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Seit der Tristan-Vorlesung, die wie eine Entlarvung gewirkt hatte, verschärfte sich das Verhältnis zwischen Minna und Mathilde unverkennbar. Frau Wesendonk konnte den Triumph, als Isolde besungen worden zu sein, nicht verhehlen. Wie verklärt ging sie umher und kam immer wieder auf die Schönheiten des großen Liebesdramas zu sprechen. Doch nur Bülow tat ihr den Gefallen, darauf einzugehen, wobei er sich auf rein künstlerische Urteile beschränkte. Feierte er doch auch seine Flitterwochen vornehmlich mit der Kunst, hinter der seine Frau in Zweifelsfällen zurückzustehen hatte; Cosima bekümmerte das nicht weiter.
Empfindlicher zeigte sich Minna, zunächst in bezug auf die Tristandichtung, dann aber auch Mathildes Siegesjubel gegenüber. Wenn diese ihr zu bedenken gab, daß man sich Held Tristan nicht als verheiratet, sondern nur als Liebhaber vorstellen könne, oder Minnas Frage nach einem Tunkenrezept einfach überhörte, so kochte diese innerlich und schalt dann Mathilde vor ihren Züricher Freundinnen eine hochnäsige, alberne Gans. Die guten Freundinnen bestätigten ihr prompt, daß sie recht damit hätte und sich den Eingriff in ihre Frauenrechte nicht gefallen lassen sollte. Wagners Techtelmechtel mit der Wesendonk sei ja schon ein öffentlicher Skandal, die Dienstboten tuschelten darüber, hier in Zürich hätte man beide Hand in Hand am Quai spazieren sehen, und man wäre nur gespannt, wie lange sich Herr Wesendonk das noch gefallen lassen würde.
Niemand ahnte ja, daß die Wesendonks sich längst in aller Offenheit miteinander ausgesprochen hatten. Mathilde ließ ihren Mann von Anfang an nicht im unklaren, daß Wagner ihr einen tiefen, vielleicht gefährlich tiefen Eindruck gemacht habe, gegen den sie mit Mühe anzukämpfen suche, daß er zu ihr von Liebe spreche, von einer hohen, reinen Liebe, die niemand beargwöhnen oder gar verlästern dürfe. Sie hielt Otto auf dem laufenden über das Wachstum ihrer Leidenschaft, beschwor ihn unter Tränen, es den Meister nicht entgelten zu lassen.
Als Ottos Stellung zu dem Liebespaar nun aus der Gestalt des Königs Marke klargeworden war, bemerkte er denn doch mit mildem Vorwurf:
»Solch eine schriftliche Fixierung, die den Bülows und bald aller Welt bekanntgemacht wird, geht zu weit, mein Kind. Wenn ich selbst auch volles Verständnis dafür habe, daß du des Meisters Muse bist und entsprechend vertraulich mit ihm stehst, Fremde werden es mißdeuten.«
»Mögen sie doch!« erwiderte Mathilde schwärmerisch. »Nur dir bin ich verantwortlich, und du bist großdenkend genug, dem Meister und mir keine Schwierigkeiten zu bereiten. ›Tristan und Isolde‹ gibt sich doch deutlich genug als ein Werk der Sehnsucht und Entsagung.«
»Schon recht«, beschied sich Wesendonk. »Sorgt nur dafür, daß man mich nicht böswillig mit dem König Marke vergleichen kann!«
Ob und wie tief er litt, war dem stillen, gemessenen Manne nicht anzumerken. Manchmal beschwerte er sich wohl leise, daß Richard Wagner allzu heimisch bei ihnen würde und arglos sogar in seine Hausherrenrechte eingriffe. Allein Mathilde verstand es, ihn zu beruhigen und ließ nicht ab von ihrem zähe verfolgten Ziel, daß der Meister durch den Beistand ihres Gatten frei und unbekümmert weiterschaffen könne.
Minna, von Mathildes »Isolde-Mucken« aufs neue gereizt, zeigte ihr eine finstere Miene und sagte schroff ihre Einladungen ab: wenn Wagner mit Bülows hinüberging, blieb sie allein zurück und setzte sich in den Schmollwinkel. Mathilde war sich keiner Schuld bewußt. Auf den Rat ihres Mannes machte sie Frau Wagner einen Besuch und bat um Entschuldigung, falls sie ihr unwissentlich wehegetan. Einigermaßen versöhnt schieden sie, der Familienfriede schien vorläufig wiederhergestellt – auf wie lange, war für alle ungewiß und bedrückend. Bülow sagte zu Cosima: »Meinem Gefühl nach steht eine Krise nahe bevor. Es muß endlich zur Entscheidung kommen, ob sich Tristan und Isolde angehören oder trennen sollen. So tragisch wie im Musikdrama wird es nicht ausgehen, denn Otto Wesendonk ist noch gutmütiger als König Marke, er würde nicht dulden, daß ein Melot den Meister niederhaut.«
»Die Tragik liegt weiter zurück«, sagte Cosima bekümmert, »nämlich darin, daß Wagner sich in seiner Jugend vorschnell und unbesonnen, wie so viele Künstler, an ein beliebiges Mädchen band, das ihm nie genügen konnte und zum Hemmnis werden mußte. Nun fühlt er sich als Opfer dieser an sich ganz braven aber unzulänglichen Frau und sucht nach der, die ihn erlöst.«
»Das hast du wieder mal ganz gescheit ergründet, liebste Cosima. Bedenke aber auch, daß Wagners Schaffen weniger einem Überschuß an Kraft entspringt als gerade den Qualen, Bitternissen und Verheißungen, die sein Liebesleben ihm bietet. So großartig er auch Helden zu gestalten vermag, seine Natur ist allem Heldischen fremd. Bemerkst du nicht, wie unheldisch er sich immer selbst beklagt und seinen Schmerzenskelch geradezu wollüstig bis zur Neige auskostet, um sich daran zu heiliger Raserei zu entflammen? Das Schaffen wird ihm dann zum Gesundungsprozeß; also muß man ihm fruchtbare Liebeskonflikte geradezu wünschen.«
Cosima sah ihrem Gatten erschrocken ins Gesicht.
»Das klingt unmenschlich aus deinem Munde. Möchtest du selbst durch Leiden zum Schaffen angefeuert werden?«
»Ich bin ja nur ein kleiner Pianist, Schatz: da kann von Schaffen keine Rede sein.«
»Insgeheim aber spürst du doch den Stachel des Ehrgeizes – oder nicht?«
»Ehrgeiz wäre schon zuviel gesagt. Dir zuliebe, weil du so großen Wert darauf legst, werde ich mich vielleicht doch mal aufs Komponieren verlegen.«
»Wenn du es nur um meinetwillen tust«, versetzte Cosima unmutig, »wird nicht viel daraus werden. Ich will mich aber dennoch bemühen, die heilige Flamme in dir zu schüren.«
Er schloß ihr die Lippen mit einem Kuß und lenkte auf leichtere Dinge ab.
*
Auf der Veranda der Wesendonkschen Villa saßen sich Mathilde und Cosima nach dem Tee in vertrautem Frauengespräch gegenüber. Hans arbeitete mit Wagner drüben im »Asyl« an den Klavierauszügen, der Hausherr war noch in seinem Züricher Büro beschäftigt, das Geschäfte mit Neuyork und London und seiner Vaterstadt Essen unterhielt.
Draußen rauschten Gewitterregen nieder, Windstöße wirbelten welke Blätter und Blüten vom Garten her auf den Tisch zwischen die geleerten Tassen, die schwüle Atmosphäre hauchte letzte Rosendüfte aus. Der Rundblick auf den See und die Berge war verhüllt, schwärzliche Wolken jagten über den Himmel, es triefte von den Bäumen und Sträuchern.
Aus dem oberen Stock, wo die Kinder herumtollten, drang hin und wieder helles Lachen und Streiten und das Gebell eines Hündchens an das Ohr der beiden Damen. Mathilde beugte sich über ein Klöppelkissen, von dem die hölzernen Stäbchen an ihren weißen Fäden herabhingen; eifrig warf und kreuzte sie diese über ein zierliches Spitzenmuster. Cosima hielt sich, wie immer, kerzengerade in ihrem Korbsessel, beide Hände lose auf die Lehnen gestützt, was ihr ein energisches, unternehmendes Aussehen verlieh, als sei sie jeden Augenblick bereit, aufzuspringen und das Nötige zu veranlassen. Sie sah jedoch Mathilde ganz geruhsam zu und bewunderte die flinken, geschickten Finger.
»Wie hübsch Sie damit fertig werden! Ich habe mich auf Handarbeiten nie verstanden.«
»Nun, mich hat man von Kindheit an immer damit geplagt, warum, weiß ich nicht; es galt in unsren Familien eben für den einzigen Zeitvertreib, der jungen Mädchen ziemt.« Sie seufzte und lächelte dann melancholisch ins Weite.
Da sie noch immer mädchenhaft wirkte, die andere aber über ihre Jahre gereift, konnten sie für gleichaltrige Schwestern gelten, und Cosima empfand in der Tat schwesterlich besorgt für Frau Mathilde, ähnlich wie für Blandine, die ja auch immer ihrer Stütze und Hilfe zu bedürfen schien. So schwach, so bedroht kam die kleine, zarte Frau ihr vor, beneidenswert nur in dem einen Punkt, den beide nicht zu berühren wagten.
»Sie wollen uns also übermorgen schon verlassen?« begann Mathilde wieder, mit bedauerndem Ton.
»Ja, Hans drängt nach Berlin, in unser neues Heim. Doch sind wir für nächsten Sommer wieder ins Asyl geladen.«
»Ach, wirklich? Da werden Sie auch uns noch oft die Freude machen. Ihre Flitterwochen rufen mir die schöne Erinnerung an die meinigen zurück. Wir fuhren damals auch gleich in die Schweiz zu Freunden. So sorglos waren wir, so hoffnungsvoll!«
»Das muß man immer bleiben, wie auch das Leben sich gestaltet. Ich möchte mich nie unterkriegen lassen.«
»Sie möchten nicht und Sie werden es nicht, Frau Cosima. Ihnen steht es an der Stirn geschrieben, daß Sie zu kämpfen bereit sind und alle Kämpfe siegreich bestehen werden. Zur Klasse der starken, königlichen Frauen gehören Sie.«
»Ach was!« lachte Cosima. »Sie überschätzen mich. Der kleinste Ärger wirft mich um.«
»Dabei aber werden Sie schließlich mit jedem Manne fertig werden.«
»Gefühls- und Schicksalsfrage, ob es gelingt! Eigentlich kommt es mir nicht einmal darauf an, vielmehr darauf, daß ich mich in der rechten Weise ihm unterwerfe.«
»So denke ich im Grunde auch, so habe ich es stets gehalten, weil meine Natur es verlangt. Weder Sie noch ich gehören doch zu den Emanzipierten. Aber es können sich schwierige Lagen ergeben, denen man beim besten Willen nicht gewachsen ist.«
Zwei Männer nebeneinander! verstand Cosima. Ihr Herz begann zu klopfen und sich gegen die leidende Schwester zu verhärten. Die hatte doch einen guten, braven Mann aus ihrem Kreis, der sie auf Händen trug! Genügte er ihr nicht, warum griff sie gleich so hoch? Das mußte sich rächen!
Als Isolde fühlte sich Frau Mathilde Wesendonk? Sie irrte sich im Format, und die Phantasie des Meisters legte in sie hinein, was sein Werk ihm gerade zu gebieten schien.
Und eben jetzt – das hatte ihr wohl den bitteren Gedanken eingeflößt – erscholl drüben durch das geöffnete Fenster von Wagners Haus des Meisters kräftiger Bariton, wie er den leidenschaftlichen Zwiegesang markierte, den Bülow am Flügel mit aufjauchzenden Akkorden begleitete:
»Jach in der Brust
jauchzende Lust!
Isolde! Tristan!
Tristan! Isolde!
Weltentronnen,
du mir gewonnen!
Du mir einzig bewußt,
höchste Liebeslust!«
Mathildes blasse Wangen bekamen Farbe. Sie lauschte, wirklich »weltentronnen«. Ihre sonst immer etwas matten Augen leuchteten auf und strahlten über die andere hinweg, in jenem Triumph, den sie auch vor Minna nicht hatte verbergen können. Cosima brauchte sich davon nicht verletzt zu fühlen. Nur ein leichter ironischer Hauch wehte um ihre Lippen: arme Frau! Wenn wirklich schon gewonnen – auf wie lange? Sobald erst das Werk vollendet ist, wirst du den Schöpfer auch zu halten verstehen?
Im Gespräch entstand eine lange Pause. Endlich brachte Mathilde unvermittelt hervor:
»Ihr lieber Mann meistert das Instrument doch ausgezeichnet ... was er da alles herausholt ... mit seinem wunderbaren Anschlag!«
»O ja, darauf versteht er sich«, bestätigte Cosima obenhin, »es ist ja auch sein Métier.«
»Und wenn Sie mit ihm vierhändig spielen, reißt er Sie mit sich fort. Man merkt dann, wie Sie zusammen harmonieren.«
»Wir harmonieren in der Tat. Sonst hätten wir auch nicht geheiratet.«
»Möchte es immer so bleiben!«
»Möchte es!«
»Das Glück einer Ehe hängt davon ab.«
»Nicht davon allein. Es darf keine höhere Macht störend eingreifen.« Das klang fast wie eine Anspielung. Mathilde überhörte sie, vor allem auch deshalb, weil sie den Schritt ihres Gatten vernahm. Die Räder seines Wagens knirschten unten über den Kies. Bedächtigen Schrittes stieg er die Stufen zur Veranda herauf und küßte Cosima ritterlich die Hand.
»Sehr freundlich, gnädige Frau, daß Sie Mathilde Gesellschaft leisten. Ich kann mich ihr leider nicht immer so widmen, wie ich möchte. Das Geschäft nimmt mich zu sehr in Anspruch. Unter vier Augen sehen wir uns fast gar nicht mehr.« Mathilde spürte bei ihm schon wieder einmal einen Anflug von Verstimmung und glaubte ihn beschwichtigen zu müssen.
»Du Guter! Allen gehört eben deine offene und helfende Hand.«
»Was will man machen, gnädige Frau! Ich bin mir selbst zu wenig, um egoistisch dahinleben zu können. Da bleibt mir nur die Pflicht, wertvollen Menschen zu dienen.«
»Der schönste Beruf von allen!« sagte Cosima mit Überzeugung. »Niemand könnte ihn hochherziger üben als Sie. Zum Überfluß sind Sie auch noch mit dem rechten Sinn und Geschmack für künstlerische Leistungen begabt.«
»Ja, denen bin ich nahezu waffenlos ergeben. Ein schwacher Abglanz fremden Ruhms fällt dann auf mich. Das ist meine Eitelkeit, der ich mich wohl nicht zu schämen brauche.«
»Gewiß nicht! Sie verdienen unsterblich zu werden im Gefolge derer, die Sie der Kunst erhielten.«
Nun horchte auch Wesendonk auf die Klänge und die Stimme, die vom Asyl herübertönte, und seine Stirn umwölkte sich.
Mathilde schlug vor:
»Wie wäre es, wenn wir zusammen hinübergingen, Herrn von Bülows Interpretation aus nächster Nähe zu lauschen?«
»Das können wir ja, wenn die gnädige Frau nichts dagegen hat.«
Cosima war natürlich gern bereit. Schwüler als hier konnte die Atmosphäre selbst im geschlossenen Raum nicht sein. Wagner war noch am ehesten imstande, sie zu beschwören. Mit einer gewissen Erleichterung dachte sie daran, daß ihre Abreise nahe bevorstand, so unvergeßlich die Wochen beim Meister für sie auch gewesen waren.