, und um eines altersschwachen Greises willen, der für seine welk gewordenen Lorbeerkränze bangte, trat die kühne Minerva des Jahrhunderts in die Schranken. Es war ein edler und erhabener Irrthum, um dessentwillen ich Sie anbeten und verehren mußte, wenn ich es bis dahin noch nicht gethan! Der Irrthum einer großen Seele, welche an die Größe der Andern glaubt, und große Worte mit großen Thaten verwechselt. Und freilich, große Worte hat der alte König genug gemacht, sprach von Deutschlands Recht und Einigkeit, schilderte mich als den Raubritter, der einfallen wollte in den deutschen Tempel der Eintracht und Sitte, und machte sich zum Hohenpriester Deutschlands, dem er aber in französischer Sprache seine Hymnen sang, weil er ein viel zu guter Deutscher ist, um die deutsche Sprache nicht von Grund seines Herzens zu verachten. Oh, Majestät, sagen Sie lieber, ist es nicht um Thränen zu lachen, daß dieser Mann, welcher das deutsche Wesen, die deutsche Sprache und den deutschen Geist bisher immer verachtet und verspottet hat, jetzt plötzlich sich zum Vorkämpfer dieses selben deutschen Reichs macht, das einst den Bannstrahl über ihn ausgesprochen und den ländergierigen Emporkömmling in die Reichsacht erklärt hat? Und wäre er nur wenigstens ausgezogen zu einem ehrlichen Kampf! Aber er vermeinte, es sei genug am Schwertgerassel und Trompetengeschmetter, und wenn er mir von fern seine vergilbten Lorbeeren zeigte, würde ich sofort Reißaus nehmen, wie ein rechtes Muttersöhnchen. Da ich's nicht that, verkroch er selber sich, der große Held, hinter dem Reifrock meiner Mutter, und die beiden alten Majestäten zitterten und conspirirten miteinander, und warfen sich mit Zwetschken statt mit Kanonen, und aus dem großen Krieg, den ich erhoffte, ward nur ein närrisches Confettischmeißen eines deutschen Carnevals! Oh, Sie lachen, Kaiserin! Sie haben Recht, ich bin ein Thor, mich noch immer so zu erzürnen bei dem Gedanken an unsern deutschen Zwetschkenrummel! Vergeben Sie es mir und lachen Sie mich tüchtig aus!

Nein, ich lache Sie nicht aus, rief Katharina, ihre Hand auf Josephs Schulter legend und ihm tief in das erregte Antlitz schauend, ich lache vor Freuden über Ihr schönes, feuriges Wesen, über den edlen energischen Haß, der von Ihrem Antlitz strahlt. Mein Gott, ein Mann, der ordentlich zu hassen versteht, ist eben so selten, als ein Mann, der ordentlich zu lieben versteht, und darum freue ich mich Ihrer, und darum fühle ich, indem ich Sie anschaue, für Sie die zärtlichste Sympathie! Sagen Sie, Freund, Sie hassen ihn also sehr, den König Friedrich von Preußen?

Ja, ich hasse ihn, rief Joseph hochaufathmend, ich hasse ihn jetzt eben so sehr, als ich ihn einst geliebt habe! Ich hasse ihn, denn er ist es gewesen, der alle meine Pläne zerstört, meine Hoffnungen vernichtet hat. Er hat Deutschland wider mich aufgehetzt, er hat mir Baiern entrissen, Baiern, welches mein war durch das Recht der Verträge, und auf welches ich sicherlich gegründetere Ansprüche besaß, als er auf Schlesien. Ich hasse ihn um so mehr, weil das Schicksal mir nicht mehr die Gelegenheit gönnen wird, mich an ihm zu rächen und ihn zu besiegen, denn was wäre es jetzt wohl noch für ein Ruhm, diesen alten, gichtkranken Mann zu besiegen, der so schwach ist, daß er nicht einmal mehr die Flöte blasen kann, weil er keine Zähne mehr hat.

Es ist wahr, sagte die Kaiserin sinnend, selbst die Geister werden alt, und dem Genie selbst rupft das mürrische Greisenthum die Federn aus, daß es nicht mehr sich aufzuschwingen vermag. Von dem großen Helden Friedrich ist nichts mehr übrig geblieben, als ein kurzsichtiger Greis, der seine Zeit nicht mehr versteht.

Und der sich doch einbildet, ihr Gesetze vorschreiben und sie aufhalten zu können in ihrem Lauf, rief Joseph glühend. Oh, Katharina, hüten Sie sich wohl vor diesem alten Mann, der sich an Sie anklammert, nicht sowohl, um sich an Ihnen aufrecht zu halten, sondern mehr noch, um Sie zurückzuhalten und Ihren vorwärtsstrebenden Eroberungsschritt zu hemmen. Er verleugnet jetzt die Thaten seiner Jugend, und der Held, der einst die Grenzen seines Landes durch Schlesien erweiterte, der möchte Sie und mich jetzt bannen in die Grenzen unserer Reiche, und will nicht, daß unsere Blicke hinausschweifen über dieselben! Aber es wird ihm nicht gelingen, Sie zurückzudrängen, wie er es mir gethan. Sie haben nicht, wie ich, eine Mutter an Ihrer Seite, welche Ihnen die Hände bindet, und Sie werden den König von Preußen nicht zu dieser hemmenden Mutter annehmen wollen! Ich sehe den Adlerblick Katharina's, welcher sich gen Süden wendet und die Wogen des schwarzen Meeres aufleuchten macht. Ich sehe schon die weiße Hand sich ausstrecken nach der Moschee zu Constantinopel, und das Kreuz aufpflanzen, wo jetzt noch der Halbmond prangt!

Katharina stieß einen Schrei aus, und mit einer leidenschaftlichen Bewegung ihre beiden Arme um Josephs Nacken schlingend, zog sie ihn zu sich und drückte einen glühenden Kuß auf seine Stirn.

Oh, mein Freund, ich danke Ihnen für dieses Wort, rief sie in flammender Begeisterung, und mit diesem Kuß gelobe ich Ihnen meine Treue und meine Freundschaft. Denn ich fühle es, Sie haben mich verstanden, Sie haben die ehrgeizigen Wünsche, die da bis jetzt geheimnißvoll und tief in meiner Brust geruht haben, errathen!

Ich habe sie errathen und ich billige sie, sagte Joseph feierlich. Das Schicksal hat Ihnen eine Mission gegeben und Sie müssen sie erfüllen, Sie müssen mit Ihrem Schwert diese Pforte erstürmen, welche sich dem Glauben und dem Christenthum widersetzt, Sie müssen die Fahne des Propheten versenken in die Wellen des schwarzen Meeres, um auf den Wimpeln Ihrer Schiffe dort das heilige Kreuz Christi wehen zu lassen!

Oh Gott, ich danke Dir, rief Katharina, die Arme zum Himmel emporstreckend, lächelnd unter Thränen der Begeisterung. Ich habe einen Freund gefunden, der mein Herz versteht und meine Träume zu deuten weiß!

Und der, wenn die Stunde gekommen ist, bereit sein wird zu helfen, daß diese Träume zur Wirklichkeit werden können!

Ich nehme Ihre Anerbieten an, und ich werde Sie daran mahnen, wenn die Stunde gekommen ist. Hier meine Hand, ich biete sie Ihnen zu einem neuen Bunde, zu einem Bunde wider die alte Welt. Wollen Sie sie annehmen, Freund, wollen Sie mit mir vereint diese alte, morsch gewordene Welt zerstören, und eine neue Welt mit neuen Grenzen aus dem Schutt hervorsteigen lassen?

Ich nehme Ihre Hand an, Katharina, und Sie werden mich zu jeder Stunde bereit finden, die Treue zu bewähren, die ich Ihnen jetzt gelobe, und Ihnen zu helfen, Ihre großen Zukunftspläne auszuführen.

Und so, Hand in Hand, wollen wir die Welt erobern! rief Katharina glühend. Gelobt sei Gott, daß sie groß genug ist, um Raum zu haben für uns Beide! Uns Beiden muß die Welt gehören, wir Beide müssen sie uns erobern und sie unter uns theilen. Was sollen sie Alle auf Erden, diese kleinen, jammervollen Fürsten, die erzittern, wenn ihr Nachbar links sich eine neue Trommel anschafft, weil das auf Krieg deutet, wenn ihr Nachbar rechts eine Erbschaft thut, weil er vielleicht dann ein Dorf mehr besitzt wie sie. Hinweg mit all' diesen kleinen Thronen und den kleinen Fürstenseelen darauf, zwei Throne darf es nur geben und zwei große Fürsten darauf, die über die Welt hinleuchten wie die Dioskuren der alten Götterwelt, und die Heroenwelt der Griechen wieder auferstehen lassen aus dem Schutt der Jahrtausende! Oh, Freund, welche Wonne muß das sein, dazustehen auf der Höhe des Weltenthrones, hinzublicken über die Erde, welche in schauderndem Entzücken unter unserm Fußtritt erbebt, wie das Meer bei dem Aufgang der Sonne, hinzublicken auf diese Millionen und abermals Millionen Menschen, die von uns das Licht ihres Geistes, ihre Cultur, ihre Bildung, ihre Kunst und ihr Glück erhalten! Oh, welch' eine große strahlende Zukunft thut sich vor meinen trunkenen Blicken auf, eine Zukunft, in der es nur zwei Reiche geben wird, das Reich des Westens und das Reich des Ostens, nur noch zwei Throne, den Thron des griechischen und den Thron des römischen Kaiserthums, nur noch zwei Völker, die beide so groß, so mächtig sind, daß sie niemals daran denken können, einander zu lieben, und ihre Schwerter bei Seite zu legen, um der glücklichen Welt den ewigen Frieden und das ewige Glück zu geben! Sagen Sie, Freund, wollen Sie mir helfen, diesen Göttertraum zu verwirklichen?

Ich will Ihnen helfen, meine erhabene Freundin, rief Joseph glühend. Ich will treu zu Ihnen halten, und was der König von Preußen als Phantasterei verlacht, das wollen wir zur Wirklichkeit machen!

Das wollen wir, sagte Katharina energisch. Oh, Sie wissen nicht, wie lange ich schon in meiner Seele diesen Plan hege, und wie viel ich ihm schon vorgearbeitet habe. Es steht schon fertig vor meiner Seele da, dieses erhabene neue Reich, das wir aufbauen wollen aus den Trümmern der alten Göttertempel Griechenlands. Aus ihrer Asche sollen sie erstehen die ewigen Städte Griechenlands, Troja und Athen sollen wieder aufleben von den Todten, und von der Akropolis hernieder soll das Kreuz der Christenheit seinen Strahlenschimmer über ganz Asien ergießen. Und diese neue Welt wird Mein sein, mein Werk, und so werde ich das Testament meines großen Ahnherrn Peters des Großen erfüllen! Er hat seinen Nachfolgern geboten, Europa zu reinigen von den Türken, das schwarze Meer zu öffnen, daß es auf seinen schäumenden Wogen russische Schiffe trage! Ich werde seinem Gebot gehorchen, ich werde die Türkei erobern, und in Stambul soll der Thron meines Enkels, des griechischen Kaisers Constantin, sich erheben, während in Petersburg mein Enkel Alexander von seinem Thron hernieder schaut auf Asien und Europa, welche ihm gehören und vor seinem Scepter sich beugen. Griechenland, das schöne Land der Götter und der Dichter, darf nicht länger das Eigenthum der barbarischen Türken sein, wir wollen es wieder befreien und verklären, wir wollen ihm einen neuen Kaiser Constantin geben, und an den Ufern des schwarzen Meeres ihm seinen Thron errichten. Sie wissen nicht, Freund, was Alles ich nicht schon gethan, dieses Ziel zu erreichen. Seit seiner Geburt schon bestimme ich meinen zweiten Enkel für diese große Zukunft des griechischen Kaiserthums. Aus den Brüsten einer Helena trank er sich Lebenskraft, griechische Kleider umhüllen seine Glieder, griechische Knaben habe ich aus Athen hierher kommen lassen, daß sie spielend dem Kinde die Sprache ihrer Heimath lehren, und schon ist jetzt wieder ein Schiff unterwegs, das zweihundert junge Neugriechen hierher bringt, welche dereinst die Garde des zukünftigen Kaisers von Griechenland bilden sollen. Theodor Mundt: der Kampf um das schwarze Meer, S. 117. Griechische Worte sollen die ersten sein, welche seine kleinen Lippen stammeln, und wie die Medaille, die am Tage seiner Geburt geprägt ward, schon hinweist auf seine hohe Bestimmung, Diese Medaille war von Potemkin entworfen. Auf derselben sah man, wie ein gewaltiger Blitzstrahl auf die große Moschee zu Constantinopel herniederfährt, so daß dieselbe zerschmettert wird und von ihrer Spitze den Halbmond hernieder gleiten läßt. Dem Titel der Kaiserin war auf dieser Medaille die Bezeichnung hinzugefügt: propugnatrix fidei (Vorkämpferin des christlichen Glaubens). Theodor Mundt: Kampf um das schwarze Meer, S. 117. so soll auch Alles, was ihn umgiebt, was ihm gelehrt wird, das hohe Gepräge seiner Zukunft an sich tragen. Sehen Sie hier, mein Freund, ich selber habe für meinen Enkel, den einstigen Kaiser Constantin, die Landkarte entworfen, nach welcher man ihm die Geographie seines Reiches lehren soll, seines Reiches, das ich ihm erobern will!

Die Kaiserin hatte sich hastig erhoben und eilte zu ihrem Schreibtisch hin, aus dessen Schubfach sie jetzt eine Rolle Papier hervorholte, mit der sie dann zum Kaiser zurückkehrte.

Fassen Sie dies Papier an, sagte sie, dem Kaiser die Rolle darreichend, Sie müssen mir da helfen, mein griechisches Kaiserthum aufzurollen!

Joseph war lächelnd behülflich, die Karte aufzurollen, die sie alsdann vor sich auf dem Tisch ausbreiteten und, Beide über denselben geneigt, mit glühenden Augen betrachteten.

Achten Sie zuerst ein wenig auf die Randzeichnungen meiner Karte, sagte Katharina, mit dem weißen Vorfinger ihrer Rechten auf dieselben hindeutend.

Ich erkenne die genialen Gedanken Eurer Majestät in diesen Zeichnungen, sagte Joseph lebhaft. Hier steht der Genius Rußlands, gelehnt auf das russische Wappenschild, und hat in seiner Linken einen Pfeil, Pferdeschweife, Fahnen mit dem Halbmond und andere Siegestrophäen; dort drüben sehe ich auf den Wogen des schwarzen Meeres ein russisches Schiff, das eben einen türkischen Segler in den Grund bohrt.

Und hier in der Mitte sehen Sie das Kaiserthum Griechenland und den Archipelagus, rief Katharina. Achten Sie wohl auf die Farben, welche hier die Länder begrenzen, denn in diesen Farben erkennen Sie meine Pläne. Diese gelbe Farbe hier bezeichnet die Grenzen des griechischen Kaiserthums. Sehen Sie da! Es beginnt dort nordwestlich bei Ragusa, zieht seine Grenzlinie von Skopia, Sophia, Philippopolis und Adrianopel bis an das schwarze Meer, dann geht es hinunter bis an die südliche Spitze von Morea, und umfaßt dort unten die Ionischen Inseln und die des Archipelagus, mit Einschluß von Mytilena und Samos. Das ist das Reich meines griechischen Kaisers der Zukunft, der in Constantinopel thronen wird! Hier aber, diese rothe Farbe, die bezeichnet die neue Grenze meines Reiches. Durch Natolien zieht sie sich hindurch, beginnt dort nördlich bei Pendavaschi und endigt hier drüben bei dem Meerbusen von Syrien.

Der Kaiser, welcher mit gespannter Aufmerksamkeit dem brillantenblitzenden Finger Katharina's gefolgt war, hob jetzt seine Augen von der Landkarte empor, und richtete sie mit einem seltsamen lächelnden Ausdruck auf das erregte Antlitz der Kaiserin.

Was schauen Sie mich so eigenthümlich und mit einem so geheimnißvollen Lächeln an? fragte Katharina.

Ich lächle, weil das, was Ew. Majestät mir da zeigen, mich an eine kleine Begebenheit meiner frühern Reisen erinnert, sagte Joseph heiter. Es war im Anfang meiner armen Mitregentschaft, und ich war ausgezogen, mich ein wenig umzusehen in den Grenzen meines Reiches. In Mähren bestieg ich einen mächtig hohen Berg und mit Entzücken schaute ich hernieder auf die herrliche Landschaft, auf Städte, Dörfer und blühende Gefilde, die in prangendem Reichthum mich da umgaben. Wem gehört dieses lachende Dorf dort und das köstliche Schloß? fragte ich meinen Führer. »Den ehrwürdigen Patres Jesuiten,« antwortete er mir. Und dieser Strich hier mit den Dörfern und Kapellen? fragte ich weiter. »Den ehrwürdigen Patres Benedictinern,« war die Antwort. – Und das hier? – »Dem hochwürdigen Capitel zu Brünn.« – Aber dies schöne große Gut dort? »Das gehört den Clarissinerinnen.« Aber wo liegt denn das, was mir gehört? fragte ich ungeduldig, und der Führer antwortete mir lächelnd: »Wenn Ew. Majestät weiter hinein kommen in's Land.« – Und ich kam weiter hinein in's Land, in Gebirge, in Stein-, Sand- und dürres Haideland, und da lag Alles, was mir gehörte. Lebensgeschichte Joseph II. von Hübner. Th. I. S. 49.

Und jetzt möchten Ew. Majestät auch mich, Ihren Führer durch die neue Welt, fragen: wo liegt das, was mir gehört? fragte die Kaiserin lächelnd. Bat ich Sie nicht, wohl Acht zu haben auf die Farben meiner Karte? Ich habe Ihnen die rothe und die gelbe Farbe erläutert. Aber finden Sie nicht noch eine dritte Farbe auf meiner Karte?

Der Kaiser bückte sich tiefer auf die Karte nieder, Katharina hatte sich aufgerichtet, und die beiden Arme auf den Tisch aufgestützt, schaute sie mit leuchtendem, triumphirendem Antlitz zu dem Kaiser nieder.

Hier im Westen sehe ich noch eine grüne Grenzlinie gezogen, welche Neapel und Sicilien umfaßt, sagte Joseph.

Die grüne Farbe auf meiner Karte bezeichnet Oesterreichs Grenzen, sagte Katharina lächelnd. Wie ich hoffe auf die Wiederherstellung des alten Griechenlands im schönsten Lichte der Cultur und der Musen, so müssen Ew. Majestät auf die Wiederherstellung der alten Roma hoffen. Rom und Neapel, das sei Ihr Stambul, und wie Sie mich nicht hindern werden, meine Herrschaft hinabzustrecken bis zum schwarzen Meer, so werde ich auch Sie nicht hindern, Ihre Grenzen auszudehnen bis zu den Küsten des mittelländischen Meeres. Italien seufzt, wie Deutschland, unter der Last seiner Throne und seiner Fürsten, es ist zerstückelt, zerrissen und unglücklich, wie Deutschland es ist. Erbarmen Sie sich Italiens, Sire! Wien sei der Sitz Ihres Thrones, aber die blauen Wogen des mittelländischen Meeres müssen den Fuß desselben umspülen. Tragen Sie nicht den Namen und Titel eines Königs von Rom? Geben Sie Ihrem Titel Inhalt, Sire! Ihnen gehöre der Westen und Süden, wie mir der Osten, uns Beiden zusammen die Welt! Wir wollen sie unterjochen und uns unterthan machen, wir wollen sie glücklich, groß und stark machen, und der von so viel Schmerzen zerrissenen Menschheit wollen wir den ewigen Frieden bringen!

Joseph hatte ihr mit staunenden Blicken zugehört, eine tiefe Blässe hatte, während die Kaiserin sprach, seine Wangen überzogen, und war dann einer flammenden Röthe gewichen. Mit glühender Innigkeit faßte er jetzt Katharinas beide Hände und drückte sie fest an seine Brust.

Ich danke Ihnen, Katharina, sagte er tief bewegt, ich danke Ihnen aus tiefster Seele, daß Sie leben und da sind! Was auch die Politik meines Verstandes einwenden möchte, in Ihren göttlich schönen Zukunftsträumen schlägt ein Herz und ein Geist, dem ich mich verwandt fühle! Auch in meiner Brust giebt es Träume einer großen, die ganze Menschheit umfassenden Zukunft, und auch ich hoffe, daß einst für sie die Stunde der Verwirklichung anbrechen werde! Oh, meine große geniale Herzenskündigerin, Sie haben tief hineingeschaut in mein Herz, Sie haben richtig erkannt, daß da das Wort » Rom« mit brennenden Zügen eingezeichnet steht! Ja, das ist es, wonach ich mich sehne, diesem meinem Titel: »König von Rom,« Inhalt und Wahrheit zu geben, nicht mehr der sclavische Vasall eines Priesters zu sein, sondern neben dem Stuhl von St. Peter den Thron des Königs von Rom aufzustellen! Ich danke Ihnen, Katharina, daß Sie das Wort gefunden, mit dem Sie die geheimsten Wünsche meines Herzens aus ihrem Schweigen erlöst haben. Oh, jetzt, da ich eine Seele gefunden, welche meine Gedanken versteht und begreift, jetzt thut sich auch vor mir eine große, strahlende Zukunft auf, und Großes will ich schaffen, Herrliches erstreben, denn Katharina wird meine Bundesgenossin sein! In dieser Stunde werfe ich sie von mir, alle diese Wünsche und Hoffnungen, welche ich bis heute noch für Deutschland gehegt. Gott ist mein Zeuge, ich wollte Deutschland groß, glücklich und frei machen, stark im Kampf mit seinen Feinden, mächtig im Bund mit seinen Freunden, ich wollte es zu dem einigen, großen, starken Herzen Europas machen! Aber Deutschland hat mich verschmäht, und so wende auch ich mich jetzt von ihm und überlasse es seinem Schicksal, und statt daß ich sonst meine persönlichen Interessen dem Wohle Deutschlands opfern wollte, werde ich jetzt die Interessen Deutschlands dem Wohl des Kaisers von Oesterreich opfern. Da ich Deutschland nicht groß machen konnte, will ich Oesterreich groß machen, so groß und mächtig, daß Katharina von Rußland mich als einen gleichberechtigten Bundesgenossen anerkennen und achten soll! So lassen Sie uns denn zusammenstehen und unsere Zukunft bauen!

Und ein Bündniß schließen, das wir jetzt noch geheim halten wollen vor der Welt, das sie aber einst erkennen soll an seinen Früchten und an seiner Glorie! rief die Kaiserin, die Hand des Kaisers fest in der ihren drückend. Gemeinsame Interessen verbinden uns von dieser Stunde an mit einander, Rom und Constantinopel heißen die großen Stichworte unserer Zukunft.

Sie werden in Constantinopel das Kreuz aufrichten, ich werde es in Rom von meinem Rücken laden, sagte Joseph lächelnd, ich werde mich und meine Staaten befreien von dem Joche Roms! Das soll meine erste That sein, sobald ich meine Hände frei habe von den Fesseln, welche sie jetzt noch binden! Aber nie werden meine persönlichen Interessen mich hindern, Ew. Majestät Interessen zu unterstützen und an Ihre Seite zu eilen, sobald Sie mich rufen. Oh, möchten Sie mich bald rufen, es ist ein großes Werk, das Ew. Majestät vor sich haben, und große Arbeit gehört dazu, es zu vollenden!

Ich hoffe, daß Gott mir gnädig sein wird, damit ich lange genug lebe, um sie zu vollenden, und um mit Ihnen, Sire, eine so enge, so feste, auf einer so breiten Grundlage ruhende Verbindung zu schließen, daß es nicht in der Gewalt meines Nachfolgers steht, sie aufzulösen. Katharina's eigene Worte. Siehe: von Raumer, Beiträge etc. Th. V. Seite 477. Es wäre traurig, wenn mein Tod, gleichwie der Tod der Kaiserin Elisabeth, das Zeichen sein sollte, das ganze System russischer Politik zu ändern. Und dies würde der Fall sein, wenn ich stürbe, bevor ich mein Werk in der Türkei vollbracht habe! Denn Paul hängt mit schwärmerischer Verehrung an dem König von Preußen und der König ist meinen Plänen abgeneigt, oder er belächelt sie als die Phantasterei einer Frau!

Oh, Ew. Majestät wird ihm hoffentlich bald beweisen, daß diese Phantastereien sich zur Wirklichkeit verklären können!

Sie glauben also an die Wahrheit und Möglichkeit meines Planes? rief Katharina freudig. Sie finden ihn groß, schön und ausführbar?

Joseph legte seine Hand fest auf Katharinas Arm, und sah ihr tief in die Augen. Hören Sie, ob ich Ihren Plan schön und ausführbar finde! sagte er. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich den König von Preußen, der alle meine Pläne durchkreuzt, alle meine Wünsche vernichtet hat, von Grund meines Herzens hasse, nicht wahr?

Sie haben mir das gesagt, und ich glaube es Ihnen, Sire!

Nun wohl denn, Majestät, ich bin so begeistert für Ihren Plan, daß ich noch dann seine Ausführung wünschen würde, wenn dies nur unter Friedrichs Mitwirkung und Vergrößerung geschehen könnte. Raumer: Beiträge etc., Th. V. S. 444.

Kein Anderer als Ew. Majestät soll bei meinen Plänen mitwirken und vergrößert werden, rief Katharina. Ich weiß, auch Sie sind den Türken noch eine Revanche schuldig!

Das bin ich! rief Joseph mit blitzenden Augen. Die Türken haben mir Belgrad genommen und mich gelüstet sehr, es ihnen wieder zu nehmen und mir zu erobern, was Mein sein muß, denn Belgrad, das ist die Donau, und was Eurer Majestät das schwarze Meer mit seiner Schifffahrt ist, das ist für mich die Donau! Ich bin nicht eroberungssüchtig; ich beabsichtige nicht mehr, mir Schlesien zu erobern, und werde niemals wieder den Frieden Deutschlands stören; mein einziger Ehrgeiz soll von jetzt an sein, die Türken aus Europa zu vertreiben und meine italienischen Besitzungen zu erweitern. Des Kaisers eigene Worte. Raumer, V. S. 552.

Und zu beiden Dingen biete ich Ihnen meine Hand, Sire, nehmen Sie sie an, es ist die Hand einer geheimen Verbündeten, die gleich Ihnen nur auf den günstigen Moment wartet, um ihr Schwert zu erheben gegen die ungläubigen Moslems. Sobald dieser Moment gekommen ist, werde ich Ew. Majestät zu meiner Hülfe herbeirufen. Werden Sie alsdann, treu unserm geheimen Bündniß, meinen Ruf hören und ihm folgen?

Der Kaiser küßte innig die dargereichte Hand der Kaiserin. Ich werde ihn hören, sagte er, ich werde nicht blos bereit sein, meine Pflicht als Verbündeter zu erfüllen, sondern alle meine Macht wird Ihnen in voller Ausdehnung zu Gebot stehen. Betrachten Sie mich alsdann als Ihren General und mein Heer als das Ihrige. Des Kaisers eigene Worte. Raumer, V. S. 553.

Und betrachten Sie mich immerdar als eine mütterliche Freundin und Schwester, die mit freudigem Stolz hinblicken wird auf Ihre großen Erfolge und Siege, und fest durchdrungen ist von dem Glauben an Ihre großen und erhabenen Ziele!

Und jetzt, Kaiserin, lassen Sie mich von Ihnen scheiden, sagte Joseph tief bewegt, scheiden vielleicht auf lange Zeit!

Wie, rief Katharina schmerzlich betroffen, Sie wollen mich verlassen, wollen abreisen?

Meine Mutter ist krank und verlangt nach mir, sagte Joseph. Der Kaiser hat sich in Mißmuth von ihr getrennt, aber der Sohn darf den Ruf der Liebe nicht überhören, mit dem seine Mutter ihn zurückfordert an ihr Krankenlager, das vielleicht ihr Sterbelager sein wird. Ich bitte Ew. Majestät, mich zu beurlauben, denn ich muß heute noch abreisen.

Heute noch, seufzte die Kaiserin schmerzlich. Ich habe kaum in Ihnen den Freund gefunden, der mich versteht, und schon verläßt er mich wieder!

Aber er wird wieder kommen, sobald Katharina ihn ruft. Machen Ew. Majestät nur, daß die Türken bald Gelegenheit geben zum Krieg, dann werden Sie Ihren General Joseph schnell an Ihrer Seite finden. Aber jetzt muß ich fort! Vergessen Sie dieser Stunde nicht, Majestät. Ich habe mich Ihnen immer so gezeigt, wie ich wirklich bin, ich habe nie Falschheit oder Kunst gebraucht, Ihren guten Willen und Ihre Freundschaft zu erwerben, und Sie sind deshalb im Stande, über meinen Character und meine Verdienste zu urtheilen. Ich sehe voraus, daß man nach meiner Abreise versuchen wird, mich zu verleumden und anzuschwärzen, ich bitte Sie aber, daß, bevor Sie solchen Anklagen Glauben beimessen, Sie vorher Ihr eigenes Urtheil befragen und darnach entscheiden. Des Kaisers eigene Worte. Siehe: v. Raumer, Beiträge der neuern Geschichte. Th. V. S. 443.

Ich werde Sie in meinen Gedanken vor mir sehen mit dem edlen, stolzen und offenen Antlitz, wie Sie jetzt mir gegenüber stehen, und dann wird es Niemand gelingen, mir meinen Glauben an Ew. Majestät wankend zu machen, sagte Katharina innig.

Und ich, rief Joseph, ich werde Ihrer gedenken in meinen schönsten, wie in meinen schlimmsten Stunden. In den schönsten Stunden wird der Gedanke an Sie mich begeistern, in den schlimmen – und glauben Sie mir, deren habe ich sehr viele, in den schlimmen Stunden wird er mich trösten und erheben und mir einen glänzenden Hoffnungsstern für die Zukunft zeigen! Ich bin kein Schmeichler, glauben Sie mir daher, was ich Ihnen sagen will, Majestät: Ich kam, ganz erfüllt von Anerkennung und Verehrung für Sie, ich gehe, ganz durchdrungen von Anbetung, Bewunderung, Liebe und Ehrfurcht für die hohe, geniale Frau, die bei Weitem noch den hohen Ruf übertrifft, den sie in der Meinung der Welt schon errungen. Die Wochen, die es mir vergönnt war, an Ihrer Seite zu verleben, halte ich deshalb auch für die genußreichste und nützlichste Zeit meines Lebens, und danke Ihnen für dieselben als für eine herrliche Bereicherung. Des Kaisers eigene Worte. Siehe: v. Raumer. Th. V. S. 444.

Die Kaiserin, tief gerührt von dem herzlichen und innigen Ton, mit welchem Joseph zu ihr gesprochen, schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte ihn zärtlich an ihre Brust.

Ach, flüsterte sie leise, wären Sie mein Sohn, so würde die ganze Welt uns unterthan werden und mein letzter Lebenshauch würde ein Dankgebet sein für den herrlichen Sohn, der Geist ist von meinem Geist! Wären Sie mein Sohn, so würde Katharina nicht einsam sein, nicht zerquält von Kabalen, Verschwörungen und Intriguen, so würde sie keine Furcht kennen, sondern sie würde mit freudigem Vertrauen sich stützen auf Ihren sichern und treuen Arm, und würde mit Stolz aller Welt zurufen: »wagt es nicht, mich anzugreifen, denn mich beschützt mein Sohn, und dieser Sohn ist ein Mann! Beugt Euch vor ihm, wie ich mich vor ihm beuge!«

Indem Katharina so sprach, neigte sie sich wirklich tief vor dem Kaiser, und seine Hand erfassend, drückte sie einen glühenden Kuß auf dieselbe. Historisch. Siehe: v. Raumer, Beiträge. Th. V. S. 443.

Joseph stieß einen Schrei aus, und vor der Kaiserin niedersinkend, küßte er ehrfurchtsvoll den Saum ihres Gewandes. Dann sprang er empor, und gleichsam, als fürchte er diesen großen, inhaltsvollen Moment durch ein lautes Wort zu entweihen, flüsterte er leise: Leben Sie wohl, Katharina!

Ehe die Kaiserin Zeit hatte zu antworten, war Joseph schon der Thür zugeeilt, und dieselbe hastig öffnend, stürzte er von dannen. Katharina blickte ihm, in Thränen ausbrechend, nach. Oh mein Gott, rief sie schmerzlich, er geht, er läßt mich allein. Ich habe einen treuen Freund gefunden, aber nur, um ihn zu verlieren. Ich habe einen großen, edlen Mann kennen gelernt, aber nur, um inne zu werden, daß es Keinen in meiner Umgebung giebt, der ihm gleicht, Keinen, der mich versteht, dem ich vertrauen darf! Ich bin allein, ganz allein, oh, und es ist so schauerlich, allein zu sein, so –

Plötzlich verstummte sie und lauschte seufzend auf den Gesang, der sich da auf einmal vernehmen ließ, gleichsam als komme er aus der Erde empor. Es war eine tiefe, vollkräftige, männliche Stimme, welche da sang. Katharina kannte die Stimme gar wohl, sie wußte, daß es Potemkin war, welcher jetzt sang, sie wußte, daß er, trotzend auf seine Macht, hinabgegangen war in die für den Günstling bestimmten Gemächer, und daß er sie zu sich rufe mit seinem Lied.

Sie blieb aber stehen und lauschte, und eine schmerzliche Wehmuth überkam sie bei den Erinnerungen, die Potemkins Gesang in ihr erweckte. Sie kannte das Lied gar wohl, das er sang. Einst in den schönen Tagen, die nun längst vergangen waren, hatte Potemkin es für sie gedichtet, damals hatte es ihr Thränen des Entzückens entlockt, und inniger hatte sich Potemkin damals gefreut über das Geschenk ihrer Thränen, als jetzt über das Geschenk der schönsten Diamanten.

Potemkin aber sang:

Seit ich Dich sah, dacht' ich nur Dich,
Glaubt' immer Dich zu sehen,
Dein reizend Auge fesselt' mich!
Nie wagt' ich zu gestehen,
Daß ich Dich liebe glühend heiß,
Daß ich nur Dich, nur Dich noch weiß!

Die Liebe ist wohl ein Tyrann,
Gebietet allen Herzen
Und fesselt mit demselben Bann
Der Freuden wie der Schmerzen.
Doch Gott, wie groß ist diese Pein:
Ganz Ich Dein Eigen, Du nicht mein!

Warum, oh Schicksal, schufst Du sie
So schön, so groß, so prächtig?
Warum befahlst Du, daß ich sie
Nun lieben mußt' so mächtig?
Sie, welche nie mein Mund benennt,
Doch deren Bild im Herzen brennt! Dieses Liebeslied ist wirklich eine Dichtung Potemkins und ist in Rußland zu einem Volkslied geworden, das mit den Worten beginnt: Kak skoro ia tébe widal etc. – Masson theilt eine französische Uebersetzung desselben mit, die ich in's Deutsche übertragen habe. Siehe: Masson, Mémoires secrets sur la Russie. Vol. I. p. 167.

Als die letzten Worte dieses Liedes verklungen waren, schauerte Katharina in sich zusammen und ein paar Thränen fielen aus ihren Augen und rannen langsam über ihre Wangen nieder. Aber wie bezaubert von diesen Tönen, kaum sich selber dessen bewußt, was sie that, durchschritt sie das Gemach, und sich zur Erde bückend, drückte sie leicht an dem goldenen Knopf, der da angebracht war. Sofort ließ sich ein klirrender Ton vernehmen, der Fußboden öffnete sich und eine kleine Wendeltreppe ward sichtbar, die Treppe, welche von dem Cabinet der Kaiserin in die Zimmer des Günstlings führte. – In diesem Zimmer befand sich jetzt Potemkin, und Potemkin hatte Katharina gerufen mit seinem Liebeslied.

Sie schickte sich an, diesem Ruf zu folgen und zu Potemkin hinabzusteigen, aber indem ihr Fuß schon die erste Stufe der Treppe berührt hatte, warf sie einen schmerzlich vorwurfsvollen Blick gen Himmel und ihre zitternden Lippen flüsterten leise: Katharina wieder in den alten Ketten!


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