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Wie streng ist die Natur gegen die Frau! Der Mann, welcher zehn Jahre voraus hat, ist in der Fülle seiner Kraft, gestählt durch das Leben, thätig, schöpferisch. Ihr Stern aber ist schon im Sinken. Und jetzt, obgleich die Krankheit glücklich überwunden, ist sie nicht mehr, was sie war. Die Leiden haben sie gereift: aber die Blüte ist dahin. Träume, melancholische Stunden trüben das frohe Gefühl der wiedergewonnenen Gesundheit. Sie seufzt; weshalb? Ist sie doch so schön, so rührend, so vollendet! Denn die Zeit, die große Künstlerin, die Großmeisterin in Sachen der Schönheit, hat der ihrigen jene höchste Vollendung gegeben, die uns unwiderstehlich hinreißt. Gewiß; aber selbst dieser Reiz beweist nur, wie sehr sie angegriffen ist. Die schon weniger regelmäßige Cirkulation des Blutes verkündigt ihr (freilich erst von weitem), daß sie von jener Krisis der Liebe, die das Wesen der Frau ausmacht, von jenem wunderbaren Rhythmus, der ihr, Monat für Monat, die Zeit maß, geheilt werden wird.
Der Mann dagegen, der nicht von der Ebbe und Flut des Lebensstromes gelitten hat, der von der Liebe nur die Rosen pflückte, nicht wie sie bis zum Schaffen, bis zum Sterben liebte, hat im Vergleich mit ihr ein prosaisches Leben gelebt. Er hat gearbeitet, machtvoll, gewaltig gearbeitet, aber auch durch Schlaf und Nahrung die verlorene Kraft ersetzt. Ihm ist das Gleichgewicht der Ausgabe und Einnahme ungestört geblieben. Er ist, was er war, vielleicht noch mehr. Wenn er keine Ausschweifungen zu bereuen hat, so findet man ihn mit vierzig Jahren und darüber viel kräftiger, als vorher. Die Wechselfälle, denen die Gesundheit in jüngeren Jahren unterworfen ist, hat er hinter sich; er hat sich gegen das Leben abgehärtet, steht darin festgewurzelt. Und da es von da ab wie von selbst geht, da er lebt, ohne zu wissen, daß er lebt (was eben der Zustand höchsten Wohlseins ist), so arbeitet er jetzt oft viel mehr, viel besser, mit einer Sicherheit, einer Unfehlbarkeit der Ausführung, die eine jüngere Hand niemals besitzt. Selbst bei den genialsten Menschen, bei denen, welche ihr Leben in befruchtender Fülle für das Menschengeschlecht ausströmten, sehen wir, daß ihre großen, epochemachenden Werke nicht vor diesem Alter erschienen. Molière schreibt dann seinen Tartüffe, Rousseau seinen Emile und den Contrat social. Noch später veröffentlicht Voltaire sein erstes wahrhaft geniales Werk, durch welches die moderne Geschichtschreibung geschaffen wurde. Ebenso brachten auf dem Gebiete der Politik Sully, Richelieu, Colbert nichts Großes vor dem vierzigsten Jahre zu Wege.
Alles in allem kann man sagen, daß in dem Alter, in welchem die Frau ihr Hauptwerk gethan hat, und die schöpferische Kraft bald einbüßen wird, oder schon eingebüßt hat, der Mann die seine mit souveräner Macht ausübt. Und das in jedem Sinne, in der Liebe, in den Geschäften und in der Sphäre des Gedankens.
Und so wäre denn für die Frau alles vorbei? ... Mit Nichten. Die Liebenswürdigkeit ihres Herzens und ihrer Schönheit, die Anmut, die herrliche Klarheit ihres Geistes, die Großheit ihrer Gesichtspunkte und ihres Charakters, die sie oft in diesem Alter auszeichnen, alles verkündet, daß sie zu einem geheimnisvollen, weniger sichtbaren und weniger erklärbaren, und vielleicht nur desto innigeren Werke, das auf ein rührendes, heiliges Ziel abzweckt, berufen ist. Was für ein Werk ist dies? Wir wissen es nicht. Das aber versichere ich euch zum voraus, es ist ein Werk der Liebe. Für die Liebe hat sie gelebt, für die Liebe wird sie sterben, für eine stets höhere, stets heiligere Liebe.
Wollt ihr wissen, welches ihr eigentlicher Kummer ist? Nicht die Wechselfälle einer weniger gleichmäßigen Gesundheit, nicht die hinschwindende Jugend, nicht die Aussicht auf eine freudlosere Zukunft, nicht einmal der Tod, den sie nahe genug gesehen hat, und der mit seinen dunkeln Schatten in der Ferne droht. Was sie traurig macht, ist die halbe Scheidung, die trotz ihm, trotz ihr, einfach durch die Macht der Verhältnisse zwischen ihnen entstanden ist.
Er, der früher alles verließ und alles opferte für sie, liebt sie gewiß noch, sie zweifelt nicht daran; aber das hindert nicht, daß er nach ihrer Genesung sich wieder ganz in die Geschäfte, in die Arbeit, in den Kampf des Lebens gestürzt hat. Er wird älter und hat keine Zeit mehr zu verlieren. Je reiner ein Mann seine Seele bewahrt hat, desto thätiger ist er, desto ungeduldiger, vorwärts zu schreiten, zu wirken, zu schaffen. Auf den Ruhm ist sein Blick gewandt, gleichviel auf welchen. Die Virtuosität, die er in der Ausführung weitschichtiger Pläne bewährte, der beständige Erfolg, das Glück, welches nur den Menschen mit mächtiger Willenskraft hold ist – alles dies ist der Ruhm und die Ehre des Mannes und ist auch der Stolz der Frau. Aber es ist auch oft gerade das, was sie in dieser Zeit des Lebens beunruhigt. Er sagte einst: »Du wirst mich lieben müssen, denn ich werde groß sein«. Er hat sein Wort gehalten; er ist es jetzt durch den Erfolg. Er weiß es wohl, wieviel sie indirekt dazu beigetragen hat. Niemals hätte er, ohne das Glück, ohne den Frieden des Herzens, ohne das sanfte Ruhekissen seiner erschöpften Seele, das er in ihr fand, sich Tag für Tag zu solchen Anstrengungen aufraffen können. Sie hat seine Triumphe vorbereitet.
Und so ist er nun einflußreich, mächtig, im Fahrwasser der wichtigsten Angelegenheiten. Die Woge hat ihn gehoben und trägt ihn. Er segelt mit vollem Winde, mit voller Flut. Sie, am Ufer sitzend, bewundert ihn, aber sie folgt ihm nicht. Manchmal sogar trüben sich ihre Augen, und es will ihr nicht so ganz einleuchten, daß diese Fahrt groß und glücklich sei. Glücklich? Ist sie es denn für dies treue, liebevolle Herz, das seufzend spricht: »Er ist dort, weit von dir ... Warum bin ich nicht bei ihm?«
Hohn des Schicksals! Als sie jünger war und weniger einsichtsvoll, im Grunde auch weniger zärtlich, als sie sich nur eben lieben ließ, nichts weiter war, als ein schönes Geschöpf Gottes, ein angenehmes Ding, hatte sie das Glück, in scheinbar innigster Vereinigung mit ihm zu leben, und jetzt, da sie eine Seele, ein Vernunftwesen ist, jetzt, da ihr erweitertes Herz einen unermeßlichen Schatz von Liebe bewahrt, halten das Glück, der Erfolg sie wie getrennt von ihm. So nahe und doch so fern! ... Ein Tag des Ruhmes vielleicht ... und morgen ist es vorbei mit dem Leben!
Wenn sie ihn vor sich sieht, so stark, so voller Feuer, so fest ruhend auf seiner Kraft, in der königlichen Schönheit und fröhlichen Mannheit, mit welcher die Natur ihre Lieblinge, von denen sie noch viel erwartet, ausstattet, bewundert sie, träumt sie, ist sie glücklich ... und traurig. Die Jugend, die Kraft der Liebe – er hat sie ganz. Und sollte der auf die That gerichtete Strom des Lebens nicht auch von den rosigen Träumen einer früheren Zeit angestrahlt sein? Alle denken, alle wähnen, daß der Schatz, den sein Haus umschließt, diese sanfte, rührende Schönheit, diese hohe Vollkommenheit, ihn nicht immer fesseln werden. Von allen Seiten bemüht sich die Welt: verderbte Männer, kokette Frauen – den Mann, der Erfolge errang, zu verwirren und einzunehmen, und jedes Mittel: Intrigue, Schlauheit, Kühnheit, Lästerung, Spott, Ironie, was weiß ich – ist ihnen dabei recht. Weiß sie von dieser Sündflut nichts, die arme Taube in der Arche ihres stillen Hauses? O, doch! sie sieht gerade genug davon, daß ihr das Herz recht schwer wird. Was kann sie dabei thun? Sich hinaus wagen auf den trüben Ocean jener Welt mag sie nicht, und die Welt ihrerseits, die sich an sie herandrängte, und sie zu rein fand, als daß sie etwas von ihr hätte hoffen können, läßt sie stehen und sucht sich eine leichtere Beute.
Einsam und um so demütiger, wagt sie nicht, sich mit den Schönheiten des Tages zu vergleichen. Aufrichtig und nicht ohne Bangigkeit bewundert sie die herrlichen Amazonen, die sie nur von weitem sieht. Königinnen? Prinzessinnen? große Damen sicherlich, sausen sie vorüber auf ihren stolzen Rossen. Sie hält sich zum voraus für besiegt. »Ach, welche Tugend, welche Weisheit, welche heroische Liebe vermöchte diesen Alcinen, diesen triumphierenden Clorinden zu widerstehen? Arme Hermine! ...«
Sie sieht nicht, was ihr Gatte in nächster Nähe sieht, – das Elend, die moralische Häßlichkeit dieses ganzen Treibens. All die Mühe, die man sich neuerdings gegeben hat, um das traurige Idol des Tages, die femme entretenue, dieses unedle Mittelding zwischen Dame und Dirne, herauszuputzen, hat es nicht schön machen können. In der Isidora noch von einer gewissen Idealität, obgleich voll der herbsten Kontraste, ist sie in der Kameliendame sehr gründlich realistisch geworden. Die Geschicklichkeit und das Talent des Malers haben die widerwärtige Disharmonie einer Person nicht zu beseitigen vermocht, die, eine schwache Brustkranke, doch, nach seinem eigenen Ausdruck, »wie ein Lastträger trinkt und flucht«.
Wenn der Gatte zufällig bei einem Freunde dessen traurige Maitresse sieht, die unter all ihrer Eleganz so grob und schmutzig ist, wird er seiner Gattin für immer treu sein.
O, wie sehr hat Rousseau recht, wenn er einen Unterschied macht zwischen Frau und Dame! ... Ist dies ein Unterschied des Ranges? des Vermögens? Keineswegs. Es ist ein Vorzug des Herzens. Ich habe eine alte Wäscherin gekannt, die Dame und mehr als Dame war, und den ersten Thron der Welt geziert haben würde.
Eines Tages, als er auch wieder bei jenem Freunde gewesen ist, und gesehen hat, wie sehr der Ärmste von seiner kleinen Maitresse, die nicht reden kann, ohne vorher getrunken zu haben, gelangweilt und belästigt wird, findet er beim Nachhausekommen seine Frau umgeben von ernsten Männern, die in Geschäften gekommen waren. Jene Männer müssen den klaren Verstand, den hohen Geist der Dame bewundern. »Was ist das?« fragt sich der Gatte. »Wer hat sie das gelehrt? ... Sie weiß alles, ohne es gelernt zu haben.«
Wie rührend ist sie in diesem Augenblicke! Ich habe manchmal das Glück gehabt, bei solchen Gelegenheiten die herrliche Natur der Frau zu beobachten, wenn sie ihrem Gatten zu Hilfe kommen wollte, wenn sie seine Gedanken, seine Angelegenheiten zu den ihren machte, sich dafür begeisterte, seine Ansichten mit einem Feuer verteidigte, mit dem er es nie vermocht hätte. Weit entfernt, zu widersprechen, ging ich auf ihren Gedanken ein, und fast immer gelang es mir, ein oder das andere Wort einfließen zu lassen, welches den Gatten in ihren Augen ehrte, und ihre Vereinigung festigte. Ich habe stets im Leben eine hohe Achtung vor der Liebe gehabt und den Wunsch, ihre Macht zu erhöhen.
Stellt euch den glücklichen Gatten in dem Augenblicke vor, wo er unerwartet hinzukommt und sie für ihn streiten sieht. Welch' reizende Überraschung! Es ist Shakespeares Desdemona mit dem Helm auf dem Haupte. Er umarmt sie lächelnd, und spricht, wie Othello: »O, meine schöne Kriegerin!«
Streiten und disputieren ist nichts. Wie glücklich wäre sie, wenn sie ihm ernstlich helfen könnte. Und ist sie nicht sein jüngerer Bruder? Sie hat seine Bewegungen, seine Gesten, selbst ihre Handschrift gleicht der seinen. Wenn er manchmal spät zu Bett gegangen ist und am Morgen länger geschlafen hat, findet er sie beim Erwachen nicht mehr. An seinem Pulte sitzt jemand, der sich erhob, um schon um vier Uhr die dringenden Briefe zu beantworten. Augenscheinlich jemand, der in seine Gedanken eingeweiht ist, und alles kennt oder ahnt. Ein Zögling vielleicht? ein liebenswürdiger kleiner Schreiber? Nennt sie, wie ihr wollt.
Sie vereinigt in sich die beiden Geschlechter, und hat in ihrer schüchternen Kühnheit etwas von dem Anziehenden des jungen Mannes und des Kindes. Aber der gelehrige Schüler wird, sobald der Gatte es wünscht, auch wieder die liebevolle und nur noch gehorsamere Gattin. Am Morgen beim Erwachen findet er sie nicht, wird unruhig, ruft sie. Der Schreiber wirft die Feder weg und beeilt sich, dem Rufe zu folgen.
Er ist gerührt, und zieht sie sanft an sich. Sie aber setzt sich keusch auf den Rand des Bettes. In heiliger Begeisterung möchte er ihr sein Herz ausschütten, ihr endlich das Geheimnis seiner Kunst mitteilen, den Schlüssel seiner großen Unternehmungen in die Hand geben: »Warum kann ich nicht für dich die Zeit, die lange Reihenfolge der Arbeiten und Gedanken, mit denen wir so teuer die Resultate unseres Lebens erkaufen, aufheben! dir ohne Mühe die Welt und die Wissenschaft erschließen, alles in einem Kusse mitteilen!« Aber beim ersten Worte sieht er das Mirakel sich verwirklichen. Gott verleiht der Reinheit eine wunderbare Gabe der Intuition. Ihr gerader Sinn, der keine Lüge, keine verderbliche Sophistik je verfälschte, läßt sie alsbald den tiefsten Grund des verworrenen Rätsels schauen. Wie ist er überrascht! wie ist sie glücklich! In ihrer kindlichen Lebhaftigkeit ruft sie: »Ich habe dich also verstanden!«
Aber alles, was sie berührt, geht verschönert aus ihrer Hand hervor. Schüchtern versucht sie, zu wiederholen, was er gesagt hat; was trocken und nüchtern schien, bekleidet sie mit der Anmut der Frau, mit der Frische der Natur. Es ist, als ob der öde Strand des Meeres sich plötzlich mit Blumen bedeckte.
Reizende Entdeckung, zu sehen, wie zum erstenmale unter einem liebevollen Auge das unendliche Mysterium der Anmut, das eine gewisse Scham der früheren Jahre sie immer verbergen ließ, sich so herrlich offenbart. Diese knospengleich verschlossene Jungfräulichkeit, die sich bis jetzt nie öffnen wollte, sie thut sich jetzt auf und bietet der überraschten Liebe die duftende, leuchtende Blume der Seele.