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Sechstes Kapitel

Das Scheidungsverfahren nahm träge seinen Anfang. Die Advokaten wechselten Schriftsätze und stellten beim Berliner Gericht ihre Anträge. Hans von Bülow, der Kläger, trat dabei persönlich nicht hervor, er reiste unstet von Stadt zu Stadt, als seinen Wohnsitz bezeichnete er Berlin, wo er meist bei seiner Mutter abstieg. Sie setzte ihm und seinem Anwalt hartnäckig zu, daß er die Schuld seiner Ehefrau schonungslos betonen und Zeugen dafür bringen, vor allem aber auf der Rückgabe seiner Kinder bestehen solle; denn sie hielt dafür, daß Frau Cosima eine schlechte Mutter sei und schon wegen ihres Zusammenlebens mit Wagner zur Erzieherin ungeeignet. Ganz anders, aber nicht minder einseitig sah Franz Liszt von seinem kirchlichen Standpunkt aus den Fall an. In langen, mehr salbungsvollen als väterlichen Briefen suchte er in Cosima Gewissensbisse zu erzeugen. Indem er auf die Unlösbarkeit des Sakraments der Ehe hinwies, verlangte er, daß sie dem Antrag auf Scheidung widersprechen und zu ihrem Gatten zurückkehren solle, eine weltfremde Sinnlosigkeit, mit der er nichts anderes erreichte, als sich seiner Tochter noch mehr zu entfremden.

Cosima, tagsüber heitere Gefährtin des Freundes, Lehrerin und Gespielin ihrer Kinder, ward in schlaflosen Nächten von der Wucht dieser Zumutungen, Vorwürfe und Anklagen schwer bedrängt. Grollen konnte sie den beiden Widersachern nicht, aber der Schmerz, in solcher Weise mißverstanden und verkannt zu werden, zerriß ihr das Herz. Ihre Pflicht als Mutter erfüllte sie ja auf das gewissenhafteste. Gemüt und Charakter ihrer Kleinen zu bilden, sie sorgfältiger zu unterrichten, als es der Schule möglich war, betrachtete sie als ihre höchste Aufgabe und widmete ihnen so viel Zeit, daß Wagner sie oft deswegen schalt. Die streng priesterlichen Anschauungen des Abbé Liszt konnte sie freilich nicht teilen. Sie war nach wie vor gläubige Christin, neigte aber schon seit Jahren mehr zur evangelischen Freiheit, die sie auch den Kindern zugute kommen lassen wollte. Den Gottesdienst besuchte sie mit ihnen bald in der katholischen, bald in der protestantischen Kirche. Sie grübelte hin und her, wie sie ihr neues religiöses Gefühl mit den strengen Ansprüchen ihres guten Vaters vereinen, wie sie ihn zu gerechterem Urteil bringen und seine Verzeihung gewinnen könnte.

Am meisten aber bedrückte sie die Lage von Hans. Sooft sie seiner gedachte, stiegen ihr die Tränen auf, nicht aus Gewissensbissen – unumstößlich stand in ihr fest, daß sie recht gehandelt hatte – nur aus grenzenlosem, bohrendem Mitleid. Er klagte sich an, ihr Leben zerstört zu haben? Ach nein, ihm verdankte sie ja die Freundschaft mit dem Meister, dem Freunde hatte er sie zugeführt und mußte jetzt Übermenschliches dafür erdulden! Dadurch, daß sich ihr ein reicheres Leben auftat, war das seinige zusammengebrochen. So wollte es die Vorsehung, deren dankbar leidendes, selig dienendes Werkzeug sie war.

Wie recht sie getan, zeigte ihr jeder Tag: der Meister hatte allen Gram und Menschenhaß von sich abgestreift, blühte auf zur Höhe seiner schöpferischen Kraft. Kaum hatte er den »Siegfried« vollendet, ging er siegesgewiß an die »Götterdämmerung«. Die Geburt des Sohnes beglückte ihn über die Maßen: vor der Wiege zog er Cosima jedesmal in seine Arme und pries das Geschick, das ihn mit ihr begnadet hatte: »Könnten die Menschen, die uns trennen wollen, ermessen, was du mir bedeutest, sie müßten sich beschämt vor dir verkriechen. Aber sie denken und fühlen ja anders als wir, jagen anderen, niederen Freuden nach. Wie wenig hast du doch mit ihnen gemein!« Dann wieder: »Ich weiß noch gar nicht, wie glücklich ich durch dich geworden bin; ich genieße es nie genug!«

Von Tag zu Tag wuchsen sie inniger zusammen. Nur mußte sie darauf bedacht sein, daß er von der Qual ihrer einsamen, dunklen Stunden nichts merkte, von ihrem schmerzlichen Gedenken an Hans und ihrer Angst, die Kinder zu verlieren.

Mit Nietzsche allein konnte sie sich darüber aussprechen. Sein Trost war freilich etwas karg und künstlich. Er konnte ihr nachfühlen, aber nicht mit ihr fühlen. Das Heitere, Königliche liebte er an ihr; daß sie nicht jede Unbill strahlend überwand, wollte ihm nicht in den Sinn, ihre Mutterschaft, ihr Familiensinn verwunderte den jungen Gelehrten fast. Aber auch darin erwies er sich ihr gern gefällig, besorgte nach ihren Anweisungen in Basel für die Kinder zum Weihnachtsfest Puppen und Bilderbücher, brachte wohl auch einmal Verkehrtes mit und schämte sich lachend seiner Ungeschicklichkeit. Ihr schenkte er seltene Kupferstiche, schöne alte Möbel und Stoffe, worin er Kenner war. Heimlich dichtete, komponierte und malte er selbst. Erst später trat er damit schüchtern, doch nicht ohne Ehrgeiz vor die Triebschener Freunde hin. Das erste, was er Cosima zeigte, war eine ideale Landschaft, eine ausdrucksvolle Mischung von heroischer Größe und göttlicher Heiterkeit, eine Landschaft in Gold und Blau, lauter Sonne, See und Himmel: »Ihr Konterfei, Frau Cosima – Ausstrahlung Ihres innersten Wesens in die Pracht der Unendlichkeit.«

*

Am Abend des 5. März 1870 – das Datum blieb in der Familie Richard Wagners unvergeßlich, obgleich der Tag ereignislos verlief, denkwürdig nur durch die Geburt eines Gedankens, der erst nach Jahren reiche Früchte tragen sollte – an diesem Abend also saßen sich Cosima und der Meister, den runden Tisch des Wohnzimmers zwischen sich, nicht anders als sonst gegenüber, die letzte Viertelstunde vor dem Schlafengehen schweigsam sinnend, ruhevoll, einander froh.

Wagners Blick war auf die mit grauer Seide bespannte Wand gerichtet, wo das lebensgroße, sprechend ähnliche Porträt des Königs hing, darunter auf einer schmalen Tafel, von einer Bronzefigur des Tannhäuser und einer des Lohengrin überragt, all die goldenen und silbernen Becher, Schalen, Lorbeerkränze, die der Meister seit der Münchner Tristan-Aufführung von seinen Verehrern zum Geschenk erhielt. Er sah sie schon längst nicht mehr, wollte sie aber immer gegenwärtig haben, als äußeres Sinnbild dessen, was er seinem Volke dargebracht hatte.

Cosima kam wie von ungefähr Nietzsches Wort in den Sinn: »Bringen Sie den Nibelungenhort, gleichviel wo, in Sicherheit! Sie brauchen für ihn ein Heiligtum, wo der Meister herrscht. Rühren Sie sich – es winkt ein Thron!« Anfangs hatte sie es nur für eine der poetischen Verstiegenheiten Friedrich Nietzsches genommen, vergessen konnte sie es nicht, weil es einen richtigen Kern enthielt. Das Lebenswerk des Meisters war heimatlos trotz des Asyls in Triebschen, Theaterware wie der ganze Opernkram, aus dem es herausgehoben werden mußte.

Auch ihr Selbstgefühl war davon nicht ganz unberührt geblieben. Wenn sie sich in ihren schlimmen Nächten als Frau mit geschändetem Ruf, verstoßen aus der Gesellschaft, angeprangert von frommen Zeitungen, eine Beute der Witzblätter, gedemütigt und erniedrigt vorkam, regte sich in ihr zugleich ein Gefühl zornigen Widerstandes und der Wunsch, ihre Feinde Lügen zu strafen, ihnen zu zeigen, welche inneren Kräfte ihr noch zu Gebote standen. Es lohnte sich vielleicht, einen Sieg zu erzwingen, vor dem sie sich verkrochen. Sie wußte, wie wandelbar die öffentliche Meinung ist, wie rasch sie sich der erfolgreichen Tatkraft einer überlegenen Persönlichkeit beugt. Es hätte ihr nichts ausgemacht, hier im Verborgenen an der Seite des Freundes, unter ihren Kindern, ihr Leben zu beschließen. Riß aber ein großes Unternehmen zu seinen Gunsten sie wieder hervor, hinaus und hoch, so wollte sie sich dessen mit stolzer Genugtuung freuen.

Das ging ihr durch den Kopf und nahm festere Gestalt an, als sie an diesem Märzabend Friedrich Nietzsches Mahnung auf ihren Gehalt an Edelmetall prüfte, und verknüpfte sich ihr sofort mit dem unbestimmten Plan einer Weihespielstätte, von der auch Wagner zuweilen noch träumte; denn es ging auf die Dauer nicht an, daß König Ludwig als unumschränkter Herr über des Meisters Werk verfügte, und daß jedes Theater, wenn es nur die Tantiemen bezahlte, es ohne Vorbild nach seinem eigenen alten Stil zuschanden spielte.

»Liebster, was meinst du dazu«, brach sie das Schweigen, »wenn wir jetzt endlich darangingen, unsre Idee vom Festspielhaus auf eigene Faust zu verwirklichen?«

Überrascht blickte er auf. »Das könnte man wohl in Betracht ziehen.«

»Nein, nicht bloß könnte man ... wir müssen und wir werden es durchführen.«

»Vor mir sehe ich es noch nicht, muß ich gestehen. Wo dachtest du denn? Für München hat es sich doch erledigt.«

»Mir schwebt irgendein stiller Fleck im Herzen Deutschlands vor – eine hübsche alte Stadt etwa, vom Edelrost geschichtlicher Erinnerung angehaucht, in Thüringen oder Franken ... wie wäre es zum Beispiel mit Bayreuth?«

»Nicht übel. Früher einmal war ich dort, auf der Durchreise, und es gefiel mir gut. Allein ich weiß nicht mehr davon, als daß es einst die Residenz von Markgrafen aus dem Hause Brandenburg war, ein paar schöne Schlösser, ein Schauspielhaus und eine hübsche Oper hat.«

»Warte! Darüber werden wir uns gleich genauer unterrichtet haben.« Sie holte von nebenan aus der Bibliothek einen dicken Band, schlug den Artikel »Bayreuth« auf und las vor: »Hauptstadt des bayrischen Bezirks Oberfranken, am Roten Main und der Linie Weiden – Neuenmarkt, fünfzehntausend Einwohner, usw.«

»Ein Kulturzentrum scheint es nicht zu sein«, meinte Wagner lächelnd.

»Um so besser. Wir werden es dazu machen.«

»Glückliches Bayreuth!« scherzte er. »Die fünfzehntausend Einwohner warten nur auf uns.«

Cosima ließ nicht locker, nahm alle Einwände, die er erheben konnte, der Reihe nach vor und widerlegte sie. Wagner hörte ihr immer aufmerksamer zu, und als er einmal Feuer gefangen hatte, übertrumpfte er sie noch mit den Vorzügen dieser Stadt, die sie wie keine andere dazu bestimmten, den Tempel für das Wagnersche Werk in ihrem Weichbild aufzunehmen.

Es wurde Mitternacht, und noch immer bauten sie gemeinsam an ihrem Luftschloß, bis es den Umriß einer nahen Wirklichkeit gewann.

»Heute bringen wir es nicht mehr fertig, Schatz«, schloß er. »Genug, daß wir beide überzeugt sind von der Möglichkeit. Wir wollen hinfahren nach Bayreuth, an Ort und Stelle besichtigen, prüfen und beraten, was sich tun läßt.«

»Ja, das werden wir und bis dahin keinem mattherzigen Zweifel Raum geben.«

*

Die Erkundungsfahrt wurde für die wärmere Jahreszeit in Aussicht genommen. Wagner hatte es damit eiliger als Cosima, die ihren genialen Einfällen zwar die Treue hielt, sie aber nachträglich mit vollkommenster Umsicht und Bedachtsamkeit durchpflügte.

Ohne viel Aufhebens davon zu machen, begann sie den Plan des Festspielhauses aufs gründlichste zu studieren. Neben Bayreuth zog sie auch andere etwa geeignete Städte, Ansbach, Würzburg, Eisenach, zum Vergleich heran, holte Auskünfte ein über die dortige Verwaltungspraxis, die Bevölkerung, die Grundstückpreise und stellte fest, daß Bayreuth tatsächlich der günstigste Boden war. Dann nahm sie sich die verschiedenen Möglichkeiten der Finanzierung vor; denn in diesem Punkte wollte sie das Vertrauen des Bürgermeisters und Stadtrats schon mit bestimmten Vorschlägen gewinnen. In die Theaterarchitektur vertiefte sie sich, untersuchte an zahlreichen Beispielen, welche Bauform und innere Einrichtung der Sonderart der Musikdramen und den Anforderungen, die der Meister an eine ideale Wiedergabe stellte, am besten entsprächen. Sie kam auf das stufenweise aufsteigende Rundtheater und fand damit seine Zustimmung, wobei er besonderes Gewicht auf ein verdecktes Orchester legte. Auch die Frage, für welche Monate die Spielzeit anzusetzen, mit welchen Verträgen die Sänger und Musiker, die Angestellten und Arbeiter dafür zu verpflichten wären, suchte sie an Hand der Gesetze und Gebräuche zu beantworten. Ihre in München gesammelten Bühnenerfahrungen kamen ihr dabei ebenso zustatten wie bei den Voranschlägen für den Fundus und die Ausstattung.

Den Freund behelligte sie nicht mit Einzelheiten: er merkte nur, wie eingehend sie sich mit all diesem Kram beschäftigte, lächelte darüber, wobei er sie zugleich bewunderte. Der Frühling verstrich, er wurde ungeduldig; sie versprach ihm, daß sie mit ihren Vorbereitungen bis Ende Juli so weit fertig wäre, um wohlgerüstet sich mit ihm in Bayreuth umzuschauen.

Besuche meldeten sich an, gern willkommen geheißen, denn sie stellten die einzige Verbindung mit der immer mehr im Nebel verschwindenden Außenwelt dar und bewiesen, daß freundschaftliche Gesinnung für Cosima noch nicht ganz ausgestorben war. Die Gräfin Mouchanow, eine große, üppige Blondine von umfassendem Wissen und feinem musikalischen Verständnis, war eine der frühesten Anhängerinnen des Meisters, verstand sich aber auch mit Cosima sehr gut. Gesellschaftliche Vorurteile kannte sie nicht, sie hatte selbst oft genug darunter gelitten. Einen sehr erfreulichen Bericht über den Erfolg der Münchner »Walküren«-Aufführung konnte sie erstatten: wider Erwarten war alles gut gegangen. Wagner bezweifelte nur, daß sie seinen eigenen künstlerischen Ansprüchen genügt hätte.

Aus Florenz kam das liebe alte Fräulein Malwida von Meysenbug, deren Bekanntschaft man Nietzsche verdankte. An Kennerschaft und Weitläufigkeit konnte sie es mit der Mouchanow nicht aufnehmen, zeichnete sich dafür aber durch einen echt-deutschen Idealismus und eine tiefe Herzensbildung aus, die Cosima gerade in diesen Wochen der unerträglich sich hinschleppenden Scheidungssorgen besonders wohltat. Mit Hans, der jetzt in Florenz lebte, war sie viel zusammen gewesen und konnte Cosima über seine Lage beruhigen: die Italiener schätzten und ehrten ihn als eine Leuchte der deutschen Musik, seine Gesundheit und seine Stimmung hatten sich gebessert, sie hatte von ihm sogar freundliche Grüße auszurichten.

Für die Gräfin und Fräulein von Meysenbug, die sich, wenn sie allein waren, nicht viel zu sagen hatten, bildete die Gefährtin des Meisters den hauptsächlichsten Gesprächsstoff. Sie stritten, worin der eigentümliche Zauber dieser Frau läge, dem sich selbst ihre Feinde nicht entziehen konnten.

»Wohl darin, daß sie Dulderin und Herrscherin zugleich ist«, meinte Malwida von Meysenbug, »daher, nichts Menschliches ihr fremd und ihre Willenskraft, eins mit ihrem Gemüt, einen unerschöpflichen Reichtum des Seelenlebens offenbart.«

»Ach, eine reiche Seele wirkt auf die wenigsten Menschen«, versetzte die Gräfin Mouchanow, »drückt sie sich nicht in bestrickenden Umgangsformen aus. In diesen aber kommt der Frau Cosima so leicht niemand gleich, da kann jede Frau von ihr lernen. Beobachten Sie, wie sie für jeden Menschen ihrer Umgebung den ihm gemäßen Ton hat, für den Geliebten die hingebungsvolle Zärtlichkeit, für ihre Kinder den aus Güte und Strenge gemischten mütterlichen, für Knecht und Magd den herrschaftlich anteilnehmenden, für uns den einer temperierten Freundschaft.«

»Sie spüren, liebe Gräfin, mehr ihr äußeres Gehaben. Ich unterliege ganz dem, was unsichtbar in ihr wirkt, dem göttlichen, dämonischen oder engelhaften Urquell ihrer Weiblichkeit. Der ist angeboren; es wäre aussichtslos, sich darum zu bemühen.«

Auch der junge Wiener Hans Richter, jetzt Königlicher Musikdirektor in München, weilte wieder einmal als Gast in Triebschen. Er konnte sich rühmen, des Meisters einziger Schüler zu sein. Wagner hatte sich seiner schon frühe angenommen und ihn dann dem König Ludwig empfohlen; er war ein vortrefflicher Dirigent und betreute die Abschriften seiner Partituren, als erster in den Bayreuther Plan eingeweiht und zum Leiter der dortigen Aufführungen jetzt schon bestimmt.

Nietzsche kam, als die anderen abgereist waren, über Pfingsten zu Besuch und brachte seine Schwester mit. Als Cosima ihn damit überraschte, daß sein »Rühren Sie sich!« auf fruchtbaren Boden gefallen und das Festspielhaus in Bayreuth beschlossene Sache war, beglückwünschte er sie und küßte ihr stürmisch beide Hände. Den Meister selbst vergaß er dabei, aber seine Schwester mußte es gleich erfahren, wobei er sich stolz als den Vater des Gedankens pries.

Das junge Mädchen lobte ihn wie einen klugen, anstelligen Jungen. Sie hielt augenscheinlich viel von ihm, war aber auch eifrig bemüht, seine Erziehung zu vollenden. Wenn er Cosima allzu glühend huldigte, sich über gute alte Sitten lustig machte oder das Christentum, auf das er schlecht zu sprechen war, mit scharfem Spotte angriff, wies ihn Elisabeth als glaubensfeste Pastorentochter strengen Blicks zurecht. Wagner fand Gefallen an ihrer klugen, entschiedenen Redeweise und unterhielt sich gern mit ihr; Cosima zog Nietzsches Begleitung vor.

Neugierige deutsche Touristen, die von Luzern herüberkamen und die Triebschener Besitzung umkreisten, um des berüchtigten Paares ansichtig zu werden, begegneten ihm und den beiden Gästen oft am Borkenhäuschen auf der Höhe des Hügels oder am Seeufer, wo die vier, in lebhafte Diskussionen vertieft, auf und ab wandelten. Es waren auffällige Erscheinungen, wie sie bürgerlichem Geschmack wenig zusagen: Richard Wagner in schwarzem Samtrock, schwarzen Kniehosen und schwarzseidenen Strümpfen, das üppig wallende braune Haar von einem Barett gekrönt, neben ihm eine steife, hagere Jungfrau, ihr goldenes Konfirmationskreuz auf der Brust, in lautem Sächsisch fanatische Lehrsprüche von sich gebend. Dicht hinter ihnen schritt am Arm des immer etwas aufgeregten jungen Gelehrten im Bratenrock, ihm lächelnd zugewandt, Cosima, die den meisten um ihrer herausfordernden stolzen Schönheit und ihrer offenkundigen Sünde willen ein Ärgernis war, in einem rosa Kaschmirgewand mit breiten Spitzenaufschlägen: in der Rechten trug sie ihren breiten Florentiner Strohhut, von dem ein Kranz roter Rosen leuchtete.

»Das ist sie!« raunten sich die Beobachter zu. »Nach Deutschland darf sie nicht wieder hinein, sie hat es zu arg getrieben.«

Für einen Monat seiner langen Sommerferien sollte Nietzsche nochmals als Gast einziehen. Wagner hatte ihn eingeladen, weil er merkte, wie sehnsüchtig er sich das wünschte. Cosima setzte allerdings eine etwas bedenkliche Miene dazu auf, sie fürchtete für das seelische Gleichgewicht ihres Anbeters.

Aber sowohl dieser Einladung wie der Fahrt nach Bayreuth machte plötzlich die hohe Politik einen Strich durch die Rechnung: nach einem kurzen Vorspiel von Alarmnachrichten meldete die Zeitung am 20. Juli die Kriegserklärung Frankreichs an Preußen, weil König Wilhelm sich geweigert hatte, den zudringlichen Botschafter Napoleons weiter zu empfangen. Und fast mit gleicher Post ward Cosima das Urteil in ihrem Scheidungsprozeß zugestellt. Beide Nachrichten versetzten ihr abwechselnd den Atem, beide schufen ihr wie ein heilsamer Aderlaß Schmerz und Erleichterung zugleich. Bande, die sie einst heilig gehalten, dann als Fesseln empfunden hatte, waren durch einen Schnitt, der wehevoll in sie drang, für immer zerrissen. Das Vaterland ihrer Kindheit, Frankreich, mußte sie nun als Feind betrachten, und ein seltsames Geschick fügte es, daß ihr Schwager Ollivier jetzt als Ministerpräsident des Kaisers Napoleon die Kriegserklärung unterzeichnet hatte. Doch sie gewann Deutschland dafür und einen der größten deutschen Männer zum Gemahl – gnadenvolles Geschenk des Himmels, dessen sie sich würdig erweisen wollte.

Das richterliche Urteil lautete so, wie sie es gewollt und erwartet hatte: die Schuld, ihren Gatten böslich verlassen zu haben, die sie von Anfang an zugestand, war als Scheidungsgrund festgestellt, aber die Kinder durfte sie behalten. Den vierten Teil ihres Vermögens sollte sie als Scheidungsstrafe an den Kläger herausgeben und die Kosten des Verfahrens tragen. Wie gern sie sich dem unterwarf! Auch den letzten Heller hätte sie dafür hergegeben, Hans sorgenfrei zu wissen, aber von ihm frei zu sein.


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