Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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VIII. Heilung des Herzens.

Sind der Ehebruch der Frau und der Ehebruch des Mannes gleich strafbar? Ja, als Treulosigkeit, Verletzung des Gelübdes. Nein, in tausend anderen Beziehungen.

Der Verrat der Frau hat ungeheure Folgen, welche der des Mannes nicht hat. Die Frau verrät nicht bloß ihren Gatten, sie giebt sein Leben, seine Ehre preis; sie bewirkt, daß man mit Fingern auf ihn zeigt, ihn auspfeift, Spottlieder und Karikaturen auf ihn macht; sie bringt ihn in die Alternative, getötet zu werden, einen Menschen zu töten, oder lächerlich zu bleiben; es ist beinahe dasselbe, als ob sie einem Meuchelmörder zur Nacht den Schlüssel auslieferte.

Für die ganze übrige Zeit seines Lebens wird er moralisch gemordet sein. Weiß er doch nicht, ob das Kind wirklich sein Kind ist! Muß er doch eine zweifelhafte Nachkommenschaft großziehen, ausstatten, oder dem Publikum die Unterhaltung eines Prozesses gewähren, in welchem er, mag er verlieren oder gewinnen, immer seinem Namen eine lächerliche Berühmtheit sichert.

Es ist Wahnsinn, zu behaupten, die Frau habe nicht mehr Verantwortlichkeit als der Mann. – Der Mann ist eine thätige Kraft, welche die Familie erhält, aber sie ist das Herz der Familie. Sie allein weiß das Geheimnis derselben; sie allein hütet das Allerheiligste der häuslichen Religion, sie allein bestimmt über alle Zukunft. Sie allein kann die Legitimität der Nachkommenschaft feststellen. Die Lüge einer Gattin kann die Geschichte auf tausend Jahre hinaus verfälschen.

Was ist die Frau, wenn nicht unser lebendiger Tempel, unser Heiligtum, unser Altar, wo die Flamme des Gottes brennt, die den Mann alltäglich zu neuer Lebenskraft erwärmt. Liefert sie dieses Heiligtum dem Feinde aus, läßt sie die Flamme stehlen, welche das Leben ihres Gatten ist, so ist das schlimmer, als wenn sie ihm das Messer ins Herz bohren hälfe. Keine Strafe wäre groß genug, wenn sie wüßte, was sie thut.

*

In den meisten Fällen hat sie keine Ahnung davon. Der vorbedachte, aus Haß hervorgehende, auf Hohn abzweckende Verrat ist äußerst selten. Der erste Fehltritt wenigstens ist fast immer ein Zufall, eine ganz negative Schwäche, weniger eine That, als eine Ohnmacht, zu handeln und zu widerstehen.

Die sanguinischen Frauen sind leicht hingerissen, und leiden zu gewissen Zeiten an einem wahren Schwindel. Bei den lymphatischen Naturen ist die Willenskraft außerordentlich gering; sie sind gewohnt, nachzugeben; sie wissen, daß sie so am anmutigsten sind, und das macht, daß sie aus dem Nachgeben nicht herauskommen. Eine Bitte abzuschlagen fällt ihnen zu schwer.

Die, welche die Sünde nicht verhärtet hat, büßen ihren Fehltritt oft durch die fürchterlichsten Gewissensbisse. Ich erinnere mich zweier merkwürdiger Fälle.

Eine sehr schöne, reiche, glückliche Dame, die vierzig Jahre tadellos gelebt hatte, einen trefflichen Gatten und schon erwachsene Kinder hatte, giebt sich eines Morgens, müde augenscheinlich eines allzu gleichförmigen Glücks, einem Manne hin, den sie nicht liebt. Ihre Unerfahrenheit in der Sünde verrät sie. Ihre Scham, in diesem Alter gefallen zu sein, die Schande vor ihren Kindern drücken sie zu Boden; sie stirbt nach vier Monaten.

Eine junge Dame von fünfundzwanzig Jahren, lebhaft, stolz, elegant, mit edlen, strengen Zügen, die eine reine Seele widerspiegelten, hatte zu ihrem Unglück eine schöne, herzgewinnende Stimme, die man stets in den Gesellschaften, in den Salons hören wollte. Ein Duett verrückt ihr den Kopf; sie wurde ein Opfer ihres Kunstrausches, keineswegs der Leidenschaft. Ihr Herz gehörte ihrem jungen, liebenswürdigen Gatten, der sie anbetete. Zerschmettert von ihrem Unglück, suchte sie ihn noch in derselben Stunde auf, sagte ihm alles, und daß sie sich das Leben nehmen würde, wenn er kein Mittel fände, ihr Verbrechen zu sühnen. Aber der Schlag hatte ihn betäubt, er konnte sich nicht überwinden, sie zu züchtigen. In diesem fürchterlichen Kampfe fing sie an zu singen. Sie hatte den Verstand verloren.

Ich war damals noch sehr jung; aber diese Erinnerung hat sich nie bei mir verwischt. Ich sah sie in einer Irrenanstalt, diesem grauenhaften Schlunde des Wahnsinns und des Schmerzes, in den sie die Ärzte geworfen hatten. Ihr Gatte kam alle Tage, schwur ihr unter Thränen. daß er ihr verziehen habe, daß sie wieder rein und unschuldig sei, wie ehemals. Aber sie begriff ihn nicht. Nur mit ihren Kräften schwand ihre Raserei; die Kur hatte sie vernichtet. Man kann sagen, daß sie die Anstalt tot verließ, und sie starb denn auch kurze Zeit darauf.

Es ist ärgerlich, daß man dasselbe Wort, das so ernste Wort Ehebruch, auf zwei sehr verschiedene Dinge anwendet, auf den schlimmen Verrat derjenigen, die ihren Gatten zum Narren hat, die ihn wirklich beschimpfen will, und auf den leichten Fehltritt einer Unverständigen, die nicht eher weiß, daß sie fällt, als wenn sie gefallen ist.

Eine Dame erwartet in großer seelischer und physischer Aufregung und lebhafter Ungeduld ihren Gatten von einer Reise zurück. Das Abendessen steht für ihn bereit, aber er hat nicht kommen können; er sendet einen eifrigen Freund, sie davon zu benachrichtigen, sie zu beruhigen. Trotz des schauderhaften Wetters langt der Freund an, natürlich bis auf die Haut durchnäßt. Diese Aufopferung rührt sie; sie giebt ihm trockene Kleider, giebt ihm zu essen, läßt ihn sich niederlegen. Sie reicht ihm einen feurigen Wein, den ihr Gatte allein zu trinken pflegt, und dessen gefährliche Kraft sie nicht kennt. Kurz, beide verlieren den Kopf; der bekümmerte Freund eilt, den Gatten aufzusuchen, sagt, daß er zu jeder Genugthuung bereit sei. Was ist zu thun? »Der wahre Schuldige,« sagt der Gatte, »ist der Wein. Aber auch ich bin schuldig; es giebt Stunden, wo man eine Frau nicht warten lassen darf.«

Regen und Sturm (und der Sturm des Blutes), die abendlichen Unterhaltungen, die hübschen Spiele auf dem Lande mit Freunden, Verwandten, jungen Leuten, die man wie Kinder behandelt, sind nur zu häufige Gelegenheiten. Die junge übermütige Dame mit ihrem allzulustigen Gelächter verschafft der Kühnheit einen günstigen Augenblick. Wer hat daran gedacht? Wer hat mit Absicht gehandelt? Niemand. Weinend kommt sie zurück.

Aber was fast immer die Untreue entscheidet, ist die Langeweile, das Übermaß von Langeweile, welches die Männer ihren Frauen zumuten. Das viel beschäftigtere Leben des Mannes ist gewöhnlich viel unterhaltender. Ist es nicht traurig, in unsern Provinzialstädten eine junge, seit zwei Jahren verheiratete Frau, wenn die Vesperglocke läutet, ausgehen zu sehen, um in der Gesellschaft von fünf oder sechs alten Weibern zu gähnen?

Wie oft ist es mir auf der Reise, wenn ich in eine deutsche Stadt kam, begegnet, daß ich in einem Erker zwischen Blumen und Vögeln ein süßes Frauengesicht sah, das die Vorübergehenden in ihrem Fensterspiegel beobachtete. O, wie schmachtend sie war! »Sie wird nicht genug geliebt«, sprach ich bei mir: »Wo ist denn ihr Gatte? In einer rauchigen Bierkneipe. Unterdessen verrinnt das Leben; und sein Haus umschließt vergebens die herrlichste der Gottesgaben.«

Die Flatterhaftesten sind oft gerade die, welche das größte Bedürfnis nach Liebe haben, und, mächtig und stark geliebt, die Treuesten der Treuen gewesen wären. Unsere Französinnen begnügen sich zum großen Teil nicht mit dem frostigen, regelrechten Ehestandsleben, das die Frauen des Nordens zufriedenstellt. Diese machen, sanft und ergeben wie sie sind, wenig Ansprüche, und wenn die Ehe für sie nur ein äußerliches Verhältnis, ein einfaches Beisammensein ist, so seufzen sie, und das ist ihre ganze Klage. Aber unsere Frauen wollen alles oder nichts. Die französische Frau ist die schlimmste oder beste; sie will, daß die Vereinigung vollständig sei, oder sie verzichtet ganz und gar darauf.

Man glaubt fälschlich, und manchmal glaubt sie es selbst, daß sie ein unaufhörliches Bedürfnis nach Unterhaltung und Zerstreuung habe. Eigentlich findet gerade das Gegenteil statt. Sie kennen sich selbst sehr wenig. Die, welche von einer Vergnügung zur andern rennen, betäuben sich wohl, aber sie gestehen, daß dieses Leben sie leer läßt. Ihr wahres Bedürfnis war, sehr geliebt zu werden und zugleich sehr beschäftigt zu sein.

Selbst die Kaufmannsfrau, die, momentan beschäftigt, in ihrem Comptoir festgehalten wird, entbehrt der Aufregung der außerhäuslichen Geschäfte, die ihren Gatten den halben Tag auf der Straße halten. Man denke sich eine junge hübsche Kaufmannsfrau, im Hintergrunde eines feuchten Gewölbes, in einer dunkeln, engen Straße von Lyon. Ihr Gatte liebt sie; nur bringt er den Tag in Geschäften, den Abend im Café zu. Sie verschmachtet in diesem lebendigen Grabe. Kann man sich wundern, daß sie dem Freunde, oder dem jungen Käufer, der so oft vorspricht, ein aufmerksames Ohr schenkt? Wenn der Gatte sie wahrhaft liebt, so muß er einen Entschluß fassen, Mitleid mit ihr haben, sie von diesem Orte wegnehmen.

Es ist gar nicht einmal nötig, daß er mit ihr die Stadt verläßt. Oft ist es genug, nur aus der Tiefe in die Höhe auszuwandern, und aus der Nacht in das Licht. Diese im Comptoir zu sehr ausgesetzte, und mehr durch ihre Situation, als mit Absicht leichtfertige kleine Frau kann sehr gut im Zimmer, hoch oben im vierten Stock, arbeiten, von wo sie die grünen Hügel, oder, was noch besser wäre, einen Ausläufer der Alpen sehen kann, – ein Anblick, der ihr Herz erheben und reinigen wird.

»Ist das alles?« Nein, das ist das wenigste. Der Hauptpunkt ist, daß man sie liebt, sich mit ihr beschäftigt, ihr nicht den Rücken zuwendet, wenn man sie gelangweilt sieht, daß man Verständnis hat für ihr Leid. Sie wird dankbar dafür sein, und sich endlich auszusprechen wagen. Sie wird zu euch sagen: »Ich bin bis zum Tode betrübt«; das heißt soviel, als: »ich will Liebe«.

Aber wohlgemerkt! sie will Liebe, nicht einen Geliebten. Die Liebe hat so viele Objekte! Es kann die Liebe eines Kindes, die Liebe einer Idee, einer wichtigen That sein, die Liebe eines ganz neuen Lebens, das die Kräfte herausfordert und beschäftigt.

Hier hilft keine Halbheit. Glaubt nur nicht, daß irgend eine vorübergehende kleine Zerstreuung, Schauspiele, Landpartien u. s. w., diesem Seelenzustande genügen. Nein, es bedarf einer Leidenschaft, oder einer durchgreifenden Veränderung des Lebens.

*

Was auch kommen mag, und selbst wenn sie fiele, verlaßt, o, verlaßt niemals das Weib eurer Jugend! Hat sie gefehlt, so bedarf sie euer nur um so mehr. Wenn sie sich demütig und reuig zeigt, so muß man sie als eine Kranke behandeln, sie pflegen, sie vor den profanen Blicken der Menge verbergen. Wenn schlechte Einflüsse sie verdorben haben, so muß man sie ohne Verzug entfernen, sie in eine bessere Umgebung bringen, muß mit Kraft und Mäßigung handeln, sie allmählich bessern.

Euer ist sie, sie habe gethan, was sie wolle. Die Gemeinschaft des Namens, die innige, vollständige Vereinigung des physischen Lebens, macht die Scheidung illusorisch. Die einmal befruchtete, geschwängerte Frau wird ihren Gatten überall hin mit sich nehmen. Das ist bewiesen. Wie lange dauert die erste Befruchtung? Zehn Jahre? zwanzig Jahre? das ganze Leben? soviel ist gewiß, daß sie sehr häufig dem zweiten Gatten Kinder giebt, die dem ersten gleichen.

Sie hat sich in der Ehe so ganz hingegeben; was soll sie denn noch daraus fortnehmen? Der Mann ist im Verhältnis zur Frau durch die Natur und das Gesetz so begünstigt, daß es ihm Sache der Großmut sein sollte, niemals die Scheidung zu verlangen. Wenn sie die Scheidung fordert, sie, die dabei verliert und nur verliert, so ist das etwas so Überraschendes, daß es toll erscheint, den Fall ausgenommen, wo grausame Behandlung von seiten ihres Gatten die Trennung notwendig macht.

Ihr könnt sie nicht verlassen. Denn welche Gefahr für sie, wenn ihr Geliebter, der sie bei sich aufnimmt, allmählich zu seinem Abscheu in der so ganz in euch verwandelten Frau euch überall wiederfindet, eure Stimme, eure Worte, eure Gesten!

Sie gehört euch so ganz, daß, selbst wenn sie von dem Liebhaber schwanger wird, es dennoch meistens euer Kind ist, das eure Züge trägt. Er wird die Strafe leiden, zu sehen, daß er in Wahrheit nichts von ihr haben, und in dem wichtigsten Punkte, dem der Zeugung, sie nicht treulos machen konnte.

Und wie nun, wenn die Unglückliche bald verlassen und verstoßen würde! wenn sie, die ihre Häuslichkeit verloren hat, nicht einmal Schutz fände unter dem Dache dessen, der von ihr nichts wollte, als die Wollust eines Augenblicks! ... Setzt kein Weib, das ihr geliebt habt, das euer war, und euer ist, den Wechselfällen einer so unsicheren Zukunft aus! Selten begeht sie selbst das Wagestück; selten, wenn sie nicht zu sehr mißhandelt wird, verläßt sie ihr Haus, das Haus ihrer Gewohnheiten, vielleicht, ohne daß sie selbst es weiß, ihrer Liebe. Es ist wunderlich, aber gewiß: mehr als eine, die einer Laune nachgab, hängt doch mehr an ihrem Gatten, als an dem Manne, an welchem sie vorübergehend Geschmack fand, und wenn sie endgültig wählen müßte, so wählte sie doch lieber den, dem sie sich als Jungfrau gab, den, welchen sie in ihrem Blute hat, und dessen Leben ihr Leben ist.

*

Das beste Mittel ist, auszuwandern. Redet mir nicht von euren Interessen; zerschneidet das Tau und fahrt von dannen, bringt sie auf einige Zeit in fremde Länder. Sprecht das schnöde Wort nicht nach, das man heutzutage nur zu oft hört: »Nur keinen Skandal ... Ich werde sie bei mir behalten, thue sie, was sie wolle, und werde mich anderweitig entschädigen. Ich werde sie durch meine Aufmerksamkeit quälen, ich will ihn tagtäglich martern durch den Gedanken, daß er sie mit mir teilen muß ...«

Nein, es bedarf einer gründlichen Heilung; durch die Nacht der Leiden führt der Weg zum Licht des neuen, reinen Lebens. Sieht sie sich erst einmal, fern von ihrer alten Umgebung, in einer neuen Gesellschaft, hört sie eine fremde Sprache, fühlt sie, daß sie allein steht und niemand hat als euch, so wird sie sich verwandelt finden. Mit ihm, der für sie arbeitet, der sie ernährt, der ihr außerdem nie ihr Unglück zurückruft, das Leben nicht verbittert, sie gut und sanft behandelt, wie am Tage nach der Hochzeit, wird sie wirklich eine andere werden, und von ihrer früheren Welt nur noch die dumpfe Erinnerung an einen bösen Traum haben. In ganz anderen Verhältnissen, wo tausend neue Bedürfnisse entstehen, werdet ihr alle beide euch verjüngen. Ihr hättet in Europa zwei Kinder gehabt; dort werdet ihr vielleicht zwölf haben. Eure hübsche, energische, leidenschaftliche Frau würde unbezähmbar geblieben sein, und hätte euch ins Verderben gestürzt. Dort wird sie euer rettender Engel. Eine vortreffliche, mutige, arbeitsame Hausfrau, wird sie euer Vermögen begründen helfen. Sie wird euch mit ganz neuer Liebe lieben, weil ihr ein ganz neues Leben ihr gegeben habt, und auf eure alten Tage könnt ihr heimkehren zum Vaterlande.

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