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An der westlichen Küste des Golfes von Aden, der das Rote Meer mit dem Indischen Ozean verbindet, liegt ein Land, das ein Seitenstück zu dem berühmten Timbuktu oder dem allerdings fabelhaften Eldorado bildet. Die kühnsten Reisenden haben vergeblich versucht, dasselbe zu erforschen, und nur einem einzigen verwegenen Mann, dem britischen Offizier Richard Burton, ist es gelungen, bis dahin vorzudringen und einige Nachrichten über das abgeschlossene Land mitzubringen.
Dieses Land heißt Harrar. Der Beherrscher ist ursprünglich nur ein Scheich, läßt sich aber gern den stolzeren Titel Emir beilegen.
Es hat allerdings Fremde, ja sogar Europäer gegeben, die dieses Harrar betraten, aber sie konnten keine Kunde von den dortigen Verhältnissen mitbringen, kehrten niemals zurück, sie waren Sklaven.
Zwar war auf Anregung der Engländer, vorzüglich auf Betreiben des edlen Lord Willerforce, eine internationale Vereinbarung zustande gekommen, daß aller Sklavenhandel verboten sei. Die Kriegsschiffe aller Nationen hatten nicht nur das Recht, sondern sogar die Verpflichtung, die Sklavenschiffe wegzunehmen, die Gefangenen zu befreien und die Bemannung vom Kapitän an bis herab zum Schiffsjungen einfach aufzuhängen, aber diese Maßregeln haben bis zum heutigen Tag noch keinen durchschlagenden Erfolg gehabt. Es gibt noch jetzt Länder, in denen der Sklavenhandel floriert. Jeder Besucher von Konstantinopel zum Beispiel kann konstatieren, daß es dort noch immer Häuser gibt, in denen man Menschen von allen Farben kaufen kann. Besonders einträchtig ist die Sklavenjagd in den Nilgegenden und denjenigen Gebieten, die am Roten Meer liegen oder die Ostküste Afrikas bilden. Zu diesen gehört Harrar.
Harrar liegt allerdings nicht an der Küste. Es ist von den Seehäfen Seila und Berbera ans zu erreichen, indem man durch das Land der Somalinomaden reist. Diese Somali gehören zu den schönsten Vertretern der schwarzen Rasse, sind ein stolzes kriegerisches Volk und leben mit allen ihren Nachbarn in ewigen Fehden, so daß der Verkehr zwischen Harrar und der Küste großen Gefahren unterworfen ist. Aus diesem Grund ist es auch nur selten einem Sklaven gelungen, aus Harrar zu entfliehen und das rettende Meer zu erreichen.
Diese Einleitung mag vielleicht langweilig erscheinen, aber sie ist notwendig, um das Kommende zu verstehen.
Da wo die Somaliwüste sich gegen Westen, also gegen das Binnenland zu erheben beginnt und der bisher starre, unfruchtbare Fels und der gelbe Sand bereits hier und da wieder eine Spur grüner Vegetation zeigen, bewegte sich eine Karawane der untergehenden Sonne zu.
Sie bestand aus schwerbepackten Kamelen und teils von der Sonne gebräunten, teils von Natur aus tief schwarzen Männern, die alle sehr gut bewaffnet waren.
Ihre Waffen waren allerdings nicht diejenigen, wie sie bei uns getragen werden. Sie bestanden aus Luntenflinten mit langen, persischen Rohren, Kriegskeulen aus Teak- und Ebenholz und Bogen, mit denen gefährliche, vergiftete Pfeile versandt werden. Ein jeder trug außerdem ein langes, scharfes Messer in seinem Gürtel.
Die Kamele gingen nicht frei; sie waren immer eins an das andere gebunden, und zwar in der Weise, daß man das Halfter jedes Tieres an den Schwanz des vorhergehenden befestigt hatte. Alle trugen schwerbeladene Packsättel, ein einziges ausgenommen, auf dessen hohem Rücken eine Art Sänfte zu sehen war, deren vier Seiten mit dünnen, wie Luft durchlassenden Vorhängen verschlossen wurden. Es war zu vermuten, daß sich in dieser Sänfte eine weibliche Person befinde, deren Anblick den Augen Unberufener entzogen werden sollte.
Neben diesem Kamel ritt auf einem starken, weißen Maultier ein Mann, der der Anführer der Karawane zu sein schien. Er trug den langen, weißen Beduinenmantel und einen Turban von gleicher Farbe. Seine Waffen waren ganz diejenigen seiner Gefährten, nur daß der Griff seines Messers und der Schaft seiner Flinte mit Silber ausgelegt waren. Während er neben dem Kamel an er Spitze des Zuges ritt, musterten seine scharfen, stechenden Augen den westlichen Horizont. Dann parierte er sein Maultier und wandte sich an einen seiner Leute zurück.
»Halef, siehst du die Schlucht da vorn?«
Der Angeredete nickte und antwortete in demütigem Ton:
»Ich sehe sie, Herr.« – »Dort werden wir in dieser Nacht lagern«, meinte der Gebieter. »Du warst bereits mehrere Male mit mir in Harrar. Kennst du die Gegend noch?« – »Sehr gut, Emir.« – »Nun wohlan. Von der Schlucht aus hast du nicht weit bis in das Dorf Elaoda, und von da ist es nur eine Stunde bis in die Residenz des Sultans. Binde dein Kamel los und reite hin, um ihm zu melden, daß ich morgen früh bereits bei ihm sein werde.«
Der Mann gehorchte. Während er die Halfter löste, mit denen sein Tier in die Reihen der anderen gefesselt war, fragte er mit einem Wink nach der Sänfte, aber so leise, daß es nur der Emir hören konnte:
»Soll ich dem Sultan sagen, was wir bringen?« – »Sage ihm, daß wir Schals und Seidenzeuge, Messing, gewalztes Kupfer, Messer, Pulver, Zucker und Papier bringen. Dafür will ich Tabak, Elfenbein, Butter und Saflor eintauschen. Aber von der Sklavin sagst du ihm noch nichts.« – »Soll ich den Tribut mitnehmen?« – »Nein. Der Sultan wird nie satt. Wenn ich ihm bereits jetzt Tribut sende, so verlangt er später abermals Geschenke.«
Halef gab seinem Kamel hierauf das Zeichen, auf welches hin es mit seinen langen Beinen im eiligsten Lauf dahinflog.
Dann wandte sich die Karawane nach der Schlucht, von der der Emir gesprochen hatte. Sie lag nahe und wurde also sehr bald erreicht. Als die Reiter kaum von ihren Tieren gestiegen waren, nahte der Augenblick, wo die Sonne den Horizont berührte. Dies geschieht in jenen Gegenden fast immer genau um sechs Uhr nachmittags und ist die Zeit des von dem Propheten Mohammed vorgeschriebenen Abendgebetes.
Nun sind die Beduinen zwar mehr oder weniger alle Räuber, aber sie besitzen doch eine so große Religiosität, daß sie es für die größte Sünde halten, eins der vorgeschriebenen Gebete zu unterlassen. Darum ließen auch die Glieder der gegenwärtigen Karawane alles stehen und knieten nieder, um zu beten. Dabei ist eine Waschung vorgeschrieben; da aber das Wasser fehlte, so bedienten sie sich an Stelle desselben des Sandes, den sie gerade so durch die Finger gleiten ließen, als ob es Wasser sei.
Erst als sie hiermit fertig waren, wurden die Kamele von ihrer Last befreit, und dann ließen sich die Männer nieder, um von dem langen, beschwerlichen Ritt auszuruhen.
Einige von ihnen hatten die Sänfte vom Sattel gebunden. Aber die Person, die sich im Innern derselben befand, kam nicht zum Vorschein. Sie hatte jedenfalls den Befehl erhalten, die Sänfte gar nicht zu verlassen, sondern auch in derselben zu schlafen.
Der Emir nahm einige von den Datteln, die sein Abendbrot bildeten, und goß ein wenig Wasser aus einem der Schläuche in einen ledernen Becher. Damit nahte er sich der Sänfte, schob den Vorhang ein wenig zur Seite und fragte mit unterdrückter Stimme:
»Willst du essen und trinken?«
Es erfolgte keine Antwort, aber eine Hand streckte sich aus und nahm die Früchte und das Wasser in Empfang.
»Allah ist groß, und ich bin vergeßlich«, murmelte er. »Ich denke doch nie daran, daß sie unsere Sprache nicht versteht.«
Er nahm den Becher, der geleert worden war, wieder in Empfang, und kehrte an seinen Platz zurück. Auf seinen stummen Wink erhoben sich dann einige Männer und griffen zu ihren Gewehren. Sie entfernten sich, um das Lager zu bewachen, damit dasselbe von keinem Feind überfallen werde, und ebenso, damit die Gefangene nicht entfliehen könne. Bereits nach kurzer Zeit lag alles im tiefsten Schlaf.
Unterdessen hatte Halef längst das erwähnte Dorf erreicht, war durch dasselbe geritten, ohne anzuhalten, und eilte nun auf Harrar zu. Es war, als er dort ankam, kaum eine Stunde vergangen, seit er seinen Herrn verlassen hatte.
Die Tore dieser Stadt werden mit Sonnenuntergang geschlossen, und kein Mensch darf ohne besondere Erlaubnis des Sultans ein- und auspassieren. Halef klopfte an und mußte dies mehrere Male wiederholen, ehe der Wächter erschien.
»Wer ist draußen?« fragte er von innen. – »Ein Bote an den Sultan Achmed Ben Abubekr«, antwortete der Gefragte. – »Wie heißt du?« – »Mein Name ist Hadschi Halef Iba Mehemmed Ben Hulam.«
Je länger der Name eines Mohammedaners ist, desto größere Ehre hat er zu beanspruchen. Daher horchte der Wächter auf, als er diesen Namen hörte.
»Zu welchem Stamm gehörst du?« fragte er. – »Ich bin ein freier Somali.«
Die Bewohner von Harrar sehen, allerdings ganz ohne Grund, mit Verachtung auf die Araber und Somalis herab, und darum meinte der Wächter:
»Einen Somali darf ich nicht einlassen. Ich würde schlimm bestraft werden, wenn ich eines Somali wegen den Sultan störe.« – »Allerdings wirst du bestraft werden«, entgegnete Halef, »aber nur darum, wenn du nicht meldest, daß ich Einlaß begehre. Ich bin ein Bote des Emirs Arafat.«
Diese Meldung schien den Wächter nachdenklich zu machen. Er wußte, daß der Somali-Emir Arafat der Anführer der Handelskarawanen sei, mit denen der Sultan stets ein gutes Geschäft machte. Darum antwortete er:
»Arafat? Ich will es wagen. Ich werde das Tor einem anderen anvertrauen und selbst gehen, um deine Ankunft zu melden.«
Erst jetzt stieg Halef draußen vom Kamel, um zu warten, bis er eingelassen werde. Der Wächter aber stellte seinen Gehilfen an das Tor und begab sich nach dem Palast des Sultans.
Das Wort Palast steht hier eigentlich am unrechten Ort. Die berühmte Hauptstadt, die man wohl mit noch größerem Recht berüchtigt nennen könnte, ist mit sehr primitiven Mauern umgeben und hat bei einer Länge von einer halben Stunde eine Breite von nur einer Viertelstunde. Die Häuser sind nur steinerne Schuppen zu nennen, und selbst der Palast des Sultans sieht einer Scheune ähnlicher als einem Haus. Dicht neben demselben befindet sich ein aus unbehauenen Steinen errichtetes Gewölbe, in dem man Tag und Nacht Fesseln klirren hört. Es ist das Staatsgefängnis und hat tiefe, unterirdische Keller, in die nie das Licht des Tages dringt. Wehe dem Gefangenen, der dort seinen Aufenthalt nehmen muß! Er erhält niemals vom Sultan Essen und Trinken, und selbst wenn ihm ein Freund oder Verwandter täglich Wasser und den dort gebräuchlichen kalten Brei von Hirsemehl bringt, wird er doch mit der Zeit in seinem eigenen Schmutz verfaulen.
Der Thron des gewaltigen Herrschers, der unumschränkter Herr über Leben und Eigentum seiner Untertanen ist, besteht in einer einfachen Holzbank, wie man sie bei uns in der ärmsten Familie findet Auf dieser sitzt er nach orientalischer Weise mit untergeschlagenen Beinen, entweder in tiefes Nichtdenken versunken oder Audienz erteilend, bei der jeder Nahende zittert, weil die geringste böse Laune des Sultans hinreicht, das Blut des ersten besten fließen zu lassen.
Auch heute abend saß der Herrscher auf seiner Erhöhung. Hinter ihm hingen an der Wand alte, unbrauchbare Luntenflinten, Säbel und eiserne Fesseln mit Hand- und Fußschellen, die Zeichen seiner unbeschränkten Gewalt.
Vor ihm saß sein Wesir nebst einigen mohammedanischen Schriftgelehrten. Im Hintergrund hockten zahlreiche elende, in Fesseln geschlagene Gestalten am Boden. Es waren Sklaven und Gefangene. Der Sultan liebte es, seinen Thronsaal mit diesen unglücklichen Leuten zu schmücken, zum Zeichen seiner Macht und Herrlichkeit.
Seitwärts von ihm stand einer dieser beklagenswerten Männer mit Ketten an Händen und Füßen. Seine Gestalt war lang und hager, mehr vom Gram als vom Alter weit nach vorn gebeugt. Sein erloschener Blick und seine eingefallenen Wangen zeugten von Hunger und von tiefem Seelenleid. Er trug als einziges Kleidungsstück ein Hemd, und auch dieses war vielfach zerrissen.
Er schien soeben gesprochen zu haben, denn aller Augen ruhten auf ihm, auch diejenigen des Sultans, finster und drohend, wie diejenigen eines folternden Henkers.
»Hund!« sagte er zu dem Alten. »Du lügst! Wie kann ein christlicher Herrscher größer und mächtiger sein als ein Anhänger des Propheten. Was sind alle deine König gegen mich, den Sultan von Harrar!«
Da blitzten die Augen des Sklaven auf, und er antwortete:
»Ich war kein König, ich war nur ein Untertan, aber einer der edelsten unseres Landes; dennoch aber war ich tausendmal reicher und glücklicher als du.«
Da streckte der Sultan die zehn Finger vor. Sofort trat einer aus der Ecke heraus, erhob den schweren Bambusstock und gab dem Sklaven die zehn Hiebe, die durch dieses Zeichen anbefohlen worden waren; der Sklave zuckte nicht; er schien diese Behandlung gewöhnt zu sein; die Schläge schmerzten ihn nicht mehr.
»Willst du widerrufen?« fragte der Sultan. – »Nein!«
Der Herrscher gebot, ihm fünfzehn Streiche zu geben. Dies geschah, und dann sagte er:
»Ich werde dir beweisen, welche Macht ich besitze! Du bist ein Christenhund. Ich habe dir befohlen, den Propheten zu verehren, du aber hast es nicht getan. Heute aber gebiete ich dir zum letzten Mal, willst du gehorchen, Wurm?« – »Niemals!« antwortete der Alte mit fester Stimme.»Du hast mir meine Freiheit geraubt, du kannst mir auch das Leben nehmen, meinen Glauben aber nimmermehr. Hier willst du mir deine Macht beweisen? Gerade hier hört sie auf!«
Die Hand des Herrschers ballte sich, und er rief im grimmigsten Ton:
»Ich werde dich in das tiefste Loch meines Kellers werfen lassen!« – »Tue es!« meinte der Sklave unverzagt. »Ich will ja sterben, ich sehne mich nach dem Tod. Dann hört mein Leiden auf, und ich finde endlich Ruhe und Frieden.« – »Gut! Du willst es! Führt ihn ab, aber in den schlechtesten Kerker, den es gibt!«
Auf dieses Gebot des Sultans erfaßte der Henker den Alten und führte ihn hinaus. Draußen traten noch mehrere hinzu und schleppten ihn nach dem Gefängnisgebäude.
Als die Tür geöffnet wurde, quoll ihnen ein unbeschreiblicher Gestank entgegen, und das Geklirr von Ketten und das Gewimmer von Gefangenen ertönte. Man hatte kein Licht mitgenommen, darum konnte der Sklave nichts sehen. Er wurde nach einer Ecke geführt, wo der Henker mit Hilfe der anderen einen schweren Stein emporhob und dann dem Gefangenen einen Stoß gab.
»Hinab mit dir, du Christenhund!« lachte er. »In zwei Tagen bist du aufgefressen!«
Der Alte stürzte in ein enges Loch hinab, das wohl zweimal so tief war, als seine eigene Länge betrug. Er schlug dabei mit dem Gesicht an die Wand und beschädigte sich sehr. Aber er hatte keine Zeit, dies zu beachten, denn kaum hörte er, daß man den Stein über sein Grab legte, so fühlte er Tiere an sich emporspringen, die sich augenblicklich in seine nackten Beine einbissen.
»Mein Gott, soll ich wirklich bei lebendigem Leibe aufgezehrt werden?« rief er erschrocken.
Es waren Ratten, die wer weiß wie lange Zeit gehungert hatten und nun ein neues Opfer erhielten. Er stampfte sie von sich ab und trat sie mit Füßen. Er ergriff sie mit den Händen und würgte sie, aber hundert und aberhundert Bisse verursachten ihm die fürchterlichsten Schmerzen. Das Loch, in dem er steckte, war kaum vier Fuß breit und zwölf Fuß tief. Er stemmte sich mit dem Rücken an die eine und mit den Füßen an die andere Mauer der schmalen Seite und versuchte, sich nach Schornsteinfegerart emporzuarbeiten. Es gelang.
Dabei löste sich durch den Druck, den er ausübte, ein Stein aus der Mauer und fiel auf den Boden hinab. Ein mehrfacher quiekender Laut überzeugte ihn, daß der Stein einige der Ratten getötet habe.
»Ah, Gott sei Dank!« rief er erfreut »Das gibt eine Waffe!«
Er kletterte nun wieder niederwärts, ergriff den Stein und schlug mit demselben nach allen Seiten auf dem Boden herum. So viele der Ratten sich an ihn hängten und so viele Bisse er erhielt, er erschlug doch eine nach der anderen, bis auch die letzte sich nicht mehr regte. Beim Umhertasten erfaßte seine Hand einen runden, hohlen Gegenstand. Er stieß einen Schrei des Schreckens aus, denn er hatte einen Totenschädel ergriffen.
»Das sollte auch mein Schicksal sein und wird es vielleicht auch noch werden«, sagte er. »Gott, o Gott, was habe ich getan, daß ich ein solches Ende finden soll! Einst ein Graf Rodriganda, umgeben von Glück, Reichtum und Ehre, und nun soll ich hier elend verkommen! Und wer ist schuld daran? Cortejo und Landola, diese beiden Schurken! Herr im Himmel, vergilt es ihnen! Möge dir die Holle schlimmer werden als allen Teufeln, dir, Cortejo, und auch dir, du Scheusal Landola!«
Er stand da im Dunkel seines Kerkers und streckte die Fäuste empor. In diesem Augenblick schrak er tief zusammen, denn gerade über ihm erscholl eine Stimme:
»Landola? Ja, er sei verflucht, verflucht, verflucht in alle Ewigkeit!«
Der Ton dieser Stimme klang so grimmig, so knirschend, daß es den Sklaven grausig überlief.
»Wer ist das?« fragte er. »Wer bist du, der hier an diesem Ort spanisch redet, die Sprache meines Heimatlandes?« – »Sage erst, wer du bist«, tönte es von oben herab, »du, der du das Loch in die Mauer meines Gefängnisses gebrochen hast!« – »Ich bin ein Spanier aus Mexiko«, antwortete der Sklave. – »Und wie ist dein Name?« – »Ich bin Graf Ferdinando de Rodriganda.« – »Santa Madonna!« ertönte die Stimme. »Graf Ferdinando, der Bruder des Grafen Emanuel des Rodriganda?« – »Ja. Kennst du ihn, oh, kennst du ihn?« – »Ob ich ihn kenne? Oder vielmehr, ob ich ihn gekannt habe, denn er ist ja längst tot!« – »Tot? Nein, er lebt, er kann nicht gestorben sein!« – »Warum nicht? Ah, ich entsinne mich ja, daß auch Ihr gestorben sein sollt, und dennoch lebt Ihr noch. Sagt, Señor, ob Ihr mich nicht belügt. Sagt mir aufrichtig, ob Ihr wirklich Graf Ferdinando des Rodriganda seid!« – »Ich schwöre es bei Himmel und Erde, bei Gott und allen Heiligen, daß ich es bin!« – »Ah, das ist außerordentlich! Die Toten stehen wieder auf. Ich werde zu Euch hinabkommen, Don Ferdinando. Vielleicht gelingt es mir, mit Eurer Hilfe einen zweiten Stein zu entfernen. Dann wird die Öffnung groß genug sein, daß ich hinüber kann. Wollt Ihr mir helfen, Don Ferdinando?« – »Gern. Ich komme gleich hinauf.«
Der Alte kroch an den beiden engen Wänden empor, und es gelang der vereinten Anstrengung der beiden Gefangenen, einen zweiten Stein zum Weichen zu bringen, und nun war das Loch groß genug, um einen Menschen durchzulassen.
»Steigt hinab, Señor! Ich komme hinüber«, sagte der andere. – »Aber wenn man uns beieinander findet!« warnte der Graf. – »Man wird uns nicht entdecken. Man hat uns verdammt, Hungers zu sterben oder von den Ratten gefressen zu werden, und wird uns allein lassen. Und sollte ja einer von uns beiden Besuch erhalten, so ist es dunkel genug, um unbemerkt die Öffnung passieren zu können. Wir haben miteinander zu sprechen. Ich komme.«