Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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Zweites Buch.

Einweihung und Vereinigung.

I. Die Schäferhütte.

Die Thorheiten der Liebenden verdienen Aufmerksamkeit. Ihr, die ihr weise seid, verachtet nicht die Worte der Närrischen. Diese Unschuldigen haben mitten in ihrem Wahnsinn weise Orakel verkündet.

Hört diesen jungen Mann, der zum erstenmal, im Mai, auf dem Lande, die schüchterne Geliebte spazieren führt. Die Eltern folgen in einiger Entfernung. Er scheint die ganze Natur, die Erde und den Himmel bei einem so großen Glücke anzurufen. Aber Himmel und Erde, und, was sage ich, die Braut selbst – alles scheint versunken in einem neuen Entzücken. Was sah er denn? Die Hütte des Schäfers.

»Ach, das war mein Wunsch! ... Eng und einsam – das ist die Wohnung, die mir der Traum als unsere Wohnung zeigte ... Niemals sich trennen müssen, zusammen umherschweifen, dem großen Haufen entrinnen, jeder unreinen Berührung ausweichen, uns hüllen in das Geheimnis unserer Liebe, in selige Vergessenheit!«

*

Junger Mann, deine Tollheit ist gar nicht so toll. Das Häuschen, das über die Felder rollt, ist freilich eine zu spartanische Wohnung für deine zarte Gefährtin, aber dein Instinkt offenbart dir wenigstens eine große Wahrheit, die viele andere sehr spät und auf ihre Kosten lernen.

Säe nicht auf den Weg. Pflanze nicht in den Gießbach. Liebe nicht im Gewühl der Thoren.

*

Was vermag man über die Frau in der Gesellschaft? Nichts.

In der Einsamkeit? Alles.

*

Übrigens ist vielleicht sie es weniger, die so bewacht werden muß, als du selbst. Je einsamer sie ist, je mehr du mit ihr lebst, desto inniger fließen eure Herzen ineinander. Aber sobald sie Gesellschaft hat, und ich verstehe darunter die beste, – ihre Mutter, ihre Schwester, eine achtungswerte Freundin, – so fürchtest du gerade deshalb weniger, dich von ihr zu entfernen, und das Band wird sich lösen. »Sie ist mit ihrer Mutter, ich will meine Freunde besuchen. Sie ist mit ihrer Schwester, ich will in diese oder jene Gesellschaft gehen.« Und dann wird der Strudel der Gesellschaft dich erfassen; du wirst noch lieben – ja; aber immer weniger. Glaubst du, daß, wenn du am Abend ermüdet, blasiert, zerstreut nach Hause kommst, du dieselbe Frau und dieselbe Liebe an deinem Herde finden wirst?

*

»So werden wir denn also, nach deinem Sinne, in der Ehe das Leben eines Einsiedlers, eines Gefangenen führen? Die Frau eingeschlossen, allein; der Mann nur aus dem Hause kommend, wenn die Geschäfte es erheischen? Das ist nicht Leben mehr, das ist der Tod im voraus. Machen wir vor der Hochzeit unser Testament; das Hochzeitsbett ist ein Grab. Keine Freunde mehr, kein Vaterland. Mit dem Bürger ist es vorbei. Die Liebe und der häusliche Herd werden sich an die Stelle des Staates setzen.«

So meine ich es nicht. Ich hoffe auf eine ganz andere, reine, freie, starke Gesellschaft, wo an der Tafel der Brüderlichkeit die Gattin, die Mutter, die Jungfrau den ersten Platz einnehmen, wo bei den Festen die reizende Schar unserer Frauen, mit Blumen bekränzt, an der Seite unserer Würdenträger glänzen wird. Die Frau, die Königin der Menge, die zarte, strenge Richterin der öffentlichen Sitten, wird die schöne, rührende Zier der Republiken der Zukunft sein.

Das alles liegt vielleicht noch in weiter Ferne. So laßt mich denn, bis die Zukunft Gegenwart wird, Dinge verhandeln, die möglich und praktisch sind, die einzigen, die unsere Zeit verträgt.

*

Die Einsamkeit, die ich für die Frau will, ist nicht das Haus des alten, eifersüchtigen Arnulf, der Agnes unter Schloß und Riegel hält und sie mit Argusaugen bewacht, zum wenigsten Agnes' Körper und dabei ihr Herz erstickt und ihren Geist lähmt.

Ich will vor allem, daß Agnes einen jungen Gatten habe, nach ihrem Alter. Ich habe das Verhältnis angegeben; achtundzwanzig Jahre zu achtzehn. Um von diesem Verhältnis abzuweichen, bedarf es sehr besonderer, sehr eigentümlicher, sehr seltener Umstände, die sich finden können, aber sich sehr selten finden.

Ich will vollkommene Freiheit für Agnes. Wenn die Frau von Natur schwach ist und ihre Leiden sie dienstbar machen so ist die Liebe ihre Erlösung, die Ehe ihre allmähliche Freiwerdung. In der Ehe wird sie des Mannes Gleichen, oft mit der Zeit sein Vorbild.

»Ihre Größe? ich bitte euch. – Gerade so hoch, wie mein Herz.«
(Shakespeare.)

*

Indessen ist diese Einsamkeit ganz relativ. Die Liebe ist ein so mächtiges Wesen, daß sie jeden Umstand beherrscht. Sie kann zur Not allein sein inmitten eines ganzen Volkes. Sie ist rein, wenn ringsumher die Pest haust. Ein Palast, eine Hütte, ein Thron, ein Laden – das alles ist für sie einerlei. Freilich dürfen wir nicht vergessen, daß sie sich gegen die Hindernisse der Welt nur durch ein redliches Herz, ein arbeitsames Leben, eine Reihenfolge von Arbeiten, die den Tag ausfüllen und heiligen, halten kann.

Wer hat nicht im düstersten, traurigsten Quartier von Paris (in der Rue des Lombards etwa) eine schöne, reichgeborene Frau gesehen, die ungeachtet ihrer vortrefflichen Erziehung und großen Mitgift ihr Leben in dem Hintergrunde eines Kaufladens, in einem kleinen Kabinett, damit verbringt, daß sie schreibt und rechnet, anordnet und zwanzig Commis in Atem erhält. Ihr junger Gatte läuft den ganzen Tag umher und besorgt die Geschäfte außer dem Hause. Des Abends sieht man sich. Die Frau, nachdem sie ihre Bücher geschlossen und alle Welt verabschiedet hat, begiebt sich in das Wohnzimmer. Keine Vereinigung inniger, keine Ehe glücklicher! Liebt er sie? Nein, er betet sie an. Dieses dunkle, abscheuliche Gewölbe ist für sie die romantische Schäferhütte.

*

Doch wenn ich einen Wunsch für dich hegen darf, so ist es der, daß deine junge Frau, dieses Wesen voller Poesie, weniger mit Zahlen und Wechseln beschäftigt sei, daß du selbst nicht den ganzen Tag fern von ihr hinbringen müssest. Die Einigkeit ist schön und stark in einem solchen Falle; aber ist sie auch tief? Gleicht sie nicht ein wenig der engen Association zweier Geschäftsmänner? Giebt es ein wahres Ineinanderfließen der Herzen so ganz mit äußeren Interessen beschäftigter Personen, wenn auf dem ehelichen Lager selbst, unter dem Flüstern der Liebe, die junge Frau Besinnung genug hat zu der Bemerkung: »Vergiß nicht, Lieber, daß morgen der einunddreißigste ist –?«

*

Die Liebe ist ohne Zweifel eine Flamme, ein Verlangen, eine Seligkeit, die man überall fühlen kann; aber sie will auch gepflegt sein. Es bedarf einiger Zeit, einiger Sammlung, damit man sich kennen lernen, sich begreifen, damit man Tag für Tag, Grad um Grad die Durchdringung der Seelen inniger machen könne.

Wenn ich träume, wenn ich Wünsche hege (und ich habe deren oft für alle), so erflehe ich für die, welche lieben und selbst inmitten des großen Haufens lieben würden, die Einsamkeit, die allein in die Künste der Liebe einweiht; zum mindesten einige stille Jahre, die ihnen die Vereinigung der Herzen möglich machen, bevor sie in die Welt und den Kampf des Lebens zurückkehren.

*

Ich sehe es im Geist, das einsame Häuschen – nicht gerade eine Schäferhütte, aber auch nicht viel größer: zwei Stockwerke, drei Räume in jedem. Keine Dienstboten, oder höchstens ein gutes Landmädchen, das die freundliche junge Frau bald lieben, und ihr die gröberen Arbeiten abnehmen wird. Ich möchte dies Häuschen ein wenig von der Stadt, in die dich deine Geschäfte jeden Tag führen, entfernt haben. In hübscher, sonniger Lage, mit einem großen Obst- und einem kleinen Ziergarten, wo sie ein wenig arbeiten kann. Vor allem viel Wasser, und, wenn es möglich ist, quellend und sprudelnd.

Dir liegt es ob, dies alles bis in die kleinsten Einzelheiten hinein zu besorgen, zu stellen, zu ordnen. Verlasse dich darin nicht auf die weiblichen Mitglieder der Familie, die behaupten werden, diese Sachen viel besser zu verstehen.

Du, der du so viel Interesse dabei hast, du wirst allein den allerliebsten, behaglichen Käfig zurechtmachen, um dein Vögelchen zu locken, den Wunsch in ihm zu erwecken, gefangen zu werden, als deine Gefangene zu leben, um endlich deine Königin zu sein.

Hole dir Weisheit von der Biene. Sie sagt dir: »Ich lege zwei Eier von gleicher Güte in zwei verschiedene Zellen, die Königszelle, die Arbeiterzelle. Zwei ganz verschiedene Bienen gehen hervor aus diesen verschiedenen Wiegen.«

Wie das Nest, so der Vogel. Die Umgebung, die Umstände, die Gewohnheiten machen uns zu dem, was wir sind.

*

O, ein Nest! ein wahres Nest! ... ein lieber, süßer Gedanke! zu süß, um hier so obenhin abgefertigt zu werden. Ich will dir das Haus nicht zeigen, so lange es noch leer ist. Ein wie anderes wird es alsbald werden, an dem Tage, wo jemand (ich sage nicht, wer) kommen und es mit ihrer holden Gegenwart verzaubern und es mit ihren schönen Augen durchleuchten wird.

Kleines, sehr kleines Häuschen! und doch, wenn die Liebe es erbaut hat, wie gut wird es zusammengesetzt, wie sinnreich, wie kunstvoll geordnet sein, daß das junge Herz sich von, allen Seiten gefangen fühlt, daß die ganze Einrichtung in ihre freie Neigung die süße, mächtige Nötigung der Gewohnheit webt und so alles sie der Liebe in die Arme führt.


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