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II.
Fürst Kaunitz

Seit drei Tagen hatte Fürst Kaunitz sein Cabinet nicht verlassen, seit drei Tagen hatte er keine Audienzen ertheilt, keine Geschäfte besorgt, keine Briefe gelesen oder geschrieben. Seit drei Tagen hatte, einem lakonischen Befehl des Fürsten gemäß, ihm sein Diner in seinem Cabinet servirt werden müssen, und selbst die sonstige stete Gesellschafterin seiner einsamen Diners, selbst die Gräfin Clary durfte nicht bei demselben gegenwärtig sein. Der Fürst dinirte ganz allein, das heißt, er nahm einige Löffel Bouillonreis, sein gewöhnliches Mittagsmahl, und berührte kaum die Speisen, die der geräuschlos ihn bedienende Kammerdiener ihm darreichte. Kein Wort sprach der Fürst dabei mit seinem Lieblingsdiener, und wenn der Tisch abgeräumt war, blieb er eben so unbeweglich und steif vor demselben sitzen, wie er es den ganzen Vormittag gethan.

Dieses erstarrte und versteinerte Wesen begann die Umgebung des Fürsten zu ängstigen, denn Niemand kannte die Ursache dieser Erstarrung, Niemand hatte gewagt, dem Fürsten die Nachricht von dem Tode der Kaiserin Maria Theresia mitzutheilen, Niemand hatte auch nur mit einem Wort auf dieses große und schmerzvolle Ereigniß hinzudeuten versucht, und doch schien Kaunitz dasselbe zu wissen, denn seit drei Tagen saß er so da in seiner schweigenden Unbeweglichkeit, und seit drei Tagen lebte die Kaiserin nicht mehr.

Heute mochte das Geläute aller Glocken, das dumpfe Trommelwirbeln vielleicht den Fürsten benachrichtigt haben, daß heute das Begräbniß der Kaiserin stattfinde, aber gefragt hatte er Niemand, und es schien, als wenn das laute Geräusch der Straße sein Ohr gar nicht berührte. Nicht einmal wandte er den Blick zum Fenster hin, und selbst dann, als der feierliche Leichenzug an seinem Hause vorüberzog, blieb der Fürst kalt, unbeweglich, den Rücken den Fenstern zugewandt, vor seinem Tisch sitzen und starrte mit großen, weitgeöffneten Augen in das Leere.

Herr von Binder, der ihn durch die geöffnete Thür des Nebenzimmers, von Kaunitz unbemerkt, beobachtet hatte, Herr von Binder allein sah die zwei Thränen, die langsam über des Fürsten Wangen niederrannen, und diese Thränen gaben ihm Muth, trotz des Verbotes noch einmal eine Annäherung an den Fürsten zu wagen. Er nahm seinen Hut, und leise zu der Ausgangsthür des Zimmers, in welchem er sich befand, hinschleichend, öffnete und schloß er alsdann diese Thür mit Geräusch, durchschritt das Gemach und trat, gleichsam als wenn er eben erst anlange, in das Cabinet des Fürsten ein.

Kaunitz saß immer noch so unbeweglich und starr da, wie er es zuvor gethan, nur zuckten seine Lippen ein wenig, und eine leichte Wolke flog über seine Stirn.

Binder hatte den Muth, bis dicht zu dem Fürsten hinzuschreiten und legte jetzt sanft und leise seine Hand auf die Schulter des Fürsten.

Durchlaucht, sagte er mit leiser, zitternder Stimme, Durchlaucht, haben Sie Erbarmen mit dem Kummer Ihres armen Dieners und Freundes. Brechen Sie endlich dieses fürchterliche Schweigen, das mich, das alle Ihre Verehrer und Diener ängstigt wie ein großes Unglück. Sagen Sie uns wenigstens, was Ihnen fehlt.

Mir fehlt gar nichts, sagte Kaunitz mit ernster, feierlicher Stimme.

Durchlaucht, rief Binder kühn, dies ist das erste Mal, daß Ihre Lippen sich zu einer Unwahrheit öffnen. Es fehlt Ihnen etwas! Ich sehe es an Ihren bleichen Wangen, an Ihrer unthätigen Ruhe und endlich an diesen Thränen, die noch nicht auf Ihren Wangen getrocknet sind!

Fürst Kaunitz machte eine unwillige Bewegung und wandte sein Haupt langsam zu dem hinter ihm stehenden Freunde um.

Habe ich Ihnen erlaubt, mich zu beobachten und an meinem Betragen zu deuteln? fragte er mit strengem, eiskaltem Ton. Steht es Euch kleinen erbärmlichen Seelen zu, den Schmerz und das Leiden einer großen Seele ermessen und verstehen zu wollen? Behaltet Ihr Eure Schmerzen für Euch, heult und schreit sie in die ganze Welt aus, wenn es Euch Spaß macht, und Ihr Trost findet an dem Gespötte der Welt, aber mir laßt die Freiheit, auch meine Schmerzen für mich zu haben, und zu schweigen. Ich bedarf keines Trösters. Gehen Sie also an Ihre Arbeit, und schließen Sie dort die Thür zu Ihrem Arbeitszimmer, denn ich liebe es nicht, ein paar spionirende Augen auf meinem Antlitz zu wissen. Gehen Sie!

Durchlaucht, wagte Binder zu sagen, meine Augen haben nicht spionirt, sondern mein Herz, und –

Herr Staatsreferendar von Binder, unterbrach ihn Kaunitz, Sie sind nicht hier, um von Ihrem Herzen zu sprechen, sondern um sich mit den Staatsangelegenheiten zu beschäftigen! Gehen Sie also an Ihre Arbeit!

Herr von Binder seufzte tief auf, und schlich langsam durch das Cabinet nach seinem Arbeitszimmer hin.

Thür zu! sagte Kaunitz gebieterisch, und gehorsam dem Befehl, schloß Herr von Binder die Thür des Nebenzimmers.

Fürst Kaunitz war nun wieder allein. Sein Gesicht nahm wieder seine kalte steinerne Ruhe an, grade aufgerichtet und unbeweglich wie ein Marmorbild saß er wieder auf seinem Fauteuil und starrte in das Leere.

Auf einmal ward die große, in das Eingangszimmer des Fürsten führende Flügelthür mit ungewohnter Hast geöffnet, und der auf der Schwelle derselben erscheinende Kammerdiener rief mit lauter feierlicher Stimme: Se. Majestät der Kaiser!

Ein Zittern durchfuhr die starre Gestalt des Fürsten, mit einer hastigen Bewegung legte er die beiden Hände auf die Lehnen seines Stuhls, um auf dieselben gestützt sich aufzurichten. Aber noch bevor er Zeit gehabt sich zu erheben, stand der Kaiser, hastig das Gemach durchschreitend, an seiner Seite und drückte ihn sanft in den Fauteuil nieder.

Bleiben Ew. Durchlaucht, sagte Joseph, Sie sehen, ich komme ohne Umstände, empfangen Sie mich eben auch ohne Umstände. Wollen Sie mir eine Stunde der Unterhaltung mit Ihnen gönnen?

Kaunitz schien nicht die Kraft zu haben, eine Antwort zu geben, er nickte nur leicht mit dem Kopf.

Joseph wandte sich nach dem Kammerdiener um, welcher noch immer an der Thür stand. Schließen Sie die Thüren, sagte er, und lassen Sie Niemand eintreten, so lange ich hier bin.

Während der Diener sich eilig zurückzog und dem Befehl gehorchte, rollte sich der Kaiser rasch einen Sessel neben den Fürsten hin und setzte sich.

Eine augenblickliche Pause trat ein, dann sagte Joseph ernst: Ich bringe Ihnen Grüße von meiner Mutter, der Kaiserin.

Kaunitz wandte langsam seine großen starren Augen auf den Kaiser hin, und schaute ihm lange in das bewegte Antlitz.

Die letzten Grüße der Kaiserin, Sire, sagte er dann langsam.

Wie, Durchlaucht, rief der Kaiser, Sie wissen also schon die Schmerzenskunde. Man hat gewagt, sie Ihnen zu sagen?

Niemand hat es gewagt, sagte Kaunitz, aber seit drei Tagen hat man mir keine Bulletins von dem Befinden der Kaiserin gebracht, und das hat mir Alles gesagt.

Nun denn, mein Freund, da Sie es wissen, darf ich es Ihnen nicht mehr verhehlen! Ja, ich bringe Ihnen die letzten Grüße der Kaiserin! Maria Theresia ist nicht mehr!

Ein Seufzer, der mehr einem Aechzen, einem innerlichen Schluchzen gleichkam, hob die Brust des Fürsten, und ganz zerbrochen ließ er sein Haupt auf seine Brust sinken, aber er sagte kein Wort.

Joseph indeß verstand diese stumme Sprache des Fürsten, und ließ sich von seinem Schweigen nicht beirren. Ich weiß, sagte er innig, Sie beklagen mit mir den Verlust, der nicht blos mich und meine Geschwister, sondern der ganz Oesterreich betroffen.

Ich beklage Sie, ich beklage Oesterreich und ich beklage mich selber, sagte Kaunitz langsam.

Sie sind meiner edlen Mutter immer ein treuer, unerschütterlicher Diener und Freund gewesen, fuhr der Kaiser fort, Sie haben ihr geholfen, Oesterreich groß, glücklich und mächtig zu machen. Die Kaiserin hat das nicht einen Moment vergessen, sie hat Ihrer mit der zärtlichsten Dankbarkeit gedacht, und – hören Sie wohl auf meine Worte, Fürst, – und sie hat mir aufgetragen, Sie daran zu mahnen, daß Sie eines Tages feierlich in die Hand der Kaiserin gelobt und geschworen haben, bis zu dem letzten Tage Ihres Lebens all' Ihre Geisteskraft, Ihre Kenntniß, Ihre Energie und Thätigkeit dem Dienste Oesterreichs zu weihen. Sie hat mir aufgetragen, Ihnen zu sagen, daß das Fortgehen der Kaiserin Sie nicht von Ihrem Schwur entbindet, denn Sie hätten ihn Oesterreich geleistet, und Oesterreich gehe nicht von hinnen, sondern es bleibe, und hoffe noch Vieles von Ihnen. Maria Theresia läßt Ihnen durch mich ihren letzten Willen mittheilen, der also lautet: »Fürst Kaunitz soll, eingedenk seines Schwurs, Oesterreich dienen wie bisher. Ich habe meine Pflichten als treue Dienerin Oesterreichs erfüllt bis zu meinem letzten Lebenshauch, und ich befehle dem Fürsten, daß er das auch thue, und daß er die Liebe, Treue und Anhänglichkeit, die er mir gezollt, auf meinen Nachfolger übertrage!« Dies sind die Worte meiner Mutter, Durchlaucht, ich habe sie Ihnen getreulich wiederholt, und jetzt komme ich, um Sie zu fragen: wollen Sie dem letzten Willen meiner Mutter gehorsam sein? Wollen Sie mir das bleiben, was Sie meiner Mutter waren? Wollen Sie Oesterreich treu und ergeben bleiben bis zum Tode, und als mein erster Rathgeber und Minister, mir helfen, Oesterreich glücklich und groß zu machen?

Fürst Kaunitz öffnete die Lippen, um zu antworten, aber es war, als ob ihm ein Krampf die Kehle zuschnürte; seine sonst so starren Züge wurden jetzt von einem schmerzlichen Zucken bewegt, tiefe Seufzer rangen sich aus seiner Brust hervor, und nicht mehr im Stande, seine Bewegung zu unterdrücken, mußte Kaunitz es geschehen lassen, daß plötzlich, Bächen gleich, die bis dahin unsichtbar unter Steinen dahin geflossen, die Thränen aus seinen Augen stürzten und sein Antlitz überflutheten.

Es war dies ein so unerhörter, so nie gesehener Anblick, daß auch der Kaiser sich tief davon erschüttert und die Thränen auch in seine Augen treten fühlte.

Aber Fürst Kaunitz überließ sich diesem leidenschaftlichen Ausbruch des Schmerzes nicht lange. Mit einer unwilligen Bewegung schüttelte er die Thränen aus seinen Augen fort, und trocknete sich mit dem Battisttaschentuch sorgfältig die bethaueten Wangen.

Verzeihung, Majestät, Verzeihung, sagte er dann, sich tief verneigend. Sie sehen es wohl, der Kummer hatte mich schwach gemacht, und Diejenigen, welche sonst immer behaupten, daß ich ein ziemlich geschickter Diplomat sei, würden, wenn sie mich eben gesehen hätten, sich mit verächtlichem Achselzucken von mir gewandt haben, denn es ist wahr, ich habe mich benommen, wie ein großes Kind, das noch nicht gelernt hat, seine Gefühle zu beherrschen. Aber ich schwöre Ew. Majestät, daß eine solche Unart mir nicht wieder geschehen soll, und deshalb, Sire, bitte ich, verzeihen Sie mir noch dies Mal.

Der Kaiser reichte ihm mit einem sanften Lächeln seine Hand dar. Ich habe Ihnen nichts zu verzeihen, sondern ich habe Ihnen zu danken, sagte er. Sie haben für mich gethan, was Sie für wenig andere Menschen, glaube ich, gethan: Sie haben mich in Ihr Herz sehen lassen, und unter der Maske des großen unerschütterlichen Diplomaten haben Sie mich das Antlitz eines tiefbewegten Menschen sehen lassen. Ich danke Ihnen dafür, ich danke Ihnen auch für die Liebe, die Sie meiner Mutter geweiht haben, und nicht wahr, eingedenk dieser Liebe, werden Sie auch den letzten Willen der Kaiserin erfüllen, und treu zu Oesterreich halten und zu mir?

Kaunitz heftete seine Blicke mit einem seltsamen Ausdruck auf das Antlitz des Kaisers. Es ist dies nun einmal die Stunde der Wahrheit, sagte er, und darum will ich Ew. Majestät auf Ihre Frage auch nur mit der Wahrheit antworten. Ich erwartete seit drei Tagen diese letzte Botschaft der Kaiserin, und wäre sie nicht gekommen, so würde ich geglaubt haben, Oesterreich habe Meiner nicht vonnöthen, und ich könnte von hinnen gehen, wie Maria Theresia auch von hinnen gegangen ist.

Was soll das heißen, Durchlaucht? fragte der Kaiser erschrocken.

Das soll heißen, daß ich gestorben sein würde, wenn Ew. Majestät mich nicht mehr würdig gehalten hätten, Ihr Minister und der Diener Oesterreichs zu sein.

Wie, Durchlaucht, Sie würden es gewagt haben, Hand an sich selber zu legen?

Hand an mich selber? Nein, Sire, ich würde mich einfach haben vor Hunger sterben lassen. Ich würde es nicht mehr der Mühe werth gehalten haben, die Creatur zu pflegen und zu erhalten, da der Geist, welcher in der Creatur wohnt, überflüssig geworden. Ew. Majestät haben mir also das Leben durch Ihr Hierherkommen erhalten, und da ich jetzt hoffen darf, Oesterreich und Ew. Majestät durch mein Leben zu nützen, so danke ich Ihnen. Und jetzt, Sire, lassen wir einen Schleier über die eben verflossenen Minuten fallen, einen undurchdringlichen Schleier, und da Ew. Majestät meinen, daß mein Menschenantlitz immer nur eine Maske trägt, so erlauben Sie mir jetzt meine Maske, die einen Moment abgefallen war, wieder vorzulegen. Sie hat mir in meinem Leben immer viel gute Dienste gethan, und wenn ich Oesterreich einige Dienste geleistet, so verdanke ich das zum Theil meiner Maske. Die Menschen verdienen es wahrlich nicht, daß man ihnen sein Menschenantlitz unverhüllt zeige, und wer von ihnen etwas erlangen will, der muß eine Maske tragen. Hätten wir zum Beispiel vor einem Jahr unsere Maske nicht so früh sinken lassen, so würde Baiern jetzt unser sein. Wir hatten aber zu früh den König von Preußen unser wahres Antlitz sehen lassen, und er errieth uns, und erkannte, daß unser Gelüste auf Baiern eigentlich ein Gelüste auf Deutschland war. Oh, dem König von Preußen gegenüber muß man sich immer hüten, seine Maske zu lüften, er ist ein weitsehender Staatsmann, und was zu fern liegt, um es sehen zu können, das riecht er, denn er hat eine gar feine Spürnase.

Nun, jetzt fürchte ich weder seine Nase, noch seine Augen mehr, rief der Kaiser. Jetzt mag er auf mich sehen, und ich hoffe, es sollen große Dinge sein, die wir in Oesterreich ihn sehen lassen werden. Fürst Kaunitz, ich habe Ihnen vorher die letzte Botschaft meiner Mutter gebracht, jetzt aber frage ich Sie als der regierende Kaiser: wollen Sie mir folgen auf den Wegen, welche ich jetzt einschlagen will? Wollen Sie mir helfen, das Gebäude des neuen Oesterreichs aufzubauen, ein Gebäude, das nichts an sich hat von der Kloster- und Mönchsherrlichkeit, von der Gottseligkeit und Heuchelei früherer Tage, sondern das einfach, groß und licht emporsteigen soll, mit hohen, hellen Fenstern, damit das Licht ungehindert eindringen und die freie Gottesluft es durchdringen kann in allen seinen Winkeln? Wollen Sie als mein Baumeister mir zur Seite stehen und, Stein auf Stein geduldig mit mir aufeinander fügend, ausharren, bis das Gebäude vollendet ist? Nein, antworten Sie mir noch nicht, Durchlaucht. Ueberlegen Sie es wohl! Es ist eine gefährliche Arbeit, welche wir Beide da vorhaben, und wenn das Gebäude nicht fest und sicher zusammengefügt ist, wird es zusammenstürzen und uns Beide unter seinen Trümmern begraben!

Ihr Gebäude muß allerdings so fest und stark sein, daß man es eine Burg nennen könnte, sagte Kaunitz, eine Burg, hinter welcher man sich verschanzen kann gegen die anstürmende Wuth des Clerus und des Adels!

Der Kaiser stieß einen Ausruf der Ueberraschung aus. Wie, rief er, Sie haben meine Absichten schon errathen und kennen sie, noch bevor ich sie ausgesprochen?

Nein, Sire, Sie haben sie mir schon lange verrathen, und was Ihr Mund mir nicht ausgesprochen, das sagten Ihre Augen und Ihre Mienen. Ich habe Ew. Majestät oft beobachtet, wenn Sie den heuchlerischen Priestern, den übermüthigen Dienern der Kirche gegenüber standen, ich habe Ihr Stirnrunzeln gesehen, wenn Sie die Anmaßungen und die Ausnahmestellung der Aristokratie beobachteten und sahen, wie Leute ohne Verdienst, ohne Kenntnisse und Fähigkeiten nur deshalb zu hohen Aemtern und hohen Gehalten befördert wurden, weil sie alten adlichen Häusern angehörten und ein adelich Wappen an ihrer Kutsche gemalt hatten. Und jedes Mal, wenn ich Ew. Majestät in solchen Momenten die Stirn runzeln sah, hat sich mein Herz gefreut, und habe ich mit Wonne der Zukunft gedacht, der Zukunft, wo es Ew. Majestät vergönnt sein würde, Ihre Gedanken zu Thaten zu machen!

Und jetzt ist diese Zukunft zur Gegenwart geworden! rief Joseph glühend. Jetzt beginnt der große Kampf, der wiederhallen soll in allen Klöstern, in allen Kirchen und in allen Burgen und Schlössern. Das Mittelalter wollen wir ausrotten in Oesterreich mit Stumpf und Stiel, und das Feudalwesen, und die Hierarchie, die Priester und die Adelsherrschaft wollen wir abschütteln, wie der Löwe die lästigen Insekten abschüttelt, die sich in seine Mähne gesetzt!

Nur möge der Löwe sich hüten, daß die Insekten ihn nicht stechen, sagte Kaunitz, denn sie tragen Gift in ihrem Stachel!

Wir wollen ihnen also den Giftstachel ausreißen, rief der Kaiser, wir wollen ihnen die Macht nehmen, uns zu schaden. Und worin besteht die Macht der schädlichen Insekten, die in den Klöstern und den Ritterburgen ihre Nester gebaut? In dem Gelde und den Schätzen der Priester, der Kirchen und Klöster, in der Unstrafbarkeit des Adels, in seiner Erhabenheit über dem Gesetz! Dies also muß geändert werden. Der Adel muß, gleich allen übrigen Menschen, gehorchen lernen und sich dem Gesetz beugen, das für ihn nicht anders sprechen und richten darf, wie für den Aermsten meiner Unterthanen. Die Kirche muß arm werden, und die todten Schätze, welche sie in ihren Seminarien und Klöstern vergraben hat, herausgeben, damit sie der Welt nützen und lebendigen Segen bringen. Arm, wie Christus und seine Jünger es gewesen, müssen die Priester sein, damit sie ihre Augen abwenden von dem Weltlichen und nur auf Gott und den Himmel ihr Augenmerk richten.

Wenn Ew. Majestät das bewerkstelligen können, so wird Ihr Volk Sie als einen zweiten Messias anbeten müssen, Sire, denn Sie haben ihm dann zum zweiten Mal das Heil und die Erlösung gebracht.

Ja, ich will mein Volk erlösen von der geistigen Knechtschaft, und sollten meine Widersacher selbst die Macht haben, mich dafür an's Kreuz zu schlagen, so werde ich sterben in dem freudigen Bewußtsein, das Große und Rechte gewollt zu haben! rief Joseph begeistert. Die innere Verwaltung meiner Staaten erfordert eine Umschaffung und Umgestaltung. Ein Reich, das ich regiere, muß nach meinen Grundsätzen beherrscht, Vorurtheil, Fanatismus, Parteilichkeit und Sclaverei des Geistes unterdrückt und jeder meiner Unterthanen in den Genuß seiner angebornen Freiheiten gesetzt werden. Der bisherige Einfluß der Geistlichkeit auf die Regierung meiner Mutter soll aufhören. Ich sehe nicht gern, daß die Leute, denen die Sorge für das zukünftige Leben aufgetragen ist, sich so viel Mühe geben, unser Dasein hienieden zum Augenmerk ihrer Weisheit zu machen! Das Mönchsthum hat in Oesterreich überhand genommen, die Anzahl der Stifter und Klöster ist zum Außerordentlichen emporgestiegen. Die Regierung aber hatte bisher kein Recht über die Personen der Priester, und sie sind die gefährlichsten und unnützesten Unterthanen in jedem Staat, da sie sich der Beobachtung aller bürgerlichen Gesetze zu entziehen wissen und sich bei jeder Gelegenheit an den Pontifex Maximus nach Rom wenden. Ich weiß, es ist ein schweres und gefährliches Werk, was ich da vorhabe! Ich will das Heer der Mönche reduciren, die Fakirs zu Menschen bilden, sie, vor deren geschornem Haupt der Pöbel in Ehrfurcht auf die Kniee niederfällt, und die sich eine größere Herrschaft über das Herz des Bürgers erworben haben, als irgend etwas, welches nur immer einen Eindruck auf den menschlichen Geist machen konnte. Aber ich will dem Monachismus den Schleier wegreißen, ich will Andromachens Gewebe der Ascetenlehre von den Lehrstühlen meiner Universitäten verbannen, und den blos beschaulichen Mönch in einen thätigen Bürger, einen nützlichen Unterthan verwandeln. Diese ganze Rede enthält nur die eigenen und ausdrücklichen Worte des Kaisers. Siehe: Briefe Josephs II. S. 48.

Oh, Sire, rief Kaunitz fast ängstlich, Ihre Worte erschrecken mich, wie eine Fanfare, die zur mörderischen Schlacht ruft. Ueberlegen Ew. Majestät wohl, was Sie da thun. Bedenken Sie, daß Sie die Fackel des Aufruhrs unter siebenzigtausend fanatische Kreuz- und Mönchsritter werfen wollen, die in Oesterreich wohnen und Macht haben.

Es wird bald nicht so viele Mönchsritter mehr geben, sagte der Kaiser lächelnd. Wir werden ihre Festungen schleifen und ihnen ihr Mönchskleid, das ihre Rüstung ist, ausziehen.

Wie, Ew. Majestät wollen –

Die unnützen Klöster aufheben und die faulen Mönche zwingen, arbeitsame Menschen zu werden.

Aber die empörte Priesterschaft wird Zeter schreien und sich nach Rom um Hülfe wenden!

So mag der Papst sie Alle einladen, nach Rom zu kommen! Solange sie aber in meinen Staaten leben, sind sie meine Unterthanen, und ich allein habe ihnen Gesetze zu geben.

Aber das heißt Rom selbst den offenen Krieg erklären!

Es ist auch sehr meine Absicht, das zu thun! Der Knecht der Knechte Gottes soll erkennen, daß ich alleiniger und unumschränkter Herr sein will in meinen Staaten, und daß er keine Macht mehr haben darf über die Gewissen meiner Unterthanen, seien diese nun Laien oder Priester. Wir haben dieser Macht des Papstes und des Mönchsthums den Verfall des menschlichen Geistes zu verdanken, denn diese unechten Begriffe von der Religion verbreiten sich auf den gemeinen Mann; er kannte Gott nicht mehr und hoffte Alles von seinen Heiligen. Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Briefe Josephs II. S. 52.

Es ist viel Wahrheit in Ihren Worten, Sire, aber diese Wahrheit ist gefährlich wie ein zweischneidig Schwert, das leicht Den verwundet, der es in Händen hält. Hüten Sie sich, Sire, oder gehen Sie wenigstens nicht zu rasch vor. Es giebt viele Dinge, die rasch und kühn vollbracht sein wollen, andere wieder wollen bedächtig und zögernd, Schritt vor Schritt gethan sein, und wer rasch auf sie zustürzt, überspringt gar leicht sein Ziel. So ist es mit Dem, was Ew. Majestät vorhaben. Nur mit Besonnenheit, mit bedächtigem Vorwärtsschreiten können Sie hoffen, Ihr Ziel zu erreichen, nur wenn Sie sehr leise auftreten, werden Sie sich Vortheile erringen!

Ich habe nicht Zeit zum langsamen Vorschreiten, nicht Zeit zum Leisegang der Schlauheit. Was gethan werden soll, muß rasch gethan werden, um so mehr, da diese Frage von der Aufhebung der Klöster für mich nicht blos eine Angelegenheit der Religion, sondern auch eben so sehr der Finanzwirthschaft ist. Die Klöster sind überreich, die Kirchen und Wallfahrtsorte enthalten übergroße, todte Schätze, und der Finanzzustand meiner Kassen ist sehr schlecht. Nach einer kurzen Uebersicht, die ich mir über denselben verschaffte, finde ich die Staatsschulden auf eine ungeheure Höhe angewachsen, und wir werden Einschränkungen machen müssen. Ich darf nicht, wie meine gnadenreiche Mutter, sechs Millionen Gulden für mein Budget verwenden, sondern ich muß versuchen, wie Friedrich der Große, mit dreimalhunderttausend Thalern auszukommen. Freilich werde ich dann aber auch nicht, wie die großmüthige Maria Theresia es that, auf jeder Spazierfahrt mir einen Beutel voll Kremnitzer Ducaten mitnehmen, um sie hier und dort unter das gaffende Volk zu schnellen, sondern die guten Leute müssen an einem einfachen Gruß ohne metallene Begleitung es sich genügen lassen. Ich werde auch nicht, wie meine kaiserliche Frau Mutter, zweitausend zweihundert Pferde in meinen Marställen halten. Der Kammerbeutel, aus dem die Gnadengehalte flossen, wird auf immer verstopft sein, und viele der Gnadengehalte und Pensionen werde ich einziehen müssen, denn ich muß Einschränkungen machen, so schwer es denen auch fallen mag, die davon betroffen werden. Josephs eigene Worte. Siehe: Briefe etc. S. 49. Aber alle diese Einschränkungen genügen nicht; ich bedarf großer Summen, ich bedarf der Millionen, und da ich weiß, daß diese in den Kirchen und Klöstern zu finden sind, so werde ich sie dort suchen!

Fürst Kaunitz hatte dem Kaiser mit staunender Aufmerksamkeit, mit immer wachsender Theilnahme zugehört; als der Kaiser jetzt schwieg, nickte Kaunitz lebhaft mehrmals mit dem Kopf, und der Schimmer eines Lächelns flog über sein Antlitz hin. Sire, sagte er, Sie besitzen einen so tapfern und freudigen Muth, daß ich mein altes, vernarbtes Herz daran wieder jung und unbesonnen werden fühle, und daß ich alle Bedenken meines Kopfes überhören will. Sei es denn, ich werde wie ein treuer Champion an Ihrer Seite stehen, und möchte es mir wenigstens, wenn der mörderische Kampf beginnt, alsdann vergönnt sein, einige der Hiebe aufzufangen, mit denen der Fanatismus, die Mönchswuth und der Aberglaube des Volks das Haupt meines edlen, jugendfeurigen Kaisers bedrohen werden! Ew. Majestät müssen aber darauf gefaßt sein, daß es nicht blos das Priesterthum ist, das sich wider Sie aufbäumen wird, sondern auch das Volk, das von dem Priesterthum verdummte Volk, dem jedes Anrühren an die Kirche wie eine Gottesleugnung erscheinen wird, und dem in seinem blödsinnigen Aberglauben die Aufklärung gleichbedeutend sein wird mit der Gottlosigkeit! Das Volk, Sire, wird wider Sie schreien, wie es damals schrie, als wir die Aufhebung der Jesuiten durchsetzten.

Und es wird aufhören zu schreien, wie es damals auch aufgehört hat, rief der Kaiser lächelnd. Nur Muth, Freund, wir werden siegen, Rom und allen Mönchskutten zum Trotz, und wenn wir mit den Klostergeldern unsere Schulden bezahlt und nützliche Anstalten errichtet haben, dann wird das Volk, welches doch zuletzt immer einen gesunden und tüchtigen Sinn hat, wohl zur Einsicht kommen, daß wir sein Bestes gewollt und wird nicht mehr hören auf das Geschrei der Zeloten! Ich habe Ihr Wort, Sie werden mir helfen, meine Pläne auszuführen, Sie werden mir Ihren Rath, Ihren Beistand leihen, und mich nicht verlassen auf den neuen Wegen, die ich bahnen will!

Nein! Ich werde Ew. Majestät helfen, das Unkraut auszujäten und nützliche Saat auszustreuen.

Und die Saat, die wir ausstreuen, sie wird gute Früchte tragen, rief der Kaiser glühend vor Begeisterung. Wir jäten das Unkraut des Mönchthums aus und legen in General-Seminarien Pflanzschulen für neue Priester an, für Seelsorger, die einen neuen geläuterten Geist mit in die Welt bringen und durch weisen Unterricht ihn dem Volk mittheilen sollen. So werden nach einem Zeitraum von einem Jahrhundert wieder wahre Christen in Oesterreich sein; so werden, wenn ich meinen Plan vollbracht, die Völker meines Reiches genauer die Pflichten kennen, die sie Gott, dem Vaterland und ihren Nebenmenschen schuldig sind, – so werden uns noch die Enkel segnen, daß wir sie von dem übermächtigen Rom befreit, die Priester in die Grenzen ihrer Pflichten zurückgewiesen, und ihr Dortsein dem Herrn, ihr Dasein aber dem Vaterland allein unterworfen haben! Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Briefe etc. S. 52.


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