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In Genf hatte Wagner vorläufig Aufenthalt genommen. Hier erwartete er Cosima in Sehnsucht und Bangen. Sie traf später ein, als er gehofft. Ihre Abreise von München hatte sich aus verschiedenen Gründen verzögert, besonders durch die Erwägung, daß sie ihren Haushalt nicht plötzlich und auffällig auflösen konnte. Die Kinder jetzt mitten im Winter einer Fahrt von unbestimmten Zielen und unbestimmter Dauer, vielleicht von einem Hotel ins andere, auszusetzen, erschien ihr unverantwortlich und würde für sie selbst wie für den Meister keine geringe Belastung sein. Ein drittes war ja vor Jahresfrist hinzugekommen, die während der Proben zum Tristan geborene Isolde. So beschloß sie, jetzt nur die Älteste, die beiden anderen erst später mitzunehmen und zur Erledigung alles Geschäftlichen noch einmal nach München zurückzukehren.
Als sie am Kai mit Daniela den Dampfer verließ und die Stadt vor sich liegen sah, in der sie mit Hans die ersten ruhigen, so sorgenfreien Tage ihrer Hochzeitsreise zugebracht hatte, ward sie von einer tiefen Wehmut befallen. Die Frage stieg in ihr auf, ob ihre Ehe denn wirklich ein Irrweg gewesen, und sie mußte verneinen. Keine schlechte, keine unglückliche Ehe hatten sie geführt, freilich für ihre eigenen Ansprüche keine voll befriedigende, gestört durch mancherlei Mißklänge, die sie sich erst jetzt eingestand. Der rechte Mann für sie war Hans wohl nie, wenigstens nicht für die Dauer ihres Lebens; das hatten ihre Eltern gleich geahnt. Dennoch warf sie sich nicht vor, ihn gewählt und ihren Willen durchgesetzt zu haben. Er hatte ihrer bedurft, das war das Entscheidende, und unter ihrem Beistand vieles erreicht, was ihm ohne sie unmöglich gewesen wäre. Dafür legte er ja selber dankbar Zeugnis ab, deshalb auch konnte er sich so schwer von ihr trennen. Was lag daran, daß sie gelitten hatte, sein Aufstieg war damit nicht zu teuer bezahlt!
Wagner holte sie am Landungssteg ab. Aus überschwenglicher Freude des Wiedersehens wollte er sie in die Arme schließen. Doch wehrte sie ihm, von dem Ernst und der Schwere ihres Entschlusses noch immer wie betäubt, und bot ihm nur die Wange.
»Geliebter Freund, da hast du mich nun. Aber der Widerspruch von Hans ist noch nicht besiegt. Wir werden uns gedulden müssen.«
Er hob dafür das Kind zu sich empor, streichelte und küßte es.
»Mein kleines Herzblatt, du sollst es recht gut bei mir haben. Hier werden wir noch viel schöner spielen als daheim.« Daniela schlang jauchzend die Ärmchen um seinen Hals; bei ihrem Vater, den die Kinder immer nur störten, hätte sie das nie gewagt.
Wagners Quartier lag unbequem und sah verwahrlost aus; die Wirtsleute versorgten ihn schlecht. Cosima richtete es sogleich etwas bequemer ein und übernahm es, selbst die Wirtschaft für ihn zu führen. Ein paar Wochen mochte das so gehen, aber bei der unruhigen Nachbarschaft – Schreiner und Schlosser trieben nebenan ihr lärmendes Handwerk – kam er wenig zur Arbeit; auch verstand er sich schlecht mit der ganzen Bevölkerung. Cosima überzeugte ihn, daß er sich nur in der deutschen Schweiz heimisch fühlen könne.
Gemeinsam suchten sie nach einem hübschen, stillen Fleck am Vierwaldstätter See und fanden denn auch nahe bei Luzern, auf einer vorspringenden Landzunge, ein hinter alten Rüstern hervorlugendes zweistöckiges Häuschen, das ihnen schon vom Dampfer aus gefallen hatte. Der Ort hieß Triebschen, Wagner mietete es gleich auf ein Jahr. »Wieder einmal ein Asyl! Aber von hier bringt mich so bald keiner weg – wenn du nur bei mir bleibst, Cosima.«
Für später versprach sie es. Jetzt indes mußte sie nach München zurück. Viele dringende Einzelheiten waren noch mit Hans zu besprechen, und vor allem verlangte der König von ihr genauen Bericht über seines Freundes Aufenthalt, sein Befinden und seine Zukunftspläne. Das Geheimnis dauernder Trennung von ihrem Gatten war, auch ihm gegenüber, streng gewahrt geblieben. Nichts schien sich äußerlich geändert zu haben, als daß Wagners Palais geräumt und der königlichen Vermögensverwaltung wieder unterstellt wurde.
Die Münchner hatten jetzt andere, ernstere Sorgen. Ein Krieg an Österreichs Seite gegen Preußen drohte auszubrechen, und die erregte Bevölkerung, die in solchen Zeiten immer nach Sündenböcken sucht, witterte in Hans von Bülow einen preußischen Spion; da er gerade seinen Urlaub antrat, ließ die Polizei den Verdacht auf sich beruhen. Als ein patriotisches Zugeständnis des Ministeriums wurde dankbar begrüßt, daß es den Militärkapellen verbot, Wagnersche Musik zu spielen.
Nichts war Hans verächtlicher als die Volksmeinung über seine Person. Daß er ihr für einen Spion gelten sollte, brachte ihn nur zum Lachen. Zu dem Klatsch an den Biertischen, daß Richard Wagner der Frau von Bülow näherstehe als ihr eigener Mann, zuckte er die Achseln. Als aber auch die Zeitungen Cosima in diesem Sinne herabwürdigten, griff er sich einen der lautesten Kläffer, einen Redakteur vom »Volksboten«, heraus und sandte ihm seine Zeugen. Der Geforderte zog sich unter Ausflüchten zurück.
Viel schwerer traf ihn ein an Cosima gerichtetes Billett von Wagners Hand, das sich mit ihrer Abreise nach Triebschen kreuzte. Hans erbrach es, in der Meinung, daß es eine auch für ihn bestimmte geschäftliche Nachricht enthielte. Er erstarrte über das, was er da las.
Der Brief war ein Gegenstück zu jenem, den einst Minna im Asyl auf dem Grünen Hügel abgefangen und als Beweis ehelicher Untreue angesehen hatte. Damals spottete Hans noch, wie Frau Wagner des Meisters überzärtliche Ausdrucksweise so mißverstehen konnte. Jetzt, wo sie sich auf Cosima bezog, erblickte er selbst darin das verhängnisvollste Zeugnis.
Entsetzt zerriß er das Papier in Stücke, bereute es sogleich, weil er den Inhalt nochmals genau prüfen wollte, sah ein, daß es niedrig und wohl auch vergeblich wäre, sich über die Bedeutung der einzelnen Worte und Sätze in Haarspaltereien einzulassen, und stürzte zu seinem Schwiegervater, der sich gerade in München aufhielt.
Er gab ihm den Wortlaut, so weit er sich daran erinnerte, unter Tränen wieder, gestand ihm nun auch, daß Cosima ihn verlassen wollte, um sich mit Wagner zu vermählen, flehte um Rat, wie er sich zu verhalten habe.
Liszt traute seinen Ohren nicht. Bleich und still senkte er den Kopf.
»Ich weiß nicht, Hans ... ob du solch einem Stück Papier Glauben schenken darfst«, meinte er endlich. »Ein Brief, der nicht an dich gerichtet war, ist für dich überhaupt nicht auf der Welt. Immerhin ...«
»Du hast recht. Und doch werde ich ihn nie mehr aus dem Sinn bekommen. Jedem anderen als Wagner gegenüber würde ich – das begreifst du doch ...?«
»Der dir die Gattin nehmen will! Soviel steht ja fest. Eine fürchterliche Verirrung, eine Schändlichkeit! Mein armes Kind! – Aber sie wird sich besinnen. Ich will beten, daß Gott ihr Herz erleuchte und es zum Guten kehre. Es kann ja nicht sein, daß der Allmächtige uns solch eine Prüfung schickt, solch eine Schande über unsre Familie bringt!«
»Ach, bedenke doch, es handelt sich ja um Cosima und um den Meister!« stöhnte Hans verzweifelt auf. »Da erscheint alles in einem anderen Licht, in einem Zwielicht, das die Umrisse der sittlichen Begriffe verwischt.«
»Nichts und niemand verwischt sie hier als frevelhafter Hochmut! Wenn Wagner sich einbildet, daß ein Großer im Reich der Kunst sich alles erlauben darf, so irrt er!«
Hans verstummte. Er mußte daran denken, wie Liszt selbst sein Lebtag und zuletzt noch auf der Altenburg den Geboten bürgerlicher Moral Trotz geboten hatte. Sprach jetzt der alternde Büßer, der Priester, aus ihm, so hatte er nur einen schwachen Bundesgenossen gewonnen.
*
Sobald der häusliche Friede von Triebschen Cosima umfing und ihre drei Kinder sie umspielten, fühlte sie sich geborgen. Es wurde wieder stiller in ihr, da nun auch der Meister beruhigt an seine Arbeit ging. Ihr ganzes Streben richtete sich darauf, Störungen und Aufregungen von ihm fernzuhalten und ihn ihrer bedingungslosen Hingabe zu versichern.
Noch drängte der König mit Vorschlägen aller Art, wann und wo in Bayern ein Wiedersehen sich bewerkstelligen lasse. »Im Herbste nahe der Freund! Helfen Sie mir, ihn zu bewegen!« Und Wagner unterlag anfallweise dem Verlangen, seine Stellung an der Seite des Königs zurückzuerobern. Doch Cosima sah ein, wie gefährlich das für beide gerade in diesem Augenblicke war. Der drohende Krieg, die Abhängigkeit des Monarchen von seinem Ministerium, die kochende Volksseele verboten auch nur den Anschein einer Annäherung. Begütigend wies sie den Geliebten auf die Vordringlichkeit seines Schaffens in einer Umgebung hin, die nicht ablenkte, sondern befruchtete, und er fühlte, daß er es gut hatte, daß keine Angriffe ihm drohten, wo Cosima ihn umhegte.
Wußte sie ihn nur in seinem Zimmer droben, zwischen Pult und Klavier in die Partitur der Meistersinger verlieft, die jetzt bis zu Walter Stolzings wunderbarem Preislied gediehen war, atmete sie auf und zog sich mit den Kindern in den Garten zurück, wo sie ihnen den Spielplatz anlegte, eine Schaukel errichtete und sie anleitete, im Sandhaufen zu graben und zu bauen. Der Garten, mehr ein großer, verwilderter Park, dehnte sich bis zum See hinab. Dort am Ufer verweilte sie am liebsten, zu den Bergen hinüber träumend, dem Rigi in seiner schwerfälligen Pracht, dem Pilatus, der wie ein gewaltiger Drache ihm zur Seite lagerte.
In diesen Tagen traf die Nachricht ein, daß Minna ihrem Herzleiden erlegen war – ereignisvoll für beide, wenn sie bedachten, daß damit der Weg zu ihrer Ehe von der einen Seite her frei wurde. Wagner vermochte nicht, um seine Frau zu trauern. Ihr Leben war leer und freudlos gewesen, nicht zu geringem Teil durch seine Schuld, wie er ohne Beschönigungsversuche eingestand. »Ich hätte ein kleiner, anspruchsloser Bürger, ein braver Philister in Schlafrock und Pantoffeln sein müssen, um sie zufriedenzustellen«, sagte er. »Die Natur hat mich zu ihrem Unglück anders geschaffen. Die eigentliche Urschuld lud ich mir mit dem Irrtum auf, daß ich glaubte, sie an mich binden zu müssen.« –
Die Gemütsstimmung des jungen Königs, immer schon schwankend und sprunghaft, nahm durch die Trennung von Wagner krankhafte Formen an; sie wechselte unvermittelt zwischen Ausbrüchen der Überreizung und todessüchtiger Niedergeschlagenheit. Seine Gedanken kreisten nur noch um den fernen Freund. Die Briefe an Cosima quollen über von verstiegener Sehnsucht und gefühlsseliger Wehleidigkeit. »Mit Jubel und jauchzendem Entzücken erfüllten mich Ihre Nachrichten. Ich beschwöre Sie, teilen Sie mir alles mit über den geliebten Freund! ... Nun bin ich wieder im trauten Berg. Ach, hier verlebte ich so wonnige Stunden mit meinem Einzigen. Wohin entschwanden die Klänge seiner göttlichen Musik!«
An Wagners Geburtstag, dem 22. Mai, befahl er plötzlich in aller Frühe, ihm ein Pferd zu satteln. Dem diensttuenden Generaladjutanten Fürsten Thurn und Taxis eröffnete er den Entschluß, inkognito, nur von ihm begleitet, in die Schweiz hinüberzureiten, um einen Besuch in Triebschen abzustatten.
Der Fürst, ein lebenskluger älterer Herr, erlaubte sich, auf das Bedenkliche solch eines Einfalls hinzuweisen. Das Überschreiten der Grenze würde sich kaum geheimhalten lassen, überdies wäre die Strecke zu weit, um sie zu Pferde in einem Tag zu durchmessen. Doch Ludwig ließ sich zu keinem anderen Zugeständnis herbei, als den Schnellzug bis Zürich zu benutzen.
Ohne sonst jemanden seiner Umgebung zu verständigen, ritt er mit dem Fürsten und einem Reitknecht ab, setzte sich bald in tollen Galopp und erreichte so an der Station Bissenhofen noch den Lindauer Schnellzug. In Zürich stiegen sie wieder zu Pferde, nachmittags waren sie in Luzern.
Wagner saß mit Cosima gerade beim Tee. Sie hatte ihm einen Gabentisch aufgebaut, dessen Mittelpunkt ein großes, schon gestern von Berg eingetroffenes Porträt des Königs bildete. Davor lag zwischen Büschen von Frühlingsblumen, die ihm Cosima gepflückt, ein von den Münchner Verehrern gestifteter silberner Lorbeerkranz.
Wortwechsel im Hausflur ließ sie aufhorchen. Die derbe Stimme des Schweizer Bedienten wollte einem Besucher den Eintritt verwehren; denn er war strengstens angewiesen, ohne ausdrückliche Erlaubnis niemanden vorzulassen. Der biedere Hausbursche stolperte herein und meldete, ungläubig grinsend, da draußen wäre ein König, der Herrn Wagner durchaus sprechen wollte. Auf den gedeckten Tisch legte er eine große Visitenkarte.
Schon stand der König auf der Schwelle, Wagner eilte ihm mit freudigem Ausruf entgegen. Ludwig umarmte ihn stürmisch und weinte an seinem Hals. Nachdem er sich gefaßt, wünschte er »Glück und Segen zum Geburtstag, mein geliebter Ritter! Auf daß ich dich bald wieder bei mir habe!«
Cosima tauschte mit dem Adjutanten, der hinter seinem Herrn eingetreten war, verständnisvoll lächelnde Blicke, als müßten sie sich ob des überschwenglichen Empfangs voreinander entschuldigen.
»Ah, Frau von Bülow! Hoffentlich komme ich Ihnen nicht ungelegen!« sagte Ludwig befangen und küßte ihr wie ein artiger Knabe die Hand. Zum erstenmal sah er sie, mit der er immer nur viele, lange Briefe, geschäftliche und gefühlvolle durcheinander, gewechselt hatte, leibhaftig vor sich. Den glühenden Ton in ein höfliches Gespräch zu tragen, ging wohl nicht an; deshalb tastete er unsicher nach Worten. Er machte das Paar mit dem Fürsten bekannt, und dieser rettete weltmännisch die Situation, indem er den Überfall als Ausfluß gnädiger Laune Seiner Majestät hinstellte.
Der König betrachtete den Geburtstagstisch und war beseligt über den Ehrenplatz seines Bildes. Der silberne Lorbeerkranz bereitete ihm die Genugtuung, daß es doch, noch Leute gab, die dem Meister die gebührende Ehrfurcht zollten.
»Wir dürfen sicher sein, daß Tausende im Volk ebenso denken wie diese; nur trauen sie sich damit nicht hervor. Und alle sind sie jetzt von der Aussicht auf den gräßlichen Bruderkrieg verstört. Ich kann ihn nicht verhüten, Gott weiß es. Möchten die deutschen Länder sich wenigstens nachher für immer vertragen!«
Es erwies sich, daß der König mit seinem Begleiter wie selbstverständlich über Nacht bleiben wollte. Cosima beeilte sich, ihm in den Gastzimmern des ersten Stocks ein würdiges Quartier zu richten. Dann wurden die beiden älteren Kinder, frisch gewaschen und in weißen Kleidchen, vorgeführt. Sie knicksten und überreichten mit einem »Grüß Gott, Eure Majestät!« ihre Feldblumensträuße.
König Ludwig blieb auch den ganzen nächsten Tag. Zu Spaziergängen verspürte er keine Lust. Am liebsten blieb er mit Wagner immer unter vier Augen. Der mußte ihm aus den Meistersingern vorspielen, die Gesänge des Walter von Stolzing und des Hans Sachs rezitieren, deren tieferen Sinn erklären und den eindringlichen Fragen des königlichen Enthusiasten Rede stehen.
Cosima hatte derweil den Generaladjutanten zu unterhalten, was eine leichte, angenehme Aufgabe war; denn der Fürst gab sich als glänzender Plauderer, etwas oberflächlich, aber in allen Sätteln gerecht. Auf weiten Reisen hatte er die halbe Welt kennengelernt: davon erzählte er und von dem Opernbetrieb in Paris, London und Petersburg. Die heikle politische Lage wurde nur gestreift, ihr Einfluß auf Wagners Schicksal überhaupt nicht berührt. Auch vom König zu sprechen, vermieden sie; zu ernste Besorgnisse für ihn hätten sie äußern müssen. Nur ganz im allgemeinen rühmte der Fürst einmal dessen jugendlichen Idealismus. »Sehr erfreulich, wenn ein hoher Herr so begeisterungsfähig ist. Die deutsche Kunst kann das brauchen, und Herrn Wagners Genie bedarf unbedingt der allerhöchsten Förderung.«
»Auf die wir nach wie vor gläubig bauen«, bemerkte Cosima lebhaft.
»Ja, ja. Gewiß.« Und rasch lenkte er ab auf einen weniger heißen Boden.
*
Die Nachricht, daß ein König Herrn Wagner in seinem Triebschener Hause besucht hatte, verbreitete sich, wie vorauszusehen, nach Luzern und kam – »sicherem Vernehmen nach war es der von Bayern« – in das dortige Tageblatt, von da aus weiter in die Züricher Zeitungen. Von der Münchner Presse wurde sie in großer Aufmachung verkündet und mit unfreundlichen Kommentaren versehen. Dabei gedachte man auch gleich des silbernen Lorbeerkranzes, der vorher schon im Schaufenster des Juweliers von den Stiftern ausgestellt worden war. »Solch eine kecke Demonstration für den schuldbeladenen Urheber ständiger Beunruhigung«, so hieß es, »schlägt dem Ehrgefühl der Stadt München geradezu ins Gesicht.« Wie konnte nun vollends der König auf den unseligen Gedanken kommen, in diesen Tagen schwerster vaterländischer Sorge seinen Platz an der Spitze des Volkes mit einem privaten Stelldichein irgendwo im Ausland zu vertauschen! Eine Handvoll landfremder Leute verwunde unablässig das bayrische Königstum und zerstöre die Liebe des Volkes zum angestammten Herrscher.
König Ludwig, weniger denn je geneigt, sich der Menge zu zeigen, konnte jedoch nicht umhin, der Fronleichnamsprozession beizuwohnen. Das war uralter Brauch und eine seiner höchsten kirchlichen Pflichten. Als er dabei mit seinem Gefolge die St. Michaelskirche betrat, empfing ihn unwilliges Gemurmel der Gläubigen, untermischt mit Verwünschungen und derben Flüchen. Niemand grüßte ihn, niemand wich ihm aus, statt dessen erhoben sich geballte Fäuste. Nur mit Mühe konnte ihn die Geistlichkeit an seinen Platz geleiten. Das war ein schlimmes Vorzeichen für seinen kaum befestigten Thron und unter den königstreuen Münchnern nie erhört gewesen.
Tags darauf mußte Ludwig den Landtag in Person eröffnen. Die Aufnahme seiner Begrüßungsworte konnte nicht kühler sein. Erbittert und bedrückt zog er sich wieder nach Schloß Berg zurück. Obwohl er notgedrungen bereits die Mobilmachung verfügt und seinen greisen Oheim Prinz Karl an die Spitze des Heeres gestellt hatte, verabscheute er den Zwist mit Preußen. Allein das Ministerium von der Pfordten, in vollem Einvernehmen mit dem Landtag und der Volksstimmung, ließ ihm keine Wahl; er mußte sein Land mit den anderen süddeutschen Staaten und mit Österreich verbünden. Österreichs Weisungen aber, die für ihn bindend waren, drängten unerbittlich zum Krieg gegen das verhaßte Preußen und die Idee der deutschen Einigung.