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Unter den Wölfen.
Der Gerechte erbarmt sich auch seines Viehes.« Von solchen Grundsätzen waren unstreitig der Admiral und seine gebildetere Hälfte ausgegangen, als sie an dem ersten gesegneten Regentage, da kein reitlustiges Publikum zu erwarten war, eine Zeltwand rund um das Karussell herum an dessen Dach befestigten und auf diese Art ihren Bestien einen erträglichen Schutz gegen das Unwetter verschafften. Der Sturm blies wohl gelegentlich unter der Zeltwand hindurch, hob sie auch empor und sandte eine Ladung schwerer Tropfen in den luftigen Marstall hinein, allein die Bestien waren alle ziemlich abgehärtet, so daß sie deshalb ihren äußeren Charakter nicht veränderten. Sogar die hölzernen Flammen, die ununterbrochen aus diesem und jenem Drachenschlunde züngelten, erwiesen sich als unempfindlich gegen Feuchtigkeit. Ohne zu zischen oder zu erlöschen nahmen sie die kalten Tropfen entgegen, und wären die langen, blauen Zungen nicht mit Pfeilspitzen versehen, die Nüstern nicht so gespreizt und die Augen nicht gar zu schielend gewesen, so hätte man sie für die harmlosesten Geschöpfe halten können, die jemals aus der Hand eines biederen Drechslermeisters hervorgegangen waren.
Weniger unempfindlich gegen klimatische Einflüsse war Kappel, der heruntergekommene Korpsbursche. Er hatte sein Lager auf der geschützten Karussellachse gerade unterhalb der Orgel aufgeschlagen, wo ihm die Zeit ohne die störenden Beigaben des Unwetters verhältnismäßig ruhig verstrich. Dort hatte er die ganze Nacht gelegen; dort lag er noch am darauffolgenden Nachmittage, nur dann seine Ruhe unterbrechend, wenn die fälligen Mahlzeiten ihn nach der grünen Arche riefen. Im übrigen betrachtete er das blaue Fläschchen und Tabak als bewährte Sorgenbrecher, die indessen an diesem mißgestimmten, grauen Regentage im allgemeinen ihren Zweck verfehlten. Erstaunte er doch über sich selbst, so unwirsch war er gelaunt, und niemand empfand dies herber, als die Karusselleltern, die im Verkehr mit dem sarkastischen, heiter bissigen, verdorbenen Genie stets eine recht anregende Unterhaltung fanden. Stumm erschien er in der Arche; schweigend setzte er sich zu Tisch, wortlos nahm er von den Speisen, und kaum hatte er den letzten Bissen über seine weiße Zähne geschoben und durch einen mäßigen Trunk aus dem blauen Fläschchen sein ernstes Verfahren besiegelt, so entfernte er sich auch schon wieder, um seine Decken nicht allzusehr auskühlen zu lassen.
In einer solchen menschenfeindlichen Stimmung hatte er sich seit jener Nacht befunden, in der die entflohene Maßlieb wieder in die Arche einquartiert worden war. Zu seinem Erstaunen hatte Maßlieb sich widerstandslos in alles gefügt, was über sie verhängt wurde. Sie war eben in der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit eine andere geworden. Kein Laut der Klage drang über ihre Lippen; auf keine an sie gerichtete Frage antwortete sie; selbst die Mißhandlungen der ergrimmten Karusselleltern ertrug sie mit unerschütterlicher Ruhe.
Der Tag war in langweiliger, trüber Einförmigkeit verstrichen, und unterstützt durch den strömenden Regen begann die Dämmerung sich früher geltend zu machen, als eine weibliche Person von der Straße nach dem Karussellplatz hinaufbog und sich hastigen Schrittes der grünen Arche näherte. Ohne Säumen erstieg sie die sechs Stufen, und nachdem sie auf der kleinen Plattform unter dem vorspringenden Schutzdach, das überflüssige Wasser von ihren Kleidern und dem triefenden Regenschirm geschüttelt hatte, klopfte sie an die Eingangstür.
»Habe ich die Ehre, Herrn Lenkhart zu Hause zu treffen?« fragte sie befangen, als die Karussellmutter öffnete und sich nach ihrem Begehr erkundigte.
»Zu dienen,« antwortete diese nicht minder gebildet, durch eine anmutige Armbewegung die Fremde zu sich hereinnötigend, und zugleich klappte sie einen Feldstuhl für sie auseinander.
»Im Auftrage der Fräulein Kabul komme ich,« bemerkte erstere, eine einfach und züchtig gekleidete Person mittleren Alters, auf deren leidendem Antlitz die Spuren früherer hoher weiblicher Reize erkennbar waren, »ein junges Mädchen namens Maßlieb soll unter Ihrem Schutze leben.«
»Meine Tochter, meine Tochter,« fiel die Karussellmutter verbessernd ein, indem sie einen Blick des Einverständnisses mit dem Admiral wechselte, dann fuhr sie laut genug fort, um in jedem verborgenen Winkel der Arche verstanden zu werden: »Herzlich danke ich Fräulein Kabul für die meiner Tochter bewiesene Teilnahme, und ich freue mich, berichten zu können, daß mein wildes Maßliebchen sich wohl und munter befindet.«
»Viel Unglück hat Fräulein Kabul in jüngster Zeit betroffen,« versetzte die Fremde, »so daß die Einsamkeit ihr zur Qual wird. Sie richtet daher die Bitte an Sie, das junge Mädchen auf einige Zeit an sie abzutreten.«
»Obwohl das gütige Anerbieten mich überrascht,« antwortete die Karussellmutter vertraulich-innig, »so bin ich nach den letzten Erfahrungen doch nicht abgeneigt, darauf einzugehen. Ich befürchte nur, daß wir bei dem etwas verzogenen Kinde auf Widerstand stoßen – doch versuchen Sie es selber; ich gebe zu allem meine Zustimmung, was dazu beiträgt, segensreich auf das Gemüt meiner armen, mißleiteten Tochter einzuwirken.«
Die Fremde erhob sich und trat auf ein Zeichen des Admirals zu Maßlieb in das Gefängnis. Ein Lämpchen erhellte es, so daß beide sich gegenseitig in die Augen zu schauen vermochten. Der Anblick der scheinbar leidenden Fremden mit dem wohlwollenden Zug um die blaßroten Lippen übte offenbar einen günstigen Eindruck auf Maßlieb aus, und dennoch war sie im Begriff, die bereits durch die Bretterwände hindurch vernommene Einladung abzulehnen, als die Fremde sich ihr mit geheimnisvollem Wesen zuneigte und den Namen »Schwärmer« flüsterte.
»Keine Unvorsichtigkeit,« fuhr sie beinah unhörbar fort, »der alte Mann stirbt vor Sehnsucht nach Ihnen, und nicht die alte Dame, sondern er selber schickte mich ab. Nur Vorwand ist die Einladung. Willigen Sie ein« – und nun begann sie laut zu wiederholen, was sie den Karusselleltern gegenüber ausgesprochen hatte.
Maßlieb hörte sie ruhig zu Ende. Ihr armes Herz zitterte vor Freude, als sie den Namen ihres alten Begleiters hörte, und dennoch wagte sie kaum zu antworten, aus Furcht, die Aussicht auf ihre Befreiung wieder zu vernichten.
»Ich werde mit Ihnen gehen,« sprach sie leise, und nachdem sie ein Tuch um ihr Haupt geschlungen hatte, hüllte sie sich in ihren abgetragenen Schal.
»Ich werde mit dieser Dame gehen,« wiederholte sie, bei den Karusselleltern eintretend. Ihr Antlitz glühte dabei wie im Fieber, und starr hielt sie die Augen auf den Fußboden gesenkt; sie sah daher nicht die Blicke der Befriedigung, die über sie hin gewechselt wurden, nicht das teuflisch triumphierende Lächeln, mit dem die beiden Gatten ihre Hast beobachteten.
»So gehe denn,« sprach der Admiral salbungsvoll, »gehe und vergiß nie deine Eltern –«
»Nein, vergiß sie nicht,« fiel die Karussellmutter lebhafter ein, indem sie Maßlieb umarmte und auf die Stirn küßte, »wer weiß, wann wir uns wiedersehen, denn wir warten nur auf günstiges Wetter, um von hier fortzuziehen. Gehe, meine Tochter, grüße Fräulein Kabul – und – und möge des Himmels Segen mit dir sein für und für!«
Stumm trat Maßlieb auf die Plattform hinaus und gleich darauf stand sie unten im strömenden Regen. Ein Weilchen zögerte sie. Es trieb sie, Kappel Lebewohl zu sagen; allein fürchtend, sich noch im letzten Augenblick zu verraten, ergriff sie schnell den ihr gebotenen Arm der neben sie hintretenden Fremden, und diese mit sich fortziehend, eilte sie an dem verhangenen Marstall vorbei, aus der Nähe der grünen Arche.
»Der gute Schwärmer, wie er sich freuen mag, seinen Liebling wiederzusehen!« sprach die Fremde, indem sie in die nächste Straße einbogen, dann schien der vom Sturm gepeitschte Regen ihr die Stimme zu rauben. Ein Mietswagen kam ihnen entgegen. Die Fremde rief ihn an und nötigte Maßlieb, einzusteigen.
»Der Weg ist zu weit für uns bei solchem Wetter,« bemerkte sie ermutigend, »zumal Schwärmer gezwungen war, seine Wohnung zu wechseln. Er fürchtete im Hause Nathans fernere Nachstellungen.«
Maßlieb war unfähig zu antworten. Eine namenlose Angst ergriff sie. Unerklärlich erschien ihr, daß ihr greiser Freund plötzlich die Mittel besaß, einen Wagen für sie zu mieten. Und der Wagen selbst; noch nie hatte sie in einem solchen gesessen. Sie meinte ersticken zu müssen. Und dann die rasselnde Bewegung, die Schnelligkeit, mit der zu beiden Seiten die Laternen aufeinander folgten. Ein Gefühl beschlich sie, als hätte sie sich auf dem Wege zur Schlachtbank befunden, und um ihre Besorgnisse dadurch zu verscheuchen, begann sie die auf beiden Seiten vorüberfliegenden Laternen zu zählen.
Zehn – zwanzig – fünfzig – hundert, und immer mehr und mehr, bis sie endlich die Zahl vergaß und ihre Aufmerksamkeit den Gebäuden zuwandte. Diese rückten näher zusammen und lagen so düster da, daß die Behausung des weisen Nathan im Vergleich mit ihnen die Bezeichnung eines Palastes verdiente. Immer weiter und weiter, bis der Wagen endlich mit einer heftigen Bewegung anhielt und ihre Begleiterin fast ebenso schnell den Kutschenschlag aufstieß.
»Hu, wie's regnet!« sprach sie, indem sie Maßlieb voraus auf die Straße sprang und dem Kutscher das Fahrgeld reichte; dann nahm sie Maßliebs Arm, und bevor diese zum rechten Bewußtsein ihrer Lage gelangte, war sie mit ihr in eine schmale Gasse eingebogen.
»Wohin führen Sie mich?« fragte Maßlieb, von neuem Entsetzen ergriffen.
»Zu dem alten Komödianten,« antwortete die Fremde lachend, daß es Maßlieb durch die Seele schnitt, »gleich sind wir dort, und das Weitere wirst du ja sehen.«
Maßlieb fühlte ihren letzten Mut sinken. Sie dachte daran, sich von dem festen Griff ihrer Begleiterin zu befreien und der Schnelligkeit ihrer Füße zu vertrauen. Bevor sie aber noch zu einem Entschluß gelangte, wurde sie seitwärts mehrere Stufen hinabgezogen, wo eine niedrige Tür vor ihr lag. Ihre Begleiterin zog eine Klingel, die wie in weiter Ferne dumpf verhallte.
»Nicht hier, nein, nicht in dieses Haus!« flehte Maßlieb in ihrer Herzensangst. Die Stimme versagte ihr, die Tür wurde geöffnet und vor ihr stand ein Weib mit zahnlosem Eulengesicht, zottigem, grauen Haar und in einer unsauberen Kattunhülle, das, die rußgeschwärzte Lampe mit der Hand beschattend, den Eindruck hervorrief, als sei es eben einem Höllenpfuhl entstiegen.
Maßliebs Kräfte schwanden. Widerstandslos duldete sie, daß sie in den finsteren Flurgang hineingeschoben wurde, aber ein Schauder durchrieselte sie, als sie hinter sich die Tür zufallen hörte.
»Ist der alte Komödiant daheim?« fragte ihre Begleiterin mit plötzlich veränderter rauher Stimme und brutalem Ausdruck.
»Fortgegangen, teure Rosamunda,« schluchzte das Weib, teuflisch grinsend, denn Sprechen konnten die von ihr ausgestoßenen Töne nicht genannt werden, »fortgegangen schon vor Stunden; sagte mir, ich möchte bestellen an Maßlieb, sein Herzblatt, sie sollte nicht ungeduldig werden, wenn er auch fortbliebe zwei, drei Tage; und möchte sein Herzblatt lieben die alte Sarah, seine Freundin, und die schöne Rosamunda, so ist heute noch der Stolz der ganzen Männerwelt –«
»Pah!« fiel Rosamunda geringschätzig ein, den triefenden Regenschirm auf ein zerbrochenes Garderobenspind werfend, »was thu' ich mit 'nem alten Kulissenfuchser, wenn er nicht besser Wort zu halten versteht? Schickt mich aus, um seinen Schatz herbeizuholen, und jetzt, da ich ihm den Leckerbissen bringe, ist er zum Teufel.«
»Schadet's nicht, wenn fort ist die klimpernde Vogelscheuche,« röchelte Sarah, mit ihren langnägeligen, dürren Fingern Maßliebs Handgelenk fest umspannend, »ist nicht da die Vogelscheuche, tut's auch die Mutter Sarah, sie besitzt 'ne große Vorliebe für schöne Kinder –«
»Laßt mich hinaus,« flehte Maßlieb entsetzt, als die knöchernen Finger des Weibes ihr durch das feuchte Lockenhaar pflügten, »laßt mich hinaus – ich ersticke –«
»Wirst dich allmählich an alles gewöhnen,« spottete Rosamunda, indem sie die Widerstrebende dem Weibe nachschob, »die Mutter Sarah ist 'ne vortreffliche Frau, und wer bei ihr 'nen Kursus durchgemacht hat, der braucht sich nicht mehr vor der Welt zu schämen!« Sie lachte wild auf, daß es mißtönend durch die verworrenen Räumlichkeiten der Baracke schallte, – »nein,« wiederholte sie, »der braucht sich nicht zu schämen und schämt sich auch nicht mehr!«
Das Weib hatte eine Tür aufgestoßen, und zur Seite tretend, forderte es Maßlieb auf in den vor ihr liegenden, dürftig erhellten Raum einzutreten. Vor Maßliebs Augen drehte sich alles im Kreise. Eine erstickende Atmosphäre strömte ihr entgegen: erzeugt von schwelenden Lampen, glimmendem Tabak der gemeinsten Sorte, von Speiseresten und Torfrauch spendenden Öfen.
Erst nachdem Rosamunda sie bis in die Mitte des grauenerregenden Raumes hineingedrängt hatte, begannen die einzelnen Gegenstände sich vor ihren ratlos umherschweifenden Blicken zu trennen.
Teils auf zusammengeschobenen Stühlen, teils auf bankartigen Pritschen, unförmliche Bündel als Kopfkissen und schreckliche Steppdecken über sich hingezogen, lag wohl ein Dutzend weibliche Gestalten an den Wänden umher. Meist jugendlich, zeigten die verschiedenen Physiognomien doch das unverkennbare Gepräge tiefer Sittenlosigkeit und einer im Feuer des Lasters verhärteten Gleichgültigkeit. Manche schliefen, mehrere rauchten Zigaretten, während noch andere eben aufgewacht zu sein schienen, und mit völliger Stumpfheit auf die Eintretenden hinstierten.
»Dies sind meine Küchlein,« krächzte das Weib, die Hand in weitem Bogen schwingend, »und so muntere, gutgeartete Küchlein, wie nur je gebrütet wurden aus den goldenen Eiern eines Vogel Phönix –«
»Wie sie schön tut mit dem neuen Fisch, der auf ihre Angel gebissen hat!« höhnte eins der elenden Geschöpfe mit einer Stimme, die an das Organ eines in der Trunkenheit gealterten Kärrners erinnerte.
»Still, da hinten,« keifte Sarah, »möchte ich doch 'was drum geben, daß du selber nicht angebissen hättest, so ich gehabt habe an dir nur Schaden und obenein Schimpf!«
»Du lügst, Mutter Sarah!« erwiderte die Person feindselig; »heute nach zehn Jahren magst du so sprechen; denn um aus dieser Spelunke des Satans zu kommen, müßte ich von neuem geboren werden. Allein ich weiß die Zeit noch genau, in der du in deiner zusammengestohlenen Garderobe keinen Mullrock fandest, den du für gut genug für mich befunden hättest, und du deine Seele dem Teufel darauf verschworest, daß ich die lieblichste Elfe sei, die jemals das Gehirn eines Mannes in Flammen setzte? Hahaha! Mutter Sarah! Du bist 'ne undankbare Kreatur und wirst's so lange treiben, bis ich –«
»Still, still!« fiel die Megäre drohend ein, und warnend deutete sie auf Maßlieb, »wer gibt mir etwas für das, so ich selber gewesen bin? Zügle daher deine Zunge und erwäge, daß ich nicht komme allein, sondern bringe 'n Täubchen der Unschuld, dessen Ohren sind nicht gewöhnt an verworfene Redensarten –«
»Sagtest du nicht dieselben Worte, als ich meinen Einzug hier hielt?« fragte das elende Geschöpf höhnisch, und mit einer Gebärde widerwärtigen Behagens schob es die Hände unter seinen Kopf. »Wie lange dauerte es dann, bis du – doch zum Teufel mit der Brüderschaft – bis Ihr, um neue Ankömmlinge nicht einzuschüchtern, diese vor mir warntet, wie jetzt den schwarzen Lockenkopf? Oh, Mutter Sarah, der Lockenkopf wird bald genug mit uns in einer Reihe schlafen! Ja, ja, mahlt immerhin Eure zahnlosen Kiefer aufeinander, als ob noch 'n paar Scherben drinnen säßen, ich kümmere mich den Henker drum! Und du da mit deinen Steinkohlenaugen, sei hübsch gescheit und benutze Mutter Sarahs Wohlwollen. Laß dir die schönsten und kostbarsten Kleider überwerfen und dich in 'ne Prinzessin verwandeln, denn du brauchst keine Miete dafür zu zahlen. Aber auch bei dir kommt die Zeit, in der du als Nachtfalter der Mutter Sarah Garderobe nur auf Stunden spazieren trägst und für 'n Paar weiße Strümpfe als Miete dein letztes natürliches Erröten hingibst! Hahaha! Was dann kommt, ist Schminke; rote und weiße; aber es hilft nicht, denn die Haut der Mutter Sarah selber ist trotz ihrer Hexenkünste Schweinleder geworden, zu schlecht um 'ne Hauspostille drin einzubinden.«
Maßlieb war einer Ohnmacht nahe, wie durch einen schwarzen Schleier hindurch sah sie, daß Rosamunda, von der sie zunächst Rettung hoffte, gelangweilt gähnte und ihre Arme träge ausreckte, dann fühlte sie sich wieder von dem scheußlichen Weibe fortgezogen.
»Sie ist dem Laster des Trunks ergeben,« raunte dieses ihr zu, indem es mit dem Fuße eine Tür aufstieß, »und trunkene Menschen reden irre, reden Dinge, so argwöhnisch machen nüchterne Menschen. Komm daher, mein Täubchen, ich will dich anvertrauen dem Schutze der Rosamunda, so ist ein Engel –«
Ein gellendes Gelächter schallte ihr nach, als sie gefolgt von Rosamunda, in das Nebengemach trat, ein Gelächter, so feindselig und mißtönend, daß Maßlieb in blinder Verzweiflung sich mit Gewalt von dem Scheusal losriß und dahinstürzte, wo sie eine andere Tür erblickte. Diese wich vor ihrem Druck zurück, und von Todesangst gegeißelt, setzte sie in der Finsternis ihre Flucht nach der Richtung fort, in der sie mehrere Lichtstreifen zwischen altem Holzwerk hindurchfallen sah. Die hinter ihr herkreischende Megäre und Rosamundas schadenfrohes Lachen verschärften ihre Angst. Anstatt nach einem Schloß zu suchen, warf sie sich mit Gewalt auf die Tür, daß diese aus den Angeln wich und sie mit den krachend nachgebenden Brettern zu Boden stürzte. Ein Fluch tönte ihr entgegen und erhöhte ihr Entsetzen, so daß sie wie betäubt liegenblieb. In der nächsten Sekunde aber fühlte sie sich mit Gewalt emporgezerrt, und als sie nach einem neuen Wege der Rettung spähend, ratlos um sich schaute, gewahrte sie an dem sie haltenden Manne vorbei einen mit Kohlenbecken und mancherlei Gerätschaften bedeckten Tisch, von dem drei andere Männer aufgesprungen waren und sichtbar erschrocken auf sie hinstarrten.
Derjenige, der sie hielt, war von athletischem Körperbau, bärtig und von verwildertem Aussehen, wogegen die anderen drei, ein Greis und zwei junge Burschen, den Eindruck hervorriefen, als ob sie in ihrem Leben weiter nichts als Hunger und verpestete Höhlenluft kennen gelernt hätten.
»Wie kommt das Weibsbild hierher?« schnaubte ersterer zu Sarah hinüber, und der halb ohnmächtigen Maßlieb schwanden die Sinne vollends unter dem wüsten Griff, mit dem seine Faust ihren Nacken umspannte, »wer zeigte ihr den Weg und hieß sie die Tür einstoßen?«
»Ist uns doch entsprungen das wilde Ding!« keifte das Weib zornbebend, während Rosamunda neben den Räuber hintrat, »'s ist entglitten meinen Händen wie 'n Aal – aber –«
»Aber,« fiel der Räuber wütend ein, und Maßlieb schrie laut auf, indem seine Eisenfaust ihren Hals heftiger drückte, »aber – du weißt, was es bedeutet, wenn jemand diese Schwelle überschreitet!«
»Die tut dir keinen Schaden, Schmelzer,« beteiligte Rosamunda sich jetzt an dem Gespräch, und sie legte die Hand auf den Arm des Mannes, dessen tierische Wut sich bei dem Ton ihrer Stimme sichtbar glättete, »nein, die am wenigsten; die ist zu einfältig und ich rate dir, von ihr abzulassen, wenn du nicht vorziehst, sie vor Schreck sterben zu sehen; und wohin dann mit ihr?«
»'s wär am kürzesten,« versetzte der Mann, doch zog er seine Hand von Maßlieb zurück, »und besser obenein, als von der Laune eines halben Kindes abzuhängen.«
»Ich frage noch einmal: Wohin mit ihr, wenn sie uns unter den Händen tot bleibt?«
»So geht zum Teufel,« schnaubte der Mann, Maßlieb die Aussicht auf den Arbeitstisch vertretend, »aber das Unglück über euch alle –«
Das Weitere verhallte für Maßlieb, indem das Weib sie mit sich fortzog. Rosamunda blieb dagegen zurück; erst nachdem der als »Schmelzer« Angeredete mit Hilfe seiner Genossen die Tür wieder einigermaßen befestigt hatte, folgte sie den beiden anderen.
Sie traf Maßlieb vor dem Weibe auf den Knien liegend und unter einem Tränenstrom der Verzweiflung flehend, daß man sie auf die Straße hinauslassen möge. Doch Sarah war unerbittlich.
»In einem solchen Unwetter hinausjagen, mein Täubchen,« fragte sie teuflisch grinsend, und ihre Geierkrallen pflügten wieder in Maßliebs weichen Locken, »hinausjagen, auf daß zugrunde gehe mein Schätzchen elendiglich auf der Straße? Nein, du bleibst; und wenn du erst kennen gelernt hast meine Hausordnung, wirst du lieben die alte Sarah und gern bleiben bei ihr. Und kleiden will ich dich, wie 'ne Prinzessin –«
»Schert Euch in Euer Nest, Sarah,« herrschte Rosamunda dem Weibe zu, »und überlaßt mir, mit dem Kinde fertig zu werden. Um jemand zu beruhigen, ist Eure Art nicht die richtige; im übrigen, 's ist Schlafenszeit, und ich habe keine Lust, meine Ruhe länger zum Opfer zu bringen.«
Sarah, obwohl Gebieterin des Hauses, hegte vor Rosamunda offenbar Scheu, denn sie entfernte sich grollend. Ein neuer Wortwechsel entspann sich im Vorzimmer zwischen ihr und den daselbst gebetteten, elenden Geschöpfen, allein auch der verstummte, nachdem Rosamunda einige Male mit der Faust an die Tür geschlagen hatte. Dann erst kehrte diese sich Maßlieb zu, die, ein Bild unsäglichen Jammers, mitten in dem Zimmer stand und mit ersterbenden Blicken Rosamundas Bewegungen verfolgte.
»Kümmere dich nicht um das Weib,« sprach sie begütigend, und mit unverkennbarer Bewunderung betrachtete sie das in seiner Todesangst noch immer schöne Mädchen, »die Mutter Sarah ist ein Drache, und hast du dich erst an sie gewöhnt, beachtest du ihre Teufelslaunen nicht weiter. So mache ich es wenigstens, und ich fahre nicht schlecht dabei.«
»In diesem Hause soll ich bleiben?« klagte Maßlieb, anfänglich durch Rosamundens Worte beruhigt, von neuer Todesangst ergriffen.
»Du mußt bleiben,« bestätigte diese höhnisch lächelnd, »denn wer einmal die Schwelle dieser Baracke überschritt, läßt die Welt hinter sich zurück, zumal du, die in der ersten halben Stunde mehr sah, als alle anderen im Laufe von Jahren. Aber ängstige dich nicht,« fuhr sie fort, die Arme reckend, »anfänglich wird's wohl nicht ohne Zwang abgehen, allein das gibt sich allmählich, dann noch einige Schritte weiter und – nun, weshalb sollt' ich's dir verschweigen, wenn du's nicht errätst? – und du bist da angelangt, wo andere aufhören, und schätzest dich glücklich, wenn in dieser Baracke ein sicheres Winkelchen dir zur Verfügung steht.«
»Warum ließen Sie mich nicht da, wo ich war?« jammerte Maßlieb, in ihrer Ratlosigkeit die Hände ringend, »was habe ich Ihnen getan, daß Sie mich hierher lockten?«
»Getan hast du mir nichts, aber du bist jung und schön,« erklärte Rosamunda bitter, »doch mach dir's bequem,« und sie deutete auf ein elendes Bett, »dort ist dein Platz und dieses hier meine Lagerstätte. Also munter; wir können noch ein Weilchen plaudern, wenn's dir Vergnügen macht, denn sobald werden wir wohl nicht einschlafen.«
Maßlieb schwankte nach der Bettstelle hin, und sich auf sie setzend weinte sie so bitterlich, als hätte sie in einem Tränenstrom ihre gefolterte Seele von dem armen mißhandelten, vor Kälte bebenden Körper trennen wollen.
Rosamunda hatte sich unterdessen halb entkleidet auf ihr Lager geworfen und eine Decke über sich hingezogen.
»Willst du die ganze Nacht da sitzenbleiben?« fragte sie endlich, als sie glaubte, daß Maßlieb wohl zur Genüge geweint habe, nun, ich hindere dich nicht. Die Lampe mag sogar brennen. Mir ergings anfänglich nicht besser; es dauerte indessen nicht lange, und ich schlief wie eine Ratte. Freilich,« und sie lachte feindselig, »ich war schon etwas vorbereitet worden, war bereits getäuscht, hintergangen, in meinen heiligsten Empfindungen mit Füßen getreten und demnächst zugunsten eines feilen Geschöpfs der öffentlichen Schmach Preis gegeben worden – hahaha! Maßliebchen, wie gefällt dir der Name Nailleka? Es gab eine Zeit, in der ich ihn mit Andacht aussprach! Später stellte ich die letzte Silbe vor die beiden ersten und es paßte vortrefflich. Hahaha! Wie der Zufall wunderbar selbst mit Namen spielt!« und sie stieß mit beiden Füßen an das untere Ende ihrer Bettstelle, daß sie laut krachte und in Trümmer zu brechen drohte.
Zitternd blickte Maßlieb zu Rosamunda hinüber. Obwohl von den Dämonen eines unauslöschlichen Hasses beseelt, mußte in deren Stimme etwas gelegen haben, was sie sanfter berührte, denn sie erhob sich zögernd, worauf sie sich zu ihr hinüberbegab, vor dem Bette niederkniete und ihre gefalteten Hände auf die zerfetzte Decke legte.
»Gibt es denn gar keine Möglichkeit, aus diesem schrecklichen Hause zu entkommen?« fragte sie leise, mit aller Macht gegen neues Schluchzen ankämpfend.
»Nein, Kind,« lautete es heiser als Antwort zurück, »warum sollte ich dich täuschen? Und wenn ich mir alles überlege, bist du hier kaum schlimmer daran, als in der Gesellschaft des Gaunerpaares, das dich fälschlich für seine Tochter ausgab.«
»Bei ihnen wollte ich nicht bleiben,« klagte Maßlieb so rührend, daß sogar Rosamunda die Wirkung davon empfand, »nein, bei ihnen nicht; Tag und Nacht harrte ich auf eine Gelegenheit, mich von ihnen zu trennen.«
»Wohin wolltest du fliehen?«
»Zu meinem alten Freunde – Sie kennen ihn – er spielte die Gitarre und ich sang dazu. Wir waren so glücklich –«
»Das nennt die glücklich!« fiel Rosamunda mit rauhem Lachen ein, »pah, der alte Mann hätte dir nicht lange mehr geholfen, seine Zeit muß bald um sein.«
»So lebt er gar nicht in diesem Hause?« rief Maßlieb bestürzt aus.
»Wir gebrauchten nur seinen Namen als Vorwand,« – antwortete Rosamunda.
»Nein, es ist nicht möglich, so schlecht könnten Sie nicht sein, so furchtbar, so grausam nicht an mir handeln!«
Rosamunda kehrte ihr Antlitz der Wand zu. Sie wußte nicht, woher es kam, allein die vorwurfsvollen Blicke aus den großen, dunklen Augen, sie konnte sie nicht ertragen.
»Wärest du mir etwa gefolgt, wenn ich die Wahrheit eingeräumt hätte?« fragte sie nach einer längeren Pause.
»Nimmermehr! Lieber wäre ich in den Tod gegangen!«
»Oder wenn ich dich in das Haus der verschrobenen Kabul geführt hätte?«
»Auch dahin nicht; nein, niemals! Getäuscht und betrogen habe ich sie; um keinen Preis möchte ich ihr unter die Augen treten!«
»Betrogen?«
»In meiner Herzensangst und aus Furcht, von den Lenkharts wieder aufgefunden zu werden, sagte ich ihr einen falschen Namen, und dann fehlte mir der Mut, mein Unrecht einzugestehen.«
»Das war also dein ganzer Betrug?« spöttelte Rosamunda; dann wurde sie ernst. Eine gewisse Achtung erfüllte sie vor derjenigen, die, trotz ihrer ungezügelten Vergangenheit, eine so scharfe Grenze zwischen Recht und Unrecht zog.
»Maßlieb,« hob Rosamunda endlich wieder an, und um den angstvollen Blicken nicht zu begegnen, betrachtete sie ihre eigene Hand, mit der sie eine der dunkelbraunen Locken spielend ausreckte und wieder zusammenschnellen ließ: »eigentlich bedaure ich dich, und fast glaube ich, du wärest bei dem verruchten Ehepaar besser aufgehoben gewesen, als hier in diesem Hause; aber was einmal geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.«
»Wer verursachte denn, daß ich hinterlistig hierher gelockt wurde? Wen habe ich gekränkt oder benachteiligt, daß er so schweres Mißgeschick über mich verhängte?« fragte Maßlieb mit herzzerreißendem Ausdruck; »war ich als Landstreicherin nicht elend genug? Soll ich auch noch für andere auf den Straßen betteln?«
Ein tolles Lachen schreckte sie von Rosamunda zurück. Diese aber brach plötzlich mitten in ihrem Lachen ab, und Maßlieb fest anschauend, fragte sie mit feierlichem Ernst:
»Du glaubst, zum Betteln hierhergebracht zu sein?«
»Was könnte man sonst von mir verlangen?« erklärte Maßlieb mit unbeschreiblich rührender Unschuld, »ich sehe ja nur Elend und Not ringsum.«
»In seidenen Kleidern und mit geschminktem Antlitz geht man nicht betteln,« versetzte Rosamunda erschüttert, denn von dem Pflegekinde vagabundierender Karussellbesitzer hatte sie sich ein ganz anderes Bild entworfen, »doch das verstehst du nicht,« ihre Stimme klang noch tiefer und rauher, »sage mir lieber, ob du den weisen Nathan kennst.«
»Mehrere Wochen wohnte ich in seinem Hause, allein nie sah ich ihn.«
»Du ahnst nicht, ob du in irgendwelcher Beziehung zu ihm stehst?«
»Ebensowenig, wie ich ihn jemals sah, kennt er mich persönlich,« beteuerte Maßlieb.
Rosamunda blickte wieder sinnend auf die um ihren Zeigefinger gewundene Locke.
»Und doch muß es sein,« sprach sie nach einer Weile wie in Gedanken, »und gute Beziehungen sind es schwerlich, oder er hätte ein anderes Asyl für dich gewählt, als gerade diese Höhle des Lasters und des Verbrechens – doch was kümmert's mich?« fuhr sie plötzlich wild auf und Maßlieb von sich fortstoßend, warf sie sich wieder nach der Wand herum, »zum Teufel, was kümmert mich dein Schicksal? Leg' dich schlafen, – ich habe nicht länger Neigung, mir das Herz von dir in der Brust herumdrehen zu lassen.«
Maßlieb, noch immer auf den Knien liegend, wäre durch den Stoß beinahe auf den Rücken geworfen worden. Trotzdem fühlte sie sich durch das leidenschaftliche Verfahren ermutigt, dann sich mit den Armen und Haupt über das Bett hinneigend, brach sie in so heftiges Schluchzen aus, daß sie nur noch unverständliche Worte hervorzubringen vermochte.
»Soll ich ganz verlassen sein,« klagte sie leise, »gibt es keinen Menschen mehr auf der Welt, der sich meiner erbarmt? O, Fräulein Rosamunda, hier liege ich vor Ihnen auf den Knien, und inständig flehe ich zu Ihnen: Nehmen Sie sich meiner an; helfen Sie mir fort von hier, bevor ich vor Angst und Entsetzen sterbe. Und wenn der schreckliche Mann da drinnen meinte, ich würde über das sprechen, was ich hier sah – und ich sah ja nichts Böses – nur Jammer und Elend – so täuscht er sich. Ich will vergessen, wo ich war – will Ihr Andenken segnen – nur fort aus diesem Hause –« sie konnte nicht weiter. Ihr Antlitz in die Decke vergrabend, schluchzte sie, als ob ihr armes, geängstigtes Herz nunmehr gänzlich gebrochen wäre.
Rosamunda hatte sich halb aufgerichtet. Ihr Antlitz glühte, wild erregte Leidenschaften leuchteten aus ihren Augen und knirschend preßte sie die Zähne aufeinander.
»Hättest du mir alle süßen Namen beigelegt, die ich in goldenen Tagen von den heuchlerischen Lippen eines Schurken hörte,« murmelte sie über das krampfhaft zuckende Haupt hin, »oder alle Namen, die ich heute verdiene; wärst du mir mit Abscheu und Verachtung begegnet, oder hättest du mich gar geschlagen, höchstens würde es mir Lachen entlockt haben. Allein mein Andenken segnen willst du? Das Andenken einer Verworfenen?« Sie griff mit beiden Händen nach ihrem Halse, wie um sich selbst zu erdrosseln, und erschütternder entwand es sich ihren Lippen; »mich segnen? Nein, das ertrage ich nicht, nachdem ich so oft verflucht worden bin, nachdem ich selbst mich so oft verfluchte! Mich willst du segnen, die noch nie in ihrem Leben einen Segen kennen lernte? Gut, mögen sie mit dir machen, was sie wollen, ich leihe ihnen meine Hand nicht – nein. Maßlieb,« sprach sie lauter und freier, indem sie das auf ihrem Schoße ruhende Lockenhaupt aufrichtete und das jugendlich schöne Antlitz zwischen ihre Hände nahm, »fort von hier bringen kann ich dich nicht, es würde mich das Leben kosten – was ich um anderer willen vermeiden muß, – aber deine Freundin will ich sein, und in einem Hause wie dieses ist das viel wert. Nun aber beruhige dich, Maßlieb, und wenn ich von jetzt ab noch unglücklicher sein werde, so hast du es verschuldet. Aber ich zürne dir deshalb nicht – nein – ich wiederhole: Deine Freundin will ich sein – aber nun gehe, lege dich nieder und versuche zu schlafen.«
Sie wollte Maßlieb auf die Stirn küssen, doch wie vor der Ausübung eines Verbrechens bebte sie schaudernd zurück; »ja, gehe und mache es dir so bequem, wie die elenden Mittel es erlauben.«
»Ich fürchte mich,« hob Maßlieb zitternd an.
»Nein, fürchte dich nicht,« fiel Rosamunda eigentümlich milde ein, »solange ich in deiner Nähe weile, bist du sicher; selbst das Weib, die Sarah, hat keine Gewalt über dich – und nun gute Nacht – gute Nacht. Sage mir, wenn ich die Lampe auslöschen soll. Das Dunkel der Nacht bietet dir Gelegenheit, dich im Geiste auf andere Stellen zu versetzen, und entzieht dir den Anblick der häßlichen Umgebung – gute Nacht, Maßlieb, gute Nacht!« Wiederum kehrte sie sich der Wand zu, und die Decke zog sie über ihr Haupt, um die jugendliche Gefährtin nicht mehr zu sehen, ihre Stimme nicht mehr zu hören.
Wie eine Träumende schwankte Maßlieb nach ihrem Lager hin. Ihr Herz war so schwer, so unendlich schwer, daß sie hätte sterben mögen, und doch fühlte sie sich nach ihrem letzten Gespräch mit Rosamunda getrösteter. Ein kaum bemerkbares Fünkchen von Weiblichkeit hatte noch in der Asche eines verkohlten Herzens geglommen und unter dem unbewußten Einfluß reiner, kindlicher Wahrheit sich zu regen begonnen.
»Gute Nacht!« rief Maßlieb schüchtern, indem sie fröstelnd die Decke über sich zog – »gute Nacht, ich liege jetzt.«
Die Lampe erlosch, und still wurde es in dem Gemach. – –