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Die Übung dauerte über eine Stunde. Der Oberst war kaum erst zurückgekehrt und wollte es sich eben bequem machen, als Platen bei ihm eintrat.
»Ah, recht, daß Sie kommen, Leutnant von Platen«, meinte der Chef in einem ungnädigen Ton. »Ich habe Ihnen über gestern abend die Bemerkung zu machen, daß ich Ihr Verhalten nicht begreife. Warum ließen Sie diesen Menschen neben sich Platz nehmen und spielten sogar Schach mit ihm?« – »Weil ich der Ansicht bin, daß Unhöflichkeit jeden Menschen schändet, einen Offizier am allermeisten. Und weil ich annahm, daß, wenn der Kriegsminister uns einen Kameraden gibt, er von uns erwartet, daß wir ihn als solchen behandeln.« – »Aber Sie kannten unsere Abmachung!« – »Ich habe mich an derselben nicht beteiligt.« – »Sie sind sogar mit ihm fortgegangen, wie es mir scheint.« – »Allerdings«, antwortete Platen furchtlos. »Ich finde in ihm einen Charakter, den ich achten muß. Wir sind Freunde geworden.« – »Ah!« rief der Oberst zornig. »Das ist mir allerdings sonderbar zu hören. Wissen Sie, daß Sie sich damit Ihren Kameraden feindlich gegenüberstellen? Oder glauben Sie vielleicht, daß man es unbeachtet vorübergehen lassen wird, daß Sie ein räudiges Schaf in Ihren Schutz nehmen?« – »Ich habe erwähnt, daß Leutnant Helmers sich meine Achtung und Freundschaft erworben hat, und ich muß daher bitten, in meiner Gegenwart Vergleiche, wie der letztere ist, gütigst zu vermeiden. Helmers scheint mir nicht einem Schaf, sondern einem ganz anderen, edlen Tier vergleichbar zu sein, mit dem nicht zu spaßen ist. Übrigens habe ich mir nur auf seine Veranlassung erlaubt, Ihnen meinen Besuch zu machen.« – »Ah, doch nicht etwa als Kartellträger?« – »Allerdings als solcher.« – »Donnerwetter, er wagt es also wirklich, mich zu fordern?« – »Ich habe in seinem Auftrag um Satisfaktion zu bitten.« – »Das ist höchst unvorsichtig von Ihnen! Wissen Sie, daß ich Ihr Vorgesetzter bin?«
Diese letztere Frage war in einem sehr drohenden Ton gesprochen; Platen jedoch antwortete freimütig:
»In dienstlicher Beziehung bin ich Ihnen untergeben, in Ehrensachen aber hoffe ich, einem jeden gleichzustehen. Drohungen muß ich streng zurückweisen. Mein Freund verlangt Genugtuung und hat mich gebeten, meine Vereinbarungen mit Ihnen zu treffen.«
Der Oberst schritt erregt im Zimmer auf und ab; er sah sich in eine weit mehr als unangenehme Lage gebracht, aus welcher es nur einen höchst zweifelhaften Ausweg gab. Er betrat denselben, indem er erklärte:
»Ich schlage mich nur mit einem Edelmann.« – »Sie betrachten Helmers nicht als einen Kavalier?« – »Nein.« – »Und verweigern ihm also die Genugtuung?« – »Ich verweigere sie.« – »So werde ich auf seine Anweisung hin mich zum Major von Palm begeben, der der Ehrenrat unseres Regimentes ist und ein Ehrengericht berufen wird, um zu bestimmen, ob mein Freund nicht satisfaktionsfähig ist. Da der Dienst für heute beendet ist, so wird dieses Ehrengericht noch im Laufe des Nachmittags zusammentreten können, und ich hoffe, daß es im Sinn meines Freundes entscheiden wird. Adieu!«
Er ging, aber kaum hatte er den Obersten verlassen, so verließ auch dieser seine Wohnung, um bei den Mitgliedern des Ehrengerichts die geeigneten Schritte zu tun, das Duell zu hintertreiben.
Platen hingegen suchte zunächst den Leutnant von Ravenow auf. Dieser empfing ihn in einer sehr gemessenen Haltung und fragte:
»Was verschafft mir die Ehre deines Besuches, Platen?« – »Die Ehre meines Besuches? Hm, so fremd und zeremoniell!« – »Allerdings. Du bist zum Feind übergegangen; ich kann mit dir nur noch im Ton kühlster Höflichkeit verkehren und bitte, dich desselben auch zu befleißigen.«
Platen verbeugte sich und antwortete:
»Ganz, wie du denkst. Wer einen Unschuldigen gegen das Vorurteil verteidigt, muß auf alles gefaßt sein. Ich werde dich übrigens nicht lange belästigen, da mich nur die Absicht herbeiführt, dir die Wohnung meines Freundes Helmers mitzuteilen. – »Ah! Wozu?« – »Ich denke, daß du sie wissen mußt, um ihm irgendeine dringende Mitteilung machen zu lassen.« – »Du hast es erraten. Übrigens brauche ich seine Wohnung wohl nicht zu wissen, denn ich vermute mit Recht, daß du seine Vollmacht hast.« – »Allerdings. Er stellt sich dir durch mich zur Verfügung.« – »Das genügt. Golzen wird mir sekundieren. Welche Waffe wählt dein sogenannter Freund?« – »Er überläßt die Wahl dir.«
Das Auge Ravenows leuchtete grimmig auf.
»Ah«, sagte er, »fühlt er sich so sicher? Er tut ja, als ob er Meister aller Waffen sei! Hast du gesagt, daß ich der beste Fechter des Regimentes bin?« – »Nein.« – »Warum nicht?« – »Weil ich ihn damit beleidigt hätte. Übrigens fürchtet er sich nicht vor dir; er hat es ja bewiesen, wenn ich mich nicht irre.« – »Pah, das war Überraschung! Es gilt also, was ich wähle?« – »Ganz bestimmt.« – »Nun wohl, so soll er sich in mir verrechnet haben. Ich habe mich längere Zeit mit einem Tscherkessen geübt, der Meister der orientalischen Hiebwaffen war. Ich wähle krummen, türkischen Säbel, oben stark und schwer und unten ohne Parierstange, das beste Instrument zum Kopfabsäbeln.« – »Bist du des Teufels!« rief Platen entsetzt. »Diese Waffe ist ja hier nicht gebräuchlich.« – »Er hat mir die Wahl gelassen; es bleibt dabei!« – »Aber es gibt ja gar keine Handschare oder Yatagans oder wie dieser Säbel genannt werden muß!« – »Ich habe zwei.« – »Aber das ist unehrlich! Du bist in der Waffe geübt, und er nicht!« – »Ich wiederhole, daß er so frech gewesen ist, mir die Wahl zu überlassen; er mag es büßen. Von einer Unehrlichkeit kann keine Rede sein.« – »So gehst du auf Leben und Tod? Das ist schrecklich!« – »Jammere nicht! Er hat mich tödlich beleidigt, indem er mich zur Erde warf, und da er auf keinen Fall im Regiment bleiben darf, so stelle ich die Bedingung, daß so lange gefochten wird, bis einer von uns zweien entweder tot oder dienstunfähig ist.« – »Das ist zu viel. Er hat dich geschont. Er konnte dich durch eine Ohrfeige entehren, wie du es mit ihm vorhattest. Ich muß dir das in Erinnerung bringen.« – »Eine jede Erinnerung ist nur geeignet mich in meinem Vorhaben zu bestärken. Gib dir also nicht die geringste Mühe mehr.« – »Gut es falle alles auf dein Gewissen! Und die Zeit und der Ort?« – »Hm!« machte Ravenow nachdenklich. »Hat er den Obersten gefordert?« – »Ja, soeben.« – »Was sagte dieser?« – »Er verweigert die Genugtuung; ich werde mich sogleich zum Ehrenrat begeben.« – »Ich begreife den Obersten nicht. Sein Verhalten scheint mir entweder feig oder wenigstens höchst inkonsequent zu sein. Er beleidigte den Fremden, läßt sich auf das schönste von ihm blamieren und weigert sich schließlich, zum Ausgleich der Waffen zu schreiten. Ich möchte, daß beide Fälle nebeneinander erledigt werden. Wenn das Ehrengericht sich für den Zweikampf entscheidet, akzeptiere ich denselben Ort und dieselbe Zeit, die zwischen dem Obersten und seinem Gegner vereinbart wird. Im entgegengesetzten Fall aber werde ich meine eigenen Bestimmungen treffen. Hast du mir noch etwas zu sagen?« – »Nein. Ich darf also in ›kalter Höflichkeit‹ von dir scheiden. Adieu!«
Platen ging zum Major Palm, dem Ehrenrat der, versprach, die Angelegenheit sogleich in die Hand zu nehmen. Als er zu Kurt kam und diesem die Mitteilung machte, daß Ravenow sich für türkische Säbel entschieden habe, zuckte dieser höchst gleichmütig die Achsel und sagte:
»Dieser Ehrenmann will mich beseitigen, auf alle Fälle und auf jede Art und Weise. Er kennt keine Schonung, und so mag er zusehen, ob ich vielleicht so großmütig bin, Nachsicht zu üben. Der Oberst ist ein Feigling. Es ist ganz unmöglich, daß das Ehrengericht sich gegen mich entscheidet. Er wird sich wahrscheinlich für Pistolen und eine weite Distanz entscheiden, und ich bin bereit, ihn zu schonen, die Festung ist Strafe genug für ihn. Wann kann ich die Entscheidung erwarten?« – »Noch vor Anbruch des Abends.« – »Sie werden mir die Nachricht bringen?« – »Ja, noch bevor ich mich zur Soiree des Großherzogs nach Monbijou begebe. Das ist auch ein Streich, den man Ihnen gespielt hat. Sie waren berechtigt, eine Karte zu erhalten, man hat sie Ihnen vorenthalten.« – »Lassen Sie das gut sein!« lächelte Kurt. »Ich bedarf dieser Karte nicht, denn ich habe eine Privateinladung des Großherzogs.« – »Ah!« rief Platen. »Sie werden also auch kommen?« – »Jedenfalls. Ich will Ihnen sagen, daß ich das Wohlwollen des Großherzogs besitze, er hat gehört, in welcher Art und Weise man mir entgegenkommt, und mir noch gestern abend, als ich nach Hause kam, erklärt, daß er die Soiree veranstaltet habe, um mir eine öffentliche Genugtuung zu geben.«
Platen machte eine Bewegung des höchsten Erstaunens.
»Glückskind!« rief er. »Sie sind ein Günstling des Großherzogs?« – »Er war mir stets freundlich gesinnt«, sagte Kurt einfach. »Übrigens ersuche ich Sie, keinen Menschen wissen zu lassen, daß ich kommen werde. Ich freue mich auf die Enttäuschung der Herren Kameraden, die mich nur für einen unwillkommenen Eindringling halten. Sie können mir Ihre Nachricht also in Monbijou bringen, und ich werde Sie zur Revanche dafür dem Großherzog, dem Herzog von Olsunna, dem Lord Lindsay und einigen Damen vorstellen.« – »Alle Himmel, welch ein Glück!« meinte der Leutnant ganz begeistert. »Sie sind bei Gott ein Rätsel, aber ich gestehe, daß es gar nicht unvorteilhaft ist, Ihr Freund zu sein. Werden Sie mich auch der wundervollen Dame vorstellen, auf welche sich jene unglückliche Wette bezieht?« – »Jawohl. Sie ist zwar die Enkelin des Herzogs von Olsunna, und ihre Mama ist die spanische Gräfin de Rodriganda, Sie werden beide aber einstweilen unter dem Namen Sternau kennenlernen. Für jetzt aber wollen wir scheiden, mein lieber Freund, um uns zum Fest vorzubereiten.«
Sie trennten sich, beide dem Abend mit Spannung entgegensehend, nach dem sich das ganze Offizierskorps der Gardehusaren sehnte.
Im Laufe des Nachmittags trat das Ehrengericht zusammen. Die Mitglieder desselben bestanden alle aus Angehörigen des hohen Adels, sie sahen Helmers als ein »räudiges Schaf« an, wie sich der Oberst ausgedrückt hatte, waren übrigens von demselben beeinflußt worden, und so kam es, daß die Fassung des Urteils dahin ging, Leutnant Helmers habe den Obersten gedächtnisschwach genannt, dies sei eine Beleidigung, und da beide Beleidigungen als einander aufhebend zu betrachten seien, so habe Helmers kein Recht, Satisfaktion zu fordern, und der Oberst sei nicht verbunden, solche zu geben, von einem Duell könne also keine Rede sein. Daran schloß sich die Bemerkung, daß das Verhalten des Leutnants Helmers ein rücksichtsloses genannt werden müsse, welches nicht geeignet sei, ihm die freundliche Gesinnung des Offizierskorps zu erringen, er tue sehr klug, sich an einen anderen Ort versetzen zu lassen, zumal weder seine Abstammung noch seine Gesinnung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen des Gardekorps im Einklang ständen.
Dieses Urteil wurde zu Protokoll genommen, von welchem Platen eine Abschrift bekam, um sie Helmers zu überbringen. Er sah, daß man irgendeine Bemerkung von ihm erwartete, doch steckte er schweigend die Abschrift zu sich und entfernte sich. Er hatte die feste Überzeugung, daß mit dieser Sitzung die Angelegenheit noch nicht beendet sei.
Der Oberst aber fühlte sich als Sieger. Er hielt dafür, daß Kurt es nun nicht wagen werde, auf dem Eintritt in das Regiment zu beharren, und kehrte mit dem Gefühl der Genugtuung nach Hause zurück, um sich in seine Galauniform zu werfen und seine Damen abzuholen, da unterdessen der Abend hereingebrochen war und man den hohen Festgeber nicht warten lassen durfte.