Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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VIII. Diätetik.

Junger Mann mit deinem treuen und liebevollen Herzen, wisse von vornherein, daß es deine heiligste Pflicht ist, dir von Anfang an den naiven Glauben deiner jungen Gattin, ihre achtzehn Jahre, den herrlichen Reichtum an gutem Willen, den sie mitbringt, zu nutze machen, um dich ihrer im moralischen und physischen Sinne vollkommen zu bemächtigen, indem du ihren Körper nimmst, und ihren Geist, – ihren Geist, um ihn zu befruchten, aufzuklären, zu erweitern, – ihren Körper, um ihn zu stärken, ihn vorzubereiten auf den großen Kampf, den sie bald zu bestehen haben wird, ich meine auf die harte Prüfung der Mutterschaft.

Eure Gemeinschaft ist weit über das Maß alles dessen, was du geträumt und geahnt hast. Das geistige und das körperliche Dasein werden sich so bei euch vermischen, daß dir die gleichgültigsten Dinge, zwischen ihr und dir, wunderbar merkwürdig in Leid und Lust werden. Auch den scheinbar geringfügigsten Umstand darfst du nicht für zu geringfügig, keine Kleinigkeit für zu klein halten. Alles ist von den größten Folgen für eure Zukunft.

*

Beeile dich, ihr Herr zu werden; denn in kurzem, ich sage es dir voraus, wird sie deine Herrin sein, zum mindesten durch die Gewohnheit, und wird dich so auf alle Weise fesseln. Ja, je sanfter, lenkbarer, demütiger die Frau ist, desto mehr umstrickt sie, fesselt sie, durch leichte, unsichtbare, schwache Bande, die aber von unglaublicher Macht sind. Im Anfang sind sie ein federleichtes, anmutiges Netz, wie die Sommerfäden, die im Winde fliegen und doch, einmal hängen geblieben, so fest haften. Dann sind sie wie die Ranken der Rebe, die kleinen, unendlich zarten Händchen, die sie ausstreckt, und die doch schon so gut zu greifen verstehen. Zuletzt, mein Freund, werden sie wirken mit der Kraft der Schlingpflanze, die den einmal erfaßten Eichstamm so drückt und zwängt, daß sie einschneidet, und mit ihm zusammenwächst. Das Beil vermöchte hier nichts mehr; willst du die Pflanze entfernen, mußt du ins Herz des Baumes schlagen.

Nun wohl, dies alles ist nichts im Vergleich mit einer Frau, die, bei der Einsamkeit eures Lebens, von euch genährt, euch nährt, die euch durch das Haus, den Herd, das Bett, die Kinder, zuletzt durch die Gemeinsamkeit fast aller Ideen fesselt, die, sich euren Launen fügend, euch durch ihre Gefälligkeit, ihre Schmiegsamkeit einnimmt, und euch für einen Augenblick der Leidenschaft die Unendlichkeit einer reinen Liebe giebt.

»Um so besser,« sagst du, »möge sie mich fesseln! das erschreckt mich nicht im mindesten; ich wünsche es sogar ...«

Gut; aber du thust wohl, meinem Rate zu folgen und sobald als möglich diese frische, gewaltige Kraft, die in wenigen Jahren ohne besondern Aufwand von Kunst oder Schlauheit dich besiegen und in sich ziehen wird, zu der deinen zu machen.

Dies nun würde das größte Unglück für euch beide sein, wenn du ihr nicht deinen Geist, ich meine den modernen Geist, eingehaucht hast. Denn trotz alledem, junger Mann, daß das Leben deine erste Frische abstreifte, bist du doch viel mehr als sie im Besitze der Wahrheit. Die Arme, ach, ist die Finsternis selbst. Sie hat streng genommen nichts gelernt, als was sie wieder vergessen muß. Ihr gutes Herz, ihre jungfräuliche Natur, ihre Reize würden nur dazu dienen, euch beide, euer Kind und eure Zukunft zu verderben, wenn du nicht alsbald die Autorität der Wissenschaft und besseren Erkenntnis geltend machst. Nicht umsonst hat das Genie des menschlichen Geschlechts seit drei Jahrhunderten in deine Hand (die starke Manneshand) den Schatz der Gewißheit gelegt. Heute oder nie mache davon Gebrauch, mein Freund, du mußt es zu deinem eigenen Heil! Großer Gott, was sollte aus dir werden, wenn du sie in kurzer Zeit der Vergangenheit abermals verfallen, in aller Unschuld dein Gegner werden, dich, nicht mit Worten, aber mit Thränen und Seufzern bekriegen sähest? ... Ich bitte dich, laß ihr nicht den Zügel, bleibe fest. Um euer beider geistiges und physisches Wohl, sei Herr (sie verlangt es, will es), unterwerfe sie! Umgieb sie mit dir selbst, mit deinem festen, unwandelbaren, weitsichtigen Gedanken wie mit einer neuen Atmosphäre.

*

Du darfst nicht vergessen, daß ihr bald (möglicherweise in neun Monaten) die schwerste Prüfung, die der Menschennatur auferlegt ist, werdet zu bestehen haben. Ich sage ihr, denn in jenem Momente wirst du ebenso viel leiden wie sie. Die Qual der gezwungenen Unthätigkeit, der gänzlichen Ohnmacht lassen den Mann in solchen Augenblicken mehr als Todespein empfinden. Dann wirst du Blut weinen, und nichts thun können. Deine Kraft, das Feuer deines Herzens, deine Gebete, deine Furcht, deine wahnsinnige Angst werden ihr nichts helfen. Du mußt schon im voraus, schon in diesen noch stillen Tagen, an die Möglichkeiten und die Gefahren jenes fürchterlichen Tages denken.

Deshalb gieb sorgfältig auf alles acht. Die zu sehr zersplitterte Aufmerksamkeit eines Arztes, der dann und wann kommt, und oft an andere Dinge denkt, kann dich nicht beruhigen. O, wie viel mehr vertraue ich deinem scharfen Auge, dem zweiten Gesicht der Liebe, ihrem festen, klaren Blick, der unverrückbar an dem geliebten Wesen haftet und es ganz umspannt!

Aber die Frau ist, physisch betrachtet, ein durchaus flüssiges Wesen von einer wunderbaren Beweglichkeit. So verschiedenartige Symptome drängen einander, daß sie den Blick verwirren. Verlasse dich nicht auf dein Gedächtnis. Es wird das beste sein, daß du dir ein kleines Tagebuch ihres physischen Lebens hältst. Wenn man es auf Heinrichs IV. Befehl für Ludwig XIII. gethan hat; wenn das Leben dieses jämmerlichen Königs in seinen prosaischen Details Tag für Tag aufgezeichnet ist, weshalb solltest du es nicht für deine reizende Frau können, die so poetisch, so rein ist, und an deren jungen gebrechlichen Leben dein eigenes Leben hängt.

Du darfst sie nicht mit diesen Einzelheiten behelligen. Es ist nicht eben notwendig, daß sie zu genau die rege Besorgnis der stets unruhigen, und meist ohne Grund unruhigen Liebe sehe. Das könnte ihr viel von ihrer Heiterkeit rauben. Thue es für dich, damit es eine Erinnerung und Richtschnur für dich sei. Dieser feste Grund von Erfahrung und Beobachtung wird dich bald in stand setzen, zu bestimmen, wie am nächsten Tage, manchmal in den nächsten Tagen, ihre Gesundheit, ihre Stimmung sein wird. Und das ist ein großer Vorteil. Du wirst so viel besser ihre Launen ertragen, die meistens nur in krankhaften Zuständen ihren Grund haben. Du wirst nichts fordern, außer zur rechten, zur zärtlichen Stunde.

In diesem Grade für ihr physisches Leben interessiert, mußt du in einem allmählichen, aber unaufhörlichen und geduldigen Fortgang sie ganz und gar umstricken, dich nach und nach des ganzen Details bemächtigen. Aber keine Überstürzung! Nichts ist heiliger, nichts will zarter behandelt sein als das Schamgefühl einer jungen Frau. Man klagt sie zu schnell und meistens mit Unrecht an. Es ist nicht Kälte, nicht Ziererei, aber die Liebevollste, die Ergebenste ist manchmal bis zum wirklichen Leiden nervös. Sie sind wie die höher und zarter organisierten Vögel. Ich besaß einmal eine Nachtigall, die mich sehr gern hatte; aber sie konnte es nicht ertragen, daß ich mich ihr näherte; sie zitterte vor der Berührung.

Indessen schafft der intime Umgang unvermeidliche Verlegenheiten. Die dem Geliebten, dem zärtlichen Freunde, dem wohlwollenden Zeugen verweigerte Vertraulichkeit wird andern weniger würdigen und sichern Personen zugestanden werden müssen. Wenn Madame de Gasparin den Damen rät, sich nicht in dem, was sie »die traurige Wahrheit der gefallenen Natur« nennt, sehen zu lassen, so denkt sie nicht daran, daß die dem Gatten nicht erzeigte Gunst für die Kammerfrau bleiben wird. »Das ist etwas anderes!« Keineswegs. Es ist der Anfang, die Gelegenheit zu einer gewissen gegenseitigen Vertrautheit, die eurer Einigkeit gefährlicher ist, als ihr glaubt.

Für reine Herzen ist alles rein. Um diesen zarten Punkt freimütig zu behandeln, wollen wir es aussprechen, daß es viel besser ist, wenn diese Vertraulichkeit, die doch früher oder später eintreten wird, nicht, durch Nachlässigkeit oder Sichgehenlassen, bei alten Gatten eintrete, sondern bald nach der Hochzeit zwischen den Liebenden. Und das ganz einfach und harmlos. Man läuft dabei keine Gefahr. Die dann exaltierte Liebe nimmt alles von dem geliebten Wesen hin, betet alles an, und ist dankbar für die Überwindung, die ihm dies Vertrauen kostet. Dies ist der rechte Augenblick, um diese kleinen Schranken zu überspringen, die man doch einmal und dann in weniger günstigen Augenblicken überspringen muß.

Es wird kein Monat vergehen, bis sich diese Gelegenheit bietet. Wenn sie leidet, soll sie den Gatten wegschicken und dafür die Mutter rufen? Soll diese bei einer so einfachen Sache einen Arzt, einen Fremden kommen lassen, dem die junge Dame voller Verlegenheit die kleinen Geheimnisse sagen muß, die sie selbst ihrem Manne nicht sagt? Oft wird sie sich ihrer alten dummen Wärterin anvertrauen, irgend einer albernen guten Frau, die, um zu helfen, gefährliche Reizmittel anrät.

Und wer soll sich denn in die Sache mischen, wenn nicht der, dessen Interesse dabei so groß ist? Diese Krisis, die (wie heute erwiesen) nur die Krisis der Liebe ist, welche die Befruchtung verstattet, kommt doch nur für die Liebe. Auch hat, im Gegensatz zu dem groben und barbarischen Vorurteil, welches die Frau dann absonderte, ein Liebender nie begreifen können, daß sie nur ein Gegenstand des Abscheus sein könne. Er hat sie immer für rein gehalten. Ihre rührende, vertrauensvolle Zärtlichkeit, ihre bezeichnende Mattigkeit sagen in diesen Augenblicken: »Ich leide, und leide für dich.«

*

Sie bedarf eines zärtlichen, vertrauten Wächters, der alles weiß, ihr in allem helfen kann. Denn sie ist so vielfach ausgesetzt. Wenn sie frör, wenn man ihr Kummer bereitete, und sie weint, wenn ihre Verdauung gestört wird – so würde alles gefährdet sein. Was sie nicht zu sagen wagt, muß man fühlen, ahnen. Ihre Furcht, zu mißfallen, ist so groß; sie sind auf eine so traurige Weise von der alten, durch die Wissenschaft widerlegten Idee der Unreinheit durchdrungen. Es ist die erste Pflicht der Liebe, sie darüber aufzuklären.

Arme Märtyrer der Scham! Die geringsten Dinge scheinen ihnen gewichtig und bedenklich. Kurz nach der Hochzeit erscheint sie sehr rot, der Kopf ist ihr schwer, die Augen sind geschwollen. »Was hast du? – Nichts.« Sie wagt nicht, es zu sagen. Das dauert eine Woche. Sie ist blaß und schwach. Noch eine Woche. Aber sie schweigt noch immer. Man weiß, daß sie nicht schwanger ist. »Schicken wir nach dem Arzte,« sagt die Mutter. Es ist leicht ohne Arzt zu erkennen, daß die neue, vielleicht ein wenig derbere Nahrung zuerst Überfüllung, sodann, als Gegensatz, Abspannung und Schwäche bei ihr bewirkt hat. Eine Erfrischung würde hinreichen, alles in Ordnung zu bringen. Verordnet der Arzt sie, so neigt man bescheiden das Haupt und thut, was er befiehlt. Bittet und dringt der Gatte darauf, so wird man rot und ärgerlich. »Gott bewahre, man ist nicht unmäßig gewesen, hat keinen Exceß begangen.« Man muß sanft, geduldig, diskret sein, nichts überstürzen; dann wird sie in der Stille alles thun, was ihr wollt, innerlich glücklich, nicht dem feierlichen Examen des Doktors ausgesetzt zu sein.

*

Aber das sind doch große Armseligkeiten und wunderliche Kleinigkeitskrämereien (sagt die Dame, die dieses Buch liest. Sie mag es für einen Augenblick schließen und schmollen). Aber ist denn die Liebe, die Ehe in der That ein so gänzliches Aufgeben der freien Persönlichkeit? Gehört man sich selbst denn wirklich gar nicht mehr? Und kann es nicht geschehen, daß man gerade durch diese große Fürsorge die Geliebte langweilt, und ihr beschwerlich fällt?

Ohne Zweifel bedarf es dabei der Gewandtheit, des Takts und jenes Feingefühls, welches das Herz lehrt. Der, welcher von wahrer Liebe erfüllt ist, der die Geliebte um ihrer selbst, nicht um seinetwillen liebt, wird sie mit seiner Sorge umfangen, ohne sie zu ängstigen. Sie fühlt nicht das Gewicht der Luft, die sie atmet; und warum nicht? weil die Luft drinnen und draußen ist. Mit der Liebe ist es dasselbe. Die, welche die Liebe im Herzen hat, findet es nur süß, sie um sich her zu fühlen, sie wie die notwendige Luft, wie das Element, in welchem sie atmet, überall anzutreffen. Dieses Gefühl wird ihr notwendig, und wenn ihr diese zärtliche Sorgfalt, die ihr Quälerei nennt, einen Augenblick fehlte, so würde sie das sehr unglücklich machen.

Übrigens ist in diesen ersten Monaten die Behandlung nicht sehr schwierig. Fast immer entfaltet sich das physische Leben, durch die Hoffnung und das Glück so schön begünstigt, auf das Erfreulichste. Die Blume, die das Köpfchen hängen ließ, erhebt sich zu unerwarteter Pracht und Anmut. Alles, was man jetzt zu wünschen hat, und auch nicht zu ungeduldig wollen darf, ist, daß sie ein wenig kräftiger wird.

Ein Leben auf dem Lande, ein wenig Arbeiten, ein wenig Nähen (sehr wenig im Anfang); ein Hin- und Herwandeln in dem großen Garten; wenig Sitzen. Baden in sonnedurchleuchtetem, beinahe kaltem Wasser. Auch daß sie sich an einen einsamen, sichern, bequemen Orte im Freien bade, ist zu wünschen. Alles wäre gut, wenn ihre weiße Haut lebhafte und braune Farbentöne annähme. Die Pflanzen, die im Schatten wachsen, sind blaß und welk. Unsere Kleider erhalten uns unglücklicherweise so, indem sie uns von der Mutter des Lebens, der Sonne, trennen.


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