Balduin Möllhausen
Die Hyänen des Kapitals
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Die Hyänen in der Höhle.

In einem Hause, das, wie um jeden Sonnenblick auszuschließen, weit übergebaut war, wohnte Nathan Myer, auch schlechtweg genannt der weise Nathan.

Ihm gehörte das mit sechs Fenstern und einem schmalen Eingange die Straße begrenzende Haus nebst allen Hintergebäuden; ihm gehörten sogar bis zu einem gewissen Grade die zahlreichen kleinen Mieter, die unter seinem Dache Zuflucht gefunden hatten und in ihrer Gesamtheit ihm einen Zins für sein Eigentum sicherten, wie er schwerlich aus einem Palaste von dem doppelten Umfange seines Grundstücks zu erpressen gewesen wäre. Dabei bildeten die hoch hinausragenden Baulichkeiten doch nur ein scheinbar unentwirrbares Chaos von düsteren Treppen und Fluren, engen und finsteren Zimmern und geschwärzten Wänden, Torfrauch, Staub und Asche. Und die Bewohner, große wie kleine, alte wie junge, bildeten zusammen eine Musterkarte aller nur denkbaren Gauner- und Verbrecherphysiognomien.

Aber den weisen Nathan kümmerte die Trostlosigkeit dieses Eindruckes nicht, er war auch zu großmütig, sich viel um die Privatunterhaltung seiner Mieter zu kümmern, wenn sie nur pünktlich die Miete im voraus entrichteten und einen Lebenswandel führten, der ihn selbst nicht in unangenehme Beziehungen zu der Polizei brachte.

Die drei stark vergitterten Fenster links von der Haustür gehörten zu des weisen Nathan bescheidener Wohnung. Er hätte die verrosteten Stangen mit den dazwischengefügten Rokokoarabesken längst entfernt, beteuerte er oft, diese heuchlerische Schutzwehr, von der die Vorübergehenden argwöhnen mochten, daß notgedrungen gewaltige Reichtümer hinter ihnen angehäuft sein müßten, allein einesteils befürchtete er, das Gleichgewicht des Mauerwerks durch Beseitigen der eisernen Stützen zu verschieben, dann aber beseelte ihn ein zu großer Respekt vor allem durch die Jahrhunderte Geheiligten.

Diese Vorliebe für das Alte und Gediegene offenbarte sich auch in den beiden nach der Straße hinausliegenden Gemächern, in die von dem Hausflur aus eine mit Eisenblech überzogene Tür und eine zweite mit langhaarigem Fries gepolsterte führte. Denn alt, uralt und von der Zeit geschwärzt waren in dem Kontor das massive Schreibpult, die eisenbeschlagenen Kisten und Kasten und die hochlehnigen Stühle. Alt waren ferner die Möbel in dem kleineren, einfenstrigen Wohnzimmer, das mit Ledertuch überzogene Sofa und die waschbaren, aber ungewaschenen blechernen Gardinen; beinah ebenso alt die Fliegenspuren darauf, und uralt war der auf allen Gegenständen ruhende Staub. Neueren Datums waren nur ein in dem Wohnzimmer aufgestellter mächtiger, feuerfester Geldschrank und das Porträt eines jungen, schönen Mannes. Letzteres nahm den Ehrenplatz oberhalb des Geldschrankes ein, war unverkennbar von Meisterhand ausgeführt worden trotzdem aber eines Rahmens nicht für würdig befunden worden. Wie es von der Staffelei gekommen war schien es dort aufgehangen zu sein.

Der Abend und damit die Stunde, in der der weise Nathan Besuche zu empfangen pflegte, war hereingebrochen; denn wer ihn besuchte, der liebte es nicht, gesehen und erkannt zu werden. Nathan selber befand sich in seinem Kontor, vertieft in mancherlei Berechnungen, wozu ihm eine reichlich mit Grünspanflecken verzierte messingene Schiebelampe die entsprechende Helligkeit spendete. Der Lärm auf der Straße störte ihn nicht, selbst seine Abendmahlzeit, zwei haushälterisch geschmierte Butterbrote und eine Flasche Dünnbier hatte er vergessen. Als aber eine heisere Klingel, wie aus weiter Ferne, in einer der nach hinten hinausliegenden Räumlichkeiten ertönte, wurde er sofort regsam. Seinen Schafspelz dicht um sich zusammenziehend, begab er sich nach der Eingangstür hinüber, und den gepolsterten Rahmen öffnend, fragte er hinaus, wer ihn zu sprechen wünsche.

»Bankdirektor Nailleka,« hieß es gedämpft zurück.

Über des weisen Nathan runzelige Züge eilte ein triumphierendes Grinsen, dem Ausdrucke der unersättlichen Gier vergleichbar, mit der die nach Blut lechzende Hyäne eine willkommene Beute in den Bereich ihres Sprunges treten sieht.

»Ah, der Herr Bankdirektor,« antwortete er indessen mit ausnehmender Höflichkeit, indem er zuerst eine Sicherheitskette löste und dann vier schwere Riegel von der eisenbeschlagenen Tür zurückschob, »hätte ich doch eher erwartet den Einbruch des Himmels, als die Ehre eines so hohen Besuches. Belieben der Herr Bankdirektor sich hereinzubemühen,« und tief zog er sein Käppchen zum Gruß, worauf er die Tür hinter dem Eintretenden verriegelte und mit besonderer Sorgfalt den gepolsterten Rahmen, zum Zweck des Dämpfens der Stimmen, in seine Fugen zurückpreßte. Dann einen Stuhl neben den Schreibtisch schiebend, fuhr er mit seinem verbindlichsten Wesen fort:

»Nehmen der Herr Bankdirektor Platz – leider habe ich nicht zu bieten seidene Polster, wie es gewohnt sind der Herr Bankdirektor; ich bedaure dies um so tiefer, als Sie nur bezwecken können, mir zu erweisen 'ne Ehre, und nicht abzuschließen 'n Geschäft.«

Nailleka hatte unterdessen seinen Hut und den ihn bis zur Unkenntlichkeit verhüllenden Mantel abgelegt und zeigte sich als einen geschmeidigen, wohlgenährten, hellblonden Herrn von etwa fünfzig Jahren, dessen äußere Erscheinung, soweit sie von der Kunst abhängig war, vollkommen tadellos wirkte, in dessen glattem Gesicht und etwas verschwommenen blauen Augen sich aber deutlich verriet, daß er gewohnt war, sich keinen Genuß, unbekümmert um die Kosten, zu versagen. Zwei lange, blonde Schweifbüschel, die von seinen vollen Wangen bis auf die Brust niederreichten, erhöhten seinen vornehmen Ausdruck. Nicht minder zeugten Diamantknöpfe in den feinen Falten auf seiner Brust, eine unförmliche, schwere goldene Uhrkette und straffe Handschuhe von einem in der Schule des Geldzählens gewonnenen und ausgebildeten Geschmack. Doch geschmeidig und auch wieder erhaben, wie Nailleka sein mochte, seitdem er sich in des weisen Nathan Gesellschaft befand, wollte eine gewisse Befangenheit nicht aus seinem Wesen weichen. Es schien fast, als ob er ihn und seinen in unterwürfige Höflichkeit gehüllten Spott fürchtete, dabei aber seiner Scheu sich schämte. Erst nachdem er ihm gegenüber Platz genommen hatte, gelang es ihm einigermaßen, die der Gelegenheit entsprechende Haltung anzunehmen.

»Mein verehrtester Gönner,« hob er verbindlich lächelnd an, »die Ehre ist ganz auf meiner Seite; doch wenn es sich um dringende Geschäfte handelt, sollten Schmeicheleien, und wären sie wirklich aufrichtig gemeint, etwas in den Hintergrund treten.«

Nathan lächelte still vor sich hin. Plötzlich aufschauend, fragte er scheinbar unbefangen:

»Wie viel ist dabei zu verdienen?«

»Sagen wir einige hundert Taler in einer halben Stunde,« antwortete Nailleka, überrascht durch die praktische Kürze, mit der Nathan ihm entgegenkam.

»Einige hundert Taler?« fragte dieser zurück, »o, mein hochverehrtester Herr Bankdirektor, wenn es sich handelt um eine Gefälligkeit, will ich mit Freuden und obenein umsonst für Sie gehen durchs Feuer; so Sie aber sprechen von Geschäften, muß ich erklären, daß ich nicht aufstehe für fünfhundert Taler von diesem Stuhl.«

»So bestimmen Sie den Preis selber,« versetzte Nailleka mit unterdrücktem Mißmut.

»Ihr Anerbieten, Herr Bankdirektor, verrät, daß Sie mir erweisen die hohe Ehre Ihres Besuches heute zum erstenmal,« erwiderte Nathan in freundlichem Schmeichelton, »Sie möchten aufgeschwänzt haben die Aktien der Allgemeinen Zentrifugalbank für transatlantische Kolonisation, wogegen ich verspüre selber keine Neigung zu dem Geschäft. Sind Sie bisher fertig geworden ohne den einfältigen Nathan, was soll er Ihnen helfen jetzt, da es beinah zu spät? Habe ich doch überhaupt kein Vertrauen zu der Zentrifugalbank, und ist 'n Papier erst gesunken von hundertundacht Prozent auf sechsundvierzig, so regt beim Publikum sich leicht Argwohn.«

»Und dennoch werden und müssen Sie eingreifen,« versetzte Nailleka, zu ängstlich und dringend für einen Geschäftsmann; »bestimmen Sie nur selber den Preis und fürchten Sie nicht, zu hoch zu greifen.«

Nathan wiegte sein Haupt billigend; er hatte Nailleka zur Anerkennung seiner souveränen Macht gezwungen, das Weitere mußte sich daher von selbst ergeben.

»Wäre ich nicht abgeneigt, einzugehen auf des Herrn Bankdirektors Vorschläge,« bemerkte er sodann wie im Selbstgespräch, »so müßte es mir zuvor gestattet sein, mich zu unterrichten genau über die Lage der Bankverhältnisse.«

»Mit dem offensten Vertrauen stehe ich zu Ihren Diensten,« erklärte Nailleka mit einer höflichen Verbeugung.

»Wohlan denn: Bevor die Zentrifugalbank gegründet wurde, führte sie den Namen: ›Bankgeschäft von Nailleka und Kompagnie‹?«

»Ganz recht, und eine bewährte Firma war es obenein.«

»Zu welchem Preis verkauften Sie Firma und Haus an die Aktionäre?«

»Für fünfmalhunderttausend Taler.«

»Ein glänzendes Geschäft, zumal ein Jahr früher Sie alles hingegeben hätten mit Freuden für sechzigtausend Taler. Nicht zu vergessen, daß Sie konnten weiterleben in der alten, aber vergrößerten und geschmackvoll restaurierten Wohnung als Direktor der Bank.«

»Sie vergessen den Verwaltungsrat und den Aufsichtsrat.«

»Mit hunderttausend Talern läßt sich bewerkstelligen viel; bleibt immer noch 'n schöner Gewinn. Doch welche Sorte Menschen sind's, so sich teilen in Verwaltung und Aufsicht?«

»Strohmänner im allgemeinen; ein oder zwei etwas schärfere Kunden, jedoch keiner unter ihnen, der nicht zugänglich wäre für Austern und Champagner.«

»Eine Wahl, die zur Ehre gereicht dem Herrn Bankdirektor,« bemerkte Nathan anerkennend, »eine Wahl, die sogar jetzt noch, in der zwölften Stunde, bis zu einem gewissen Grade sichert 'nen guten Erfolg. Wie hoch beläuft sich die Summe, die Sie für den Ankauf transatlantischer Ländereien verausgabten?« Hier bohrten sich seine Blicke in Naillekas Augen ein.

Dieser errötete bis unter sein wohlfrisiertes blondes Haar hinauf. Einige Sekunden zögerte er; doch erwägend, daß er dem schlauen, unstreitig längst unterrichteten Geschäftsmanne kaum etwas Neues erzählte, antwortete er:

»Für achtmalhunderttausend Taler.«

Wiederum das bezeichnende Lächeln Nathans, indem er die ihm ausweichenden Blicke Naillekas suchte.

»Achtmalhunderttausend Taler repräsentieren eine umfangreiche Landschaft, wenn zum Gouvernementspreise gekauft; verkaufen Sie neun Zehntel wieder mit durchschnittlich zweihundert Prozent Gewinn – und der Wert des Bodens drüben steigt rasend schnell –, so bleibt Ihnen noch überflüssig genug zur Vergrößerung der Kolonien, und die Aktionäre haben keinen Grund, sich über zu geringe Dividenden zu beklagen.«

»So ungefähr lautet meine Berechnung,« versetzte Nailleka zuvorkommend.

»Eine feine Berechnung obenein,« bestätigte Nathan, »das Aktienkapital umfaßt mithin ungefähr anderthalb Millionen?«

»Genau anderthalb Millionen, wenn selbstverständlich die an die Aktionäre gezahlte Abschlagsdividende von sieben Prozent, und weitere jetzt wieder fällig werdende sieben Prozent zur Vervollständigung der für das erste Jahr zugesicherten vierzehn Prozent, in Abschlag kommen.«

»Ein hübscher Anfang,« bemerkte Nathan, seine buschigen, weißen Brauen hoch nach der Stirn hinaufschraubend, »die Aktionäre haben in der Tat Ursache, zufrieden zu sein, nicht nur mit dem ganzen Unternehmen, sondern auch mit der umsichtigen, uneigennützigen Verwaltung. Wie hoch beläuft sich Ihr Vorrat unverkaufter Effekten?«

»Ich benutzte den niedrigen Kurs und die gefährliche Überstürzung der kleineren Aktionäre, um etwa achtzigtausend Taler wieder aufzukaufen. Der Vorrat ist dadurch auf beinahe viermalhunderttausend Taler gestiegen.«

»Vollkommen korrekt gehandelt, nur darf jetzt kein Fehler gemacht werden. Erreicht der Wert der Zentrifugalaktien den Parikurs, werden viele Menschen sich beeilen, fortzugeben ein Papier, das Ihnen verursachte Unruhen und schlaflose Nächte, und in unserer Hand liegt es nicht, sie zu hindern. Zeit ist nicht zu verlieren; die Ernüchterung nach dem allgemeinen Börsenspekulationsrausch kann hereinbrechen jeden Tag. Wenn wir also schraubten den Kurs in nächster Zeit auf vier- bis fünfundneunzig, würde das genügen Ihren Zwecken?«

In Naillekas Antlitz leuchtete es auf.

»Gewiß,« antwortete er lebhaft, »wenn er sich auf dieser Höhe halten ließe, bis die letzten disponiblen Effekten auf den Markt geworfen worden.«

»Eine schwierige Aufgabe,« meinte der weise Nathan zweifelnd, »eine sehr schwierige Aufgabe, dies zu bewerkstelligen auf den ersten Anlauf. Wir müssen Gelegenheit geben den Geiern in den Provinzen zu verdienen einige Prozent, auf daß sie arbeiten zu unsern Gunsten. Wir müssen durchblicken lassen matt die nächste Zukunft, das heißt nur matt; denn die Geier, so sich nähren von den Sehnen und Fleischresten, die sind hängen geblieben an den Gebeinen, wittern scharf und werden sich beeilen aufzukaufen größere Summen von dem Papier, das ist plötzlich Mode geworden, um sie zu spielen in die Hände ihren Kunden. Dazu aber gehören ein zweiter, dritter und vierter Anlauf; denn auch die Geier wollen leben und müssen finden Gelegenheit, ihre Hände zu waschen in dem beständigen Kurswechsel, oder sie lassen liegen die Reste zu unserem Nachteil und zum Ärgernis der Menschen, so dann erheben zu früh groß Geschrei. Ja, Herr Bankdirektor, so müssen Sie zu Werke gehen, und ich bin uneigennützig genug, Ihnen zu erteilen den Rat ohne Aussicht auf Entschädigung, und soll es mich freuen, wenn Sie erzielen 'nen guten Erfolg und hinausfahren auf Ihre neue Villa in 'ner glänzenden Equipage.«

»Ein ebenso freundlicher wie verständiger Rat, Herr Nathan,« versetzte Nailleka gut gelaunt, »würden Sie ihn mir erteilen, wenn Sie wüßten, daß ich imstande sei, ohne Ihren anerkannten, weitreichenden Einfluß das vorgeschlagene Verfahren zu beobachten?«

»Ich glaube nicht,« gab Nathan offenherzig zu, und in seinem grauen Bart verschwand ein verschmitztes Lächeln.

»Gut, Herr Nathan, so lassen Sie uns abschließen,« nahm Nailleka schnell wieder das Wort, »stellen Sie Ihre Bedingungen und das Weitere ist Ihre Sache. An die Dringlichkeit der Lage erlaube ich mir nicht zu erinnern –«

»Gut, Herr Bankdirektor: mit der Allgemeinen deutschen Zentrifugalbank für transatlantische Kolonisation lassen sich noch machen Geschäfte, zumal jeder Aktie beigefügt ist 'n Besitztitel über schönes Land in den freien Vereinigten Staaten. Ich will daher absehen von meiner Gewohnheit, zu machen bestimmte Prozente, dagegen mich begnügen mit der runden Summe von zwölftausend Talern für meine Gefälligkeit. Die Summe erscheint Ihnen vielleicht hoch, allein es wollen ziehen ihre Prozentchen die Mäkler, die Unterhändler, und ich kenne keinen Berichterstatter, der schriebe auch nur einen einzigen Buchstaben umsonst.«

Anstatt zu antworten, zog Nailleka aus seiner Brieftasche ein Wechselformular, auf dem nur eine beliebige Summe verzeichnet zu werden brauchte, um diese vierzehn Tage später im Hauptkontor der Zentrifugalbank erheben zu können.

»Füllen Sie ihn selbst aus,« bemerkte er höflich, indem er Nathan den unscheinbaren Papierstreifen darreichte, »füllen Sie ihn aus und halten Sie sich meiner Dankbarkeit versichert.«

»Sehr schmeichelhaft, Ihre Dankbarkeit, Herr Bankdirektor,« erwiderte Nathan gleichmütig. Dann nahm er den Wechsel und nachdem er die Unterschrift des Ausstellers aufmerksam geprüft hatte, schrieb er mit großer Sorgfalt die Zahl zwölftausend in Ziffern und in Buchstaben nieder.

Nailleka griff nach Hut und Mantel.

»Wir werden machen ein flottes Geschäft,« schmunzelte Nathan halb spöttisch, halb selbstzufrieden, indem er seinen Gast zur Tür begleitete, »denn aufgeschwänzt werden die Zentrifugalaktien, daß deren Besitzer sollen schwimmen in einem Ozean des Entzückens. Sie erwarten in nächster Zeit den Agenten aus den Kolonien? Wenn ich nicht irre, machte er bis zur Gründung der Zentrifugalbank in Auswanderern?«

»Eine zuverlässige Persönlichkeit, die auf diesem Felde sich schätzbare Erfahrungen sammelte,« erklärte Nailleka eifrig, »er soll Ihnen Bericht erstatten, sobald er –«

»Überflüssig, sogar nicht gefahrlos,« tadelte Nathan, »ich ziehe vor, den Bericht zu verfertigen und ohne fremde Hilfe; nur den Tag seines Eintreffens möchte ich wissen. Kommt er früh genug, benutzen wir seinen Namen zum ersten Anlauf; andernfalls verheimlichen wir seine Anwesenheit bis zum zweiten. Hoffe ich doch, durch ihn den Kurs hinaufzuschnellen bis auf achtundneunzig und drüber; dann aber heißt's: Die Augen auf!«

Behutsam öffnete er die Polstertür; behutsam entfernte er Riegel und Sicherheitskette. Nach einem flüchtigen Händedruck schlüpfte Nailleka in die Nacht hinaus, worauf Nathan sich einschloß.

An den Schreibtisch zurückkehrend, nahm Nathan den Wechsel, und denselben fortgesetzt prüfend, begab er sich ins Nebenzimmer, wo er ihn im Geldschrank verschloß.

Dann ging er an sein Abendbrot und ein Lamm hätte mit keinem harmloseren Ausdruck aus einer Quelle trinken können, als der weise Nathan sein letztes Gläschen Dünnbier schlürfte. Mit demselben milden Ausdruck zog er nach Beendigung seiner Mahlzeit an einer neben dem Schreibtisch niederhängenden Schnur. Gleich darauf tönte als Antwort im Nebenzimmer eine heiser rasselnde Glocke, Nathan ergriff die Lampe und verschwand in den hinteren Räumen. Zweimal wurde die Tür aufgeriegelt und verschlossen; dann erschien er wieder in dem Kontor, gefolgt von der Jammergestalt eines halbverhungerten Kontoristen. In seinem schäbigen, schwarzen Anzuge nahm dieser sich aus, als hätten Ratten und Mäuse schon eine Weile an ihm herumgezerrt. Klein und schmächtig, machte er den Eindruck eines früh gealterten Kindes, so unterwürfig war seine Haltung, so scheu sein Wesen, indem er sich an den Schreibtisch begab, die Feder eintauchte und sich zum Schreiben anschickte.

»Sind Sie bereit Röchler?« fragte Nathan nach einer Weile.

»Fertig,« antwortete dumpf die lebendige Maschine.

»So schreiben Sie:

»Handeln Sie morgen an der Börse Allgemeine deutsche Zentrifugalbank für transatlantische Kolonisation zu vorläufig mäßig, aber sehr stetig steigenden Kursen. Veranlassen Sie die Berichterstatter zu notieren: ›Aktien für Zentrifugalbank in großen Posten aus dem Markt genommen. Man spricht von dem bevorstehenden Eintreffen des Generalbevollmächtigten aus den Kolonien, und von Abschlüssen mit einer südamerikanischen Regierung über den Bau von Eisenbahnen. Eine sehr hohe Dividende soll durch vorteilhafte Landverkäufe in den nordamerikanischen Freistaaten gesichert sein.‹ Um Gelder flüssig zu machen, drücken Sie einzelne Hauptdevisen, namentlich Darmstädter Bank, Diskonto-Kommandit durch Gerüchte über erhebliche Verluste und Reduktion der Dividende.«

»Fertig?« fragte Nathan nach einer Pause mürrisch.

»Fertig,« wiederholte die Schreibmaschine mit ihrem heiseren Organe.

»Kopieren Sie das sechszehnmal,« fuhr Nathan fort; dann nahm er seinen Spaziergang wieder auf.

Die Feder flog über das Papier. Fünfundzwanzig Minuten, und die sechszehn Briefe, deren Inhalt, so oft einer fertig war, Nathan jedesmal aufmerksam geprüft hatte, lagen in einer Reihe nebeneinander. Nathan nahm die Feder und fügte jedem als Unterschrift ein hebräisches Zeichen bei, und Röchler befehlend, sie alle einzeln zu kuvertieren, setzte er sich wieder in seine langsam wiegende Bewegung.

Aufs Neue arbeiteten die kralligen Fäuste. Zehn Minuten, und fünfzehn Briefe lagen übereinandergeschichtet neben der Lampe, während der sechszehnte unter der gefüllten Feder seiner Adresse entgegenharrte.

»Herrn Vermin,« diktierte Nathan.

Ein anderer Brief glitt unter die Feder.

»Herrn Rascal,« tönte es geschäftsmäßig durch das Zimmer, und die Feder kritzelte.

Und so ging es fort und fort. Immer neue Namen, bald christliche, bald jüdische, wurden aufgerufen, und fast ebenso schnell fanden sie in festen Zügen ihren Weg auf die weißen Kuverts. Immer neue Namen, manche von gutem, manche von zweifelhaftem Klang, immer neue Namen, und vor jedem prangte ein stattliches »Herrn« und hinter jedem ein stattliches »Wohlgeboren«, auch »Hochwohlgeboren«. Neue Namen zur Besiegelung des Elends und des Verderbens jener Unglücklichen, die, gleichviel, ob von Not getrieben oder von der Sucht nach wachsendem Wohlstande, sich selbst Sand in die Augen streuten und daher blind dem betörenden Klingen des Goldes im Geiste lauschten. Immer neue Namen, bis endlich die sechszehn Briefe fertig waren, und der weise Nathan sie in eine verschließbare Tasche hineinzählte. Eine kleine Münze zum Glase Bier händigte er Röchler ein; dieser dankte unterwürfig für die Großmut; dann näherten sich beide der Flurtür.

Bevor Nathan öffnete, kehrte er sich seinem Sekretär noch einmal zu.

»Pünktlich müssen übermittelt werden diese Schreiben,« sprach er mit drohendem Ernste; »ginge eins verloren oder geriete es in unrechte Hände, so wäre ich selbst nicht imstande Sie zu bewahren vor dem Untergange.«

Röchler erbleichte noch mehr. Eine Erwiderung schwebte ihm auf den Lippen, allein die heisere Stimme erstickte in dem Geräusch, mit dem seine Zähne aufeinanderschlugen. Gleich darauf schob Nathan ihn auf den Flur hinaus. Kaum aber hörte Röchler die Riegel hinter sich zuschlagen, als wie durch Zauber sein ganzes Äußere sich verwandelte. Nicht mehr die sklavisch unterwürfige Schreibmaschine war er, sondern ein Feind, vor dessen Anblick selbst eine Hyäne scheu hätte zurückbeben mögen. Kein Laut verließ seine Lippen; aber seine Zähne knirschten aufeinander, indem er die Faust drohend gegen die eisenbeschlagene Tür hob. Dann schlich er geräuschlos auf die Straße hinaus. – –

 


 << zurück weiter >>