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Genau nach zehn Minuten also wurden die Thüren geöffnet, und Graf Cobenzl tänzelte mit leichtfüßigem Schritt in den Salon. Potemkin erhob sich langsam von dem Divan, auf welchem er, noch als der Graf eintrat, lang hingestreckt gelegen. Sein Gesicht drückte die größte Ermattung und Gleichgültigkeit aus, seine Augen waren halb geschlossen, als öffne sie Potemkin eben nach langem Schlaf, und doch hatte Potemkin diese zehn Minuten nicht dazu benutzt, um zu schlafen, sondern um sich das große brillantfunkelnde Kreuz des schwarzen Adlerordens anzuheften und das große Band desselben – an die Erde neben den Divan fallen zu lassen.
Es ist gut, Herr Graf Cobenzl, sagte Potemkin, den Grafen begrüßend, sehr gut, daß Sie nicht fünf Minuten später gekommen sind, denn Sie würden mich alsdann nicht mehr getroffen haben.
Verzeihung, Durchlaucht, ich würde dann nur fünf Minuten in Ihrem Vorzimmer gewartet haben, statt daß ich jetzt zehn Minuten dort erdulden mußte! rief Graf Cobenzl laut lachend. Wissen Sie, das Antichambriren ist mir diablement verhaßt, und ich hab's niemals recht lernen können und mögen. Also wär's gut gewesen, wenn ich sogar zehn Minuten später gekommen wäre, denn alsdann würde ich ohne Weiteres gleich zu Ihnen haben eintreten können, um Ew. Durchlaucht meine Aufwartung zu machen.
Nein, ich würde Sie dann nicht mehr empfangen haben, sagte Potemkin ruhig. Denn ich bin eben im Begriff, zur Kaiserin zu gehen.
Ach, zur Kaiserin! rief Graf Cobenzl. Deshalb also dieses ordengeschmückte Gewand!
Nun, glauben Sie etwa, ich hätte einen Orden um Ihretwillen angelegt? fragte Potemkin mit ruhiger Insolenz.
Nein, gewiß nicht, Durchlaucht, ich glaubte, es sei eine Theaterprobe, ein –
Ach, der Graf Cobenzl beschäftigt sich immer mit Theater und Comödienspielen, Graf Cobenzl war ein leidenschaftlicher Theaterfreund, und schrieb selbst kleine Dramen für das Theater der Kaiserin von Rußland in der Eremitage, in denen er alsdann agirte. Selbst als Oesterreich durch die Feindschaft Frankreichs hart bedrängt ward, entsagte Cobenzl seiner Lieblingsbeschäftigung nicht, und so oft eine unangenehme Depesche in Petersburg von Wien aus anlangte, veranstaltete Cobenzl zur Versüßung derselben eine theatralische Darstellung, so daß Katharina einst zu ihm sagte: was werden Sie uns für ein schönes Drama geben an dem Tage, wo die Franzosen in Wien einrücken? rief Potemkin lachend. Was für eine Comödie werden wir das nächste Mal im österreichischen Gesandtschaftshotel sehen?
Oh, ein höchst interessantes Lustspiel, Durchlaucht, und ganz neu, ganz pikant. Es ist mir aus Frankreich zugeschickt, und heißt: »Der gestürzte Günstling, oder die Launen des Glücks.« Oh, vraiment, es ist ein höchst pikantes, amüsantes Stück, dieser gestürzte Günstling, die Franzosen verstehen sich darauf, so etwas zu machen!
Potemkin stutzte, und ein blitzartiger, forschender Blick seiner großen Augen traf das Antlitz des Grafen. Und wo spielt dieses pikante Stück? fragte er hastig.
Wo? Wahrhaftig, das weiß ich nicht! Ich glaube da unten in der Tartarei, oder am mongolischen Hof, oder –
Oder im Mond, rief Potemkin lachend. Lassen wir das Comödienspiel, beschäftigen wir uns ein wenig mit der Wirklichkeit, und vor allen Dingen setzen wir uns!
Potemkin warf sich mit ungenirtester Nachlässigkeit auf den Divan nieder, und verhinderte dadurch Graf Cobenzl, sich neben ihn zu setzen. Derselbe nahm also mit ruhigster Gelassenheit auf dem großen Fauteuil neben dem Divan Platz, und dabei berührten seine Füße ganz unwillkürlich das lange, breite Band des preußischen Ordens. Graf Cobenzl bückte sich und es aufhebend, reichte er das Band mit einer leichten Verbeugung dem Fürsten dar.
Ach, wirklich, Sie wissen nicht, was Sie thun, indem Sie mir dies Band da aufheben, sagte Potemkin lächelnd. Es ist Ihr Feind, es ist Preußen, das mir dies Band geschickt hat. Ich bin in Verzweiflung, Herr Graf, noch ein neuer Orden, und zwar einer, der so sehr viel Raum einnimmt, denn der preußische schwarze Adlerorden ist ein gar großer Stern!
Ein gar großer Stern, wiederholte Graf Cobenzl, und ich erlaube mir, Ew. Hoheit zu gratuliren, denselben vom König von Preußen empfangen zu haben, denn das ist eine Gunst, die der sparsame König nicht allzu oft, und immer nur den Auserwähltesten erzeigt.
Es scheint indessen, daß die Brillanten nicht gar sonderlich in Preußen gedeihen, sagte Potemkin, gleichgültig auf das große Kreuz auf seiner Brust deutend. Diese Brillanten des schwarzen Adlerordens sind ein wenig gelb.
Finden Ew. Durchlaucht nicht, daß die Brillanten in Oesterreich besser gedeihen? fragte der Graf lächelnd.
Ich habe noch niemals Brillanten aus Oesterreich gesehen, sagte Potemkin gähnend.
Dann bin ich so glücklich, der Erste zu sein, der Ew. Durchlaucht den Beweis liefert, daß es auch in Oesterreich Brillanten giebt, rief Cobenzl, und indem er aufstand und ein Maroquinetui aus seiner Brusttasche hervorzog, fuhr er fort: Se. Majestät mein allergnädigster Kaiser hat mir den schmeichelhaften Auftrag ertheilt, Ew. Durchlaucht dies Kästchen zu überreichen.
Noch einen Orden? fragte Potemkin beinahe entsetzt.
Nicht doch, Durchlaucht, das ist angemessenes Spielzeug für die großen Kinder, Sie aber sind ein großer Mann, und selbst wenn Sie Spielzeug goutiren, muß es noch einen ernsten und wissenschaftlichen Hintergrund haben. Mein Kaiser hat erfahren, daß Ew. Durchlaucht aus der Mineralogie ein Studium gemacht haben, und daß Sie eine kostbare Mineralien-Sammlung besitzen. Se. Majestät hat sich also erlaubt, Ihnen einige seltene Exemplare verschiedener Steine und Kiesel auszuwählen, und ich habe die Ehre, Ihnen dieselben im Namen des Kaisers zu überreichen.
Potemkin, dessen Müdigkeit und Gleichgültigkeit ihn plötzlich verlassen zu haben schien, öffnete rasch den Deckel des Kästchens, und ein Ausruf der Ueberraschung entfuhr seinen Lippen, als er den kostbaren Inhalt desselben betrachtete. Es waren indische Diamanten von seltener Größe und der herrlichsten Schleifung, türkische Rubinen von der feurigsten Purpurgluth, die blitzendsten Saphiren, die reinsten Turquoisen, große goldgeäderte Stücke Lapis-Lazuli, und die seltenen orientalischen Chrysopras, alle diese Steine ungefaßt in buntem Gemisch durcheinander, funkelnd und leuchtend in den wundervollsten Farbenblitzen.
Das ist in der That ein wundervolles Geschenk, eine seltene Ueberraschung, rief Potemkin, ohne die Augen von den blitzenden Steinen wegzuwenden und ganz im Anschauen derselben verloren. Ich sah nie einen so herrlich geschliffenen Brillant wie diesen hier, er strahlt ja wie ein vom Himmel gefallener Stern!
Alsdann ist er es würdig, von Ew. Durchlaucht aufgehoben zu werden, sagte Cobenzl sich verneigend.
Und dieser Saphir hier, fuhr Potemkin fort, selbst die Kaiserin besitzt kein so großes und so funkelnd reines Exemplar.
Die Czarin wird eben Ew. Durchlaucht selbst für den größten Edelstein in ihrer Krone, für ihren Saphir halten! Dies hier sind Turquoisen von dieser alten grünlichen Art, die das Entzücken aller Kenner und zugleich doch deren Verzweiflung erregen, weil man sie für schweres Geld nirgends mehr auftreiben kann, und –
Plötzlich unterbrach sich Potemkin in seinem bewundernden Entzücken, und hastig den Deckel des Kästchens zuschlagend, setzte er dasselbe fast beschämt neben sich auf den Tisch hin.
Sie können Ihrem Souverain als Augenzeuge berichten, daß ich mich über sein wahrhaft fürstliches Geschenk gefreut habe, sagte Potemkin, ich werde selbst noch heute dem Kaiser meinen persönlichen Dank darbringen. Und nun, mein Herr Graf, ohne Umschweife, worin kann ich Oesterreich gefällig sein, und was wünscht Kaiser Joseph von mir? Denn wenn man Geschenke macht, hegt man hinwiederum auch einige Wünsche, die der Beschenkte erfüllen soll. Sprechen Sie frei heraus, was ist es?
Frei heraus also, Durchlaucht, der Kaiser würde sich freuen, wenn Sie dem österreichischen Cabinet Ihre Freundschaft zuwenden und die Pläne unterstützen möchten, welche dasselbe hier verfolgt.
Und was sind das für Pläne?
Oh, Ew. Durchlaucht sind ein zu feiner politischer Kopf, um sie nicht längst errathen zu haben, und um nicht zu wissen, daß wir nur das Schlachtfeld verändert haben in diesem großen Kampf gegen unsern Todfeind. Wir haben bis jetzt in Böhmen gekämpft um das baierische Erbe, jetzt setzen wir den Kampf in Petersburg fort, um die russische Freundschaft.
Aber hier hat Preußen bei weitem mehr Terrain und nimmt beinahe das ganze Schlachtfeld ein, Sie werden hier also einen schweren Kampf gegen dasselbe haben!
Wenn Ew. Durchlaucht auf unserer Seite stehen, nein! Preußen hat Orloff, Panin und den Großfürsten, aber –
Und wer sagt Ihnen denn, daß Preußen nicht auch Potemkin für sich hat? rief der Fürst lachend. Sie sehen ja, ich trage den preußischen Orden, weshalb also glauben Sie nicht, daß ich im Herzen auch ein Preuße bin?
Ich glaube das nicht, weil das ein politischer Fehler, eine moralische Schwäche wäre, deren beider Ew. Durchlaucht nicht fähig sind. Sie dürfen und können niemals auf der Seite stehen, wo Ihre unerbittlichen und unversöhnlichen Feinde schon vor Ihnen gestanden haben, das würde heißen, sich in das feindliche Lager flüchten, seine eigene Schwäche eingestehen, und indem man um Beistand bettelt, sich vor seinen Feinden demüthigen! Oh, Orloff, der es Ihnen niemals verzeihen kann, daß Sie es gewesen, der ihn aus der Gunst der Kaiserin verdrängt und ihn gestürzt hat, Orloff könnte keine größere Genugthuung haben, als Ew. Durchlaucht jetzt hinter sich zu sehen, in seine Fußtapfen tretend und die Politik adoptirend, welche die seine ist, und mit welcher er Sie bisher bekämpfte!
Orloff wird die Genugthuung niemals haben, rief Potemkin heftig.
Das ist auch die Ansicht des Kaisers, meines Herrn, und darum gerade hoffte er, daß Ew. Durchlaucht die Pläne Oesterreichs unterstützen werden.
Aber welches, ich frage noch einmal, welches sind die Pläne Oesterreichs?
Oesterreich wünscht sich die Freundschaft und das Bündniß Rußlands, das heißt, es möchte die Stelle einnehmen, welche Preußen hier bisher eingenommen.
Und möchte Preußen ganz und gar verdrängen und bei Seite schieben, nicht wahr?
Preußen, welches um die Gunst der Kaiserin buhlt, liebäugelt zugleich mit dem Großfürsten, es will sich die Gegenwart und die Zukunft sichern, und huldigt daher zwei Extremen, die sich feindlich gegenüberstehen. Es ist ein Hauptplan des Königs von Preußen, die Kaiserin mit dem Großfürsten zu versöhnen, denn dadurch würde seine Partei für immer die herrschende sein. Ich weiß, daß noch gestern Abend beim Minister Grafen Panin von diesem Project die Rede war, und daß der Graf Görtz, der preußische Gesandte, die verschiedensten Vorschläge zur Erreichung desselben machte.
Der preußische Gesandte war gestern Abend bei Panin?
Nicht blos gestern Abend, sondern auch schon heute Morgen wieder, und von Panin kommend begab er sich hierher zu Ew. Durchlaucht, um Ihnen den schwarzen Adlerorden und einen Brief des Königs von Preußen zu übergeben.
Wahrlich, Ihre Spione sind sehr gut und genau unterrichtet, rief Potemkin verwundert.
Sie werden auch sehr gut und pünktlich bezahlt, Durchlaucht, sagte Cobenzl lächelnd.
Und was zum Beispiel schlug denn der Graf Görtz vor, um den großen Zweck einer Aussöhnung zwischen der Kaiserin und ihrem Sohn zu erreichen?
Graf Görtz meinte, man müsse sich vor allen Dingen nach mächtigen Bundesgenossen umsehen; Panin, der Großfürst und Graf Görtz selber seien wohl nicht im Stande, gegen den Kaiser Joseph und Ew. Durchlaucht das Feld zu behaupten, man müsse also zweierlei versuchen. Erstens: Ew. Durchlaucht selber für Preußen zu gewinnen mit Schmeicheleien, Versprechungen und Orden.
Das hat man versucht, das ist wahr! rief Potemkin erstaunt. Ihre Spione sind gut, wirklich sehr gut! Weiter! Was wollte man zweitens versuchen?
Zweitens wollte man einen mächtigen Bundesgenossen herbeirufen und den Grafen Orloff bitten, seine Güter zu verlassen, um nach Petersburg zu kommen.
Potemkin sprang auf, und den Grafen mit glühenden weitaufgerissenen Augen anstierend, rief er: Das hat Graf Görtz vorgeschlagen? Er, der eben erst hier war, der –
Der Ew. Durchlaucht für Preußen zu gewinnen suchte, ja, der hat den Vorschlag gemacht, Ihren Todfeind, den Grafen Orloff, herzurufen, oder vielmehr der Kaiserin den Wunsch einzublasen, daß sie Orloff gleichsam als eine Schutzwehr gegen Ew. Durchlaucht herbeirufe, um Sie zu erschrecken und im Zaum zu halten.
Das ist ein infernalischer Plan, aber ich sehe es ihm an, daß er echt ist, er trägt die heimtückischen Gedanken Panins an der Stirn, rief Potemkin, mit großen Schritten auf und ab gehend.
Graf Cobenzl schaute ihm mit lächelnder Miene zu, und als der Fürst immer noch schwieg, nahm er das breite Band des Ordens und ließ es spielend und lächelnd durch seine Hände auf- und niederrauschen.
Auf einmal blieb der Fürst vor Cobenzl stehen, und sein Antlitz hatte jetzt einen energischen, kühnen Ausdruck angenommen, alle seine Züge drückten Muth, Entschlossenheit und Spannung aus.
Herr Graf Cobenzl, sagte er, ich kenne die Wünsche und Pläne Oesterreichs, und werde sie jetzt unterstützen. Ich mache Ihre Sache zu der meinigen, denn für mich heißt jetzt die Frage nicht: Oesterreich oder Preußen, sondern: Potemkin oder Orloff! An diesem Ausspruch können Sie sehen, daß ich es ehrlich mit Oesterreich meine, aber Oesterreich muß nun auch seinerseits ehrlich mit mir sein, und ohne vom Wege abzuspringen, mit mir dieselbe Straße gehen.
Oesterreich ist von ganzem Herzen bereit dazu.
Oesterreich muß auf meine Pläne eingehen, sie unterstützen und die Parole annehmen, die ich ihm gebe. Diese Parole ist: Die Eroberung der Türkei! Das ist das große Zauberwort, mit welchem ich das Herz Katharina's immer wieder zu mir zwinge, mit welchem ich ihren Ehrgeiz anfeuere, ihre Energie wecke, wenn sie ermatten will, das ist der große Opiumtraum, mit welchem ich Katharina erheitere, wenn die Langeweile der schläfrigen Wirklichkeit sie zu Boden drückt. Die Eroberung der Türkei, das ist der Schild, mit welchem ich mich zuweilen auch gegen meine Feinde schütze. Denn, Sie wissen es, und ich mache kein Hehl daraus, ich habe Feinde, mächtige Feinde, die alle Tage das Ohr der Kaiserin belagern und mich verleumden und verdächtigen, die ihr sagen, ich habe Nichts im Auge als die Befriedigung meines Ehrgeizes und meine eigene Größe. Oh sie haben schon mächtig eingewirkt auf Katharina's Character, sie haben ihre große Seele mit Schmeicheleien verweichlicht, so daß sie nicht mehr im Stande ist, eine unangenehme Wahrheit ohne Zorn zu hören; sie haben ihr großes Herz mit Mißtrauen und Argwohn erfüllt, so daß sie selbst Mir oft nicht ganz mehr traut, und daß ich oft zu den gefährlichsten Mitteln meine Zuflucht nehmen muß, um mir bei Katharinen mein Ansehen und meine Stellung zu bewahren. Wir sehen hier niemals rückwärts oder vorwärts, sondern werden allein von den Eindrücken des Augenblicks regiert. Ein guter und treuer Unterthan weiß daher nie, wie er sein Benehmen einzurichten habe. Wäre ich gewiß, gelobt zu werden, wenn ich Gutes, und getadelt zu werden, wenn ich Schlechtes thue, so wüßte ich doch, was ich zu erwarten habe. Aber diese Unterscheidungskraft fehlt, und wenn den Leidenschaften geschmeichelt wird, fragt man niemals den Verstand um Rath. Potemkins eigene Worte. Siehe: v. Raumer. Th. V. S. 573. Aber dies Alles, ich schwöre es bei dem Grabe meiner Mutter, dies Alles soll jetzt anders werden, ich will meine Gewalt über die Kaiserin ganz und ungetheilt wieder gewinnen, ich will wieder der Herr werden, und Niemand soll es mehr wagen, mir meine Herrschaft noch streitig zu machen! Wehe meinen Feinden, sie sollen zittern unter dem Fußtritt Potemkins, ich will sie vernichten, wo ich sie finde, und wäre es selbst auf den Stufen des Thrones!
Und indem Potemkin so sprach, ballte er seine Hände zur Faust zusammen und hob seine starken herkulischen Arme wie zum zerschmetternden Schlag empor.
Oesterreich wird immer bereit sein, Ew. Durchlaucht seinen Beistand gegen alle Ihre Feinde zu verleihen, sagte Graf Cobenzl eifrig.
Ich glaube das, rief Potemkin, von dem höchsten Zorn jetzt zu der besonnensten Ruhe übergehend, ich glaube das, denn es liegt in Eurem Vortheil. Ihr wißt, daß nur Ich Euch helfen kann, Eure Zwecke zu erreichen, und Euer Zweck ist: Ihr wollt Rußlands ganze Politik umgestalten, Ihr wollt uns neue Freundschaften und neue Feindschaften geben. Wir sollen mit Preußen brechen, das heißt, wir sollen auch dem Freundschaftsbündniß mit Frankreich entsagen, denn Ihr wißt wohl, daß Preußen und Frankreich jetzt wieder zusammenstehen. Wir sollen mit Oesterreich uns verbünden, Oesterreich will alsdann seine alten Verbindungen mit Frankreich brechen und England mit hineinziehen in den russisch-österreichischen Bund, um dadurch Frankreich und Preußen zu isoliren. Der Plan ist gut und kann gelingen, wenn Ihr klug seid und besonnen.
Und was nennen Ew. Durchlaucht klug und besonnen sein?
Ich nenne das: genau das Betragen abwägen, welches man gegen die Kaiserin beobachten will! Ich wage es nicht, dem Kaiser Joseph hierin einen Rath ertheilen zu wollen, aber ich gebe ihn Ihnen. Sie sind seit kaum einem Jahr hier, und Sie haben oft Gelegenheit, mit der Kaiserin zusammen zu sein. Ueberlegen Sie jedesmal erst mit mir das, was Sie der Kaiserin in Hinsicht auf politische Dinge sagen wollen, damit wir immer übereinstimmen und niemals in unsern Ansichten divergiren. Vermeiden Sie Alles, was wie List oder Verstellung aussieht, lassen Sie fühlen, daß dies nur die Eigenschaften Ihrer preußischen Gegner seien, und daß Sie dieselben verachten und verwerfen. Schmeicheln Sie so viel als möglich, Sie können nicht zu viel Salbung dabei anbringen, aber schmeicheln Sie der Kaiserin für das, was sie sein sollte, nicht für das, was sie ist. Potemkins eigene Worte. Siehe: v. Raumer, Beiträge etc. Th. V. S. 485. Zeigen Sie immer Oesterreichs Bereitwilligkeit, auf der Kaiserin große Zukunftspläne einzugehen, und statt wie Preußen zurückzuschrecken vor ihrer Eroberungslust, huldigen Sie derselben. Befolgen Sie diesen Rath, und Sie werden sehen, in einigen Monaten schon steht Oesterreich hier an Preußens Stelle, der Vertrag mit Preußen wird nicht erneuert werden, und meine und Ihre Feinde werden von uns auf lange, wenn nicht auf immer besiegt sein. Dann, wenn es so weit ist, wenn ich der unbestrittene, allmächtige Herr an diesem Hofe bin, wenn diese elende Welt der Schmeichler und der Sclaven vor mir zittert und den Staub meiner Füße leckt, dann will ich sie mit einem einzigen Fußtritt von mir stoßen diese elende Welt, und will mich aus allen diesen Lastern und dieser Verderbtheit retten in die Einsamkeit des Landlebens, oder in das Schweigen des Klosters. Wie eine Sonne will ich scheinen und freiwillig erlöschen.
Ew. Durchlaucht belieben zu scherzen, sagte Cobenzl lächelnd, die Macht und Größe ist eine Götterspeise, deren man nie überdrüssig wird, und die man nie freiwillig aufgiebt.
Ich bin ihrer überdrüssig, sagte Potemkin müde, und freiwillig gebe ich sie auf, aber gezwungen niemals! So lange ich noch Feinde habe, die mich stürzen könnten, bleibe ich; wenn es die nicht mehr für mich giebt, dann kann ich gehen, dann –
Ein lautes Klopfen an der Thür unterbrach ihn, und einer der Hausofficiere Potemkins trat eilig herein.
Was willst Du schon wieder, und was wagst Du hier einzutreten? schrie Potemkin, heftig mit dem Fuß stampfend.
Verzeihung, Durchlaucht. Der Kammerdiener des Kaisers von Oesterreich bringt einen eigenhändigen Brief des Kaisers an den Herrn Grafen Cobenzl, und hat Befehl, ihn sogleich in Gegenwart Ew. Durchlaucht abzugeben.
Ein seltsamer Befehl in der That, rief Potemkin, aber wir wollen ihm genügen. Laß den Kammerdiener des Kaisers hier eintreten!
Der Officier schlug die Portière zurück und Günther, der vertraute Kammerdiener Josephs, trat ein. Den Fürsten mit einer tiefen Verbeugung grüßend, schritt er gerade auf den Gesandten hin und überreichte ihm einen Brief.
Ein Handschreiben Sr. Majestät, sagte Günther laut. Excellenz möchten dasselbe sogleich lesen. Es bedarf keiner Antwort, es genügt, daß ich es Ew. Excellenz selbst übergeben habe.
Und sich abermals tief verneigend, näherte sich Günther, rückwärts gehend, der Thür und verschwand hinter der Portière.
Ew. Durchlaucht erlauben, daß ich in Ihrer Gegenwart lese? fragte Graf Cobenzl.
Lesen Sie, lesen Sie! Ohne Zweifel ist es die Absicht des Kaisers, daß Sie den Brief in meiner Gegenwart lesen, erfüllen Sie also diese Absicht.
Graf Cobenzl öffnete hastig das Couvert und zog dessen Inhalt hervor. Aber dies war nicht ein offenes, sondern wiederum ein versiegeltes Schreiben.
Oh, diesmal bin ich nicht der Empfänger, sondern nur der Ueberbringer eines Briefes, sagte Graf Cobenzl. Dieses Schreiben hier ist an Ew. Durchlaucht gerichtet. Es ist des Kaisers eigene Handschrift, welche ich auf der Adresse erkenne.
Er reichte Potemkin den Brief dar, welchen dieser hastig ergriff und eilig erbrach.
Aber kaum hatte er seine Blicke auf den Inhalt desselben gerichtet, als er einen wilden Schrei ausstieß, und wie von einem electrischen Schlag durchzuckt, erbleichte und taumelte.
Um Gottes willen, rief Cobenzl entsetzt, was bedeutet dies? Ew. Durchlaucht sind unwohl, wie es scheint? Erlauben Sie mir, Ihre Dienerschaft und Ihre Aerzte zu rufen!
Er wollte nach der Thür eilen, aber Potemkin legte seinen Arm fest auf des Grafen Schulter und hielt ihn zurück. Lesen Sie, sagte er mit heiserer, dumpfer Stimme, lesen Sie, daß ich höre, ob ich recht gesehen habe!
Er reichte dem Grafen das kaiserliche Schreiben dar, und Cobenzl las:
»Mein lieber Fürst! Ich will Sie nicht, um mir Ihre Freundschaft zu erwerben, mit Schmeicheleien und Versprechungen füttern. Ich verspreche Ihnen keine Herzogthümer, keine Prinzessinnen, keinen Schutz in der Zukunft, weil ich überzeugt bin, daß Sie durch Ihre eigene Macht sich alles das selbst verschaffen können, was wir armen Sterblichen Ihnen zu bieten vermögen. Aber ich will Ihnen einen Dienst erzeigen, und daraus mögen Sie die Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen ermessen. Vor einer Stunde ist Graf Gregor Orloff auf den Wunsch des Großfürsten und Panin's in Petersburg angelangt, und begiebt sich so eben zur Kaiserin, um eine geheime Unterredung mit ihr zu haben.
Joseph.«
Es ist also wahr, ich habe nicht falsch gelesen, schrie Potemkin, es sind nicht meine Gedanken, meine geheimen Befürchtungen, welche da als gespensterhafte Buchstaben sich in Schlachtordnung auf dem Papier aufstellten, es steht geschrieben: »Gregor Orloff ist in Petersburg, und er hat eben eine geheime Unterredung mit der Kaiserin?« Es steht so da?
Es steht so da, Durchlaucht, sagte Cobenzl ruhig.
Potemkin stieß einen Wuthschrei aus und sprang vorwärts wie ein Stier, der eben im Begriff ist, sich mit einem wüthenden Stoß auf seinen Feind zu stürzen.
Gregor Orloff ist bei Katharinen, und ich kann ihn nicht erwürgen, ihn nicht todt zu ihren Füßen niederschleudern, nicht –
Auf einmal verstummte er und ein triumphirendes Lächeln erhellte sein Angesicht. Ich habe noch meinen Schlüssel, sagte er laut vor sich hin, ich werde Katharina zwingen, mich zu hören, wenn sie Orloff gehört hat. – Herr Graf, fuhr er fort, sich an Cobenzl wendend, ich muß Sie jetzt bitten, mich zu verlassen, denn ich muß zur Kaiserin, sogleich auf der Stelle! Gehen Sie zu Ihrem Kaiser, sagen Sie ihm, daß ich ihm danke für seinen Brief, und daß, wenn es mir gelingt, dieses Unwetter, das über mir schwebt, zu besiegen, er auf ewig an mir einen dankbaren Schuldner und Diener finden soll. Aber jetzt kein Wort mehr, Herr Graf! Leben Sie wohl, und wenn Sie Lust haben, beten Sie für mich, oder besser, überlegen Sie, was für ein Drama Sie am Tage meines Begräbnisses zur Erheiterung des Hofes aufführen wollen.
Ach, an dem Tage könnten wir nur Voltaires Meisterwerk: »Julius Cäsars Tod« aufführen, sagte Graf Cobenzl lächelnd, aber Gott verhüte eine solche Aufführung. Ich eile zu meinem Souverain, um ihm die Worte Ew. Durchlaucht zu hinterbringen.
Potemkin, vor Ungeduld zitternd, die bleichen Lippen fest aufeinander gepreßt, blieb mitten im Zimmer stehen, und rasch und ungestüm mit dem Fuß stampfend, als schlüge er den Takt zu der wilden Melodie seiner Gedanken, folgten seine flammenden Blicke jeder Bewegung des Grafen, der sich mit seinem gewöhnlichen zierlichen und tänzelnden Schritt der Thür näherte und noch vor derselben stehen blieb, um dem Fürsten eine regelrechte Verbeugung zu machen.
Aber kaum war die Portière hinter Cobenzl niedergefallen, als Potemkin wie ein Rasender vorwärts sprang, mit wilden Sätzen den Salon durcheilend und in sein Schlafzimmer stürzend. Zu dem Schreibsecretair, der da neben seinem Bett stand, hinspringend, schloß Potemkin denselben auf, und hastig einige Chatoullen, die mit Ketten, Brillanten und Gold angefüllt waren, herausziehend und zur Erde schleudernd, daß ihr kostbarer Inhalt weit im Zimmer umher flog, schien er mit zitternden Händen nach irgend Etwas zu suchen. Jetzt hatte er es gefunden, jetzt drückte er an einer Feder, und ein verborgenes Schubfach that sich auf.
Dieses Schubfach enthielt nichts als einen Schlüssel! Aber Potemkin nahm ihn mit einem Freudenschrei, und ohne daran zu denken, die umhergestreuten Schätze, die vielleicht eine Million werth sein mochten, wieder vom Boden aufzusammeln, stürzte er wieder aus dem Schlafzimmer, vorwärts in sein Cabinet, durch dieses hindurch in ein dunkles, kleines Vorzimmer, dann über Corridore, Gänge und Treppen, vorwärts, immer vorwärts, athemlos, keuchend, aber vorwärts.
Jetzt stand er am Ende eines langen, öden Corridors. Hier schien er am Ende seines Reichs angelangt, und diese öde, weiße Wand schien die undurchdringliche Mauer zu sein, welche die von Potemkin bewohnte Eremitage von den Räumen des kaiserlichen Winterpalastes trennte.
Aber da, ganz am äußersten Ende dieser Mauer befand sich eine kleine, kaum bemerkbare Vertiefung. Potemkin senkte seine Hand in diese Vertiefung und drückte an einer Feder. Sofort schien sich die Wand aufzuthun und eine Thür sprang auf. Aber hinter dieser Thür befand sich abermals eine Thür, die Thür zu dem geheimen Gang, welcher von Potemkins Wohnung gerade zu dem Winterpalast und zu den Gemächern der Kaiserin führte.
Die Thür war verschlossen. Aber Potemkin hatte den Schlüssel, welcher sie öffnete.
Dank diesem Schlüssel sprang er jetzt vorwärts durch die geöffnete Thür, weiter durch die öden Gänge und Gallerien. Und jetzt stand er vor der kleinen Thür, welche gerade in die Gemächer der Kaiserin führte.
Der Schlüssel paßte auch zu dieser Thür, und indem Potemkin ihn leise in das Schloß senkte, murmelte er: Ich bin gerettet! Ich werde siegen!