Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20. Kapitel.

Am anderen Vormittag befand Leutnant Platen sich im Kontor bei seinem Oheim. Sie sprachen über die Erbschaftsangelegenheit, die den ersteren von Berlin herbeigeführt hatte, und der Bankier bemerkte dabei, daß sein Neffe heute ein ganz anderer als sonst sei. Da trat der Kontordiener herein und meldete:

»Herr Wallner, ein Offizier wünscht Sie zu sprechen. Hier ist seine Karte.« – »Jedenfalls wieder ein Darlehn«, meinte der Bankier zu Platen. »Diese Herren brauchen stets mehr, als sie einnehmen.« – »Gilt das auch mir?« fragte der Leutnant. – »Glücklicherweise nicht. Du bist allerdings auch so gut fundiert, daß du keines Vorschusses bedarfst. Hier handelt es sich jedenfalls um einen adligen, sehr vornehmen und auch ebenso derangierten Herrn, der ...« Er hielt mitten in der Rede inne. Er hatte die Karte aus der Hand des Dieners genommen und einen Blick auf dieselbe geworfen. Sein Gesicht nahm für einen Augenblick lang den Ausdruck des Nachsinnens an, dann jedoch flog ein rasches Rot über seine bleichen Züge. Er schien sich fassen zu müssen und sagte mit unsicherer Stimme:

»Ah, da irre ich mich! Ein Bürgerlicher! Kurt Helmers, Leutnant! Kennst du vielleicht diesen Herrn?«

Platen war überrascht. Also so schnell hatte Kurt seinen Entschluß gefaßt? Der Leutnant erhob sich und antwortete:

»Ich kenne ihn sogar sehr gut; er ist mein intimster Freund.« – »Ah! Woher stammt er?« – »Aus Rheinswalden.«

Bei dieser Antwort beobachtete Platen seinen Oheim scharf und bemerkte, daß ein leiser Schreck über das Gesicht desselben zuckte. Doch der Bankier nahm sich zusammen und sagte in einem Ton, der leicht und unbefangen klingen sollte:

»So bin ich neugierig, was er bei mir will. Du stehst auf? Ich hoffe, du bleibst, denn es wird dir angenehm sein, einen Freund und Kameraden zu begrüßen. Er mag kommen.«

Diese letzteren Worte waren zu dem Diener gesprochen. Dieser entfernte sich und ließ Kurt eintreten, der in Uniform erschien.

»Herr Bankier Wallner?« fragte er. – »Der bin ich, Herr Leutnant«, antwortete der Gefragte, den Angekommenen mit scharfem Blick fixierend, wie um zu sehen, was er von ihm zu erwarten habe.

Dieser war mit einer sehr ernsten Miene eingetreten, die sich jedoch sofort aufheiterte, als er den Freund erblickte.

»Ah, lieber Platen, du hier?« sagte er. »Ich sage dir guten Morgen.« – »Ich danke dir«, antwortete Platen. Ich vermute, daß du mit dem Onkel allein zu sprechen hast, und will nicht stören, aber ich ersuche dich, mich dann auf meinem Zimmer aufzusuchen.« – »Ich werde dies gern tun, wenn Herr Wallner mir die Erlaubnis dazu nicht vorenthält.« – »Dieser Erlaubnis bedarf er wohl gar nicht«, meinte der Bankier. Und sich an seinen Neffen wendend, fügte er hinzu: »Übrigens sehe ich nicht ein, warum du dich entfernen willst. Der Herr Leutnant wird kommen, um mich um einen Vorschuß zu ersuchen, den ich ihm auch gewähren werde, da er dein Freund ist, das ist alles.«

Platens Stirn rötete sich in zorniger Verlegenheit, als er antwortete:

»Helmers hat jedenfalls nicht nötig, dich um einen Vorschuß zu ersuchen. Es scheint mir nötiger zu sein, mich um deinet- als um seinetwillen zurückzuziehen.« – »Ah, was soll das heißen?« fragte Wallner. »Jetzt verlange ich wirklich, daß du bleibst. Ich denke, nicht nötig zu haben, deine Gegenwart zu scheuen.«

Platen warf einen fragenden Blick auf Helmers, und dieser meinte darauf unter einem gleichgültigen Achselzucken:

»Mir ist es gleich, ob du anwesend bist oder nicht. Ich komme, um eine sehr einfache Bitte auszusprechen, die allerdings keinen Vorschuß betrifft.« – »So sprechen Sie!« sagte der Bankier, dem es bei den Worten Kurts leichter um das Herz wurde. Eine einfache Bitte konnte unmöglich die Auslieferung eines Wertes von Millionen betreffen.« – »Sie erlauben mir zuvor, Platz zu nehmen«, erinnerte Kurt ihn an die verletzte Höflichkeit. Und nachdem er sich gesetzt hatte, fuhr er fort: »Ich komme nämlich, Sie um die Auslieferung einiger Aktenstücke zu ersuchen, Herr Wallner.«

Der Bankier lächelte, schüttelte den Kopf überlegen und antwortete:

»Da haben Sie jedenfalls den Ort verfehlt, Herr Leutnant. Ich bin kein Aktenschreiber und kein Jurist.« – »Ich weiß das«, sagte Kurt kalt. »Da Sie mich in dieser Weise mißverstehen, so sehe ich mich gezwungen, mich Ihnen deutlicher zu erklären. Sie hatten gestern abend Besuch?« – »Besuch? Nein. Ich war im Gegenteil verreist.« – »Verreist nach Köln etwa? Daran glaube ich nicht. Sie hatten den Besuch eines gewissen Kapitän Parkert.«

Der Bankier entfärbte sich und fuhr zurück.

»Herr«, stotterte er, »was fällt Ihnen ein?« – »Dieser Parkert brachte Ihnen geheime Depeschen, um deren Auslieferung ich Sie ersuche«, fuhr Kurt ruhig fort.

Platen hörte mit außerordentlicher Spannung zu. Das hatte er nicht erwartet. Er hatte geglaubt, Helmers werde von den Juwelen anfangen, und nun sprach er von Depeschen und von jenem Kapitän Parkert. Wallner starrte den Sprecher mit offenen Augen an und rief:

»Aber ich verstehe Sie nicht! Ich weiß von keinem Parkert und von keinen Depeschen etwas!« – »Sie werden sich noch besinnen«, lächelte Kurt. »Zunächst will ich Ihnen sagen, daß dieser Parkert nicht nach Rodriganda kommen wird, denn man ist auf meine Veranlassung hart hinter ihm her. Und sodann mögen Sie erfahren, daß sich ein gewisser Pelzhändler Helbitoff jetzt jedenfalls bereits hinter Schloß und Riegel befindet.«

Da sprang der Bankier auf. Er hatte Mühe, das Zittern der Angst zu verbergen.

»Ich sagte bereits, daß ich Sie gar nicht verstehe!« beteuerte er. – »Nun wohl, so gehe ich wieder«, erklärte Kurt, indem er sich erhob. »Ich kam als Herrn von Platens Freund, um Sie zu schonen; da Sie dies nicht anerkennen, so werden Sie an meiner Stelle die Polizei erscheinen sehen.« – »Ah, Sie wollen mir drohen? Ich fürchte Sie nicht!« – »Man wird suchen!« – »Man wird nichts finden!« – »Pah! Fühlen Sie sich nicht zu sicher! Man wird nicht bloß hier im Haus suchen!« – »Wo noch, Herr Leutnant?« fragte Wallner mit einem höhnischen Lachen, dem aber die geheime Angst anzuhören war. – »Im Garten.« – »Meinetwegen!« – »Sogar im Gartenhaus.« – »Immerzu!« – »Hinter der Schwarzwälder Uhr.« – »Ver ...«

Der Fluch blieb dem Bankier im Munde stecken. Er machte ein Gesicht, als ob er einen Keulenschlag erhalten habe.

»Sie sehen, daß ich so ziemlich allwissend bin«, fuhr Kurt fort. »Ich habe die bewußten Papiere an Herrn von Bismarck auszuliefern. Wollen Sie mir dieselben freiwillig überlassen oder nicht?« – »Ich weiß von keinen Papieren!« stieß der Bankier hervor. – »Gut, so wird man hinter der Uhr suchen und nicht nur diese Papiere finden!« – »Was sonst noch?« – »Eine Sammlung von Juwelen, die unterschlagen wurden und deren rechtmäßiger Besitzer vor Ihnen steht. Wollen Sie noch nicht bekennen?«

Da wankte Wallner; er mußte sich an der Lehne seines Stuhles festhalten.

»Ich bin verloren!« stöhnte er. – »Noch nicht«, meinte Kurt ernst, aber mild. »Es gibt keinen Fehler, der nicht vergeben werden könnte, sobald er nur bereut und eingestanden wird. Daß Sie mir mein Eigentum vorenthalten haben, werde ich Ihnen verzeihen, sobald Sie es mir wieder zurückerstatten. Und das andere läßt sich vielleicht noch arrangieren. Herr von Platen kann nicht weiter dienen als Neffe eines Mannes, der sich des Hochverrats schuldig macht. Ich werde aus Rücksicht auf den Freund nach einem Ausweg suchen.« – »Des Hochverrats?« fragte Platen erstaunt. – »Allerdings«, antwortete Kurt. »Sprich mit deinem Onkel. Ich werde mich einstweilen in das Nebenzimmer zurückziehen.«

Er schritt ohne eine Wort abzuwarten, zur Tür hinaus. Im Vorzimmer nahm er auf einem Sessel Platz und wartete. Er hörte die Stimmen der beiden, bald leiser, bald lauter. Es verging eine lange Zeit, bis die Tür geöffnet wurde und Platen ihn bat, einzutreten. Man sah es dem letzteren an, daß er einen schweren Kampf gekämpft habe. Wallner saß wie zerschlagen auf einem Stuhl und holte Atem wie ein Fiebernder. Beim Eintritt Kurts erhob er sich und sagte mechanisch, als hätte er es auswendig gelernt:

»Herr Leutnant, ich erhielt vor längerer Zeit eine Sendung aus Mexiko. Trotz aller Mühe, den Adressaten ausfindig zu machen, ist dies mir erst heute gelungen. Sie sind es. Ich werde Ihnen die Sendung unbeschädigt übergeben.« – »Ich danke Ihnen«, meinte Helmers einfach.

Nach einer Pause, während welcher Wallner nach Luft zu schnappen schien, fuhr er fort:

»Vor einiger Zeit deponierte ein Unbekannter, der sich Parkert nannte, etliche Schriften bei mir. Ich kenne ihren Inhalt nicht, weiß aber, daß ein gewisser Helbitoff ihn erfahren soll. Die Schriften sollten abgeholt werden. Von wem, das weiß ich nicht. Da Sie mir versichern, daß ihr Inhalt ein für mich gefährlicher sei, so bin ich froh, sie Ihnen überliefern zu dürfen, und gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich niemals ein solches Depositum wieder annehmen werde. Wollen Sie sich mit nach dem Gartenhaus bemühen?« – »Gern, Herr Wallner.«

Der Bankier schritt voran, und die anderen folgten ihm. Sie verließen das Zimmer und begaben sich durch den Garten nach dem Gartenhäuschen. Dort öffnete der Bankier und führte sie in die dritte Stube, nahm die Uhr von der Wand und sagte:

»Nehmen Sie, Herr Leutnant.«

Kurt griff zu. Er fand außer dem Kästchen und den gestern abend dabei befindlichen Dokumenten noch einen Pack anderer Papiere, den er öffnete, um Einsicht zu nehmen. Es waren jedenfalls diejenigen Schriftstücke, die Parkert gebracht hatte.

»Ist der Inhalt wirklich so wichtig?« fragte Platen. – »Außerordentlich!« Kurt bemerkte, daß Wallner sich entfernt hatte, und fuhr daher fort: »Es handelt sich um eine großartige Koalition gegen Norddeutschland oder vielmehr Preußen. Einer der Hauptträger derselben war jener Kapitän Parkert, den die Herren von der Garde so scharfsinnig waren, in ihr Kasino einzuladen – eine unsterbliche Blamage, wahrhaftig! Mich wollte man hinausmaßregeln! Ich jagte ihm seine geheimen Depeschen ab. Dies war das Verdienst, von dem gesprochen wurde und das mir den Roten Adler einbrachte, den ich tragen werde, bis er schwarz wird. Gestern abend, als du von mir gingst, war ich so glücklich, diesen Parkert mit deinem Oheim zu belauschen, der sich in diese Agitation eingelassen hat, weil man ihm versprach, daß er Finanzminister eines neuen Königreichs Westfalen werden solle.« – »Der Unglückliche!« – »Nicht unglücklich, sondern kurzsichtig und leichtgläubig. Ich bin gezwungen, diese Skripturen abzuliefern, aber ich werde mein möglichstes tun, ihn zu retten.« – »Tue es, Kurt! Du verdienst dir einen Gotteslohn! Ich habe hart mit ihm zu kämpfen gehabt, aber er hat mir versprochen, daß er sich in Zukunft hüten werde. Nimm dein Eigentum und laß mir das Bewußtsein, daß ich dir für die Gnade danken darf, die du an meinem Verwandten übst!«

Er ergriff das Kästchen, während Kurt die Dokumente nahm, und beide verließen das Gartenhaus, ohne den Bankier zu erblicken. Sie begaben sich nach Platens Zimmer, wo Kurt die eroberten Schriftstücke in einem Paket vereinigte. Noch war er damit beschäftigt, als der Kontordiener erschien.

»Herr von Platen, schnell, schnell, kommen Sie herab zu Herrn Wallner!« rief er. – »Was will er?« fragte Platen. – »Was er will? Oh, nichts, gar nichts will er. Ich denke nur, er ist – er ist ...« – »Nun, was ist er?« – »Er ist – krank geworden, sehr krank.« – »Was fehlt ihm? Holt den Arzt.« – »Oh, der Arzt kann ihm nicht mehr helfen.«

Da fuhr Platen auf, sah den Diener starr an und fragte:

»Nicht mehr helfen? Ah, was ist geschehen? Wo ist der Oheim?« – »In seiner Kontorstube. Ich sollte ihm einen Herrn melden, und als ich eintrat, da lag er im Stuhl – und ...« – »Nun, und ...« – »Und war tot.« – »Unmöglich! Wir haben ja soeben erst mit ihm gesprochen! Ich komme gleich hinab, sogleich!«

Er ging; Kurt blieb zurück. Nach einiger Zeit kam Platen wieder, ernsten, bleichen Angesichts, schritt einige Male im Zimmer auf und ab und sagte dann:

»Du hast recht, lieber Kurt, kurzsichtig war er. Das beweist auch diese letzte Handlung. Er hat nicht gewußt, wo aus, noch ein. Oder hat er den Verlust des ungerechten Gutes nicht überleben mögen? Er ist in seinen Sünden hingegangen. Gott sei seiner armen Seele gnädig!«

Eine Viertelstunde später befand Kurt sich auf dem Heimweg. Sein Pferd trug nicht bloß ihn, sondern auch den Inhalt des hinter der Schwarzwälder Uhr befindlichen Loches. Er hatte ein Vermögen bei sich; mehr wert als dieses waren ihm aber die geheimen Depeschen, durch deren Überreichung er sich dankbar beweisen konnte für die Auszeichnung, die ihm zuteil geworden.

Er stieg natürlich zuerst bei seiner Mutter ab. Welche Augen machte die gute Frau, als er das Kästchen öffnete und sie die funkelnden Geschmeide erblickte. Bald aber stürzten Tränen aus ihren Augen. Sie umarmte ihren Sohn und rief aus:

»Das mag viel, sehr viel wert sein, tausendmal lieber aber wäre es mir, wenn dein Vater gekommen wäre. Tue mit diesen Dingen, was du willst, ich aber mag nichts davon sehen.«

Er übergab ihr das Paket mit den Schriften, von denen der Hauptmann nichts erfahren sollte, aber das Kästchen trug er zu ihm. Er erzählte ihm, welche Bewandtnis es mit demselben hatte, und zeigte ihm dann den Inhalt.

»Donnerwetter, nun wird mir der Junge stolz werden!« brummte Rodenstein in den Bart. »Denn der Reichtum macht stolz und hart!« – »Mich nicht, lieber Pate«, versicherte Kurt lächelnd. – »Nun, meinetwegen! Aber was willst du mit den Dingen tun, he?« – »Ich? Hm! Ich weiß, was ich damit tun werde.« – »Nun, was denn?« – »Ich verschenke alles.« – »Kerl, bist du verrückt!« – »Nein, und dennoch werde ich alles verschenken.« – »An wen denn, he?« – »Röschen bekommt den ganzen Kram.« – »Röschen? Hm, dieser Gedanke ist nicht ganz so dumm und übel. Aber warum denn gerade sie?« – »Weil nur sie allein schön und gut genug ist, solche Schätze zu tragen!«

Bei diesen Worten leuchteten seine Augen in einem solchen Glanz, daß der alte Hauptmann, der sonst in solchen Dingen nicht sehr scharfsinnig zu nennen war, doch aufmerksam wurde. Er drohte mit dem Finger und sagte:

»Du, ich glaube gar, du bist verliebt, Mensch! Mache keine Dummheiten! Wenn du partout ein unglücklicher Kerl werden willst, so suche dir meinetwegen ein Hauskreuz, das Waldröschen aber ist nichts für dich. Der Ort, auf dem sie wächst, ist für dich zu hoch!« – »Lieber Pate, ich kann steigen.« – »Ja«, lachte der Alte, »so ein Leutnant kann's himmelhoch bringen; ich sehe es an mir – zum Hauptmann und Oberförster, Gott sei es geklagt. Also mache mit diesem Krimskrams, was du denkst, aber bilde dir nur keine großen Rosinen ein, und laß uns das Waldröschen ungeschoren. Merke dir das ...«

Mit dem nächsten Zug saß Kurt wieder im Kupee und dampfte der Residenz entgegen. Ludwig begleitete ihn in einem Waggon zweiter Klasse. Sie kamen am späten Abend in Berlin an, dennoch aber eilte Kurt gleich vom Bahnhof weg nach dem Palais, das Bismarck damals bewohnte.

Die Fenster desselben waren hell erleuchtet. Der Minister hatte jedenfalls Gäste bei sich. Der Portier wollte den Leutnant nach seinem Befehl fragen, doch Kurt eilte an ihm vorüber und die Treppe empor, Lakaien liefen oben auf und ab, und im Vorzimmer stand der Leibdiener, der Kurt entgegenkam.

»Sie wünschen?« fragte er. – »Exzellenz zu sprechen.« – »Geht nicht. Exzellenz befindet sich beim Souper, ist überhaupt nur für die Gäste da.« – »Exzellenz wird aber doch sofort kommen, wenn Sie meinen Namen nennen!«

Der Diener betrachtete den Leutnant mit ironischen Blicken, darum zog dieser seine Karte vor und antwortete, als er ein hochmütiges »Ah!« vernahm:

»Hier, meine Karte. Melden Sie mich sofort!« – »Ich bedaure, dies nicht tun zu dürfen, denn ...« – »Ich befehle Ihnen, mich zu melden! Verstanden, Bedientenseele!«

Der Mann fuhr zurück, als er sich in dieser Weise angedonnert hörte. Er wagte keinen Widerspruch mehr und verschwand im Saal. Bereits nach einigen Augenblicken kehrte er zurück.

»Folgen Sie mir!« bat er in sehr achtungsvollem Ton und führte Kurt in ein Gemach, in dem Bismarck bereits stand. Dieser trat dem Leutnant entgegen und sagte: »Für Sie bin ich allerdings zu sprechen, Herr Leutnant. Sie haben dem Staat abermals einen wichtigen Dienst geleistet. Jener Russe wurde infolge Ihrer Depesche festgenommen, und man fand in seinem Hut allerdings Papiere von solcher Wichtigkeit, daß Sie unseres Dankes versichert sein können. Wie aber kamen Sie zur Wissenschaft dieses Geheimnisses?« – »Bevor ich diese Frage beantworte, gestatte ich mir, Eurer Exzellenz diese Dokumente zu überreichen.«

Mit diesen Worten öffnete Kurt das Paket und reichte es dem Kanzler.

»Ich bin engagiert und habe also jetzt keine Muße zum Lesen, aber die Aufschriften werde ich denn doch ... Ah!«

Er hatte die erste Schrift geöffnet und blieb nun nicht nur bei der Aufschrift, sondern las weiter. Dann griff er zur zweiten:

»Setzen Sie sich«, gebot er Kurt.

Dieser leistete Gehorsam, während Bismarck weiterlas. Seine Augen schienen die Zeilen förmlich zu verschlingen, und die Spitzen seines Schnurrbartes zeigten jenes verräterische Zucken, was bei ihm stets ein Zeichen innerer Spannung war. Endlich war er fertig, wandte sich zu Kurt, der sich erhob, und richtete sein Auge mit einem so großen, erstaunten Blick auf ihn, daß der Leutnant beinahe verlegen wurde. Dann fragte er langsam und im Ton der höchsten Verwunderung:

»Aber, Herr Leutnant, ich begreife Sie nicht. Sie erscheinen mir wie ein Wunder. Sie, der junge, unbekannte Mann, machen uns Enthüllungen und bringen uns Beweise über Agitationen, für deren Aufdeckung man Königreiche bezahlen könnte. Wie kommen Sie zu diesen Dokumenten?« – »Kapitän Parkert, der uns hier entwich, hat sie dem Bankier Wallner in Mainz in Depositum gegeben, und dieser lieferte sie mir aus, als ich die Überzeugung aussprach, daß der Inhalt für ihn einer Dynamitpatrone gleiche.« – »Aber er kannte den Inhalt?«

Die Augen des großen Mannes waren so voll und scharf auf Kurt gerichtet, daß es ihm unmöglich war, zu lügen.

»Exzellenz, er ist tot«, antwortete er. – »Freiwillig gestorben?« fragte der scharfsinnige Mann. – »Ja.« – »Ah, also ein Kampf und eine Katastrophe. Erzählen Sie kurz.« – »Ich hatte bereits die Ehre, Eurer Exzellenz in Gegenwart Seiner Majestät von meinen Verhältnissen und denjenigen der Familie Rodriganda zu sprechen. Mein letztes Erlebnis steht in innigem Zusammenhang mit denselben.«

Er berichtete nun von dem verschwundenen Teil des Königsschatzes und wie er bei Auffindung desselben zugleich hinter die Geheimnisse der Verräter gekommen war. Er schonte den Bankier, so viel es möglich war, und doch meinte Bismarck, als er geendet hatte, zu ihm:

»Die nachsichtige Fassung Ihres Berichtes ist für Sie eine ebenso große Ehre, als die Enthüllung des Geheimnisses selbst. Sie glauben, Ursache zu haben, in irgendeiner Beziehung Milde walten zu lassen, aber ich versichere Ihnen, daß Sie gegen mich offen sein können, ohne daß Ihre freundliche Absicht in Gefahr gerät. Man wird, wenn es ohne Gefahr geschehen kann, Ihre Gründe gern berücksichtigen. Ich bitte Sie also, aufrichtig zu sprechen.«

Jetzt konnte von einer Verhehlung keine Rede mehr sein. Kurt erzählte alles. Bismarcks Gesicht nahm einen eigentümlich ergriffenen Ausdruck an, und als Kurt geendet hatte, reichte er ihm die Hand und sagte:

»Herr Leutnant, ich schätze Sie! Dieses Wort mag Ihnen ebensoviel bedeuten wie ein Orden. Auf Ihren Freund Platen, der sich ja in den letzten Tagen ausgezeichnet hat, soll nicht der leiseste Schatten fallen. Ihnen aber will ich die Rücksicht, die Sie für den Freund hatten, belohnen, indem ich Sie auffordere, morgen früh zehn Uhr bei mir zu erscheinen. Wir werden miteinander zum König fahren, damit er aus Ihrem eigenen Mund hört, wie es Ihnen gelungen ist, uns diesen weiteren großen Dienst zu leisten. Jetzt aber muß ich mich zurückziehen. Ich erwarte, Sie pünktlich zu sehen.«

Bismarck gab dem jungen Mann abermals die Hand und verschwand sodann im Saal. Wie trunken vor Glück stieg Kurt die Treppe hinab. Er hatte seinen Diener Ludwig vom Bahnhof direkt nach Hause geschickt, und als er nun zu den Seinigen trat, fand er sie um das geöffnete Kästchen versammelt. Sie kamen ihm alle entgegen, um ihn zu beglückwünschen, er aber wies ihre Gratulationen mit den Worten zurück:

»Das ist nichts! Ich habe noch weit Besseres erlebt. Ich komme von Bismarck.« – »Von Bismarck?« tönte es verwundert im Kreis. – »Ja, und er gab mir mehr, als diese Juwelen wert sind. Er sagte zu mir: ›Herr Leutnant, ich schätze Sie! Dieses Wort mag Ihnen ebensoviel bedeuten wie ein Orden.‹ Und dann lud er mich ein, morgen früh zehn Uhr zu ihm zu kommen, um mit ihm zum König zu fahren. Das ist mir lieber als Gold und Diamanten.«

Nun wurde er bestürmt, zu erzählen, wie das alles gekommen sei, er aber nahm eine komisch wichtige Miene an und antwortete:

»Es handelt sich um höchst wichtige Staatsgeheimnisse, die ich nicht verraten darf. Später vielleicht werde ich alles mitteilen dürfen.« – »Seht einmal den Diplomaten!« lachte der Herzog. »Er scheint die rechte Hand Bismarcks zu sein, so brüstet er sich.« – »Oh, was er noch nicht ist, das kann er ja noch werden«, meinte Röschen. Aber kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, so merkte sie, daß sie zu mutig gewesen sei, und eine glühende Röte flog über ihr liebliches Gesichtchen.

Ihre Mutter streichelte ihr die Wangen und stimmte bei:

»Ja, er hat das Zeug zu einem ganzen Mann und auch das gehörige Glück dazu. Ich bin überzeugt, daß er von sich reden machen wird. Aber, lieber Kurt, was beabsichtigen Sie nun mit diesem Geschmeide zu beginnen?« – »Das hat mich bereits der Herr Hauptmann auch gefragt«, meinte er lächelnd. – »Und was haben Sie ihm geantwortet?« – »Ich sagte ihm, daß ich am liebsten alles unserem Waldröschen schenken möchte.«

Alle lachten. Röschen erglühte abermals, und Rosa, ihre Mutter, fragte:

»Und was antwortete der alte, wackere Haudegen?« – »Hm, er meinte, ich solle mir nur keine Rosinen einbilden, denn ich sei ganz und gar nicht der Kerl dazu, Röschen etwas zu schenken.« – »Er hat doch wohl nur gemeint, daß solche Kostbarkeiten einen Schatz bilden, der nicht verschenkt werden darf, sondern gehütet werden muß. Wir wollen gemeinschaftlich über ihn wachen, daß er Ihnen sicher bewahrt bleibe.«

Aber als Kurt sich später auf sein Zimmer zurückgezogen hatte, klopfte es leise an seine Tür, Waldröschen steckte das liebe, süße Köpfchen herein und fragte:

»Kurt, hast du es mir wirklich schenken wollen?« – »Ja, Röschen«, antwortete er. – »Hebe es gut auf, denn später werde ich es annehmen dürfen.« – »Keine andere als du soll es bekommen.«

Bei diesen Worten hatte er das Köpfchen erfaßt und festgehalten, ihre Lippen fanden sich zu einem schnellen Kuß, und dann flüsterte Röschen, bevor sie eilig verschwand:

»Der Hauptmann Rodenstein ist ein alter Bär! Ich erkläre dir ganz feierlich, daß du schon der Kerl bist, mir etwas zu schenken! Nicht wahr, lieber Kurt?«


 << zurück weiter >>