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Das Haus ist ein anderes, belebter, lauter. Ein neues Centrum ist da, die Wiege, und alles dreht sich darum. Das Säuglingsalter, die unendliche Unschuld des kleinen Wesens verbreiten ihren Zauber über alles. Mitleid und Zärtlichkeit unterwerfen ihm die Familie. Der Vater dient der Mutter, diese dem Kinde. Es ist eine Welt, scheinbar gegen den Lauf der Welt, aber so wie die Liebe, wie Gott es will: der Starke thut hier alles für den Schwachen, und die Herrschaft ist bei dem Kleinsten.
Auch ist das Haus weniger verschlossen, weniger einsam. Das Kind leidet, schreit, was thun? Man ruft andere zur Hilfe herbei. Die Mutter stillt; aber es ist unmöglich, daß sie, schwach und zart wie sie ist, allen Anforderungen genüge. Man bedarf einer zweiten Dienerin, die, das Kind auf den Armen, fortwährend inmitten der Familie ist, alles sieht und hört. Später wird sie mit hinein sprechen und durch das Kind eine wichtige Person werden.
Nun ist es vorbei mit der Einsamkeit. Die erste Dienerin lebte für sich, zählte nicht. Früher waren sie Zwei, jetzt sind es ihrer Fünf.
Und eine noch wichtigere Veränderung. Die Mutter findet in dieser Wiege ihre Welt, die andere ist für sie verschwunden. So muß es sein, und es ist gut für das Kind, daß es so ist. Das hilflose Wesen würde untergehen, wenn nicht die Mutter ganz in ihm aufginge.
Der Vater mag diese Zurücksetzung schwer empfinden; dennoch reißt es ihn zur Anbetung hin. Sie ist so schön, so rührend in diesem Zustande süßer Trunkenheit, liebevoller Unruhe, daß er zu sich selbst sagt: »Ich erkenne sie kaum wieder! ... Bis jetzt hatte ich sie noch nicht gesehen, hatte kaum eine Ahnung ihres eigentlichen Wesens.«
Wenn sie, bebend über ihren Sohn gebeugt, ein himmlisches Lächeln in diese blöden Augen spiegelt, so verwandelt der Lichtglanz, der von ihr auf ihn überstrahlt, alles rings umher; kein Herz kann sich dem entziehen, jeder wird hingerissen ... (Correggio in Dresden und Solari im Louvre.)
Die Liebe hat die Liebe überholt. Sie gedachte sich selbst zu wiederholen, sich noch einmal zu schaffen, und sie hat mehr gethan, als sie wollte. Sie hat, ohne es zu wissen, einen Gott erzeugt, und es bleibt ihr nichts übrig, als ihn anzubeten.
Soll das indessen heißen, daß dies Wunder den zum Nichts verdammte, der doch alles in allem, der Wunderthäter ist? Nein, die mitleidige Natur erbarmt sich der ersten Liebe. In dem Augenblicke, wo die Frau dem, welchen sie liebt, so entfremdet scheint, gehört sie ihm nur noch mehr. Die tiefe Imprägnation, die ihr durch ihn geworden ist, besteht fort und wird nur immer tiefer und tiefer werden. Die thätige Liebe, mit der sie ihr Kind umfängt, thut der passiven, unwillkürlichen und um desto mehr unbesiegbaren Liebe, von der sie ganz eingenommen ist, keinen Abbruch. Sie denkt weniger an den Gatten, liebt ihn weniger in Gedanken, aber mehr mit ihrem Blute, mit ihrem umgewandelten Wesen. Während dieser Vergessenheit, die sie zu trennen scheint, schreitet die Umwandlung vorwärts, die sie immer inniger vereinigt.
Das ist noch nicht alles. Die Lebensflut steigt.
Die so verschiedenartigen, bald freudigen, bald schmerzlichen Erregungen des Stillens, in die sich manchmal eine Empfindung geheimnisvoller Wonne mischt, die sie bis ins Innerste durchschauert, bewirken (durch einen sechsten Sinn, der sich nicht definieren läßt), daß für sie die Liebe zu ihrem Kinde und die Liebe zu ihrem Gatten ineinanderfließen. Das Kind regt sie wunderbar auf, und sie blickt den Vater an. Wenn die liebliche Quelle sanft und gleichmäßig rinnt, wenn das Kind seiner Mutter nicht beschwerlich fällt und nur den Überfluß ihrer Fülle von ihr heischt, versinkt sie in eine Art von Verzückung, einen Halbtraum, wo ihr Leben und das Leben jener für sie nicht mehr unterscheidbar sind. Sie vermag sich nicht mehr als Individuum zu denken; sie ist in allen Dreien zu gleicher Zeit, und vorzüglich in den Beiden, welche sie liebt.
*
Wenn sie in dieser Seligkeit der Kontemplation überhaupt denkt, so ist es, um dich mit ihm zu vergleichen: – dich, den sie im innersten Herzen trägt, und dich, der vor ihr in der Wiege liegt. »O, wie er dir gleicht!« das ist ihr ewiges Wort. Und es ist ihr voller Ernst. Es ist für sie eine zärtliche Wollust der Entsagung, zu sprechen: »Ich habe ihn empfangen, und er ist ganz dein Werk. Ich habe beinahe nichts dazu gethan. Deine Züge, deine Seele bis auf deine Bewegungen, du hast fast alles in ihn gelegt ... du selbst warst dieser Flammenstrahl.«
Freunde, Nachbarn, Dienstboten, jedes in seiner Weise, verfehlen nicht, dem beizustimmen; jedes hebt einen besonderen Zug hervor. »Der Mund hauptsächlich – nein, es sind die Augen.«
Bei diesem fröhlichen Christfest verstattet das kleine Wesen durch seine unbestimmten Züge und tausend zweifelhafte Schatten, je nach der Stunde und dem Gesichtspunkte, jede Illusion. Es ruft wach und reproduziert alles, was man will. Diesen Gedanken eines schönen Tages, diesen nächtlichen Vorfall, diese körperliche Eigentümlichkeit, die nur Einem bekannt ist, alles bringt es harmlos an den Tag. Ah, dieses Mal im Gesicht, ich kenne es wohl! Das allerliebste Grübchen in seiner Wange, ich habe es auch sonst schon gesehen ... Wenn seine Brauen sich zusammenziehen, ich weiß, weshalb; es ist nicht seine Schuld ...
So entzückt sie das Kind, eine lebendige Geschichte, die ihnen alle ihre Geheimnisse, selbst solche Dinge, die sie schon wieder vergessen hatten, erzählt. Wie sollten sie ihn nicht lieben, diesen reizenden Vertrauten, der da weiß, was man niemals ausspricht, und den Augenblick entzückendster Lust in himmlischer Reinheit darstellt! Ein treues, unbewegliches Bild, hat es diesen Blitz eines Momentes, der die Zukunft in sich barg, fixiert und bewahrt.
So gut hat es ihn bewahrt, so ganz ist es selbst der lebendige Blitz, die verkörperte Lust, daß sein Anblick das Entzücken wieder wachruft. Wenn sie sich noch nicht liebten, so wäre es hinreichend, die Flamme wieder anzuschüren. Sein Vater glüht bei dieser Erinnerung. Sie selbst errötet, sie ist bewegt, sie hebt die liebetrunkenen Augen und senkt sie wieder. Aber zuletzt kommt sie doch zuerst ein wenig zur Besinnung und (war sie jemals reizender?) bittet: »Schone unser ... denke an deinen Sohn!«
*
Er ist gerührt, und beide vereinigen an der Wiege ihre Seelen und gedenken gemeinschaftlich der Zukunft.
Wie wird es sein an dem schönen Tage, wo das Kind freier um sich schauen, wo seine Händchen sich bewegen werden, es den ersten Schritt versuchen wird? Welche Gefühle, welche Worte werden sie auszutauschen haben! Was haben sie nicht alles sich zu sagen, und wie sehr ist es nötig, daß sie sich verstehen! Das Kind ist für sie die Quelle tausend neuer notwendiger gegenseitiger Bezüge; oder besser, es ist die lebendige Vereinigung der beiden.
Eine süße und heilige Vereinigung, bei welcher dennoch das Stillen des Kindes eine halbe Trennung zur traurigen Pflicht macht.
Der Arzt, die Mutter haben nicht nötig, dem Gatten noch lange zuzureden. Die Liebe zu seiner Frau, die Liebe zu seinem Kinde sprechen deutlich genug für ihn. Er entfernt sich, aber so wenig wie möglich, und er bleibt noch in demselben Zimmer. Vorläufig wird er sich ausbetten.
Dabei bleibt es nicht. Die Mutter selbst entfernt ihn aus zärtlicher Fürsorge noch weiter. Das Kind schreit, und wie könnte der Vater, wenn er des Nachts wachen muß, am Morgen zur rechten Zeit an die Arbeit gehen? Sie bittet, dringt in ihn; er sträubt sich ein wenig. »Aber, Lieber, wenn du krank würdest? ... Wir haben ja nur dich.« Das ist ein triftiger, unwiderleglicher Grund. Der arme Mann bescheidet sich. Verbannt aus der lieben Gesellschaft, in der er bis jetzt zu jeder Stunde lebte, verbannt aus einer ganzen Welt reizender Vertraulichkeiten, die dieses Leben wahrhaft zauberisch machten, geht Adam aus dem Paradiese.
*
Des Abends zum wenigsten, bei der Rückkehr von der Arbeit, wurde ihm der Genuß, den Gesang einer Frau zu hören, den Gesang dieser geliebten Stimme. Auch hier zeigt sich die Trennung. Denn ihr genügt jetzt das Kind; es ist ihr Gesang, ihre Musik. Tag und Nacht in diesem einen Gedanken versunken, bedarf sie nichts weiter. »Lieber, ich habe keine Stimme mehr. Die Niederkunft hat sie mir geraubt ...«
Da steht das Instrument, ein undankbares, aber nicht monotones Instrument, das Klavier, an dem sie so viele Jahre zugebracht hat. O, wie wenig scheinen ihr heute seine harten Tasten den unendlichen Harmonien zu entsprechen, die sie im Herzen hegt, wie die Orgel einer Kathedrale, die abgrundtiefe Liebe einer Mutter!
Wenn der Mann sich des vergessenen Instrumentes erinnerte, wenn er sie bäte, wieder einmal zu spielen, so würde sie ohne Zweifel einen Versuch machen; an Bereitwilligkeit fehlt es ihr nie ... Aber es geht nicht. Seit den vielen Monaten hat das Klavier sehr gelitten, und die beste Saite ist zersprungen.