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6. Kapitel.

Kurt nahm sofort eine Droschke und fuhr nach der Wohnung Bismarcks, indem er mit Freuden daran dachte, daß dieser ihm sicher behilflich sein werde, sich des Kapitäns zu bemächtigen. Sternau war mit seinen Gefährten ausgezogen, um diesen Bösewicht zu fangen, er war verschollen. Nun lieferte sich der Seeräuber selbst an das Messer. Er konnte gezwungen werden, alle Geheimnisse von Rodriganda zu enthüllen und auch über das Schicksal Sternaus Auskunft zu geben, falls ihm dasselbe vielleicht bekannt war.

Am Ziel seiner Droschkenfahrt angekommen, erfuhr Kurt, daß Bismarck nicht zu sprechen sei, da er sich gegenwärtig beim König befinde. Kurz entschlossen ließ er sich sofort nach dem königlichen Schloß fahren. Er wurde hier zunächst bedeutet, daß keine Zeit zur Audienz sei. Doch er zuckte die Achsel und erklärte dem diensttuenden Adjutanten:

»Ich muß dennoch auf meiner Bitte bestehen, Herr Oberst!« – »Aber Sie sind nicht in Uniform, Leutnant!« – »Ich hatte keine Zeit, sie anzulegen.« – »Dazu ist unter allen Umständen Zeit. Seine Majestät trägt stets und streng die Uniform. Ich würde einen fürchterlichen Verweis erhalten, wenn ich Sie so meldete, wie Sie dastehen. Übrigens ist seine Exzellenz von Bismarck bei der Majestät.« – »Eben Seine Exzellenz suchte ich. Und daß ich erfuhr, daß sie bei Seiner Majestät zu treffen sei, ist mir lieb. Ich kann Ihnen, Herr Oberst, nur mitteilen, daß es sich um eine höchst wichtige Angelegenheit handelt, die keinen Aufschub erleiden darf. Diese Wichtigkeit gibt mir die Erlaubnis, selbst die bedeutungsvollste Unterredung der beiden hohen Herren zu unterbrechen. Es ist Gefahr im Verzuge, da es sich um die sofortige Verhaftung eines Spions und Landesverräters handelt, und ich würde mich gezwungen sehen, die Verantwortung auf Sie zu wälzen, falls Sie sich weigern, mich zu melden.«

Der Flügeladjutant blickte den jungen Mann, der so zwingend zu sprechen wußte, verwundert an und sagte dann:

»Sie behaupten also, Wichtiges und Unaufschiebbares zu bringen?« – »So ist es.« – »Und wollen diese Angelegenheit dem Grafen von Bismarck in Gegenwart des Königs vortragen?« – »Ja.« – »Nun, wenn Sie das sagen, so bin ich gezwungen, Sie anzumelden. Aber, junger Mann, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich und vielleicht auch Ihrer Karriere sehr im Wege stehen, wenn Sie sich bei Seiner Majestät Zutritt erzwingen in einer Angelegenheit, die nicht so wichtig ist, als Sie denken. Die Verantwortung mögen Sie tragen.« – »Gern«, erwiderte Kurt höflich, aber selbstbewußt.

Der Adjutant ging nun in das Gemach seiner Majestät und erschien nach kurzer Zeit wieder. Auf seinen Wink trat Kurt ein. Er befand sich den beiden größten Männern Deutschlands gegenüber.

König Wilhelm hatte damals vor erst einigen Wochen Österreich und Süddeutschland besiegt, er hatte gezeigt, daß er ein würdiger Sohn des großen Friedrich sei und daß er sich im stillen Männer herangebildet habe, die recht wohl die Kraft hatten, die Traditionen seiner großen Ahnen mit Wort und Schwert kräftig zur Geltung zu bringen. Er war zwar noch nicht auf der Höhe seines Ruhmes angelangt, die er einige Jahre später zu Versailles nach einem der blutigsten Kriege der Weltgeschichte erstieg, doch fühlte er sich den Gegnern recht wohl gewachsen, die jetzt, nachdem er seine Feinde niedergeworfen hatte, heimlich und öffentlich gegen ihn machinierten.

Er war mit einem Schlag ein gefürchteter, einflußreicher Monarch geworden, und zwar mit Hilfe des Mannes, der jetzt an seiner Seite stand. Der eiserne Kanzler mit den ihm vom Kladderadatsch angedichteten drei Haaren war die Seele der preußischen Politik. Kein Diplomat wagte einen Schritt zu tun, ohne zuvor bei ihm sondiert zu haben. Er war der Beamte, aber auch der Freund seines erhabenen Monarchen, und sein Auge, das bisher alle Intrigen seiner Feinde durchschaut hatte, blickte jetzt mit Verwunderung auf den jungen, kaum zwanzigjährigen Menschen, der es wagte, sich in so unscheinbarer Kleidung eine Audienz zu erzwingen.

Auch des Königs Auge ruhte in ernster Erwartung auf Kurt, der nach einem ehrfurchtsvollen Gruß ruhig den Blick erhob, um zu warten, bis er angeredet werde.

»Man hat mir den Leutnant Helmers gemeldet?« sagte der König. – »Ich bin es, Majestät«, antwortete Kurt in bescheidenem Ton. – »Von welcher Truppe?« – »Bisher im Dienste Seiner Durchlaucht des Großherzogs von Hessen, jetzt aber eingetreten bei den Gardehusaren Eurer Majestät.«

Das Auge des Königs belebte sich mehr und wurde milder.

»Ah«, sagte er, »mein Kriegsminister hat mir von Ihnen gesprochen. Sie sind sehr warm empfohlen, dennoch aber mag man es in gewissen Kreisen sehr kühn von Ihnen halten, in das Gardekorps eingetreten zu sein.« – »Man hat mich dies bereits merken lassen, Majestät.«

Ein leises, bedauerndes Lächeln ging über das offene Gesicht des Herrschers.

»So haben Sie Ihre Visiten bereits absolviert?« fragte er. – »Ich habe meine Pflicht getan«, antwortete Kurt vielsagend. – »Ich hoffe, daß Sie dieselbe auch weiterhin erfüllen. Wie aber kommen Sie zu einer Kleidung, die hier an dieser Stelle höchst unpassend erscheinen muß?« – »Hier, Majestät, meine Entschuldigung.«

Kurt zog den Vertrag hervor und überreichte denselben mit einer tiefen, ehrfurchtsvollen Verbeugung dem König. Dieser nahm das Schriftstück in Empfang, öffnete es und warf einen Blick darauf. Sofort nahm sein Gesicht den Ausdruck der größten Überraschung an, er trat ans Fenster, las und las, bis er zu Ende war, reichte dann die Blätter dem Grafen von Bismarck hin und sagte:

»Lesen Sie, Exzellenz, lesen Sie! Es ist eine außerordentliche Mitteilung, welche uns da von diesem Herrn gemacht wird.«

Bismarck hatte bis jetzt ganz unbeweglich dagestanden und den Leutnant kaum mit einem oberflächlichen Blick beachtet. Jetzt nahm er die Schrift zur Hand und las sie. Kein Zug seines eisernen Gesichtes verriet den Eindruck, den die Lektüre auf ihn machte. Als er geendet hatte, warf er den ersten, wirklich vollen Blick auf Kurt und fragte:

»Herr Leutnant, wie kommen Sie zu diesem Dokument?« – »Durch Diebstahl, Exzellenz«, antwortete der Gefragte. – »Ah!« lächelte der Minister. »Was nennen Sie Diebstahl?« – »Die rechtswidrige Aneignung fremden Eigentums.« – »So ist es sehr möglich, daß ich Sie vom Verbrechen des Diebstahles freispreche. Mir scheint, diese Papiere seien Eigentum Seiner Majestät, und die Aneignung derselben ist vielleicht auf einem sehr gesetzmäßigen Weg geschehen. Wer war der bisherige Inhaber derselben?« – »General Douay brachte sie einem Mann, der scheinbar ein Amerikaner, in Wirklichkeit aber ein Spion Spaniens ist.« – »Wo befindet er sich?« – »Hier in Berlin, im Gasthof zum Magdeburger Hof. Wenn Majestät und Exzellenz erlauben, bitte ich, den Vorgang, der mich in den Besitz des Dokumentes brachte, berichten zu dürfen.« – »Erzählen Sie!« gebot der König mit gespannter Miene.

Kurt begann seinen Bericht. Er erwähnte, daß der Kapitän von einer ihm sehr werten Person als ein gefährlicher Verbrecher erkannt worden sei, weshalb er sich zu ihm in die Restauration begeben habe, um vielleicht zu erfahren, welche Absicht diesen Menschen nach Berlin geführt habe. Dann folgte das übrige.

Als er geendet hatte, trat der König mit raschen Schritten zu ihm, reichte ihm die Hand und sagte mit außerordentlichem Wohlwollen:

»Sie haben uns einen großen Dienst erwiesen, Leutnant, ich danke Ihnen. Ich lobe es, daß Sie uns das Original brachten und nicht eine Abschrift nahmen. Wir werden uns sofort der Person Douays und dieses Parkerts bemächtigen. Doch wer ist die Person, die in dem letzteren einen gefährlichen Verbrecher erkannte?« – »Frau Sternau, die vormalige Gräfin de Rodriganda.« – »Eine Gräfin Rodriganda jetzt eine einfach Frau Sternau? Wie kommt das?« – »Majestät, dieser einfache Sternau ist jedenfalls der Sohn des Herzogs von Olsunna, der jetzt hier in Berlin wohnt.« – »Das klingt ja höchst interessant!« – »Es ist auch so ungewöhnlich, daß ich es wage, Eure Majestät zu bitten, einen kurzen Umriß der Geschichte dieser Personen gnädigst anzuhören.« – »Sie haben sich ein Anrecht auf unseren Dank erworben, ich geben Ihnen gern die erbetene Erlaubnis. Erzählen Sie!«

Der König gab dem Grafen Bismarck einen Wink, mit ihm Platz zu nehmen. Sie taten es, und Kurt begann, einen kurzen, jedoch hinlänglichen Bericht von den Erlebnissen und Verhältnissen der ihm so nahestehenden Personen zu geben. Die hohen Herren hörten ihm mit wachsender Spannung zu. Als er geendet hatte, erhob sich der König in sichtbarer Erregung und sagte:

»Das ist außerordentlich; das ist ja fast wie ein Roman! Fast sollte man behaupten, daß solche Dinge unmöglich seien! Sie sagen, daß Seine Großherzogliche Hoheit diese höchst interessanten Familien kennt?« – »Allerdings. Sämtliche Bewohner von Schloß Rheinswalden hatten Zutritt am Hof, und Ihre Hoheit interessierten sich ganz vorzüglich für Rosa de Rodriganda.« – »Nun wohl, der Großherzog ist hier anwesend. Ich höre, daß er heute abend Gäste bei sich sieht, und werde diese Gelegenheit benutzen, das, was Sie mir erzählten, zur Sprache zu bringen. Für jetzt will ich Sie entlassen, um die nötigen Vorkehrungen zu treffen, uns der beiden Emissäre zu bemächtigen. Es freut mich, Sie in meiner Garde zu wissen. Sie haben sich gut bei mir eingeführt und sich so sehr empfohlen, daß Sie meiner Gewogenheit versichert sein dürfen. Glauben Sie, daß ich Sie nicht aus dem Auge lassen werde. Adieu!«

Der König reichte Kurt abermals die Hand, die dieser demütig ergriff, aber im Herzen voll Glück an seine Lippen zog. Auch Bismarck trat heran und gab ihm die Rechte.

»Leutnant«, sagte er, »ich liebe Leute, die bei solcher Jugend bereits so umsichtig und tatkräftig sind, denn diese Jugend verspricht ein dankbares Alter. Wir sehen uns vielleicht nicht zum letzten Male. Für heute aber ersuche ich Sie um Ihre vollste Diskretion. Kein Mensch, merken Sie wohl, kein einziger Mensch außer uns dreien darf wissen, was Sie zu Seiner Majestät führte. Wir wissen jetzt genau, daß der Franzmann den Krieg will, und können uns darauf vorbereiten, dem Feind gerüstet gegenüberzustehen. Das ist viel wert, und das haben wir Ihnen zu danken. Verlassen Sie sich darauf, daß ich Sie nicht vergessen werde. Jetzt gehen Sie mit Gott!«

Kurt verließ das Zimmer und das Schloß. Er dachte nicht an seine Droschke, er wußte nicht, welche Richtung er verfolgte, er war beinahe trunken vor Glück. Er war von diesen beiden mächtigen Männern mit solcher Auszeichnung verabschiedet worden, was kümmerte er sich nun um alle seine Widersacher, vom General an bis zum letzten Leutnant herab. Er hatte ferner die Teilnahme des Königs für die Familie de Rodriganda erregt; es ließ sich hoffen, daß unter einer so hohen Protektion die Forschungen nach dem verschwundenen Sternau von besserem Erfolg als bisher begleitet sein würden.

So ging er, in Gedanken versunken, aufs Geratewohl die Straßen entlang, bis er endlich doch zur Einsicht kam, daß er eine falsche Richtung eingeschlagen habe. Er nahm also einen Fiaker und ließ sich nach Hause fahren.

Dort wurde er mit der größten Ungeduld erwartet. Sie saßen alle im Salon beisammen und empfingen ihn mit liebreichen Vorwürfen wegen seines langen Fortbleibens, das sie sich nicht erklären konnten.

»Wir erwarten dich aus der Restauration da drüben zurück«, sagte der Herzog, »und nun sehen wir, daß du mit einer Droschke angefahren kommst. Wo warst du eigentlich?« – »Das erraten Sie nicht, Durchlaucht«, antwortete er lachend. Und einen Blick auf sich werfend, fuhr er fort: »Sehen Sie dieses Gewand, ein Dorfschulmeister kleidet sich besser, und in diesem Anzug bin ich gewesen ...«

Er hielt inne, und der Herzog fiel ein:

»Nun, bei wem?« – »Beim König.« – »Beim König? Unmöglich!« rief es von allen Seiten. – »Allerdings! Beim König und bei Bismarck war ich!« – »Du scherzt!« meinte Olsunna.

Aber Röschen warf einen forschenden Blick auf ihren Gespielen. Sie kannte ihn genau; sie sah seine vor Glück leuchtenden Augen, seine geröteten Wangen und hatte die Überzeugung, daß er nicht im Spaß gesprochen hatte.

»Es ist wahr, er ist beim König gewesen, ich sehe es ihm an!« sagte sie.

Dabei glänzten auch ihre schönen Augen vor aufrichtiger Freude. Sie war stolz darauf, daß Kurt mit so hohen Herren gesprochen hatte.

»Also doch?« fragte ihre Mutter den jungen Mann. – »Ja«, nickte er. – »Mein Gott, in diesem Anzug!« rief der Herzog. »Aber wie kommst du zu der Majestät und zu der Exzellenz?« – »Das darf ich nicht sagen. Ich habe den beiden Herren die größte Verschwiegenheit versprechen müssen, und ich ersuche Sie deshalb, keinem Menschen von einer Audienz zu sprechen. Zu Ihrer Beruhigung jedoch will ich Ihnen sagen, daß ich – ich muß geradezu sagen – mit Auszeichnung entlassen worden bin. Es ist mir gelungen, den Herren einen nicht gewöhnlichen Dienst zu erweisen, und beide haben mir die Hände gedrückt und mir gesagt, daß sie mich nicht aus den Augen verlieren werden.« – »Wie überraschend, wie schön, wie herrlich!« rief Röschen jubelnd.

Dieser Jubel riß Kurt so hin, daß er hinzufügte:

»Bismarck sagte mir sogar, daß er Leute liebe, die bei solcher Jugend so umsichtig und tatkräftig seien. Ich mußte viel erzählen, von Spanien, von Rodriganda, alles, alles, und nun will der König mit dem Großherzog sprechen. Jedenfalls werden Sie alle vorgestellt, und wir dürfen unter königlichem Schutz hoffen, daß unsere Nachforschungen endlich Erfolg haben werden.« – »Das gebe Gott!« sagte Rosa de Rodriganda. »Aber du gingst, um mit dem Kapitän zu sprechen. Wo ist er? Wo hast du ihn gelassen?« – »Er wird in diesem Augenblick gefangen sein«, antwortete Kurt.


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