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Die Herren, die beim Duell beteiligt waren, warteten das Ende des Vergnügens nicht ab, sondern begaben sich auch nach Hause, um sich vorzubereiten. Kurt saß beim Licht in seinem Zimmer und las in des Generals von Clausewitz berühmten Werken. Der Morgen brach an und begann das Licht seiner Lampe zu schwächen. Da klopfte es leise an seine Tür, und auf sein »Herein!« trat Röschen ein, vollständig zum Ausfahren gerüstet.
»Guten Morgen, Kurt!« grüßte sie, ihm die Hand bietend. »Hast du geschlafen?« – »Nein«, antwortete er. – »Aus Angst!« lachte sie. – »Oh, du weißt ganz gewiß, daß ich keine Angst habe.« – »Aber dein Testament hast du gemacht?« fragte sie scherzend.
Er machte ein sehr ernstes Gesicht, als er antwortete:
»Mein liebes Röschen, ein Duell ist selbst für den besten Fechter und den sichersten Schützen eine bedenkliche Sache. Ob man auch Meister in allen Waffen sein möge, man ist doch verwundbar. Und kommt man glücklich davon, so ist der Gedanke, einen Menschen verwundet oder gar getötet zu haben, auf jeden Fall niederdrückend.« – »Du hast recht wie immer, lieber Kurt. Aber ich bringe es zu keiner Besorgnis um dich. Du bist der Schüler meines armen, verschollenen Vaters; er war ein Held, und ich kann dich mir auch nur als einen Helden denken. Und was deine Gegner betrifft, so kommt es ja nur auf dich an, alle Gewissensbisse zu vermeiden. Du hast gehört, daß sie deinen Tod wollen.« – »Aber ich werde sie nicht töten.« – »Ah! Wirklich nicht?« – »Nein.« – »Du bist großmütig, und das liebe ich sehr. Aber ich ersuche dich dringend, deine Nachsicht nicht so weit zu treiben, daß du dich selbst in Gefahr bringst. Man hat davon gesprochen, daß Ravenow ein höchst tüchtiger Fechter und der Oberst ein ausgezeichneter Schütze sei.« – »Trage keine Sorge! Ich fühle mich beiden überlegen.« – »Und meine Schleife, lieber Kurt? Sie soll dein Talisman sein.« – »Ich trage sie bereits auf meinem Herzen«, lächelte er glücklich. »Hast du dir überlegt, ob du sie zurückfordern wirst?« – »Das soll davon abhängen, ob ich mit deinem Betragen gegen deine Feinde zufrieden bin«, sagte sie. »Aber, es ist bereits halb vier Uhr.« – »Gerade zu dieser Zeit habe ich Platen bestellt.« – »Wohin?« – »An die nächste Ecke.« – »So laß uns leise gehen.«
Sie hatte ihren Mantel am Arm hängen. Kurt nahm ihn, um ihn ihr über die Schulter zu legen. Er wagte sogar, die Halsagraffe zu schließen. Bei dieser Gelegenheit standen sie Gesicht an Gesicht voreinander.
»O Kurt, wenn dich dennoch eine Kugel träfe!« sagte sie leise.
Ihre Augen zeigten einen feuchten Schimmer. Er beruhigte sie und antwortete:
»Sorge nicht, Röschen. Ich kenne ein sicheres Mittel, die Kugel des Gegners unschädlich zu machen.« – »Welches ist es?« – »Man zielt genau auf die Mündung seines Pistols und schießt genau in demselben Augenblick wie er. Dann prallen die Kugeln aneinander und fliegen zur Seite oder nach oben oder unten.« – »Aber immerhin ein gefährliches Mittel.« – »Ich habe es geübt. Komm, laß uns gehen. Du wirst mit mir zufrieden sein.«
Sie verließen das Zimmer und das Haus so leise, daß sie von niemandem gehört wurden. Am Ende der Straße wartete Platen in einer zweispännigen Kutsche auf sie. Sein Diener machte den Kutscher. Er begrüßte sie, und sie stiegen ein. Als ihm Kurt die Hand reichte, hielt er sie fest und legte den Finger auf den Puls. Kurt ließ es lächelnd geschehen.
»Hm, das klopft so ruhig, als lägen Sie auf dem Sofa und hätten nichts zu erwarten als eine angenehme Lektüre, mein bester Helmers«, sagte der Sekundant. – »Ich zittere nie, mein lieber Platen«, antwortete Kurt.
Aus einer Seitenstraße bogen jetzt hinter ihnen zwei andere Equipagen ein.
»Der Oberst und Ravenow«, sagte Platen, der auf dem Rücksitz saß und die Insassen der beiden Wagen also sehen konnte. »Sie sind so pünktlich wie wir, aber wir werden doch die Ehre haben, zuerst anzukommen. Heinrich, laß dich von denen da hinten nicht ausstechen!«
Der Diener gab den Pferden die Peitsche als Zeichen, daß er seinen Herrn verstanden habe.
Bald darauf ging es zum Halleschen Tor hinaus und dem Berg zu. Als man an die Brauerei kam, fehlten noch zehn Minuten an vier. Der Park wurde erreicht; die Kutsche bog in einen Seitenweg ein und hielt endlich an einem freien Platz, der von Buschwerk und Bäumen umgeben war. Man stieg aus.
Bald kamen auch die anderen Wagen an. Man begrüßte sich durch ernstes, stummes Kopfnicken. Die Diener wurden als Wachtposten ausgestellt, um jede Störung fernzuhalten, und der Arzt zog sein Besteck und die Bandagen hervor, um sofort bereit zu sein.
Kurt nahm eine Decke und legte sie bei einer alten Fichte auf die Erde.
»Willst du nicht hier Platz nehmen, Röschen?« fragte er. »Das Gras ist naß; hier stehst du nun trocken und kannst den Platz genau übersehen.« – »Ich danke dir«, antwortete sie, indem sie ihre Füßchen auf die Decke setzte und sich bequem an den Baum lehnte.
Platen und Golzen untersuchten den Platz und teilten Wind und Sonne ab. Sie hatten als Sekundanten die Pflicht, es zu tun. Dann trat Golzen an Ravenows Wagen und brachte die türkischen Säbel hervor.
»Geh, lieber Kurt«, sagte Röschen leise, »Ravenow erwartet dich bereits.« – »Wirst du den Anblick des Blutes ertragen können?« fragte er besorgt. – »Ich vermute es, denn es wird ganz sicher nicht das deinige sein.«
Ravenow stand bereits bei dem einen der Säbel, die Golzen an die Erde gelegt hatte; Kurt trat zum anderen. Der Oberst und sein Adjutant schritten herbei, um in größerer Nähe Zeuge des Kampfes zu sein. Rittmeister Palm war bei ihnen. Als Ehrenrat hatte er die Verpflichtung, eine Aussöhnung der Parteien zu versuchen, er näherte sich ihnen daher und fragte:
»Erlauben die Herren, ein Wort zu Ihnen zu sprechen?« – »Ich erlaube es«, antwortete Kurt. – »Aber ich nicht«, rief Ravenow. »Ich bin tödlich beleidigt worden und erkläre, daß ich nichts unterlassen werde, meinen Gegner zu töten. Ein jeder Sühneversuch ist nutzlos. Man kennt meine Bedingungen, und ich weiche um kein Jota von denselben ab.« – »So habe ich nichts weiter zu sagen. Ich war bereit, den Herrn Rittmeister anzuhören; ich bitte, dies zu bemerken«, erklärte Kurt. – »Wer sich bereitwillig erklärt, zurückzutreten, ist ein Feigling«, sagte Ravenow, indem er den Säbel vom Boden aufnahm. »Laßt es losgehen!«
Auch Kurt nahm seine Waffe auf; er betrachtete sie genau.
»Echt Damaszener«, bemerkte Platen. – »Pah!« antwortete Kurt ruhig. »Es ist Solinger Ware. Echte Damaszener kennt man; ich habe andere Säbel zur Hand gehabt.«
Nun zogen auch die beiden Sekundanten ihre Degen und stellten sich ihren Bevollmächtigern zur Seite. Der Kampf konnte beginnen, sobald Rittmeister Palm das Zeichen gab. Da hörte man die Stimme Röschens:
»Warten Sie noch einen Augenblick, meine Herren! Ehe losgeschlagen wird, muß ich den Leutnant Ravenow denn doch erst noch fragen, ob er noch immer behauptet, mich nach Hause begleitet zu haben.«
Da aller Augen sich auf den Gefragten richteten, so sah er sich gezwungen, zu sprechen. Er sagte höhnisch:
»Ich werde meine Antwort geben, nämlich mit dem Säbel. Auf solche Fragen antwortet man nur mit Blut, und das wird das meines Gegners sein.«
Er riß seinen Rock herunter, warf ihn zur Erde und setzte hinzu:
»Herunter mit dem Kittel. Das ist das beste und sicherste Zeichen, daß einer zum Teufel fahren wird.« – »Nun wohl«, sagte Kurt ruhig, indem er auch seinen Rock auszog, »ich bin bereit zu der Unhöflichkeit, einer Dame die Ärmel meines Hemdes zu zeigen. Aber da nur immer von meinem Blut gesprochen wird, erkläre ich hiermit, daß auch nicht ein einziger Tropfen desselben fließen soll. Ich bin nicht blutgierig; ich werde den Leutnant Ravenow nicht töten, sondern ihn nur dienstunfähig machen, wie es ja seine eigenen Bedingungen verlangen. Ich werde ihm mit meinem dritten Hieb die rechte Hand abhauen. Herr Doktor, machen Sie sich bereit, ihm den Armstummel zu verbinden!« – »Elende Gaskonade!« knirschte Ravenow, braun vor Wut im Gesicht. »Rittmeister, geben Sie endlich das Zeichen!«
Die beiden Gegner stand voreinander, Kurt ruhig und ernst, der andere aber mit fest zusammengekniffenen Lippen und bebenden Nasenflügeln. Es war ein ernster Augenblick. Da sagte der Rittmeister:
»Meine Herren, die Situation ist eine so furchtbare, daß ich es für meine Pflicht halte, zum zweiten Male den Versuch zu ...« – »Still!« gebot Ravenow. »Jeder Sühneversuch ist eine Beleidigung für mich. Ich wäre gezwungen, den, der ihn macht, zu fordern.« – »Nun wohl, so habe ich meine Pflicht getan; ich erkläre, daß ich unschuldig bin an dem, was geschehen wird!« Mit diesen Worten trat der Ehrenrat zurück und erhob die Hand als Zeichen, daß der Kampf beginnen könne.
Ravenow fiel sofort mit einer Force aus, als ob es gelte, einen Elefanten niederzuschlagen; doch Kurt parierte diesen Herkuleshieb mit einer Leichtigkeit und Grazie, als habe er einen Schulknaben vor sich, der anstatt des Säbels eine Gerte in der Hand trägt. Mit fast mehr als Gedankenschnelligkeit folgte sein Hieb dem meisterhaften Parieren, und in diesem Gegenhieb, der von der Seite kam, lag eine so außerordentliche Kraft, daß Ravenow der Säbel aus der Hand weit fortgeschleudert wurde.
»Mein erster Hieb!« zählte Kurt gelassen, indem er seine Waffe senkte. – »Alle Wetter, das geht mit dem Teufel zu!« rief Ravenow. »Das ist mir noch nicht passiert und wird mir auch nicht wieder passieren!«
Die Sekundanten kreuzten ihre Degen zwischen die Gegner, damit Kurt den jetzt wehrlosen Ravenow nicht angreifen könne. Der Arzt hatte den Säbel geholt und gab ihn seinem Besitzer zurück, der nun sofort wieder auf Kurt eindrang.
»Herbei, Bursche, jetzt gilt's!« brüllte er.
Seine Waffe, oben stärker als am Griff, sauste mit fürchterlicher Gewalt durch die Luft. Vom Baum her ließ sich ein halblauter Schrei vernehmen. Röschen stieß ihn aus. Es war ihr, als müsse Kurt im nächsten Augenblick mit gespaltenem Schädel zu Boden sinken, aber – niemand wußte, wie dies möglich sein könne – er parierte auch diesen Hieb, und im nächsten Moment flog Ravenows Säbel abermals weit fort.
»Mein zweiter Hieb!« erklang es kalt und fest. – »Alle Millionen Teufel!« zischte Ravenow, indem er selbst die Mensur verließ, um seine Waffe wieder aufzunehmen. »Habe ich es denn mit dem Satan zu tun? Aber ich bin wieder da. Jetzt gilt's das Leben!«
Er holte abermals aus.
»Nein, nur die Hand!« antwortete Kurt.
Die zwei schweren Klingen blitzten gegeneinander; ein scharfes Klingen, und ein lauter Schrei erscholl. Er kam aus Ravenows Mund. Sein Säbel flog in einem hohen Bogen über die Lichtung, und mit Entsetzen sahen alle, daß eine abgehauene Hand den Griff desselben noch umfaßt hielt.
»Mein dritter Hieb!« zählte Kurt, indem er abermals den Säbel senkte. »Herr Doktor, sehen Sie, ob einer von uns beiden dienstuntauglich geworden ist. Das war ja doch die Bedingung des Herrn von Ravenow.«
Dieser stand mit starren Augen unbeweglich auf dem Fleck; aus dem noch vom Hieb hoch erhobenen Armstumpf schoß ein dicker Strahl roten Blutes. Dann wankte er, weniger wegen seiner Wunde, sondern vor Entsetzen über die fast übernatürliche Geschicklichkeit seines Feindes.
Sein Sekundant trat zu ihm, um ihn zu unterstützen. Der Verwundete brachte keinen Laut hervor. Er ließ sich von dem Arzt in das Gras niederziehen, betrachtete die Stelle, an der sich die Hand befanden hatte, und schloß die Augen, jedenfalls teils vor Scham und teils im Eindruck des Bewußtseins, daß es nun mit seiner Karriere für immer zu Ende sei.
»Nun, Doktor, wie steht es?« fragte Kurt. – »Die Hand ist unwiederbringlich fort«, antwortete dieser. – »Das wußte ich, als sie noch daran war. Ich aber meine, ob eine Bedingung dieses Renkontres erfüllt ist?« – »Ja, der Herr Leutnant wird aus dem Dienst treten.« – »So habe ich mein Wort gehalten und darf abtreten.« – »Und ich ebenso«, meinte Platen. »Aber ich muß bemerken, daß Herr Leutnant Helmers bis zum Ende auf der Stelle blieb, die er bei Beginn des Kampfes einnahm, während Herr von Golzen dem Leutnant Ravenow erlaubte, die Mensur zu verlassen. Ich muß sehr bitten, solche Unzuträglichkeiten nicht wieder vorkommen zu lassen.«
Und zu Kurt sagte er dann leise:
»Aber, um Gottes willen, was sind Sie denn für ein Mensch? Sie stehen wie ein Gott und fechten wie ein Teufel! So etwas habe ich bisher für unmöglich gehalten! Ravenow wurde noch nie besiegt, und bei seinem zweiten Ausfall glaubte ich Sie rettungslos verloren. Sie sind wirklich so etwas wie ein überirdisches Wesen. Sie haben sich meisterhaft benommen und eine Gewandtheit entwickelt, die man kaum für möglich hält. Dieses Duell wird von sich reden machen. Sind Sie mit der Pistole ebenso vertraut?« – »Ich denke es.« – »So brauche ich mich um Sie nicht zu sorgen. Aber entschuldigen Sie, ich muß doch einmal nach Ravenow sehen.« – »Gehen Sie immerhin; denn ich habe meine Dame zu berücksichtigen.«
Kurt schritt auf Röschen zu, die ihm entgegenkam und ihm beide Hände bot.
»Du Starker, du Herrlicher!« sagte sie. »Ja, du bist ein würdiger Schüler meines Vaters, du bist ein wirklicher und ganzer Held. Ich wußte es, aber einmal durchzuckte mich doch die fürchterlichste Todesangst.« – »Ich hörte deinen Schrei.« – »Du hast ihn gehört? Ich dachte, du würdest mitten entzweigehauen.« – »Liebes Röschen, in dieser Gefahr stand ich allerdings, aber nicht der Überlegenheit Ravenows, sondern eben dieses Schreies wegen.« – »Ah, warum?« – »Dieser Angstschrei hätte das Auge jedes anderen von seinem Gegner ab- und zu dir hingelenkt. Geschah das bei mir, so war ich verloren. In einem Kampf, bei dem es um das Leben geht und bei dem zwei solche Fechter ihre Kräfte messen, kann der geringste störende Laut den Tod bringen.« – »O mein Gott, wie unvorsichtig bin ich gewesen!« rief das Mädchen, noch hinterher vor Schreck erbleichend. – »Laß es gut sein«, beruhigte er sie. »Mich würde selbst ein Kanonenschlag nicht stören. Dein Angstruf ist mir vielmehr von Nutzen gewesen, denn als du ihn ausstießest, flog der Blick Ravenows unwillkürlich zu dir hinüber, seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, und dadurch gelang mir mein Kunsthieb leichter und besser, als ich erwartet hatte.« – »Aber dennoch werde ich es nicht wieder tun!« – »Ich bitte dich darum, denn bei dem Obersten würde ein Ablenken meines Blickes, das Zucken der kleinsten Muskelfaser noch viel gefährlicher für mich sein. Es ist keine Kleinigkeit, bei der vereinbarten Distanz auf die Mündung einer Pistole zu zielen und zugleich den Augenblick zu erhaschen, an dem der Finger des Gegners den Drücker berührt. Den zehnten Teil eines Momentes zu früh oder zu spät, den fünften Teil einer Linie zu weit rechts oder links, zu weit oben oder unten, ist unbedingt verhängnisvoll für mich.« – »Oh, verlaß dich sicher darauf, daß ich nicht die Lippe rühren werde!«
Während dieses Gespräches waren die anderen um Ravenow beschäftigt. Der Arzt arbeitete mit Sonde und Zange, um die Ader zu suchen, an dem glatt abgehauenen Stumpf herum, und es dauerte lange Zeit, ehe die Blutung bewältigt und die Wunde verbunden war. Man hörte dabei das Knirschen von Ravenows Zähnen, es mochte vor Wut und auch vor Schmerz sein. Er hielt die jetzt offenen Augen auf die Hände des Arztes gerichtet und schoß nur zuweilen einen haßerfüllten Blick zu Kurt hinüber.
Da trat Platens Diener herbei und brachte den Säbel, der in der Nähe seines Wagens zur Erde geflogen war. Die Waffe bot einen schaurigen Anblick, denn die Hand des Verwundeten hielt noch immer den Griff umspannt. Die Finger mußten einzeln geöffnet werden, um das abgehauene Glied zu lösen. Dieser Anblick gab dem Verwundeten die Sprache wieder.
»Ein Krüppel!« stöhnte er. »Ein elender Krüppel! Oberst, wenn Sie mich nicht rächen, so zeigen alle Kinder auf Sie. Versprechen Sie mir, ihn niederzuschießen?« – »Ich verspreche es!« antwortete der Gefragte, überwältigt von dem Anblick des Verwundeten. – »Sie werden ihn nicht schonen?« – »Nein!« – »Auf Ihr Ehrenwort?« – »Auf mein Ehrenwort!« – »Sie weisen jeden Sühneversuch zurück, ganz so wie ich?« – »Das versteht sich ganz von selbst.« – »Gut, das gibt mir meine Kräfte wieder. Doktor, ich muß den Kampf mit ansehen, Sie dürfen nicht widersprechen.«
Der Arzt machte ein bedenkliches Gesicht, sagte aber doch:
»Bei einer Verwundung, wie die Ihrige ist, muß jede Aufregung schaden; aber dennoch will ich gestatten, daß Sie bleiben. Herr von Golzen mag Sie stützen. Eigentlich sollten Sie in Ihrem Wagen sofort nach Hause fahren.« – »Das würde gerade die größte Aufregung geben; sie würde mich töten. Nein, ich muß diesen Menschen fallen sehen, durchbohrt von der Kugel des Obersten. Dann will ich gern auf meine Hand verzichten und ein Krüppel sein. Lassen Sie mich nicht warten, sondern beginnen Sie sofort.«
Platen hatte dieses Gespräch mit angehört, ohne für Kurt das Wort zu ergreifen. Jetzt winkte er dem Adjutanten:
»Herr Kamerad, ich bin bereit, wenn es Ihnen gefällig ist«
Branden nickte, und die beiden begaben sich nach der Mitte des Platzes, um hier Wind und Sonne zu verteilen. Die Distanz wurde durch zwei in die Erde gesteckte Degen markiert, und dann holte der Adjutant den Pistolenkasten des Obersten. Als Kurt dies bemerkte, verließ er Röschen und kam langsam herangeschritten, ergriff eine der Pistolen, betrachtete sie mit Kennermiene und sagte:
»Sehr gut. Da ich auf sie nicht eingeübt bin, ist es mir hoffentlich gestattet einen Probeschuß zu tun?« – »Schießen Sie«, sagte der Sekundant seines Gegners kurz.
Über das Gesicht des Verwundeten glitt ein höhnisches Lächeln. Ein guter Schütze hat nicht nötig, einen Probeschuß zu tun.
Kurt lud die Pistole und blickte sich nach einem Ziel um. An dem weit hervorragenden Ast einer Fichte hing ein großer Zapfen. Er deutete auf denselben und sagte:
»Also diesen Zapfen treffen!«
Er zielte lange, um seines Schusses sicher zu sein, und drückte dann los. Ein vielstimmiges Hm und Räuspern ließen sich hören. Er hatte nicht den Zapfen getroffen, sondern in der Entfernung von einer Elle davon den Zweig, der herabfiel.
»Gott sei Dank, er schießt schlecht!« dachte der Oberst
Ganz dasselbe dachten die anderen. Platen nahm Gelegenheit, ihn zur Seite zu ziehen, und meinte in höchster Besorgnis:
»Aber um Gottes willen, lieber Helmers, wenn Sie der Pistole nicht besser mächtig sind, so sind Sie verloren! Der Oberst hat Ravenow sein Ehrenwort gegeben, daß er Sie ohne Gnade und Barmherzigkeit erschießen will.« – »Er mag es versuchen«, lautete die Antwort. »Übrigens habe ich gefunden, daß diese Pistolen wirklich ausgezeichnet gearbeitet sind.« – »Wie? Sie spaßen noch? Trotz der Güte der Pistole haben Sie Ihr Ziel nicht getroffen.« – »Im Gegenteil, ich habe es sehr genau getroffen. Den Zapfen gab ich nur zum Schein an, in Wirklichkeit aber zielte ich gerade auf den Punkt des Zweiges, den ich getroffen habe. Sie wissen wohl, wem es gelingt, seinen Gegner irrezuleiten, der hat bereits halb gesiegt.« – »Ach, Sie sind, bei Gott, ein fürchterlicher Gegner«, sagte Platen. »Ich möchte mich um keinen Preis mit Ihnen schlagen. Jetzt wollen wir laden!«
Die beiden Sekundanten luden die Pistolen mit größer Gewissenhaftigkeit. Es wurde ein Tuch darüber gedeckt, und nun zog sich jeder der Feinde eine der Waffen unter demselben hervor, um sich dann an Ort und Stelle zu begeben. Jetzt war die Zeit wiederum für den Rittmeister gekommen.
»Meine Herren«, begann er, »ich fühle die Verpflichtung ...« – »Ruhig, Kamerad!« rief ihm da der Oberst zu. »Ich mag kein Wort hören!«
Er hatte gesehen, wie schlecht Kurt scheinbar schoß, und fühlte nun die Überzeugung, daß er ihn töten werde. Dies kräftigte sein Selbstbewußtsein und seine Sicherheit.
»Aber ich ersuche den Herrn Rittmeister, zu sprechen«, meinte Kurt. »Man soll sich nicht morden, wenn es andere Wege zum Ausgleich gibt. Ich erkläre mich für völlig zufriedengestellt, wenn der Herr Oberst mich um Verzeihung bittet.« – »Um Verzeihung?« rief dieser. »So kann nur ein Wahnsinniger sprechen! Ich halte unsere Vereinbarung fest, denn ich habe mein Ehrenwort gegeben, daß einer von uns auf dem Platz bleibt.« – »Das genügt, um Ihrem Ehrenwort das meinige entgegenzusetzen. Wer sein Wort nicht einlöst, also einer von uns beiden, ist ein Schurke. Sie geben Ihr Ehrenwort, daß einer von uns beiden bleiben soll, und das soll ich sein; ich aber gebe mein Ehrenwort, daß einer von uns beiden dienstunfähig gemacht wird, und das werden natürlich Sie sein. Ich erkläre, daß unsere ersten beiden Schüsse nicht treffen werden, daß ich Ihnen aber mit meiner dritten Kugel die rechte Hand vollständig zerschmettern werde. Beginnen wir!« – »Ja, beginnen wir!« gebot der Oberst mit einem verächtlichen Lächeln. »Wir werden nicht Komödie spielen.«
Die gewöhnliche Aufstellung der Kämpfenden und Zeugen erfolgte. Die beiden Gegner erhoben ihre Waffen. Der Oberst zielte nach der Brust Kurts, dieser aber nach dem Pistolenlauf des ersteren. Da begann der Rittmeister langsam zu zählen: »Eins – zwei – drei!«
Bei drei krachten die beiden Schösse – keine Kugel hatte getroffen.
»Der erste Schuß!« sagte Kurt gleichmütig, indem er seine Pistole an Platen gab, um sie wieder laden zu lassen.
Nach zwei Minuten war man fertig, und des Rittmeisters Stimme klang:
»Eins – zwei – drei!«
Es blitzte hüben und drüben auf, aber beide Gegner standen abermals unversehrt.
»Der zweite Schuß!« zählte Kurt.
Der Oberst zuckte zornig die Achsel.
»Das ist nur ein verdammter Zufall!« rief er. »Zum dritten Male werde ich nicht wieder fehlen. Jetzt gilt es das Leben!« – »Nein, nur die Hand!«
Bei diesen Worten nahm Kurt die wieder geladene Pistole in Empfang und erhob sie. Der Oberst zielte so genau wie möglich. Er war bereits unruhig geworden. Woher die Fehlschüsse? Verstand dieser Helmers zu zaubern? Er zählte jetzt die Schüsse in demselben Ton und mit derselben Kaltblütigkeit, wie er vorhin die Hiebe gezählt hatte!
Diese Gedanken raubten dem Oberst seine Unbefangenheit. Kurt zielte nicht auf die Mündung der Pistole, sondern auf die Hand, die dieselbe umspannt hielt. Ein Neigen seines Kopfes nach der Seite hin, auf der der Rittmeister stand, deutete an, daß er den Kommandoworten desselben jetzt mehr Aufmerksamkeit schenkte als vorher. Es galt, dem Gegner zuvorzukommen; natürlich durfte dies nicht ein so bemerkbares Intervall betragen, daß man es unehrlich hätte nennen können; es handelte sich darum, nur einen kleinen Augenblick eher abzudrücken. Jetzt begann der Rittmeister zum dritten Male:
»Eins – zwei – drei!«
Die Schüsse krachten.
»Herrgott!« rief zu gleicher Zeit der Oberst und fuhr einige Schritte zurück. – »Der dritte Schuß!« zählte Kurt mit unbewegten Gesichtszügen.
Das abgeschossene Pistol des Obersten fiel zur Erde, während er selbst mit seiner linken Hand nach dem rechten Arm langte.
»Sind Sie getroffen?« fragte der Sekundant, indem er herbeisprang. – »Ja, in die Hand«, antwortete der Verwundete.
Auch der Arzt eilte herbei und ergriff den Arm, um die Verwundung zu untersuchen. Er schüttelte den Kopf und blickte mit einer Art von Entsetzen zu Kurt herüber, der kalt und unbeweglich auf seinem Platz stand.
»Zerschmettert, vollständig zerschmettert«, erklärte er, indem er mit der Schere den Ärmel bis zum Ellbogen aufschnitt. »Die Kugel ist durch die Hand gegangen, hat sodann das Handgelenk zerrissen und ist in den Unterarm eingedrungen. Da hat sie die Röhre zerschmettert und ist hier durch den Rock wieder herausgedrungen. Sie kann nicht weit von hier liegen.« – »Kann die Hand gerettet werden?« fragte der Oberst voller Angst. – »Nein, ganz unmöglich; sie muß herunter!« – »Also dienstunfähig?« fragte Kurt. – »Vollständig!« antwortete der Arzt, dem es vor Kurt fast zu grauen begann. – »So kann ich meinen Posten hier verlassen«, meinte dieser. »Die Herren werden mir zugeben, daß ich mein Ehrenwort eingelöst habe; dasjenige des Herrn Obersten nehme ich mit, er hat nun keines mehr.«
Er warf das Pistol zur Erde und schritt davon. Röschen erwartete ihn leuchtenden Auges. Es lag eine ganze Welt voll Stolz in ihren Blicken.
»Du hast wieder gesiegt!« sagte sie in unterdrücktem, aber doch fast aufjauchzendem Ton. »Ich wußte es, dich kann keiner überwinden. Ist seine Hand wirklich verloren, lieber Kurt?« – »Ja, er kann niemals wieder den Säbel führen.« – »Das ist gerecht und doch schaurig zugleich. Komm, laß uns fortgehen.« – »Wir müssen doch auf Platen warten, liebe Rosita. Ich will dir sagen, daß ich jetzt wieder Atem hole. Ich bin meines Schusses zwar sicher, aber das Gelingen desselben hängt von vielem ab. Ich ziele ganz genau auf die Mündung meines Gegners, aber dieser darf während des Abdrückens ein wenig wanken, so treffen sich die Kugeln nicht, sondern uns. Darum muß man dieses Wanken des Feindes verhüten, und zwar dadurch, daß man ihn sicher macht, so daß er ruhig zielt. Zu diesem Zweck habe ich zuvor einen scheinbaren Fehlschuß getan.« – »Ah, du wolltest den Zapfen nicht treffen?« – »Nein. Daß ich ihn nicht traf, gab dem Obersten seine ganze Besonnenheit zurück. Sein Visieren war infolgedessen fest und genau, darum das meinige auch, und so gelangen mir meine drei Schüsse. Doch komm, laß uns einstweilen zum Wagen gehen. Platen wird bald nachkommen.«
Dieser war allerdings auf dem Kampfplatz stehengeblieben. Er konnte nicht begreifen, wie Kurt den Verlauf des Kampfes so genau hatte vorher bestimmen können, und sah dem Arzt zu, der sein Messer in einer Weise gebrauchte, daß der Oberst den Schmerz nicht verbeißen konnte.
»Auch ich ein Krüppel, auch ich!« rief dieser. »Ravenow, hören Sie es?« – »Ob ich es höre?« antwortete dieser, trotz seiner Schwäche am Arm Golzens herbeitretend. »Ich höre es nicht bloß, sondern ich sehe es auch. Mit diesem Menschen ist der Satan im Bund. Ich hoffe, daß er ihn bald zur Hölle holt!« – »Du irrst«, meinte Platen ernst. »Was du Satan nennst, besteht nur in einer vollendeten Übung in Führung der Waffen. Er ist mein Freund, und ich darf nicht ruhig zuhören, wenn man nach solchen Beweisen von Mut, Ehrgefühl, Hochsinn und Brauchbarkeit, wie er sie gegeben hat, noch immer fortfährt, ihn zu lästern. Nicht er ist es gewesen, der beleidigt hat, und dennoch wollte er kein Blut, trotzdem er den Ausgang genau kannte, den wir hier leider vor uns sehen. Ihr wolltet ihn töten oder dienstunfähig machen, nun seid ihr es selbst. Dazu kommt die Strafe, die euch erwartet, und der ihr nur dann entgeht, wenn euch sein Einfluß vor ihr rettet. Wer nach Tatsachen, die so laut für ihn sprechen, ihn noch immer schändet, der ist kein Ehren- und auch kein verständiger Mann. Verliere ich wegen dieser meiner Offenheit eure Freundschaft, so muß ich es tragen, doch die seinige wird mich entschädigen. Gleich sein erstes Auftreten hat mir bewiesen, daß er kein Alltagsmensch ist, den man in gewöhnlicher Weise beurteilen darf, das konnte jeder bemerken. Ich habe vermitteln wollen, man hat es jedoch nicht berücksichtigt; ich sage, wie vorhin der Herr Rittmeister, als man seinen Sühneversuch zurückwies: Ich wasche meine Hände in Unschuld. Adieu!«
Platen ging, ohne eine Antwort abzuwarten, und fuhr mit Kurt und Röschen davon. Er hatte als wahrer Freund Kurts gehandelt und gesprochen.
»Ich bin ganz steif vor Staunen«, rief Ravenow. »Dieser Platen hat ein sehr gutes Talent zum Beichtvater. Wäre ich nicht verwundet, so forderte ich ihn vor die Klinge, um ihm eine Tonsur zu scheren!« – »Der Löwe ist verwundet, da bellen ihn die Schakale an«, fügte der Oberst hinzu. »Aber es ist doch noch nicht zu Ende mit uns. Au, Doktor! Was schneiden Sie denn? Glauben Sie ein Kotelett vor sich zu haben?« – »Sie müssen es aushalten, Herr Oberst«, antwortete der Gescholtene. »Ich habe nur noch diesen Hautfetzen übrig, dann ist die Hand herunter.« – »Daß es auch die Rechte ist!« stöhnte Ravenow vor Grimm. »Aber ich werde mich mit der Linken üben, und sobald ich einen sicheren Schuß habe, fordere ich ihn. Dann soll er mir nicht zum zweiten Male entgehen!« – »Regen Sie sich nicht weiter auf«, bat der Arzt. »Herr von Golzen, führen Sie den Herrn Leutnant nach seinem Wagen. Er mag nach Hause fahren, ich werde in einer Stunde bei ihm sein.« – »Meinetwegen«, sagte Ravenow. »Hier ist doch nichts mehr zu tun.« Und mit höhnischem Lächeln setzte er hinzu: »Herr Oberst, ich bin unwohl, darf ich um einigen Urlaub bitten?« – »Gehen Sie!« brummte der Vorgesetzte. »Ich befinde mich genau in derselben Lage und bin neugierig, wie diese Krankheit sich nach oben hin entwickeln wird. Machen Sie, daß Sie zu Ende kommen, Doktor; oder halten Sie es für eine Annehmlichkeit, an Ihr verdammtes Messer geliefert zu sein?«
In kurzer Zeit rollten die Wagen von dannen, und die Waldblöße lag im Morgenlicht wieder so still und einsam da wie vorher. Man nennt den Zweikampf ein Gottesgericht, er ist es nicht immer, hier aber war er es gewesen.