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22. Kapitel.

»Im glühend heißen Sonnenbrand
Trag' ich der Knechtschaft Ketten.
O du mein teures Vaterland,
Gibt's niemand, mich zu retten?

Die Sonne sengt mir das Gehirn.
Die Sehnsucht schmilzt das Herze.
Vor Heimweh glühet mir die Stirn,
Die Seele brennt im Schmerze.

Allmächtiger, erbarm' dich mein,
Es ist nicht mehr zu tragen.
Von Hoffnung, ach, nur einen Schein,
Dann will ich nicht verzagen!«

Der Graf kletterte hinab, und der andere folgte ihm. Das Gefängnis war so eng, daß sie beinahe Brust an Brust standen, aber dies belästigte sie nicht im mindesten, es war vielmehr dem Grafen eine Seligkeit, einem Menschen nahe zu sein, von dem er erwarten konnte, in ihm einen Freund zu finden. Dieser faßte ihn bei beiden Händen und sagte:

»Verzeiht, Don Ferdinando, daß ich Euch die Hand drücke. Aber ich fühle mich ganz selig, nach so langem Leiden einen Landsmann zu finden. Ich bin nämlich aus Manresa gebürtig.« – »Aus Manresa? So nahe bei Rodriganda?« fragte der Graf überrascht. – »Ja. Ich bin nur ein gewöhnlicher Mann. Ich heiße Bernardo Mendosa, und mein Vater war Barbier.« – »Ach, ich besinne mich seiner. Er ist der Schwager des braven Juan Alimpo, des Kastellans meines Bruders.« – »Ja, Juan Alimpo ist mein Oheim mütterlicherseits. Der andere Oheim, den ich habe, nämlich der Bruder meines Vaters, ist Dominikaner. Oh, Herr, ich habe Euch vielleicht viel, sehr viel zu erzählen! Kennt Ihr diesen Dominikaner?« – »Nein.« – »So sagt mir zunächst, seit wann Ihr aus Mexiko fort seid.« – »Seit langer, langer Zeit. Es ist mir unmöglich geworden, die Tage, Wochen und Monate zu zählen, aber ich glaube, daß ich ungefähr seit zwölf Jahren hier in der Gefangenschaft schmachte.« – »Dios! So wißt Ihr noch gar nicht, daß Euer Herr Bruder, Don Emanuel, gestorben ist?« – »Nein. Sollte er aber wirklich gestorben sein? Wenn ich so über das, was mit mir geschehen ist, nachdenke, so scheint es mir, als ob es Leute gebe, denen an seinem und meinem Verschwinden außerordentlich gelegen ist.« – »Glaubt Ihr das, glaubt Ihr das wirklich?« fragte Bernardo rasch. »Vielleicht habt Ihr recht. Aber was ist mit Euch geschehen?« – »Das mag einstweilen auf sich beruhen«, sagte der Graf zurückhaltend. »Sage mir zunächst, was du von der Heimat und von den Meinigen weißt und wie du hierhergekommen bist.« – »Was Eure Familie betrifft, Señor, so weiß ich also, daß Don Emanuel gestorben ist und daß Don Alfonzo das Erbe angetreten hat.« – »Ah!« rief der Graf.

Er erinnerte sich an die letzten Szenen, die er in Mexiko erlebt hatte. Er dachte an jenes Duell, dem Alfonzo so schändlich entflohen war und das infolgedessen er selbst hatte ausfechten müssen. Er dachte an alles, was ihm die brave Marie Hermoyes erzählt hatte, es war daraus hervorgegangen, daß Alfonzo nicht der echte Nachkomme der Grafen von Rodriganda sei. Er dachte ferner an die furchtbaren, schrecklichen Stunden, in denen er erstarrt war und auf dem Totenbett gelegen hatte. Da hatte Alfonzo heuchlerische Tränen vergossen und eine außerordentliche Traurigkeit gezeigt. Aber das eine Auge des vermeintlichen Toten war nur halb geschlossen gewesen, und so hatte er deutlich gesehen, daß Alfonzo in den Augenblicken, wo er sich unbeobachtet bemerkte, statt der Zeichen des Leides eine höhnische Freude in seinem Gesicht getragen hatte. Er dachte endlich an den Moment, wo er von Kapitän Landola und dem verräterischen Cortejo in die Kajüte des ersteren geschafft worden war. Er hatte da in dem Korb gesteckt, aber trotzdem alles gehört, was diese beiden Menschen miteinander gesprochen hatten. Es war daraus hervorgegangen, daß Alfonzo mit im Komplott stecken müsse.

Es fuhr ihm dabei der Gedanke an das zweite Testament durch den Kopf, das er im Beisein von Marie Hermoyes verfaßt hatte. Dasselbe war in dem mittelsten Kasten seines Schreibtisches versteckt worden. Hatte man es nicht gefunden? Er hatte ja Alfonzo enterbt, und nun war dieser jetzt dennoch Graf von Rodriganda! Das Testament war also entweder unterschlagen worden oder auf irgendeine Weise verlorengegangen!

»Alfonzo?« fragte er. »Er ist Graf? Wie regiert er seine Untertanen?« – »Oh, wie ein echter, richtiger Tyrann. Er ist verhaßt im ganzen Land. Man fürchtet ihn und flüstert sich gar wunderbare Sachen über ihn zu.« – »Welche Sachen sind dies?« – »Ich weiß nicht, ob ich davon reden darf«, antwortete Bernardo geheimnisvoll. – »Ich bitte dich, mir alles aufrichtig zu sagen.« – »Nun, in meiner gegenwärtigen Lage ist ja alles gleich, es kann mir nichts schaden, wenn ich offen spreche. Man sagt nämlich, daß Alfonzo kein Rodriganda sei.« – »Ah!« entfuhr es dem Grafen. »Woraus schließt man dies?« – »Es scheint so in der Luft zu liegen. Außerdem aber habe ich ein Gespräch zwischen Gasparino Cortejo und meinem Oheim, dem Pater Dominikaner belauscht. Dieses Lauschen ist auch schuld, daß ich mich hier befinde, man hat mich unschädlich gemacht.« – »Erzähle, erzähle!« drängte der alte Graf. »Was kann der Dominikaner wissen?« – »Das sollt Ihr sogleich erfahren, Señor. Ich bin nämlich Gärtner und wurde zuweilen auf Schloß Rodriganda beschäftigt. Es gibt da ein kleines Borkenhäuschen, in dem ich meine Werkzeuge aufzubewahren pflegte ...« – »Ich weiß das, ich kenne es sehr genau«, fiel Ferdinando ein, denn er erinnerte sich an jenes Häuschen.

»Eines Abends«, fuhr Bernardo fort, »war ich sehr ermüdet und wollte mich in dem Häuschen ein wenig ausruhen. Ich streckte mich also nieder, schlief aber ein. Als ich erwachte, wußte ich nicht, wie lange ich gelegen hatte. Eben als ich mich erheben wollte, hörte ich die Schritte zweier Männer, die langsam daherkamen. Vor dem Häuschen blieben sie zufällig stehen, und ich hörte nun jedes Wort, welches sie sprachen. Wißt Ihr, wer es war?« – »Nun, ich kann es mir denken. Gasparino Cortejo und der Dominikaner.« – »Ja, diese beiden waren es. Und soll ich Euch mitteilen, was sie miteinander sprachen?« – »Natürlich, natürlich! Rede nur schnell!« antwortete ungeduldig Don Ferdinando. – »Sie schienen schon längere Zeit miteinander im Gespräch begriffen zu sein, obgleich ich mir nicht denken konnte, was meinen Onkel Dominikaner bewogen haben könne, zu so später Stunde eine Unterredung mit Cortejo zu suchen. Vielleicht hatten sie sich ganz zufällig getroffen. Als sie so vor dem Häuschen standen, hörte ich den letzteren höhnisch sagen: ›Sie maßen sich zu viel an, frommer Pater! Wie können Sie es wagen, dem Grafen Alfonzo de Rodriganda Vorschriften zu machen! Und wenn Sie ihm etwas mitzuteilen haben, so wenden Sie sich in Zukunft an ihn, nicht aber an mich!‹ – Darauf antwortete mein Oheim mit seiner sanften und doch festen Stimme: ›Sie nennen mein Verhalten eine Anmaßung? Ich bin ein Diener der heiligen Kirche und habe als solcher die Pflicht, zu warnen und zu raten. Graf Alfonzo mag froh sein, daß ich einstweilen nur als warnender Priester einschreite, den es schmerzt, zu sehen, welche Ungerechtigkeiten die Untertanen zu dulden haben. Ich könnte anders gegen ihn auftreten!‹ – ›Ah! Wie denn?‹ – ›Als Ankläger.‹ – Als Ankläger? Ich glaube, Sie sind nicht recht gescheit, mein sehr ehrwürdiger Herr!‹ – ›Ich rühme mich allerdings keiner sehr großen Klugheit, ich verachte vielmehr die Klugheit der Kinder dieser Welt, die nur auf Lug und Trug sinnen. Und wenn Sie mir sagen, daß ich mich an den Grafen, nicht an Sie zu wenden habe, so muß ich Ihnen entgegnen, daß nicht er es ist, sondern daß Sie es sind, der die Zügel führt. Und außer diesen Zügeln befinden sich in Ihrer Hand auch die Fäden jener Angelegenheit, deren Kenntnis mich befähigt, ja beinahe verpflichtet, gegen Sie und den Grafen als Kläger aufzutreten.‹ – Cortejo schwieg einen Augenblick, als ob er erstaunt oder erschrocken sei, dann sagte er: ›Sie schwätzen dummes Zeug! In Ihrem Hirn ist es nicht ganz richtig.‹ – ›Oh, Señor, ich könnte Ihnen sofort beweisen, daß mein Hirn ebenso gesund ist wie das Ihrige.‹ – ›Das dürfte Ihnen schwer werden, mein frommer Vater!‹ höhnte Cortejo. – ›Sehr leicht sogar! Sie halten sich allerdings für klug und weise, Sie glauben, Ihre Schliche so klug und vorsichtig unternommen zu haben, aber Gott bringt alles an das Licht. Er sieht und hört alles, und wenn seine Zeit gekommen ist, macht er es offenbar.‹ – ›Reden Sie keinen Wahnsinn! Was sprechen Sie von Schlichen? Wenn Sie sich nicht einer größeren Höflichkeit befleißigen, werde ich Sie Sitte und Anstand lehren!‹ – Diese Worte hatte Cortejo im Zorn gesprochen, aber der Pater antwortete ruhig: ›Nun, so muß ich Sie an zweierlei erinnern.‹ – ›An was? Ich bin sehr begierig, es zu hören.‹ – ›Zunächst an einen Gasthof in Barcelona. Dort wurde von Ihnen mit Hilfe eines Räuberhauptmanns und seines Genossen ein Kind verwechselt.‹«

Der alte Graf Ferdinando hatte bis jetzt lautlos zugehört. Jetzt aber rief er rasch:

»Ein Kind verwechselt? In Barcelona? Mein Gott, jetzt wird es hell, jetzt endlich nach so langer Zeit erhalte ich Klarheit! Fahre fort! Schnell! Was antwortete Cortejo?« – »Er schwieg zunächst, aber ein leises, hustendes Räuspern zeigte mir an, daß er sehr erschrocken sein und sich in einer großen Verlegenheit befinden müsse. Endlich sagte er: ›Sie sind verrückt, geradezu verrückt!‹ – Aber der Onkel fuhr unbehindert fort: ›Und sodann erinnere ich Sie an ein Schiff des Kapitäns Landola, auf dem ein Gefangener von Verakruz abgeholt wurde. Wissen Sie, wer dieser Gefangene war?‹ – Cortejo war einen Augenblick lang wie gelähmt. Knirschend entgegnete er: ›Mensch, du bist kein Priester, sondern ein Teufel. Fahre zur Hölle, wohin du gehörst!‹ – In diesem Moment blitzte es auf, und ein Schuß krachte. Aber die Kugel traf nicht. Gott beschützte den Priester. Dieser erhob drohend die Hand und rief: ›Gasparino Cortejo, nicht ich bin es, sondern du wirst es sein, der in die Hölle fährt!‹ Nach diesen Worten verschwand er zwischen den Büschen. Cortejo blieb eine Weile ganz bewegungslos stehen, als ob er betäubt sei, worauf ich ihn murmeln hörte: ›Das sollst du mir büßen, du Halunke! Der Kerl weiß alles! Nun sollte uns noch dazu jemand belauscht haben!‹ Es wurde mir bange. Ich zog mich in den tiefsten Winkel des Häuschens zurück, aber er trat ein, fand mich und fragte, als er mich erkannt hatte, grimmig: ›Mensch, was tust du hier?‹ – ›Ich schlief‹, antwortete ich. Jetzt, da er vor mir stand, war es mir nicht mehr bange, denn ich war stärker als er. ›Hast du gehört, was gesprochen wurde?‹ – ›Ja‹, antwortete ich. Ich hielt es für gut, ihn wissen zu lassen, daß ich ihm gefährlich werden könne. – ›Ah! Alles?‹ fragte er. – ›Alles!‹ – ›Der Pfaffe war verrückt; er phantasierte. Aber trotzdem darf niemand erfahren, was er sagte. Kannst du schweigen?‹ – ›Ja, Señor.‹ – ›Nun gut, ich werde dich belohnen. Du bist bisher nur zur Aushilfe hier gewesen?‹ – ›Allerdings.‹ – ›Nun, von heute an bist du fest angestellt. Welches Gehalt du bekommst, wirst du morgen erfahren; aber wehe dir, wenn dir es einfallen sollte, zu plaudern!‹ Damit ging er fort, und ich war zum zweiten Schloßgärtner avanciert. Ich hatte es sehr gut, aber ich bemerkte doch, daß Cortejo mich mit großem Mißtrauen beobachtete, er schien mich zu fürchten. Mein Oheim war seit jener Nacht aus unserer Gegend verschwunden. Dennoch aber schien Cortejo erfahren zu haben, daß der Dominikaner mir nahestand, denn eines Tages, als er mich bei meiner Arbeit im Garten traf, fragte er mich: ›Wie ist dein vollständiger Name?‹ –›Bernardo Mendosa‹, antwortete ich. –›Aus Manresa?‹ – ›Ja.‹ – ›Heißt jener Pater Dominikaner, mit dem ich an jenem Abend von dir am Borkenhäuschen belauscht wurde, ursprünglich nicht auch Mendosa?‹ – ›Ja.‹ – ›Und stammt auch aus Manresa?‹ – ›Ja.‹ – ›So seid ihr wohl verwandt miteinander?› – ›Er ist mein Onkel, der Bruder meines Vaters.‹ – ›Ah! Ich habe ihn längere Zeit nicht gesehen. Weißt du nicht, wo er sich jetzt befindet?‹ – ›Ich weiß gar nichts von ihm.‹ – ›Ich hoffe, daß du die Wahrheit sagst‹, drohte er mit finsterer Miene. ›Wenn du gelernt hast, zu schweigen, so sei alles vergeben und vergessen.‹ Er ging fort, und ich schwieg; aber trotzdem war nichts vergeben und vergessen. Eines Tages ließ er mich zu sich kommen und gab mir den Auftrag, nach Barcelona zu gehen. Im dortigen Hafen lag ein Schiff, dessen Kapitän exotische Gewächse mitgebracht und zu verkaufen hatte. Ich sollte mir die Pflanzen ansehen und mir ein Preisverzeichnis geben lassen. Ich ging, aber ich bin niemals zurückgekehrt.«

Der Erzähler schwieg eine Weile. Die Gedanken an die nun folgenden Ereignisse stürmten zu mächtig auf ihn ein. Endlichaber fuhr er fort:

›Ich richtete meinen Auftrag bei dem Kapitän des Schiffes aus; ich kannte ihn damals noch nicht, es war Henrico Landola. Er hatte gar keine Pflanzen, dies gestand er mir unter schadenfrohem Lachen. Und als ich das Schiff verlassen wollte, wurde ich festgehalten, gebunden und in eine dunkle Koje geworfen. Erst nach längerer Zeit, als wir uns bereits auf hoher See befanden, durfte ich das Deck betreten, um frische Luft zu atmen. Und hierbei wurde mir bedeutet, daß ich Matrose sei und bei Todesstrafe zu gehorchen habe.« – »Schändlich!« sagte der Graf. – »Oh, Don Ferdinando, das war noch lange nicht das Schändlichste! Denn bald bemerkte ich, daß dieser Landola ein Sklavenhändler und Seeräuber sei. Denkt Euch, ich sollte da mittun! Ich sollte die armen Schwarzen mit fangen und verkaufen helfen! Ich sollte andere Schiffe mit überfallen und ausrauben und mich an der Ermordung der Mannschaft beteiligen! Ich weigerte mich, da wurde ich wieder eingesperrt, mußte hungern und erhielt Schläge, die mir die Glieder zerfleischten. Oh, dieser Teufel, dieser Landola! Könnte ich ihn mit glühenden Zangen peinigen, ich würde es sicher tun!« – »Überlaß ihn Gott! Dieser ist gerecht und wird ihn richten. Doch erzähle weiter.« – »Da ich mich trotz des Hungers, der Schläge und aller Schmerzen standhaft weigerte, an den Verbrechen der anderen teilzunehmen, so erklärte Landola, daß er mir die stärkste Strafe, die es gäbe, bestimmt habe; ich sollte als Sklave verkauft werden. Wir segelten damals an der Ostküste Afrikas hinauf. Er ankerte vor Karat und ging an das Land. Nach kurzer Zeit wurde ich abgeholt. Er hatte mich wirklich verkauft. Der Käufer war ein wilder Sklavenfänger, dem ich, mit Ketten belastet, in das Innere des Landes nach Dollo folgen mußte. Dort verkaufte er mich wieder. Mein neuer Herr war ein grausamer Negerfürst. Was ich bei ihm ausgestanden habe, zu erzählen, dazu reicht die menschliche Sprache nicht aus; es ist so furchtbar, daß ich mich noch in meiner Todesstunde darüber entsetzen werde. Ich mußte arbeiten für zehn Mann und die niedrigsten, oft die scheußlichsten Dienste verrichten; ich wurde mißhandelt wie ein Vieh und erhielt nicht halb satt zu essen, aber trotz alledem und trotz der mörderischen Gegend, in der ich mich befand, hielt ich das alles aus, ja, ich wurde kräftiger und stärker, als ich je vorher gewesen war. Da starb mein Herr, und da sein Erbe mich nicht behalten wollte, so verkaufte er mich an einen Mann aus Harrar, der mich mitschleppte und seinem Sultan zum Geschenk machte. So kam ich hierher.« – »Wie lange ist dies her?« – »Es sind erst vierzehn Tage.« – »Ah, darum habe ich dich nicht gesehen. Ich habe nämlich drei Wochen lang entfernt von hier in einer Kaffeepflanzung des Sultans arbeiten müssen. Aber was hast du getan, daß du in das Gefängnis gesteckt worden bist?« – »Ich erhielt gleich bei meiner Ankunft hier den Befehl, Mohammedaner zu werden.« – »Gerade wie ich, aber ich habe stets widerstanden.« – »Ebenso auch ich. Man marterte mich nun, und als ich mich trotzdem weigerte, den falschen Propheten Mohammed anzurufen, wurde ich in dieses Loch geworfen. Heute hörte ich nun Euch, Señor, und es ist in der Tat geradezu ein Wunder, daß wir beide, die wir die gleiche Heimat haben, uns in einem so fremden Land, in ganz derselben Stadt und in ganz demselben Kerker finden! Ich habe nachgesonnen, ob nicht eine Rettung möglich sei, doch vergebens, unser Zusammentreffen aber nehme ich für einen Wink vom Himmel, nicht alle Hoffnung zu verlieren. Gott kann unmöglich wollen, daß Ihr die Enthüllung Eurer Familiengeheimnisse hier findet und dann untergeht. Ich bin ja nur ein schlichter, einfacher Mann, Ihr aber seid ein vornehmer Herr, der mehr Klugheit und Scharfsinn besitzt als ich. Vielleicht gelingt es Euch, ausfindig zu machen, wie wir uns mit vereinter Kraft aus dem Kerker und diesem Land retten zu können. – So, das ist alles, was ich Euch zu sagen habe. Ich überlasse es Euch, ob auch Ihr mir erzählen wollt, wie Ihr nach Harrar gekommen seid.«

Mendosa schwieg. Er erwartete jedenfalls eine Antwort, aber sie blieb aus, der alte Graf war in Gedanken versunken, denn er hatte jetzt so viel gehört, er hatte den ersten Schlüssel zu dem Rätsel gefunden, dessen Lösung ihm bisher unmöglich gewesen war. Durfte er dies als eine Fügung Gottes betrachten, so folgte daraus die Hoffnung, vom Tode und der langjährigen Knechtschaft errettet zu werden. Endlich fragte er den Gärtner:

»Weißt du oder ahnst du vielleicht, woher dein Oheim, der Pater Dominikaner, etwas über jene Kindesverwechslung und über jenen Gefangenen auf dem Schiff des Kapitäns Landola gehört hat?« – »Nein. Ich habe Euch bereits erzählt, daß ich den Oheim noch nicht wieder gesehen habe.«

Der freundliche Leser wird sich entsinnen, daß dieser Pater Dominikaner zweimal die Beichte eines Sterbenden gehört hatte. Einmal in der Räuberhöhle, als der todkranke Bettler Pedro, der eigentlich Manuel Sertano hieß und aus Mataro war, ihm sagte, daß er die Knaben verwechselt habe. Das andere Mal im Kerker zu Barcelona, als der sterbende Steuermann Jacques Garbilot in Sternaus Gegenwart von dem Gefangenen, den Kapitän Landola von Mexiko mitnahm, erzählt hatte. Dies waren die beiden Quellen, aus denen der Priester geschöpft hatte. Don Ferdinando fragte weiter:

»Woran ist denn mein Bruder Emanuel gestorben?« – »Oh, wenn er wirklich gestorben ist, so hat er einen sehr traurigen Tod gehabt, Señor.« – »Der Arme! Erzähle!« – »Er wurde zunächst blind ...« – »Das weiß ich. Er war bereits blind, als ich mich noch in Mexiko befand.« – »Später wurde er wahnsinnig ...« – »Herrgott, ist das möglich!« rief der Graf. – »Ob es möglich ist, Señor? Jedenfalls. Aber ob er es wirklich war, das ist eine andere Frage.« – »Ich ahne, daß er ein Opfer derselben Machination geworden ist, der auch ich erlegen bin. Hat man ihn denn nicht unter die Obhut eines tüchtigen Arztes gestellt?« – »Darüber raunte man sich sehr eigentümliche Sachen zu, gnädiger Herr.« – »Erzähle, ich will alles hören, alles, verstehst du mich?«

Der Gärtner folgte diesem Gebot nicht sofort. Er schien sich erst besinnen zu müssen. Endlich aber erzählte er den uns bekannten Vorgang auf Schloß Rodriganda, das Erscheinen Doktor Sternaus und dessen mutiges und erfolgreiches Eingreifen in die Geschicke des Grafen Emanuel.

Als schließlich der Gärtner berichtete, daß Doktor Sternau dann mit Rosa nach seiner Heimat geflohen sei und sie dort geheiratet habe, da fuhr Don Ferdinando überrascht auf.

»Sie, eine Gräfin Rodriganda, die Frau eines deutschen Arztes?« sagte er. – »Ja. Ihr dürft Euch nicht darüber wundern, Señor. Sternau war ein Mann, wie ich noch keinen gesehen habe, ein Mann wie ein König, und doch so gut und mild. Er hat es an den Rodrigandas verdient, daß er der Mann Ihrer Tochter geworden ist.« – »Du magst recht haben. Obgleich sich soeben das stolze Blut meiner Väter in mir regen wollte, bin ich doch jetzt nichts als ein elender, hilfloser Sklave. Vielleicht ist meine Nichte in den Armen dieses Mannes glücklicher, als wenn sie das Weib eines Herzogs geworden wäre. Aber sie war ja wahnsinnig. Wie konnte er sie da heiraten?« – »Er hat sie geheilt, wie ihm auch die Heilung Don Emanuels gelungen wäre, wenn man ihn nicht in dem Kerker hätte verschwinden lassen. Er strengte von Deutschland aus einen Prozeß an und erreichte es, daß die von ihm Gerettete als Gräfin Rodriganda anerkannt und ihr das ihr gehörige Erbteil ausgezahlt werde.« – »Und dann weiter! Hat er nicht seine Behauptung aufrechterhalten, daß jene Leiche nicht diejenige meines Bruder sei? Hat er nicht Schritte getan, die verbrecherischen Taten Cortejos, Alfonzos und Clarissas aufzudecken?« – »Jedenfalls, aber er war klug genug, nicht öffentlich gegen sie aufzutreten, sondern seine Minen im geheimen anzulegen. Es kamen Fremde, die sich in Rodriganda, Manresa und Barcelona niederließen und von denen man meinte, daß es fremde Polizisten seien, die Rodriganda beobachten sollten. Mein Vater erhielt von Alimpo aus Deutschland zuweilen einen Brief. Im letzten, den er bekam, ehe ich entführt wurde, stand, daß Sternau Deutschland verlassen habe, um zunächst den Grafen Ferdinando de Rodriganda aufzusuchen, also Euch, gnädiger Herr.« – »Mich?« fragte der alte Mexikaner erstaunt. »Wie kommt das? Hat er vielleicht geahnt, daß ich nicht tot bin?« – »Das weiß ich nicht, aber Sternau war ein sehr, sehr kluger Mann.« – »Das sehe ich ein; wenn er mich gefunden hätte, so hätten wir genug Material gehabt, die Bösewichter zu entlarven. Herrgott, wenn er sich noch jetzt auf meiner Spur befände. Wenn er nach Harrar käme, um mich zu befreien!« – »Das scheint mir nicht wahrscheinlich zu sein, Señor! Denkt an die lange Zeit, die seitdem vergangen ist! Wollen wir wirklich an unsere Befreiung denken, so müssen wir uns vor allen Dingen klarmachen, daß wir nur auf uns angewiesen sind.« – »Das ist wahr. Aber wie entkommen? Heilige Mutter Gottes, hilf uns. Ich habe mich bis zum Wahnsinn gesehnt, vor meinem Tode noch einmal die Heimat wiederzusehen; jetzt aber schreit jeder Tropfen Bluts, jede Faser in mir nach Erlösung. Freiheit, nur jetzt Freiheit. Ich lechze nach Rache, und dann, wenn sie gelungen ist, will ich gern mein Haupt zur Ruhe legen und mich mit der Erde bedecken lassen, die mir so lange Jahre nichts gewährt hat als Gram, Elend und einen fürchterlichen Kampf mit den höllischen Mächten der Verzweiflung. Herrgott im Himmel, laß mich nach Spanien, nach Spanien! Dann will ich in meiner letzten Stunde und mit meinem letzten Hauch aller Welt verkünden, daß du der Herrscher bist, der Allmächtige, dem niemand, selbst kein Satan und kein Teufel, widerstehen kann.«


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