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Verwandte Seelen finden sich.
Wenige Tage, wie erzeugen sie oft einen tief in alle Verhältnisse eingreifenden Wechsel!
Die Allgemeine deutsche Zentrifugalbank für transatlantische Kolonisation und Missionswesen war geschlossen, und Tausende von Aktionären sahen mit Angst und Sorge der Liquidation entgegen. Man hoffte noch immer auf Schadenersatz, zumal der Chef der Bank, dieses arglose Opfer eines ungetreuen Mitdirektors, mit wahrhaft christlicher Großmut freiwillig seine ganze Habe in die Masse geworfen hatte und als Bettler aus den so lange friedlich bewohnten glänzenden Räumen des Bankgebäudes fortgezogen war. Allgemeine, aufrichtige Teilnahme folgte ihm, und von Herzen wurde ihm gegönnt, daß seine Gemahlin sich in der Lage befand, den Verarmten draußen vor der Stadt in ihrer teilweise noch im Bau begriffenen, jedoch lieblich gelegenen Villa bei sich aufzunehmen und ihn für die empfangenen harten Schicksalsschläge dadurch zu entschädigen, daß sie die ein glückliches Familienleben umschlingenden Bande inniger Liebe von Tag zu Tag fester zusammenzog. Trotzdem war ein giftiger Stachel in seinem biederen Herzen haften geblieben. Gegen bemerkbare Spuren der herben Prüfungen in seinem Äußern schützte ihn zwar sein kräftige Körperkonstitution; dagegen erhielt sein Blick, so oft er zur Stadt kam – was täglich geschah und zu seiner Beschämung in der Equipage der Frau Bankdirektor –, einen überaus ernsten, trüben Ausdruck. Wer ihn sah, mußte den schwer Heimgesuchten bedauern. Lastete das eigene Unglück doch sichtbar weniger drückend auf ihm, als die trostlose Lage derjenigen, die vereint mit ihm ins Verderben hinabgerissen worden waren; und nirgend offenbarte sich dies verständlicher, als da er tränenden Auges das Kontorpersonal entließ und im Übermaß seines Schmerzes jedem einzelnen noch ein volles Jahresgehalt aus der eigenen – oder vielmehr aus der Tasche seiner besser situierten und nicht minder zartfühlenden Gemahlin mit auf den Weg gab.
Die meisten der jungen Leute hatten freilich bei dem Sturz der Bank ihre Ersparnisse und mütterlichen Notgroschen eingebüßt, allein das Bittere ihrer Lage wurde erheblich gemildert, wenn sie den wohlwollenden Chef beobachteten, der um seine ganze sauer erworbene Habe gekommen war und sein Unglück dennoch mit so viel christlicher Geduld und Ergebung in einen höheren Willen trug. Und wie er sie dabei so wahrhaft ergreifend tröstete und ihnen zusicherte, bei der Liquidation ihren Vorteil wahrnehmen zu wollen! Er selber, der gezwungen war, von der Gnade seiner Gemahlin zu leben, er hatte niemand, der ihn tröstete – so deutete er wenigstens tiefbewegt an –, denn der Trost seiner Gattin, wenn auch innig und süß, der wühlte wie zweischneidige Klingen in seiner Brust, und es stand zu befürchten, daß er diesen harten Wechsel seiner äußeren Verhältnisse nicht lange überleben würde.
Der arme, bedauernswerte Herr Bankdirektor!
Unter dem entlassenen Personal befand sich keiner, der den Verlust seines Vermögens mit größerem Gleichmut ertragen hätte, als Gerhard. Er hatte seine geliebte Esther verloren; ihn bewegte daher nur noch Trauer um sie und das Sinnen und Trachten, die ganze Welt nach der Teuren zu durchforschen. Zwei Umstände leisteten dabei seiner unablässig schaffenden Phantasie Vorschub. Zunächst die festgestellte Tatsache, daß am Tage von Esthers Verschwinden eine tiefverschleierte Dame den sich zur Reise nach den Kolonien rüstenden Generalbevollmächtigten besucht hatte; und dann die nicht unerhebliche Geldsumme, die er der Großmut Naillekas, als eine Entschädigung für seine Entlassung ohne vorhergegangene Kündigung, verdankte. Was Esther zu der geheimnisvollen Flucht mit einem Fremden bewegt haben konnte, ob List oder Gewalt bei der Entführung angewendet worden, suchte er nicht zu ergründen; nicht einmal, ob ein Irrtum in der Person waltete, um nicht auch diesen letzten Hoffnungsschimmer zu vernichten.
Gerhards Entschluß, Ellenborough in den Kolonien selber aufzusuchen und von ihm die Wahrheit zu erpressen, fand bei Meredith die vollste Billigung, obwohl sie mit geisterhafter Ruhe erklärte, daß alles vergeblich sei und er weiser handelte, unter dem sonnigen Himmel Spaniens, der Wiege des Geschlechts der Kabul, nach der Verschwundenen zu forschen.
Doch aus dem sorglosen, kühne Luftschlösser bauenden, gleichsam in überschwenglichen Träumen lebenden Jünglinge war ein Mann, ein Herr seines Willens geworden. Nur kurze Zeit verstrich, bis die Wogen des Atlantischen Ozeans ihn in einem Segelschiff nach Herzenslust schaukelten.
Doch auch Meredith schickte sich an, einer Stätte zu entsagen, auf der sie zwar eine lange Reihe von Jahren in friedlicher Zurückgezogenheit gelebt, zugleich aber Leiden erduldet hatte, die Geist wie Körper gleich unheilbar zu erschüttern drohten. Die Zeit, auf die sie das Haus gemietet hatte, war allerdings noch nicht abgelaufen, allein da ihr nach dem Bruch der Zentrifugalbank und der gänzlichen Entwertung ihrer Aktien die Mittel fehlten, in gewohnter Weise weiter zu leben, so säumte sie nicht, sich ein anderweitiges, ihren dürftigen Verhältnissen entsprechendes Unterkommen zu suchen. Schwer, sehr schwer wurde es ihr, sich von ihren Reliquien und Altertümern zu trennen. Woran sie ihr ganzes Leben sammelte, was allein sie noch erfreute, wenn bittere Rückerinnerungen ihren Geist trübten, das sollte unter den Hammer gebracht werden, um ihr wenigstens einen Zuschuß für die notwendigsten täglichen Bedürfnisse zu liefern. Der Aufgabe, den Verkauf selbst einzuleiten, fühlte sie sich nicht gewachsen. Sogar den Termin zu bestimmen vermochte sie nicht. Sie übertrug daher alles ihrem Nachbar Maller, ihm anheimgebend, mit der Versteigerung so lange zu warten, wie der Mietskontrakt ihren Kleinodien eine kostenfreie Stätte sicherte. »Um mich allmählich mit dem Gedanken daran vertraut zu machen,« meinte sie schwermütig lächelnd zu Maller; dann sprach sie wieder ernst mit ihm über seine eigenen Verhältnisse, ihn tröstend und in der unberechtigten Hoffnung bestärkend, daß durch die Liquidation der Zentrifugalbank ein erheblicher Teil seines Kapitals gerettet, sie selbst wohl gar der Notwendigkeit des Verkaufs ihrer Schätze überhoben werden möchte. –
Da waren die Lenkharts heiterer gestimmt; doppelt heiter, weil auf die düsteren Regentage ein klarer Himmel folgte, und sie noch ihren Tribut von der schulpflichtigen Jugend einziehen konnten, ehe sie mit neuen Kräften und vollen Taschen ein tüchtiges Stück Weges zwischen sich und den Schauplatz ihrer jüngsten Tätigkeit legten.
Es war Feierabend. Die den Marstall abschließende Zeltwand war niedergelassen worden. Kappel lag zwischen seinen Decken, das Haupt auf beide Hände gestützt. Seitwärts von ihm stand ein Licht, dem eine Bierflasche als Leuchter diente. Vor ihm lag aufgeschlagen ein vielgebrauchter Livius. Mechanisch glitten seine Blicke über die wohl tausendmal gelesenen Zeilen hin.
Das Flackern des von einem Luftzuge getroffenen Lichtes veranlaßte ihn, aufzuschauen.
»Nur näher!« rief er unwirsch, als er eine gekrümmte Männergestalt entdeckte, die den Vorhang emporgehoben hatte, »wer Sie auch sein mögen, scheuen Sie sich nicht, wenn ein guter Zweck Sie leitet.«
»Herr Kappel?« fragte der Fremde schüchtern, indem er sich behutsam zwischen den Ringelschwänzen zweier zusammengekoppelter Drachen und den Köpfen zweier wutschnaubenden Kamele hindurchwand.
»Kappel in höchsteigener Person, mein teurer Herr Schwärmer,« antwortete das verdorbene Genie, sobald es den ihm von Maßlieb in einem unbewachten Stündchen beschriebenen grünen Friesüberzug einer Gitarre bemerkte, »seien Sie mir willkommen, doppelt willkommen, weil unsere beiderseitigen Neigungen sich in einer braunlockigen Elfe begegnen. Hier ist Raum für Sie –« und er rückte etwas zur Seite, »nehmen Sie Platz.«
Schwärmer ließ sich nieder, und der heruntergekommene Korpsbursche fuhr fort:
»Leider erwartet Sie hier schlechter Trost. Maßlieb ist spurlos verschwunden, und obenein mit Wissen des sauberen Ehepaars; denn bis jetzt wurde noch kein Schritt zu ihrer Wiedererlangung unternommen.«
»Fort,« lispelte der alte Komödiant, und tief neigte er das Haupt auf die Brust; »ich ahnte, als man uns trennte, daß ich das Kind nicht wiedersehen würde.«
»Fort,« bestätigte Kappel melancholisch, »und der Teufel mag wissen, wohin die Ärmste verschleppt oder verkauft wurde! Dem Admiral und seinem weiblichen Kutscher ist das Schlimmste zuzutrauen. Bei Gott!« und er schlug mit der Faust auf den Livius, »diese meine letzte Reliquie aus den Jahren klassischen Leichtsinns verwandelte ich mit Freuden in lauter Fidibus, wüßte ich, ob's dem Kinde erträglich geht.«
»Unfreundlich kann man ihm nimmermehr begegnen,« beteuerte Schwärmer lebhaft, »und wäre es in einen Pfuhl des Lasters gestoßen worden, es würde durch seine heilige Unschuld den verhärtetsten Bösewicht bekehren.«
»So denken wir,« versetzte Kappel zähneknirschend, »allein was wir für den sichersten Schutz halten, ist für andere nur ein Reizmittel.«
Grübelnd blickten die beiden Abenteurer vor sich nieder.
»Sie liebten das Kind sehr?« fragte Schwärmer nach einer längeren Pause.
»Auf meinen Armen habe ich es getragen,« erwiderte Kappel ernst, »unter meinen Augen ist es aufgewachsen, und was von seinem Wissen, Benehmen und äußeren Anstande über die Grenzen der mit allen sieben Todsünden befrachteten Arche hinausreicht, verdankt es mir, seinem besten Freunde und Gefährten.«
»So werden Sie meine Absichten verstehen, wenn ich vorschlage, uns gegenseitig im Auge zu behalten. Sie ziehen von Ort zu Ort, während ich nach wie vor die Straßen der Stadt durchwandere; vor uns beiden aber liegt die Möglichkeit, eines Tages Maßlieb zu begegnen –«
»Gut gesprochen, Freund,« fiel Kappel ein, indem er Schwärmer vertraulich auf die Schulter schlug, »gut und weise gesprochen, beim Styx und allen denjenigen, die aus einem Bade in den trüben Fluten dieses unterweltlichen Abzugskanals vergeßlich, verklärt und vergoldet hervorgegangen sind. Haben wir Maßlieb erst gefunden, mag der Admiral sich nach einem andern Stallmeister für sein Karussell umtun! Wir sind unserer zwei, und mit dem Henker müßte es zugehen, gelänge es uns nicht, mit vereinten Kräften das Kind gegen Not zu schützen.«
Die alten Abenteurer, ihre Anhänglichkeit an Maßlieb war eine Lebensfrage für sie geworden. Indem in der Sorge um sie ein ernstes Ziel vor ihnen erstand, gewann das irdische Dasein neuen Reiz für die beiden verwandten Seelen. –