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Wenn man sie so sieht, wie sie als gehorsame, gelehrige, aufmerksame Schülerin den Ideen des Gatten folgt und an seinen Lippen hängt, so könnte man glauben, daß er ganz und gar die Initiative habe; und doch ist das Gegenteil der Fall.
Jetzt, wo sie er selbst ist, ganz erfüllt von ihm, ganz verwandelt in ihn, jetzt, wo sie seine Seele (und noch dazu seine rein bewahrte Seele) ist, liegt es ganz im Interesse des Mannes, daß sie schalte und walte, daß sie im Hause herrsche.
Um es gerade heraus zu sagen, er vermag es nicht mehr. Der Strudel des Lebens, das stete Wachsen seiner Geschäfte lassen ihn nicht mehr los, und die kleine Welt seines Hauses wird ihm beinahe fremd. Dies ist die Wirkung des Fortganges der Zeit, der Einseitigkeit, welche uns der spezielle Beruf aufnötigt, es ist die Wirkung des Erfolges; der Mann entfernt sich, wie vom Schwindel gepackt, immer mehr von sich selbst. Was sollte aus ihm werden, wenn er sich ganz dieser centrifugalen Kraft überließe? Wenn der Mittelpunkt ihm fehlte, der feste Punkt, zu dem zurückzukehren ihn die erschöpfte Natur doch tagtäglich zwingt? wenn dieser Punkt zu schwanken begönne, und ihm weder Stütze noch Rast gewährte? Was dann geschieht, kann man in all den Häusern beobachten, wo die Gattin des Mannes treueste Wächterin, das heilige Feuer des Herdes erkalten läßt.
Seltsame Inkonsequenz unserer Zeit! Handelt es sich darum, zu glänzen, zu erobern, sein Glück zu machen, so sind sie alle, was sie Realisten nennen, d. h. grobe Materialisten. Gilt es, die thätigen Kräfte, durch die man glänzt und erobert, zu erneuern, zu unterhalten, so sind sie sorglos, wie ein Spiritualist, der dem Körper nichts, dem Geiste alles verdanken zu müssen glaubt. Unsere Nahrung wird uns für gewöhnlich durch unsre Dienstboten, durch unsre Feinde bereitet; oder so aufs Geratewohl durch die großen Küchen, welche täglich Tausende von Menschen, bei denen Gesundheit, Temperament, Beschäftigung, Lage – alles verschieden ist, genau auf dieselbe Weise ernähren. Und doch ist diesem Gift, was jenem heilsam.
Wenn ihr den Körper (der doch das notwendige Werkzeug eurer Thatkraft ist) also verachtet, so habt doch wenigstens Achtung vor eurem Gedanken, eurem Willen, die Tag für Tag von eurer Diät beeinflußt werden. Ihr steht unter der Herrschaft eurer Köchin. Die ungesunde, aufregende Nahrung, die sie euch heute Abend gegeben hat, wird in der Nacht euren Magen beschweren und infolgedessen euren Geist. Morgen oder übermorgen wird diese schlechte Nahrung übereilte, heftige, was weiß ich, vielleicht leichtfertige Entschließungen, irgend eine große Thorheit zu Wege bringen.
Ich behaupte, ihr Börsenmänner, daß der Einfluß, den eure Nahrung auf euch übt, mehr als irgend ein Kalkül euch zu Haussiers oder Baissiers macht.
Mir, der ich stets ein Anwalt der Rechte des Geistes gewesen bin, kommt es wohl zu, hier diese Wahrheiten des gesunden Menschenverstandes, zu denen sich, wenn man sie hört, alle bekennen, und die zu realisieren doch keinem einfällt, auszusprechen.
Der bösen Circe, welche die Menschen in Tiere verwandelt, muß man die gute, welche die Tiere in Menschen umschaffen kann, entgegenstellen. Die gute Circe ist die liebevolle, voraussichtige Gattin, die Tag aus Tag ein dein physisches Leben mit zärtlicher Sorgfalt überwacht, die keine schönere, edlere, heiligere Pflicht kennt, als die Pflege des geliebten Mannes. Sie wird einen wichtigen Brief, eine dringende Arbeit, mit der sie in deinem Interesse, zu deiner Hilfe beschäftigt war, im Stich lassen, wenn es sich um das höhere Werk, die Bereitung deines Mittagessens, handelt.
Sie wird sich nicht so ohne weiteres auf die einfältige, gleichgültige Köchin verlassen, die deinem Magen schwerverdauliche oder kraftlose Nahrungsstoffe, die nur deinen Gaumen kitzeln, ohne zum Ersatz der verbrauchten Kräfte beizutragen, bietet. Sie wird ihre schönen Hände nicht für zu schön halten, wo es sich um solche Zwecke handelt. Ist doch dein Leben ihr Leben; hat sie doch das größte Interesse daran, daß du frisch und kräftig bleibst. Wem gilt denn das erste Lächeln des Mannes, wenn er sich nach des Tages Last einmal wieder behaglich fühlt? ... An dir ist es, ihre Sorge mit Liebe zu bezahlen.
Sie hat die vollständige Bilanz deines Lebens fortwährend im Auge, im Gedächtnis, im Herzen; sie weiß besser als irgend ein anderer, was du in der Arbeit, im Sprechen an Kräften ausgiebst, und mißt dir darnach deine häuslichen Freuden zu. O, wie sehr Recht hast du, wenn du sie, nicht ohne ein wenig dabei zu brummen, sehr genau nennst. Womit nimmt sie es denn am genauesten? mit dem Gelde? nein, vor allem mit dem, wovon sie am wenigsten spricht, und was sie selbst doch am meisten angeht. Sie ist dein gewissenhafter Arzt, der den Krankheiten geschickt vorzubeugen weiß, stets besorgt ist, stets moderiert, und besonders darüber wacht, daß du wenig ausgiebst, immer die ausgegebene Kraft reichlich ersetzest, und so stets einen Überschuß an Kräften für deine Arbeiten hast. Das Feuer deines Blicks, die Spannkraft deines Lebens, die energische Thätigkeit, um deretwillen dich die Welt bewundert, hast du der uneigennützigen Liebe zu verdanken.
In allen Liebeswerken ist sie wohl erfahren. Sie weiß sehr gut, wieviel Nahrungsstoff die Speisen enthalten, weiß, welche schnell, welche langsam, aber desto nachhaltiger wirken. Sie weiß auch, daß, wenn die kräftigere, aufregendere Nahrung, welche sie dir für die Tage größerer Anstrengungen aufspart, den rechten Dienst leisten soll, die Organe durch eine leichtere Diät vorher zu dieser größeren Thätigkeit vorbereitet sein müssen.
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So sehr läßt sich die Gattin dies alles angelegen sein, daß sie oft mehr seinem Essen zusieht als selber ißt. Trotz all ihrer Achtung vor ihm traut sie ihm doch nicht ganz. Der Mann, wenn er am Abend nach Hause kommt, ist selbstredend zu sehr geneigt, die verlorene Kraft zu ersetzen, wie es eben geht. Wir Männer, die wir auf das energische Schaffen angewiesen sind, haben sämtlich gewisse barbarische Seiten; wir wollen Stärkungsmittel, wollen sie aber oft im Übermaß. Sie, die nicht ermüdet, und deshalb um so nüchterner und vorsichtiger ist, braucht oft ihre Gewandtheit, damit er sich dieser natürlichen Neigung nicht zu sehr überläßt; ja sie täuscht ihn ein wenig, wenn es sein muß. Man rühmt die Frauen, die sich auf Kunstgriffe nicht verstehen; ich wünsche, daß sie sich recht darauf verstehen; daß sie reich sind an jener unschuldigen Schlauheit, die sie zu unserm Glück die Liebe lehrt. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, wird sie, keusch und rein wie sie ist, und so sehr darauf bedacht, ihn zu schonen, keinen Anstand nehmen, sich selbst zu weihen. Ist er doch alles in allem ihr Pflegling; und wenn das Kind nicht artig ist, so darf sie ja auch wohl ohne Harm ein wenig das Kind spielen. Diese zärtliche Zuvorkommenheit überrascht ihn, entzückt ihn, schmeichelt nebenbei auch seiner Eitelkeit und läßt ihn glauben, daß auch die Vernünftigste manchmal schwache Augenblicke habe, und gerade dann thut die einsichtsvolle Güte ihr wohlbedachtes Werk des Mentors und Arztes.
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Die Frauen kennen ihre eigene Macht nicht, oder verschmähen es, sie zum Wohl ihrer Familie anzuwenden. Und doch ist es gewiß, daß sie mit einem Ehemann, der sich einer gleichmäßigen Gesundheit erfreut, der außer dem Hause kein Verhältnis hat, auch keins haben will, zu gewissen Zeiten machen können, was sie wollen. Die Begierde ist bei dem Manne ungeduldig und heftig und deshalb um so leichter zu befriedigen. Die häufig kranke, durch ihre Wochenbetten und durch den regelmäßigen Verlust an Lebenskraft erschöpfte Frau, bringt selten die so wesentlich verschiedene Natur des Mannes, dessen Kraft konzentriert bleibt, und bei dem mithin das Verlangen erst sehr spät im Leben nachläßt, in Rechnung. Dennoch ermüdet, langweilt er sie bald. Seinem Wunsche kommt sie nicht entgegen, hat manchmal nur ein mitleidiges Lächeln dafür.
Mit einem Worte, sie wissen es so gut einzurichten, daß er, anstatt eine schon verblühte Frau zu quälen, sich eine junge Maitresse anschafft.
Wer hat, gegen die Damen, die Kameliendame geschaffen?
Ihre eigene Prüderie.
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Wenn am Abend der Gatte ein zärtliches Wort wagt, antwortet sie: »Wie leichtfertig! Du scherzest wohl!« – Nein, Madame, oft ist ihm gar nicht scherzhaft zu Mute, er leidet, es ist ihm ein Bedürfnis, zu vergessen. Es bedarf des süßen Trostes, welchen die Frau den Arbeiten des Mannes schuldig ist. Für euch kämpft er den harten Kampf des Lebens, von dem ihr nur die Ruhe und den Genuß habt. Es ist ihm Bedürfnis, die Sorgen seiner Geschäfte, die Ungerechtigkeit und Willkür seines Chefs, die Intriguen und Verleumdungen seiner Nebenbuhler zu vergessen. Ein Kuß von euch, ein Wiedererwachen von Zärtlichkeit, Teilnahme an seinem Kummer, mit einem Worte jene innige Vereinigung, die seine ermüdete Seele erquicken würde – das ist es, was er bedurfte.
»Aber, lieber Freund, in unserm Alter (sie sind vielleicht vierzig Jahre), wenn man erwachsene Kinder hat ... das wird wirklich lächerlich.«
Er hat sie den ganzen Abend hindurch einem anmaßlichen Dummkopf gegenüber, an den sie ihre süßesten Blicke verschwendete, die Junge und Angenehme spielen sehen. Nun ist sie mit einemmale alt. Gut, er nimmt sie beim Wort; und wird sich anderswo zu entschädigen suchen.
Er geht fort, nicht bloß verkürzt um das, was ihm zukam, sondern tief gekränkt. Oft kann man von diesem Abend die Scheidung datieren. Er flieht – nein, er haßt sie. Der Übergang ist oft sehr schnell. Morgen wird er sich eine Schauspielerin kaufen und sich in ein neues Leben stürzen. Wehe der Frau! wehe den Kindern!
Sie sagt vielleicht: »Weshalb beschuldigt man mich? Ich weiß sehr wohl, wozu mich die Gebote Gottes und der Kirche, das Gelöbnis der Ehe verpflichten. Ich war ihm Kinder schuldig; ich habe ihm welche gegeben. Wenn es sein muß, bin ich stets bereit, meine Pflicht zu erfüllen; ich thue, was ich thun muß, aber nichts für das bloße Vergnügen, nichts für die Laune eines Augenblicks«.
Und glaubt ihr denn, daß dem Gatten diese traurige Passivität genügt, daß es ihn nicht bis ins Herz erkältet, wenn ihr seinem heißen Verlangen nur kalte Ironie entgegenzusetzen wißt? O, Einsamkeit! Scheidung in vollster Vereinigung! Verzweiflung ... Welches Cölibat wäre einer solchen Ehe nicht vorzuziehen!
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Sie ist keusch dem Ehemann gegenüber? Ist es ausgemacht, daß sie dem Hausfreund verweigert, was sie dem Gatten vorenthält?
Hören Sie, Madame, die Sie die Lust in so genauen Dosen abzumessen verstehen, aufmerksam folgende kleine Geschichte an:
Die Mutter fragt das Kind, wieviel Zuckerwerk es haben will ... » Zuviel.« – Man hatte dem Kinde jedesmal, so oft man ihm was gab, gesagt, daß, was darüber, zuviel sei. Und gerade dies Zuviel wollte es haben.
In der Liebe ist es nicht anders; genug genügt ihr nie.
Und dies Zuviel, das euch erschreckt, ist für eine kluge, liebenswürdige und liebevolle Frau so wenig! Manchmal ist es eine so unbedeutende Kleinigkeit, daß man um sie zu bitten sich scheuen würde; eine bloße Kinderei.
Je angestrengter, sorgenvoller das Leben des Mannes draußen in der rauhen Welt ist, desto mehr bedarf er im Hause der Liebe. Die verständigste Frau weiß, daß solche Stunden ihre Rechte haben. Sie weiß, daß er sie deshalb nicht für weniger keusch, weniger ernst halten wird. Im Gegenteil, je mehr er weiß, wie sehr sie es ist, desto mehr weiß er ihr Dank für den Kontrast. Er erkennt darin nicht ohne Rührung ihre Zärtlichkeit. Es überrascht ihn aufs Freudigste, wenn dieser liebe Genosse, dessen Eifer für sein Wohl er kennt, alles im Stich läßt und nur daran denkt, wie sie ihn trösten, zerstreuen, erheitern kann. Er lacht, aber er ist gerührt. Ein zärtliches Wort, eine unerwartete Liebkosung, ein Minimum von Schalkheit und Mutwillen, in dem sich das junge Mädchen einmal wieder zeigt, ist von unwiderstehlicher Wirkung. Dagegen hält kein Ernst und kein Kummer Stand. Nie erhellte sich das launische Meer, wenn in seinen düstersten Momenten ein plötzlicher Windstoß den dichten Wolkenschleier zerriß, so köstlich.
Die Frau hat nicht wie wir unter der Monotonie der Berufspflichten zu leiden, und so bleibt sie zu jeder Zeit geistig frisch und kräftig. Die Einfachste zeigt oft einen überraschenden Reichtum natürlicher Gaben, verborgene, geheime Schönheiten, weiß so lebhafte, reizende Antworten zu geben, erscheint plötzlich in ihren Bewegungen so jung und anmutig, wie ihr Gatte sie in zehn, zwanzig Jahren nicht gesehen hat.