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Pflücke sie nicht, junge Frau! das würde sie stumm machen. Weggenommen vom Busen der Natur würde sie an deinem Busen verwelken, dich mit ihrem Duft nur verwirren und berauschen. Beuge dich zu ihr nieder und horche. Also spricht sie zu dir:
»Du kommst und gehst; du wurdest beweglich geschaffen; ich bleibe auf meinem Stamme. Du bewunderst mich, die königliche Rose, in meiner Ruhe. So bin ich, weil ich mir selbst treu bleibe.«
»Ich bin kein Spielding, es in die Haare zu stecken. Ich bin ein ernstes Wesen, eine mächtige Lebenskraft, Geschöpf und Schöpferin zu gleicher Zeit, ich habe ein Mysterium zu erfüllen. Mein Dasein ist kurz; ich muß mich beeilen, meine große Aufgabe zu vollenden, die Fortdauer eines göttlichen Geschlechts, die Unsterblichkeit der Rose. Und so, junge Frau, bin ich eine Rose Gottes.«
»Ich halte fest an meinem Stamm, und so bleibe ich stark. Erlasse mir die Ehre, an deinem Busen zu sterben. Laß mich rein und fruchtbar ... und sei es, wie ich!« –
»O, wie wahr du gesprochen hast! Wie gern ich dir gleichen möchte, sein möchte wie du eine Rose Gottes! ...«
»Aber, meine Rose, im Ernst, meinst du denn, daß ich es ihm gestehen soll? ... Und was gestehen? Eine Wolke, einen Nebel, den ich selbst kaum durchschauen kann, ein Nichts ... Und damit es mir wieder leicht werde, soll ich ihm das Herz zerreißen? ...« –
»Du versprachst, alles zu sagen ...« –
»O Rose, du weißt, wie die Blumen, nicht, wie die Frauen lieben! In dem Augenblick, wo ich meine Neigung gestanden habe, wird sie urplötzlich mächtig auflodern ... Sie enthüllen heißt sie vergrößern –«.
»O, wie krank du bist! du schützest dies Geheimnis, du hegst es, du herzest es, wie du ein Kind hegen und herzen würdest. Du zitterst, daß es an den Tag kommt, daß die helle Sonne es bescheint ... Und du hast recht, junge Frau, denn nichts ist zarter. In dem Augenblick, wo eine heimliche Liebe ausgesprochen wird, ist sie gefährdet. Sie flackert auf, aber um zu erlöschen. Diese Profanation bringt ihr kein Heil ... Wenn es sich darum handelte, sie einer Freundin, einem guten, langmütigen Vater zu bekennen, so würdest du eilen ... du würdest die Wollust haben, davon sprechen, sie nähren zu können; deine Thränen würden ein Verbrechen mehr sein ... Du mußt sie dem Opfer beichten, dem, welcher davon leiden wird, mußt dies Schmerzensgeheimnis mit ihm teilen. Mag sein Herz bluten, auch deines wird bluten, und so nur kannst du gesunden. Der goldene Traum hat seine Flügel verloren. Du wirst dich wiederfinden in der Wahrheit, in dem unendlichen Schmerz seines verwundeten Herzens ... Du bist gut und liebevoll; das Mitleid wird dir deine Liebe wiedergeben.«
*
Sie gehorcht. Sie nimmt alle ihn Kraft und Mut zusammen. Beim Frühstück, wo der junge Mann nicht zugegen ist, will sie alles sagen. Sie setzt sich, schwach, erschöpft, wie eine Verurteilte! Aber ihr Herz schlägt zu stark, die Zunge ist wie festgewachsen! ... Endlich, mit einer letzten Anstrengung, fragt sie ihren Gatten, ob dieses müßige Leben wohl gut für seinen Neffen sei. Ob es nicht Zeit sein dürfte, ihm eine Stelle zu verschaffen, ihn sobald als möglich in die Lage, in die Verbindungen zu bringen, die ihm wenigstens die Laufbahn eröffnen und ebnen ... Er sieht sie verwundert an. Wir können ihn doch unmöglich gleich wieder fortschicken? ... Ich bemerkte allerdings, daß du sehr kalt gegen ihn warst ... Sollte er dir zuwider sein? – »O, nein!« – »So liebst du ihn?« – »Mein Gott, wenn das ...«
Eine Centnerlast zu heben, hätte ihr nicht soviel Mühe gekostet ... Sie sinkt wie ohnmächtig in ihren Stuhl zurück ... Beide sind bleich wie der Tod ... Aber er, stark im tödlichen Schmerze seines verwundeten Herzens, weiß ihr Dank für ihre heroische Wahrhaftigkeit. Er fürchtet nur das eine für sie, daß der Riesenkampf der Tugend und der Liebe sie töte.
Er drückt ihr lebhaft die Hand; sie trennen sich schweigend. Aber wie ein Feuer, von dem man die Asche entfernt, so lodert ihre Leidenschaft jetzt empor; ihre Verwirrung, ihre innere Erschütterung lassen sich nicht verbergen.
Die Liebe ist ein so mächtiges Ding, daß sie, entdeckt, durch den bloßen Reflex alles in Flammen setzt. Das kälteste Herz entzündet sich, der unendliche Stolz, die wilde Freude, das ungeheure Entzücken der Entdeckung entfachen bei dem am wenigsten vorbereiteten jungen Manne augenblicklich das Feuer der Leidenschaft. Welchen Ausdruck sie in diesem Falle, wo sie durch die Zweideutigkeit einer erlaubten, sozusagen kindlichen Liebe begünstigt wurde, annahm, lassen wir dahingestellt sein. Aber die arme, geängstigte, zum Widerstande in einem solchen Kampfe zu schwache Frau wirft sich, als es endlich Nacht geworden, kaum auf dem Lager, weinend und schluchzend in die Arme ihres Gatten.
Er umarmt sie, versucht vergebens, sie zu beruhigen, zu trösten. Erst nach langer Zeit, nach einem Strom von Thränen, während sie ihn noch immer umfangen hält, nicht von ihm lassen will, vermag sie zu sagen: »Verstoße mich nicht. Habe Mitleid mit mir, halte mich ... Ich fühle, daß ich versinke ... So schwach ist mein Wille, daß er von Stunde zu Stunde weniger vermag und sich nur bald ganz entziehen wird ... Was sage ich? Er ist es ja, der mich zu ihm hinzieht und ich habe nur noch Kraft, mich ins Wasser zu stürzen ... O, wie wenig hatte ich Ursache, stolz zu sein; ich bin dafür bestraft. Ich bin schwächer, als es unser Kleiner in der Wiege war ... Ich bitte dich, nimm mich wie ein Kind und behandle mich wie ein Kind, denn weiter bin ich nichts. Du warst bis jetzt zu gut gegen mich; sei streng, sei mein Herr! Züchtige mich. Der gezüchtigte Leib wird meine Seele heilen ... Ich muß dich fürchten können. Töte meinen Willen! ... ich mag nichts mehr von ihm; ich gebe ihn dir ... Du bist mein eigentlicher Wille und mein guter Geist. Aber verlaß mich nun und nirgends, daß ich bei allem dich fragen kann, ob ich es will, ob ich es wollen darf.«
Diese tiefe Erniedrigung einer unschuldigen, tadellosen Frau erfüllt mit innigem Schmerz den, der sie liebt. Ach! sie so tief fallen zu sehen, diese Reinheit, diese Hoheit! ... Er verbirgt seine große Erschütterung, und bemüht sich, zu lächeln: »›Beste, es genügt nicht, daß du das von nur verlangst, du mußt auch machen, daß ich es kann ... O, fühlst du denn nicht, daß dein geliebter Leib mir nicht minder heilig ist, wie das Grab meiner Mutter? Woher nähme ich die Kraft zu einer solchen Grausamkeit?‹«
»Aber wenn es mir wohlthut, Lieber, wenn es mich rettet! Die Furcht, sagt Salomo, ist der Anfang der Weisheit. Ich fühle, daß ich fürchten, daß ich gedemütigt werden muß. Ich werde dich nur um so mehr lieben. Madame ***, die du doch gewiß für keck und stolz genug halten wirst, sagte neulich zu mir: Die Frau, die sich einmal unter die Hand ihres Gatten gebeugt, und die Wucht dieser Hand gefühlt, die um Gnade gebeten, gefleht hat, ist ihm nur um so mehr zugethan für diesen Beweis seiner strengen Liebe, für die Erinnerung dessen, was geschehen ist, und was wieder geschehen kann.«
»›Nein, wir werden nicht zu dieser Barbarei einer früheren Zeit zurückkehren. Großer Gott! ich hätte ein beseeltes, vernünftiges Wesen geheiratet und ich sollte daraus eine Sache, ein Nichts machen! Ich wage nicht, daran zu denken. Aber, Beste, wie tief auch deine Niedergeschlagenheit sein mag, bedenke doch nur selbst, daß der Wunsch meiner Liebe, das, was ich mit so herzlichem Eifer erstrebt, gewollt, gefördert habe, gerade darin bestand, in das Innerste, Allerheiligste deiner Seele zu dringen ... Was würde daraus, wenn ich dich erhörte, deinen Willen bräche, dich durch die Furcht erniedrigte? Gerade dann verlöre ich auf immer meine liebste Hoffnung. Wie kann ich Wahrheit von einem sklavischen Geschöpf erwarten, das einmal vor mir gezittert hat, das, so tief erniedrigt, sich nicht wieder erheben könnte, vielleicht sich nicht einmal erheben möchte? ... Die Seele des Menschen ist nur zu leicht geneigt, sich selbst aufzugeben, sich wohl in ihrer Schmach zu fühlen, darin eine Wollust zu suchen und zu finden.‹«
»Und wenn ich deinen Willen tötete, womit wolltest du mich denn lieben? ... Nein, ich will, daß du mehr und mehr ein freier Mensch werdest, frei gegen mich, wenn es sein muß.«
»›Das habe ich angestrebt, aber nicht hinreichend. Nicht beständig genug habe ich deinen Geist gebildet, dein Herz genährt. Und deshalb diese schlimme Stunde ... Wer trägt die Schuld? Die Arbeit, die Geschäfte, die Sorge, die ich um dein Vermögen, um das Vermögen unserer Kinder trug. Thor, der ich war! Über der Familie vergaß ich die Familie! ... Und um, ich weiß nicht welches Gut war ich in Gefahr, mein größtes Gut, den Himmel, der mir beschieden war, dich, mein teuerstes Kleinod, zu verlieren ... Dank dir, dank für diesen grausamen Schlag, der mich zu mir selbst bringt. Ach, ohne ihn wäre ich nicht mehr Mann. Ich finde mich wieder, ich fühle, ich erkenne mich wieder durch den Schmerz. Auch du sollst mich wiederfinden. Wir wollen uns nie mehr verlassen. Und du wirst mich lieben müssen, denn ich werde deine Liebe verdienen ...‹«
»›Was aber dieses Kind betrifft, so würde es, wenn es nicht schon mein wäre, es jetzt geworden sein. Wer deinen Blick auf sich ziehen, deine liebe Seele einen Augenblick beschäftigen konnte, ist ein Kind der Wahl, das dieses herrlichen Glücks ewig eingedenk sein muß. Er soll mein Sohn sein. Ich werde thun, was in meinen Kräften steht, daß er so hoch steige, wie er kann. Fern, soll er mir immer nahe sein, und nirgends soll er meine schützende Hand vermissen. Wenn er mir schreibt und mir von dir spricht, so wird es eine Freude für mich sein. Mag eine so herrliche Erinnerung sein Herz rein und würdig bewahren, mag sie verhindern, daß er jemals niedrig denke.‹«
*
Die Kranke war nicht eine von denen, die gesund zu werden fürchten. Sie ließ ihren Gatten nicht in diesem blinden, großmütigen Vertrauen einschlafen, verstattete ihm keinen Aufschub, bat dringend um augenblickliche Entfernung. Sie fühlte recht gut, daß in solchen Dingen weder Verzögerung, noch Halbheit herrschen darf. Eine vorübergehende Trennung, die häufige Besuche erlaubt hätte, würde gefährlicher gewesen sein, als ein beständiger Aufenthalt. Schüchterner als Rousseaus Julie, hätte sie die Barke des Saint-Preux und die Felsen von Meillerie gefürchtet. Nein, sie wollte und forderte, daß das Messer tief schnitt, und sollte es ihr ins Herz schneiden.
Aber es überrascht sie, daß der, welcher doch von dieser Operation am meisten hätte leiden müssen, sich leichten Herzens dazu versteht. Der Zauber des Unbekannten, der Reise, eines neuen Lebens, einer schnellen und glänzenden Carriere, die eine liebevolle Fürsorge noch beschleunigen wird, das alles sind süße Tropfen in den Wermut der Trennung. Die lebhafte südliche Phantasie verträgt sich oft sehr gut mit einer andern Gabe, die man mit jener für unvereinbar halten sollte, mit dem sehr nüchternen Sinn für das Reelle und den Vorteil.
Trotz ihrer Tugend und ihres Mutes kränkt es sie doch innig, daß er ihr so leicht gehorcht. Ihr Gatte sieht, wie tief sie leidet. Ein anderer hätte nur seinen Stolz verletzt gefühlt. Aber er, der sie so liebt, teilt ihren Schmerz. Nichts wäre durch die Trennung geschehen, wenn diese kranke Liebe fortdauerte und dauernd wüchse. Was hülfe es, sie nach außen zu schützen, wenn die Wunde drinnen giftig würde?
Wenn ihr Schmerz hätte stumm bleiben müssen, wenn sie nicht hätte wagen dürfen, den Kummer ihrer Liebe und jenes seltsame Mitleid, das der Mensch bei großen Opfern mit sich selbst fühlt, auszusprechen, so wäre sie verloren gewesen. Wäre ihr Gatte der gewöhnlichen Versuchung der Eifersüchtigen gefolgt, hätte er sie aus der Welt entfernt, sie in die Einsamkeit geschleppt, so würde er nur ihre Wünsche erfüllt haben. Hätte er sie auf die höchste Höhe eines Turmes, auf die Spitze eines Felsens verbannt, oder in das Schloß der fieberhauchenden Maremmen, in welchem Dantes Pia sich verzehrt, sie würde es ihm gedankt haben. Wollte er, daß ihr Traum nicht endigte, so mußte er das thun. In der Einsamkeit ihrer Gefangenschaft hätte sie die Seligkeit der Thronen vollauf genießen können.
Er thut gerade das Gegenteil. Er urteilt ganz richtig, daß, wenn die Illusion fortdauert, es deshalb ist, weil der so schnell entfernte Gegenstand ihrer Neigung gerade dadurch, daß er wie ein blendender Strahl an ihr vorüberfuhr, für sie all seinen Reiz bewahren konnte. Weit entfernt, sie der Poesie einsamer Träumerei ungestört zu überlassen, meint er, daß er seine Kranke in die wahre Welt zurückführen, in das Licht der Wirklichkeit bringen müsse, überzeugt, daß jenes falsche, phantastische Bild diese Berührung nimmermehr aushalten kann.
Eine der gewöhnlichsten Ursachen jener Illusionen und Übertreibungen der Liebe besteht darin, zu glauben, daß der oder die Geliebte ein Wunder und einzig in seiner Art ist, durch irgend einen Vorzug, den man in der Folge, wenn man ein wenig mehr von der Welt gesehen hat, als etwas ganz Gewöhnliches erkennt.
Ein junger Mann sieht in Paris ein schönes Mädchen, die ihm durch die Regelmäßigkeit ihrer Züge auffällt. Er ist entzückt. Er heiratet, und ist dann neugierig, die Heimat seiner Frau kennen zu lernen, die Stadt Arles, ihren Geburtsort. Dort findet er überall das Wesen, das er einzig glaubte. Das Wunder ist alltäglich. Es ist die Schönheit eines ganzen Volkes, die Schönheit von Arles, was er geliebt hat; und der junge Mann ist abgekühlt.
Ebenso sieht eine Spanierin, die niemals aus ihrem Lande gekommen ist, und sich der liebenswürdigsten Unwissenheit erfreut, einen jungen Engländer in der ersten Blüte rosenroter Jugend, wie man sie eben nur im Norden findet, mit seinem Erzieher anlangen. Der Sohn Albions verdreht ihr den Kopf. Schließt sie ein, und sie wird darüber sterben. Das Gegenteil ist zu thun. Man muß ihr Deutschland, oder unsere Normandie, England, den ganzen Erdstrich der blonden Schönheit zeigen, wo es Millionen von Frauen und Kindern, selbst von jungen Männern giebt, die ebenso weiß, ebenso rosig sind, wie der, welchen sie für einzig hielt. Hat sie diese Frische auf reizlosen, selbst trivialen Gesichtern gesehen, so wird sie finden, daß dieser gewöhnliche Vorzug einer ganzen Rasse nicht hinreicht, einen Engel auszumachen.
Das Verführerische des Südens für uns Nordländer beschränkt sich nicht bloß darauf. Dieser oder jener Mann aus Lille, Rouen, Straßburg scheint unwiderstehlich. Ist es durch sein eigenes Verdienst? Keineswegs, nur durch seine Rasse, allein dadurch, daß er in seinem Auge, in seiner Rede die Sonne der Provence, die Grazie von Bëarn, das Pikante des Gascogners hat. Die mittelmäßigsten Menschen dieser begünstigten Gegenden bewirken, wenn ihr sie nach dem Norden verpflanzt, die erstaunlichste Illusion. Bei einem offiziellen Mittagsessen, welches sehr viele Unbekannte vereinigte, kam ich einem Südländer gegenüber zu sitzen, dessen prächtige Augen leuchteten; es war kaum möglich, seinen Blick auszuhalten. In diesen Augen lagen wer weiß wie viele Romane in dem Geschmack des Ariost, etwas unbeschreiblich Glänzendes, eine Leichtigkeit, die dennoch Feuer sprühte, zuweilen eine Art von göttlichem Wahnsinn. Ich fragte endlich nach seinem Namen. Es war ein obskurer Mensch, ein Deputierter vom Centrum, der nie ein Wort in der Kammer sprach, sonst überall ein Schwätzer. Mit einem Worte, bei diesem Kunstfeuerwerk war die Rasse alles, der Mann nichts.
*
Gerade nach dem Süden führt unser kluger Gatte die kranke junge Dame. Er läßt ihr keine Zeit, sich in Resignation und Schmerz zu hüllen. Er dringt auf einen Wechsel der Luft, auf eine Veränderung der Gewohnheiten. Der schöne Himmel und die großartige Natur des römischen Frankreichs erheben und stärken das Herz. Rousseau hat wundervoll erzählt, wie zu einer Zeit, als er sich tief niedergeschlagen fühlte, der bloße Anblick, der strenge, grandiose Anblick des Pont du Gard ihn aufrichtete. Wieviel mehr vermag noch das erhabene Schauspiel der Pyrenäen! Ihre jungfräulichen Gletscher, ihre fleckenlosen Schneefelder reinigen Auge und Seele.
Aber die intelligente, seine Dame vergißt über der Natur die Menschen nicht. Sie findet überall in diesen Landen ihren jungen entfernten Geliebten. Zuerst leidet sie darunter. Dieselbe Lebhaftigkeit, dieselbe Grazie, dieselbe glänzende, fließende Rede. Noch mehr. Sie findet selbst das wieder, wovon sie glaubte, daß es ihm allein, und dem Augenblick und der Situation gehört habe – dieses reizende Feuer des Blicks, der manchmal Funken sprüht, manchmal so innig ist, sich in ein halb tragisches Dunkel hüllt, welches so rührt und doch gar nichts wahrhaft Ernstes in sich hat.
Der junge Mann war unterhaltend, schwatzte vortrefflich. Das thun sie alle hier, manche mit wahrer Meisterschaft. Ein beliebiger Handlungsreisender wird, um euch zu bewegen, von seinem Wein zu kaufen, mehr Diplomatie entwickeln, als zehn Talleyrand. Ihr zaudert? Das Crescendo seiner lebhaften Beredsamkeit wird ein Sturmwind, eine Trombe; ein Gebirgswasser der Pyrenäen, das seine Ufer mit sich fortreißt. Der junge Mann erhebt sich bis zum Pathos, bis zum Erhabenen, man kann ihm nicht widerstehen. Wenn er wieder auf der Straße ist, wird er euch auslachen.
Eine Nation von Münchhausen! und doch wie liebenswürdig! denn sie lügen, ohne zu lügen, weil es ihre Natur so will. Macht ihnen keinen Vorwurf über ihre Aufschneiderei. Sie haben das Vorrecht der Poeten. Es liegt das so tief in ihnen, in ihrem Blut, daß sie bei jeder Gelegenheit, ohne das mindeste Interesse, sie mögen wollen oder nicht, aufschneiden. Ich habe welche gekannt, die ganze Tage lang einen Strom von Fakten entrollten, die niemanden täuschen konnten, die als Fakta falsch waren, aber eine ideale Wahrheit hatten, und die, wenn sie in der Wirklichkeit nicht vorkommen, so doch auf dem glänzenden Theater der schöpferischen Phantasie existierten.
Das erste Mal, wenn wir Nordländer dieses Wunder erblicken, sind wir geblendet, überwältigt. Das hatte die junge Dame erfahren, als sie es bei einem einzelnen sah. Aber da sie es jetzt bei dem großen Haufen, in einem ganzen Volke findet, beruhigt sie sich, kommt sie wieder zu sich und lächelt.
Der Gott wird wieder Mensch; ein Mensch, wie er sich auch sonst noch findet. Er läßt sich klassifizieren, unterordnen, in eine Gattung, eine Art bringen. Wenn das himmlische Wesen verschwunden ist, bleibt ein junger, etwas leichtsinniger Mensch, auf den sich nicht allzusicher bauen läßt, doch immerhin ein junger Mensch von einigem Verdienst.