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Viertes Kapitel

Auf der Durchreise von Rom rastete Franz Liszt wieder einmal in München. Bülow veranstaltete ihm zu Ehren eine Aufführung seines Oratoriums »Die heilige Elisabeth«, das mußte er sich natürlich anhören: außerdem kam er gerade zurecht zum »Lohengrin«.

Cosimas Einladung, bei ihr Quartier zu nehmen, auszuschlagen, gewann er doch nicht über sich. Sie ahnte ja nicht, daß Hans ihn nach Empfang jenes schlimmen Wagnerschen Briefes ins Vertrauen gezogen hatte. Als ihr der Vater aber mit prüfender, bekümmerter Miene gegenübertrat, stieg ihr eine Ahnung auf, daß er mehr von ihr wußte, als ihr lieb war.

Sein Benehmen gegen sie hatte sich verändert: an Stelle des väterlichen Necktons war eine gewisse Steifheit getreten, geflissentlich sprach er nur über allgemeine und künstlerische Dinge und verstummte finster, sooft Wagners Name fiel.

Als der Abend der Lohengrin-Premiere herangekommen war, die in Abwesenheit des Meisters und des Königs stattfinden mußte – denn jener saß als grollender Achill in seinem Zelt zu Triebschen, dieser trübselig in Schloß Berg – bat Liszt Cosima um einen Platz in ihrer Loge.

»Ich möchte neben dir gesehen werden, aus mehr als einem Grunde.«

»Das ist sehr lieb von dir, Papa«, antwortete sie gerührt, »eine größere Ehre kann mir nicht widerfahren.«

»Um die Ehre gerade handelt es sich. Die Leute, die sie dir absprechen, sollen innewerden, daß dein Vater trotz allem zu dir hält.«

Sie bezog seine Worte auf das jüngste Ränkespiel, das gegen sie im Gange war und darauf abzielte, ihr auch die Achtung des Königs zu rauben. Eine Frau Schnorr, Witwe des Sängers Schnorr, der als erster den Tristan verkörpert hatte, während sie selbst die Isolde darstellte, hatte schon vor einem Jahr Wagner und Cosima in Triebschen mit halbverrückten Zumutungen überfallen: sie habe dem König Ludwig geheime Botschaft auszurichten, die ihn aufs engste mit ihr verbinden werde; Wagner müsse ihr sofort eine Empfehlung an den König mitgeben. Das sonderbare Verlangen war ihr glatt abgeschlagen worden, worauf sie wutschnaubend weglief und nun in München seit Monaten Einlaß beim König zu erzwingen suchte. Als das vergebens war, belästigte sie ihn mit schriftlichen »Enthüllungen« über Wagners Freundschaft mit Frau von Bülow, die zunächst zwar keinen Schaden stifteten, aber doch nicht ohne Einfluß auf Ludwigs wechselnde Stimmung blieben. Er setzte den Freund davon in Kenntnis, wessen er und Frau von Bülow sich von dieser Hysterikerin zu versehen hätten. Jetzt aber lief die von Bosheit, Neid und Rachsucht geschwollene Frau als angebliche Mitwisserin pikanter Geheimnisse schmähend und hetzend in der ganzen Stadt herum. Cosima ließ sich nicht merken, wie schrecklich ihr diese abermaligen Verunglimpfungen waren; doch hatte Wagner bei seiner letzten Zusammenkunft mit dem König wenigstens erreicht, daß der Witwe Schnorr mitgeteilt wurde, sie hätte München auf der Stelle zu verlassen, widrigenfalls sie des königlichen Ruhegehalts verlustig ginge. Cosima hoffte, den Quälgeist damit loszusein, aber sie spürte noch immer die Nachwehen der giftigen Stiche.

Die Aufführung des Lohengrin konnte nicht vollendeter sein und errang sich großen, dauernden Erfolg. Bülow hatte schließlich doch noch einen Vertreter der Titelrolle ausfindig gemacht, der bei all seiner jugendlichen Schönheit wirklich auch wundervoll sang. Der König befahl eine Sondervorstellung für sich allein und war begeistert. Unmittelbar danach schrieb er an Cosima: »Es ist schon spät in der Nacht, ich kann mich aber unmöglich zur Ruhe begeben, ohne Ihnen noch heute mein Herz auszuschütten. Ich frohlocke, ich jauchze vor Entzücken, ich bete aufs neue den Geist an, der dieses Werk geschaffen hat ... Eine wahre Entfremdung zwischen mir und Ihnen oder dem Freunde kann ja niemals vorkommen, eher ginge die Welt aus Fug und Angeln.«

Sie zeigte das Billett ihrem Vater, er sagte: »Der König ist hierzulande keineswegs die öffentliche Meinung, eher ihr Widerspiel. Hüte dich, mein Kind, vor jedem unbedachten Schritt! Du bewegst dich auf Glatteis.«

Sie konnte ihm eine Gefälligkeit erweisen, an der ihm, wie sie wußte, sehr viel lag, nämlich ihm einen ganz zwanglosen Besuch beim König vermitteln. Liszt, gefesselt von dem hohen künstlerischen Wollen der jugendlichen Majestät, aber tragisch berührt von seiner ins Krankhafte gesteigerten Gefühlstrunkenheit, benutzte die Audienz, seine Freude auszusprechen, daß es ihm vergönnt gewesen, Richard Wagners Werk, dem er einst in Weimar unter ungeheuren Widerständen als erster den Weg zu ebnen versucht und das er dann doch, nur mit zahllosen Mängeln behaftet, auf die Bühne gebracht hatte, jetzt von einem König beschirmt, von seinem Schüler und Schwiegersohn dirigiert, mit Pracht und unter Jubel ans Licht treten zu sehen. Mit dieser Huldigung gewann er sich sofort Ludwigs stolzes und leicht entzündbares Herz. In seinem Drange, Franz Liszt eine besondere Freude zu bereiten, bot er ihm kurz danach den Posten als oberster Leiter der Kirchenmusik in München an. Liszt aber war der Boden, auf dem er seine Tochter wie auf Glatteis wandeln sah, nun wiederum zu heiß; er zog ihm die beschauliche Einsamkeit von Tivoli vor und lehnte ehrfurchtsvoll dankend ab.

*

Dem Lohengrin folgte der Tannhäuser, mit gleichem Gelingen. Die ganze Welt nahm Kenntnis von den beiden großen Erfolgen, die nicht allein den Werken selbst, sondern auch dem völlig neuen Stil sorgfältiger Spielleitung und reifer Schauspielkunst zu danken waren. Andere deutsche Städte, auch Opern im Ausland, ließen sich München als Beispiel dienen. Der Name Richard Wagner, daneben der seines Kapellmeisters Bülow, wurden nicht mehr nur spöttisch, sondern auch von Nicht-Wagnerianern und früheren Gegnern respektvoll genannt. Die Presse gab zu, daß er »durchgedrungen« sei.

Nun ging es mit froher Zuversicht an die Proben zu den »Meistersingern«. Der Hochzeitstag des königlichen Paares sollte damit festlich begangen werden. Aber wann würde dieser nun sein? Erst hatte es geheißen, im Oktober, dann im November, und schließlich war er auf das nächste Jahr ins Unbestimmte hinaus verschoben worden.

Wer die Geduld dabei verlor, das war der Vater der hohen Braut. In aller Stille nahm er sich eines Tages seinen Neffen, den König, vor, ruhig und freundschaftlich, aber bayrisch unverblümt: was das eigentlich heißen solle? Gedenke die Majestät seine Tochter zu ehelichen oder nicht? Er, der Herzog von Bayern, dränge sie ihm gewiß nicht auf, aber einen bestimmten Termin wünsche er jetzt oder die Auflösung des Verlöbnisses.

Ludwig bat sich noch drei Tage Bedenkzeit aus, dann gab er der Prinzessin Sophie in einem gewundenen Schreiben ihr Wort zurück. Als eigentliches Hindernis enthüllte sich darin »mein Stern, der treue, geliebte Freund«. Ausführlicher erklärte er Cosima seinen Verzicht: der Gedanke, den Hochzeitstag immer näher heranrücken zu sehen, wäre ihm entsetzlich gewesen, denn er hätte erkannt, daß dieser Bund für ihn wie für die Braut zum Unglück geworden wäre. Nach Freiheit nur verlange er, nach Freiheit dürste er. In der Ehe aber wäre er vor innerem Leiden, vor Gram und Trauer zugrunde gegangen. Jetzt sei er erwacht aus qualvollem Traum, er fühle neue Stärke in sich, seiner hohen Sendung treu zu bleiben.

Nun, diesen Ausgang hatte Cosima schon seit längerer Zeit erwartet. Daß Ludwig den Irrtum seines Herzens, wenn auch spät genug, erkannt und offen eingestand, gefiel ihr eigentlich an ihm. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm zu seinem erlösenden Entschluß ebenso zu gratulieren wie damals, als er sich die Braut gewann. Das eine Gute hatte es für Wagner, also auch für sie, daß der König den Freund in neuerwachter Liebe wegen des Eingriffs in seine Komponistenrechte flehentlich um Verzeihung bat und aus Triebschen zu sich rief. Schon um der Meistersinger willen konnte Wagner nicht länger widerstreben.

Er kam auf kurze Zeit nach Schloß Berg und besprach das für ihn einzig Wichtige: welche Sänger herangezogen, wer mit den Entwürfen für die Kostüme und Dekorationen betraut werden, wer die Chöre schulen solle. Der König versprach feierlich und gehorsam wie ein Kind, sich für genaue Erfüllung seiner Wünsche einzusetzen.

Allein der praktische Wert des Versprechens war gering. Befehle ergingen, und selbst wenn sie ausführbar waren, gerieten sie unter dem Trubel des Bühnenbetriebs in Vergessenheit. Dem jungen Manne fehlte auf seinem Thron jede Erfahrung, und hinter den Kulissen konnte er unmöglich nach dem Rechten sehen. So übernahm die ganze Last der Arbeit und Verantwortung wieder Cosima. Sie blieb mit dem Meister in steter Korrespondenz und spannte sich Hans vor, wo es nur anging. Hans hatte den Kopf voll von den Orchesterproben und der Einstudierung der Solisten, zu geschäftlichen und diplomatischen Verhandlungen war er unbrauchbar; auf diese kam es aber gerade an.

Mit den Handwerkern und Theaterarbeitern kam Cosima noch am besten aus. Schwierig waren die Herren von der Generalintendanz und die Kanzleibeamten, noch schwieriger die Künstler. Sie wartete im Vorzimmer beim Baron Perfall und bat um Genehmigung für dies und das, stritt mit Ministerial- und Intendanzräten über die Auslegung von Verträgen, mußte mit der Kassenverwaltung um die Kostenanschläge für Dekorationen und Requisiten feilschen. Die Entwürfe der Maler, die stolz auf ihren berühmten Namen waren und von dem Schauplatz der Meistersinger, dem alten Nürnberg, ihre eigene Vorstellung hatten, entsprachen nicht des Meisters Vorschriften, die Gewandateliers versahen sich in Farbe und Zuschnitt der Kostüme. Alle sollten ja umlernen, die bequeme Handfertigkeit galt nichts mehr, Absonderliches, Unbegreifliches wurde angeordnet! Und von wem?! Nicht etwa vom Regisseur, nicht einmal vom Komponisten oder Textdichter selbst, sondern von einer fremden Dame – der Frau eines Kapellmeisters, die mit dem Herrn Wagner ein Techtelmechtel haben sollte! Das ärgerte viele und machte sie widerborstig.

Die Sänger waren entsetzt über die Schwierigkeit ihrer Partien; erst drängten sie darum, dann meldeten sie sich heiser. Cosima umwarb sie mit bestrickender Liebenswürdigkeit und Schmeicheleien, die sie gewohnt waren. Wenn Hans sie zum Vorsingen bestellt hatte, so kam das einer Einladung gleich, sie mußten in Cosimas Salon zum Tee bleiben und wurden von ihr, was nur allzuoft nötig war, in die Anfangsgründe der Schauspielkunst unmerklich eingeführt. Der Darsteller des Hans Sachs hatte die Neigung, sich als Baßbuffo zu gebärden. In leichtem Geplauder verbreitete sich Cosima darüber, daß dieser prächtige Nürnberger Schuster ein Meistersinger von hohem Rang, ein Mensch voll Ernst und Seele sei; eine Auffassung, in der diese Seele ergreifend hervorträte, würde den Sänger zum Triumphe führen. Dem Evchen war schonend klarzumachen, daß natürlicher Liebreiz nichts zu schaffen habe mit Liebäugeln noch mit den Mätzchen trällernder Koloratur. Solche Lehren wurden nicht immer willig entgegengenommen, fielen sie aber auf fruchtbaren Boden und leuchtete ein erster Schimmer von Verständnis in der anfangs stumpfen oder trotzigen Miene auf, fand Cosima darin den schönsten Lohn für ihre Mühe.

So verstrich der ganze Winter und noch das Frühjahr 1868 unter allerhand Verzögerungen, unter Schmollperioden gekränkter Künstler und passivem Widerstand von Bürokraten. Davon waren Cosimas Nerven all die Zeit bis zum Zerreißen gespannt. Der Freund fern von ihr, in ihrem eigentlichen Heim zu Triebschen, sie aber nach seinem Gebot an diese ihr feindliche, zum mindesten gleichgültige Stadt gefesselt, an die Seite des ewig gereizten, mißtrauischen, vergrämten Gatten, mit dem sie nur das eine noch verband: die gemeinsame Arbeit für das Werk des anderen!

Ging sie des Abends, oft erst spät in der Nacht, vom Schreibtisch hinüber in ihr Schlafstübchen – das keineswegs, wie die Leute klatschten, dem üppigen Prunkgemach einer Fürstin glich – zur Ruhe, so warf sie sich todmüde auf die eiserne Bettstatt, manchmal aber lag sie auch schlaflos bis gegen Morgen, weiterverfolgt von dem Schwarm der Pläne, Verhandlungen und Berechnungen, die ihr tagsüber den Kopf erhitzt hatten, erbittert über die Schliche und Kniffe des Kleinkriegs, den sie zu führen hatte, oder krank vor Sehnsucht, angstvoll auf das Schreckbild einer dunklen Zukunft starrend, das mit der Trennung vom Geliebten, von den Kindern oder gar mit Untergang in Schimpf und Schande drohte.

Mitte Mai endlich eilte der Meister von Triebschen herbei. Alles war so weit gediehen, daß die Bühnenproben angesetzt werden konnten. Mit einem einzigen Blick übersah er, was Cosima inzwischen geleistet hatte, und dankte ihr auf offener Bühne, in Gegenwart von Hans, am innigsten, in vertrauter Zärtlichkeit aber allein. Wie erlöst kam sie sich vor.

Er übernahm persönlich die Spielleitung, und mit einem Male stand alles in seinem Bann. Die Kristalle schossen zusammen, das Räderwerk setzte sich reibungslos in Bewegung, unter dem Zauber eines großen Menschen, dessen Glauben an sein Werk sich auf jeden Mitarbeiter anfeuernd übertrug.

Die Aufführung ward von Cosima wie im Traum erlebt. Nicht wie bei der von »Tristan und Isolde«, die äußerlich das gleiche Bild geboten hatte, folgte sie der Handlung, in die sie selbst verstrickt gewesen, angstvoll gespannt, mit überwachen Sinnen. Diesmal ließ sie hinter dem Schirm einer Proszeniumsloge, ohne Nachbarn, ohne Gegenüber und selbst unbemerkt, das liebliche Treiben des frohen Spieles von Altnürnberg ruhevoll, eingewiegt von den Meistersingerweisen, als etwas selig Vollendetes an sich vorüberziehen.

Um den Erfolg war sie nicht bange. Aus tausend kleinen Einzelheiten hatte sie das Ganze in langen Monaten wachsen sehen und wußte, es war gut so, es konnte nicht besser sein. Der Meister selbst hatte es ihr und allen Beteiligten dankbar bestätigt. Nie war ihr das Publikum gleichgültiger, nie so sehr als der Macht des Genies ausgeliefert erschienen.

Den Jubel, der nach dem Vorspiel schon, dann nach jedem Akt ausbrach und am Schluß, stürmischer noch als damals nach dem Tristan, aufbrandete zu dem Mittelpunkt, wo der Meister neben dem König stand, würdigte sie nur noch als schuldigen Zoll, der dem Freund schon längst gebührte.

*

Auf der Kurpromenade von Wiesbaden bemerkte man im Spätsommer dieses Jahres zwei schmächtige Herren im besten Mannesalter, aber beide schon gebeugt, bleich und kränklich. Sie hielten sich von der Gesellschaft fern und gingen meist schweigend, Arm in Arm, als müßten sie aneinander Halt und Stütze suchen. Nur wenige wußten ihre Namen zu nennen: Hans von Bülow, der Klaviervirtuos und bayrische Hofkapellmeister, mit seinem Freunde, Professor Cornelius von der Münchner Musikschule.

Sie bewohnten zusammen zwei Zimmer in einem abgelegenen Hotel und gebrauchten die Kur für ihre zerrütteten Nerven. Der Grund ihres Leidens war der gleiche: an dem Manne litten sie, den sie bis zur Vergötterung widerstrebend liebten, an der Haß-Liebe zu ihrem Meister. Cornelius hatte nur Gutes von ihm erfahren, aber Richard Wagners riesenhafter Schatten nahm ihm Licht und Atem, drängte ihn ins Dunkel, erstickte in ihm den Glauben an sich selbst; sein eigenes Schaffen konnte sich nicht durchsetzen, denn es trug den Stempel des Nachahmers, der nur von Gnaden des Höheren lebt. Bülow aber hatte außer dieser Abhängigkeit im Künstlerischen noch persönlichen Schimpf von ihm zu tragen. Der letzte Schlag, der ihn soeben getroffen, war von vernichtender Wirkung.

Cornelius wußte, was geschehen war, und ließ den Freund nicht aus den Augen. Von München aus hatte er ihn hierherbegleitet und verbrachte fast jede Stunde des Tages mit ihm. Nur entging ihm, daß Hans schon in aller Frühe einen Weg ins Wäldchen hinaus machte und sich dort am Schießstand mit der Pistole übte. Er bildete sich ein, das Schwerste wäre schon überwunden.

Bald nach der Meistersinger-Aufführung hatte Cosima München verlassen – zu einem Besuch ihrer Mutter in Paris, sagte sie. Dann aber war sie auf einmal wieder in Triebschen – aus verändertem Entschluß oder weil Wagner sie zu sich rief. Und während Hans sich noch in bangen Zweifeln wand, was dem zugrunde lag, was weiter werden solle, nahm Wagner sie mit nach Italien. Die Nachricht, die sie ihm von dort aus sandte, gab die grausame Gewißheit, daß dies das endgültige, auch äußere Ende ihrer Ehe war: nie wieder würde sie zu ihm zurückkehren, nur noch die Kinder abholen und auch den zweiten Münchner Haushalt auflösen, für immer.

Er sah, jetzt gab es keine Hoffnung mehr für ihn, nicht einmal die, sein Lebenswerk im Dienste des Meisters fortzuführen. Das war der unheilbare Bruch, die Verbannung aus der Familie, aus der Gesellschaft, aus dem geweihten Wirkungskreise. Übrig blieb nur noch die Unrast des entwurzelten Virtuosen. Oder ...? Oder der Versuch, die Ehre mit der Waffe wiederherzustellen.

Daß sich Cosima von Bülow keineswegs bei ihren Pariser Verwandten aufhielt, wie ihr Gatte verbreitet hatte, sondern mit Richard Wagner zusammen in Italien reiste, war rasch bekannt geworden. Einige Zeitungen verfolgten sogar neugierig ihre Tour, und die Münchner Blätter sparten nicht mit boshaften Glossen. Da Wagners Weltruf jetzt so gefestigt war, daß sie ihm nichts mehr anhaben konnten, wählten sie sich den unglücklichen Bülow zur Zielscheibe; selbst seine musikalischen Leistungen suchten sie zu verkleinern, indem sie giftig bemerkten, daß er seinen Dirigentenposten ja doch nur seiner Gefälligkeit als Ehemann verdanke. Darauf trat Hans vor allem einmal von diesem Posten zurück; denn er hatte auch darüber sich Gewißheit verschafft, daß der König jetzt außerstande war, ihn zu halten, ja sogar sich von dem geliebten Freund und in aufflammender Eifersucht von Cosima abgewandt hatte.

Eines Morgens überraschte Cornelius Hans vor dem offenen Pistolenkasten. Erschrocken fragte er, was das zu bedeuten hätte.

»Ehrlichen Zweikampf mit dem, der schon allzulange darauf gefaßt sein mußte.« Gramvoll wog er die Waffe auf der flachen Hand.

»Doch nicht mit Wagner? Was für ein Irrsinn!«

»Sobald er zurück ist, werde ich dich bitten, ihm meine Forderung zu überbringen. Soll ich denn meine Schande wie ein Schwächling ewig mit mir herumschleppen!«

»Nein, keine Schande, Hans – Verhängnis ist es! Wer euch beide so kennt wie ich, weiß das. – Um Gottes willen, besinne dich! Man schießt sich nicht mit seinem Souverän. Unserem Meister willst du ans Leben, dem wir alles verdanken, was wir sind und können, der dir mehr war als dein Vater!? Ein Zweikampf mit ihm ist so unmöglich wie mit einer Elementargewalt!«

»Wahr, wahr! Dann also ich selbst!« schrie Hans verzweifelt auf, sprang zurück und richtete die Pistole auf die eigene Stirn.

Noch rechtzeitig fiel ihm der Freund in den Arm und entriß ihm die Waffe. Hans sank an seine Brust, schluchzend wie ein Kind. –

Vier Wochen später in der Münchner Wohnung. Liszt, der gerade eine Tournee durch Ungarn hinter sich hatte, war auf Hans' Nachricht hin, daß Cosima sich angemeldet, noch vor ihr eingetroffen. Er hielt es für seine Pflicht als Vater und Seelsorger, ihr ins Gewissen zu reden.

Cosima wurde erst gegen Abend erwartet. Als indes Liszt von den Gastzimmern, in denen früher Wagner regelmäßig abgestiegen war, nach dem Musiksaal herüberkam, vernahm er aus dem anstoßenden Salon heftigen Wortwechsel. Deutlich hob sich ihre ruhige, klare, nur bisweilen scharf betonende Stimme von den leidenschaftlichen Anklagen ihres Gatten ab.

Es erschien ihm nicht passend, in diesem Augenblick unvermutet dazwischenzutreten. Er verstand nur so viel, daß Hans in Verbindung mit Wagners Namen zornig ausforschende Fragen an Cosima richtete, die sie leise, aber ohne zu zögern, beantwortete. Da fiel ein schrecklich aufgellendes Wort sinnloser Wut von seinem Munde – der Vater wich entsetzt bis an die andere Wand zurück.

Hier konnte niemand mehr helfen, begriff er, hier war er selbst auch überflüssig. Er kannte sein Kind: sie hatte sich längst Rechenschaft abgelegt über ihre Handlungsweise und deren Folgen und trug gelassen, vielleicht sogar mit gutem Gewissen, die Verantwortung. Aber sie jetzt noch zu sprechen, ihr auch nur in die Augen zu sehen, war ihm unmöglich. Ebensowenig konnte er nach diesem Auftritt seinem Schwiegersohn begegnen. Still schlich er sich über den Vorsaal hinüber nach seinem Zimmer, nicht ohne ängstlich zu horchen, ob etwa die Kinder oder die Dienstboten etwas von dem Streit aufgefangen hätten; doch Gott sei Dank, die Wohnung war völlig leer, dafür hatte das Ehepaar wohlweislich gesorgt. Rasch packte Liszt seine paar Sachen zusammen und ging, das Köfferchen in der Hand, verstohlen davon in ein Hotel. Schlurfenden Schrittes, gebeugt und unscheinbar wie ein armer alter Priester, zum Glück von niemandem erkannt, durchquerte er einige wenig belebte Straßen.

Wahr ist es bei Gott, so dachte er zerknirscht, daß die Sünden der Väter heimgesucht, ja schlimmer als das, vererbt werden auf die Kinder! Zu spät erkennen die meisten in ihrer geistigen Hoffart, daß es Sünden waren. Niemals erkennt eine Generation die wahren Züge ihres Angesichts, spät erst lernt die nachfolgende sie zu deuten und irrt wiederum in den eigenen. Wie werden dereinst meiner Cosima Kinder und Enkel mein Leben und das ihre beurteilen? Gnädiger Gott im Himmel, lenke ihre Herzen zur Milde!

Und mit seinen Gedanken weiter zurückgreifend in die Jahrhunderte, denen die darin wirkenden Geschlechter der Menschen Namen und Rang verleihen, sann er, wie seltsam doch und wie verdächtig es sei, daß die größten Meister der Kunst und ihre Werke so wenig eines Klimas gesunder Moral bedürfen – den herrlich duftenden Blüten der Tropenwelt gleich, die nur auf sumpfigem Boden gedeihen.


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