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Erster Teil
Der Vater

Erstes Kapitel

Vor dem Schlößchen, genannt die Altenburg, fuhr der Wagen der russischen Fürstin vor. Die beiden Schimmel schüttelten Mähnen und Geschirr und scharrten ungeduldig den Kies. Hinter dem schmiedeeisernen Gitter des Gartens blieben ein paar Weimarer Bürgerinnen, die zum Frühmarkt gingen, neugierig stehen, tauschten spöttische Bemerkungen, zogen dann ihres Weges weiter, weil niemand vom Schloß sich zeigte.

Nach einer geraumen Weile trippelte die Zofe, schon reisefertig, aus dem Tor. Gleichzeitig öffnete sich über ihr ein Fenster. Das noch ungekämmte Köpfchen der Prinzessin beugte sich über das Gesims.

»Hören Sie, Jeannette«, rief sie auf französisch, »Mama läßt Ihnen sagen, daß Sie mit dem Gepäck lieber gleich in einer Droschke vorausfahren und am Bahnschalter die Karten nehmen, zwei Karten erster Klasse nach Paris!«

»Ja, Prinzessin!« zwitscherte das Kammerkätzchen. Da schleppte der Hausdiener auch schon die mächtigen Koffer herbei. Kutscher und Lakai thronten in tadelloser Steifheit nebeneinander auf dem Bock, brummten aber, die Lippen kaum bewegend, in ihrer gemütlichen thüringischen Mundart über die Hitze dieser Augusttage und den ewigen Dienst. Daß sie nun die nächsten Wochen über der Launen ihrer Herrin ledig sein würden, vergaßen sie ganz.

Aus dem ersten Stockwerk, dort wo die Prinzessin Marie ihre Zimmer hatte, wurden die Klänge eines Klaviers vernehmbar, Läufe und Triller für ihren Unterricht. Gleich aber verlor sie die Geduld, auch rauschte die Mutter herein, sich von ihr zu verabschieden.

Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein, Gemahlin eines beim Zaren in St. Petersburg lebenden Generaladjutanten, hauste seit einem Jahre, seit 1854, hier, kaum in Fühlung mit dem Hofe des Großherzogs, sondern als freie, allzu freie große Dame nach eigenem Geschmack. Ihre Neigungen teilte sie auf zwischen der neusten Musik, Wissenschaften aller Art, ihrem katholischen Glauben und der Liebe zu ihrem weltberühmten Freunde Franz, der hier die rückwärtigen Räume des Erdgeschosses bewohnte. Sie war als Tochter eines reichen Grundbesitzers und Herrn von mehreren tausend Leibeigenen in Polen aufgewachsen, dem Fürsten Wittgenstein zwangsweise angetraut worden und deshalb von jeher schlecht auf ihn zu sprechen gewesen. Gegen die Scheidung hatte er zwar nichts einzuwenden, doch der Zar und sein heiliger Synod bereiteten immer wieder Schwierigkeiten.

»Adieu, meine Kleine«, sagte sie kühl, das elfenbeinblasse Gesicht von orientalischem Schnitt über den Scheitel des jungen Mädchens neigend und die schwarzen Schlitzaugen träumerisch schließend, »übe fleißig, ohne den Meister damit zu belästigen! Bald wirst du angenehme Gesellschaft haben.«

Marie küßte der Mutter die hingehaltene Backe. »Gute Reise, Mama! Ich beneide dich um Paris.«

»Mit Unrecht. Man unterhält sich dort nur auf triviale Weise. Beziehungen habe ich anzuknüpfen, Geschäfte zu erledigen; das ist niemals ein Vergnügen.«

An der Auffahrt trat sie geblendet unter grelle Sonnenstrahlen, die sich glitzernd auf dem weinroten Samt ihres Umhangs brachen. Sofort löste sie aufseufzend die breiten Atlasbänder des Kiepenhutes und lüftete dreist die Krinoline. Recht verblüht sah sie aus in dem unbarmherzigen Morgenlicht: doch der Verehrer, der neben dem Wagenschlag, dem abgesprungenen Lakaien gegenüber, ihrer wartete, zog sofort ihre Hand inbrünstig an die schmalen, bartlosen Lippen. Der noch immer schöne, stattliche Vierziger, das durchgeistigte und beseelte Antlitz von bräunlicher Mähne umwallt, erstarb vor ihr in achtungsvoller Leidenschaft.

»Also, es ist so weit, ma chérie, ich soll mich ohne Sie behelfen, womöglich bis zum Spätsommer! Wie wird das werden? Nun, Sie haben es reiflich erwogen, Sie halten es für besser so: da gilt keine Klage.«

»Ach, machen Sie mir das Herz nicht schwer, mein Freund! Die beiden jungen Mädchen, die mich ersetzen sollen, werden Sie mich bald vergessen lassen. Deren Gegenwart wird Ihnen wohltun, freuen Sie sich ihrer von Herzen! Übernehmen Sie sich nur nicht, schonen Sie bei der Arbeit Ihre Kräfte! Früher haben Sie zuviel Raubbau damit getrieben. – Leben Sie wohl!«

Sie gab dem Kutscher das Zeichen, und die Schimmel trabten an.

Wehmütig blickte Franz Liszt ihr nach und winkte mit der langen schmalen Virtuosenhand.

Soeben bog ein Jüngling in den Garten ein, wich, Front machend, der Kutsche aus, zog ehrerbietig die Mütze.

»Bronsart, Sie?« rief Liszt ihn an. »Richtig, Sie kommen ja zur Stunde! Der Alltag tritt in seine Rechte.« Freundschaftlich legte er den Arm um die Schulter seines Schülers und zog ihn ins Haus.

»Durchlaucht bleiben doch nicht lange aus?« erlaubte sich der junge Mann zu fragen.

»Gottlob nein. Immerhin werden wir sie täglich schwer vermissen. Fehlt die Herrin, müssen wir in unserm kleinen Kreis wie die Zigeuner hausen.«

Liszts Arbeitszimmer, in dem er seine Schüler unterrichtete, ein beengter, quadratischer Raum mit Blick auf den schattigen Garten der Altenburg war sehr einfach ausgestattet. Er enthielt außer dem Stutzflügel nur Tisch und Pult und etliche, mit Glanzkattun bezogene Sessel. Die Wand schmückte als einziges Bild Dürers Kupferstich »Die Melancholie«. Stöße von Noten türmten sich auf Bücherbrettern und mit Partituren vollgestopften Truhen.

Die Tür zum anstoßenden Stübchen, dessen Dunkel eine Ampel mit rötlichem Schein matt durchdrang, stand offen. Liszt schloß sie sofort, als er mit seinem Schüler eintrat. Es war sein und der Fürstin gemeinsames Betgemach und glich mit der ewigen Lampe schon einer Kapelle. Hier verrichtete das Paar täglich Morgen- und Abendandacht: denn die Frömmigkeit des Meisters hatte unter dem Einfluß der Gefährtin beträchtlich zugenommen und war noch immer im Wachsen.

An Arbeit fehlte es nicht. Der Tag war damit ausgefüllt bis auf jede Stunde. Schüler und Schülerinnen lösten sich am Flügel im Arbeitszimmer ab. Dann mußte der Hofkapellmeister hinüber ins Theater, die ersten Proben zu Meyerbeers »Propheten« in Angriff zu nehmen; denn der Großherzog hatte diese Modeoper, obgleich Liszt sie nicht ausstehen konnte, für den Anfang der nächsten Spielzeit befohlen. Zum Komponieren kam er erst gegen Abend: seine Symphonischen Dichtungen machten ihm viel Kopfzerbrechen, zumal bei dieser Hundstagshitze wollte es damit gar nicht recht vorwärtsgehen. Von zehn Uhr bis gegen Mitternacht endlich verlangte ihn nach der gewohnten Whistpartie. Dazu stellten sich der großherzogliche Leibarzt und ein glatzköpfiger Geheimrat ein, und Peter Cornelius, der gemütvolle junge Musiker, mußte mithalten als Ersatz der Fürstin, weil Liszt ungern mit Strohmann spielte. Cornelius dachte immer nur an die Komik der Stimmführung in seinem »Barbier von Bagdad«, dessen Gelingen ihm mehr am Herzen lag als Kartenspiel: wegen seiner Zerstreutheit wurde er vom Meister oft genug milde getadelt.

Prinzessin Marie ließ sich, stets an der Seite ihrer englischen Gouvernante, eines unscheinbaren, schattenhaften Wesens, nur bei den Mahlzeiten sehen, zu denen Franz Liszt auch einige Schüler als Freitischler lud. Die Unterhaltung schleppte sich stockend hin. Da die Fürstin fehlte, war ihr Freund nicht bei Stimmung. In sich gekehrt zerbröckelte er das Brot, nahm wenig zu sich und vergaß sich zuweilen so weit, daß er Takte, die ihm gerade einfielen, vor sich hinsummte. Dann hob die Prinzeß jedesmal mißbilligend die dünnen Brauen und warf der Governeß einen verstohlenen Blick zu; das ganze niedliche Persönchen erstarrte unversehens zu einem steifen Fragezeichen. Diese Klavierkollegen hier behagten ihr ohnehin nicht recht. Nur mit dem frischen, feinen Eduard Lassen neckte sie sich gern, und in den feurigen Hans von Bronsart war sie sogar ein wenig verliebt. Doch diese beiden speisten leider unter anderen losen Schwärmern in der Ressource.

An die vorgeschriebenen Fingerübungen dachte sie gar nicht mehr, sondern fuhr mit der unvermeidlichen Miß Griffith lieber in Mamas Equipage spazieren, die Belvedere-Allee entlang oder durch das Webicht-Wäldchen hinaus nach Tiefurt. Langweiliges Nest, dieses Weimar, so fand sie, in St. Petersburg hatte wahrhaftig ein anderes Leben geherrscht, aber nun würde sie wohl so bald aus Deutschland nicht wieder herauskommen; Mama hatte sich mit Herrn Liszt gar zu häuslich eingerichtet.

Marie Wittgenstein erinnerte sich nicht ohne Unbehagen jener ersten Begegnungen mit dem gefeierten, immer auch von ihr bewunderten Meister, der ihrer Mutter damals in Odessa unter den Augen der ganzen schmunzelnden Welt so stürmisch den Hof gemacht hatte und von ihr mit der gleichen Leidenschaft begünstigt worden war. Als sie dann Rußland für immer verließen und ihm nach Weimar folgten, wo der Mama die Altenburg zur Verfügung gestellt wurde, wagte Marie als gehorsame Tochter keinen Widerspruch, fand sich hier aber doch fehl am Platz. Die schwierige deutsche Sprache mußte sie erlernen, beim Meister anstrengende Klavierstunden nehmen und ohne standesgemäßen Verkehr sich mit den zwei Hofbällen des letzten Winters begnügen. Dort umschwärmten sie sofort die Offiziere und Landjunker – nun ja, das hätte ihr schon Spaß gemacht, allein der Sommer verlief trotz einer Reise ins Seebad eintönig unter lauter Musikanten.

Für die Musikanten konnte es allerdings auch hoch hergehen in der Altenburg. Die Schar der begeisterten Anhänger Franz Liszts war groß und über alle Lande verstreut. Viele von ihnen galten schon als Hausfreunde, kamen und gingen in beständigem Wechsel, wohnten im »Erbprinzen« oder mieteten sich auf Wochen in Bürgerquartieren ein. Dann wurde unter der Gönnerschaft der Fürstin üppig getäfelt und glänzend musiziert. Pariser Berühmtheiten, wie Berlioz und Vieuxtemps, waren zu längerem Besuch eingetroffen, die Maler Schwind und Kaulbach aus München, die Bildhauer Rietschel und Donndorf als Zuhörer, der Dichter Friedrich Hebbel aus Wien. Dieser hatte die kindlich reizende Burgschauspielerin Marie Seebach, das ergreifendste »Gretchen« der deutschen Bühne, mitgebracht; sie deklamierte im »Blauen Salon« seinen »Heideknaben«, und Meister Liszt begleitete sie am Flügel mit Robert Schumanns melodramatischen Weisen. Gewiß, das waren unleugbare Höhepunkte kunstverklärter Geselligkeit. Dagegen kamen die herkömmlichen Hoffeste nicht auf, geschweige denn die langstieligen Kaffeekränzchen der Bürgerschaft, die das Treiben in der Altenburg mit einem Gemisch aus Neid und moralischer Entrüstung bekrittelte. Nur hätte sich die kleine Prinzeß dazu ein paar Menschen ihrer Alters- und Bildungsstufe, ihrer eigenen Gesellschaftsschicht gewünscht. Soviel Genie, Ruhm und geistreiche männliche Überlegenheit bedrückten sie.

*

Auf der Strecke zwischen Aachen und Köln kreuzte der Schnellzug, der die Fürstin Carolyne nach Paris brachte, einen anderen in der Richtung Paris – Weimar. Durch dessen Abteilfenster blickten zwei junge Mädchen auf die deutsche Landschaft, beide erwartungsvoll, die ältere aber mit tränenschweren Augen, die jüngere hoffnungsfroh. Kerzengerade saßen sie, ohne sich nur einen Augenblick in das rotsamtne Polster zurückzulehnen: eine aufrechte, dabei ungezwungene Haltung hatte ihnen die Erzieherin Madame Patersi zur Gewohnheit gemacht. Doch nicht diese begleitete sie, sondern eine ältere deutsche Dame, Frau Franziska von Bülow aus Berlin. Daß sie die uralte Patersi nun für immer los waren, bereitete ihnen keinen Kummer. Ob sie freilich durch den Tausch mit Frau von Bülow gewonnen hatten, stand noch dahin. Das war offenbar eine echt preußische Adelige, von gemessener, etwas herablassender Freundlichkeit, wortkarg, taktvoll und zurückhaltend wie eine Äbtissin. Sie saß zwischen ihren Schützlingen und beobachtete unaufdringlich ihr Benehmen.

Als sie bei Großmutter Liszt von ihr abgeholt wurden, gefiel sie ihnen zunächst recht wenig. Bald aber versicherten sie einander, daß es sich wohl mit ihr werde aushalten lassen; eine nicht gerade bestechende, dafür aber gründliche Bildung schien sie zu besitzen, viel Verständnis für Musik, leider nur für die ältere, und unter dem flachen Busen kein hartes Herz. Der Abschied von Großmutter – ach, und eine Woche vorher schon von Mama! – war ihnen schwer geworden. Wer weiß, ob sie je wieder nach Paris zurückkehren würden! Da hatte ihnen Frau von Bülow mit der knochigen Hand die Wange geklopft und getröstet: »Nur Mut! Auch Berlin ist eine schöne Stadt. Ich werde sie euch mit allen ihren Schätzen zeigen und bei mir zu Hause gewissenhaft für euch sorgen.«

»Oh, sieh, Blandine!« rief die Jüngere begeistert. »Da haben wir schon den Rhein! Wie breit und stolz er dahinströmt! Und dort der prächtige, schneeweiße Dampfer! Vor dem können sich die auf der Seine verstecken!«

Das blasse, noch immer etwas verweinte Gesichtchen Blandines hellte sich nur wenig auf:

»Ja, es ist ein stattliches Schiff. Gewiß wird vieles in Deutschland großartiger und eindrucksvoller sein als bei uns.«

»Besonders das preußische Militär wird euch gefallen«, warf Frau von Bülow ein. »Es hat eine wunderbare Haltung. Die Offiziere wie die Mannschaften übertreffen die des Kaisers Napoleon bei weitem. Euch darf ich es ja sagen, weil ihr jetzt Deutsche werden wollt.«

Wollten sie wirklich? Darüber waren sie sich noch nicht ganz im klaren, es kam ihnen aber auch nicht weiter darauf an.

In Kassel verließen sie den Zug, machten zwei Tage dort in einem Hotel Station und besichtigten die Umgebung. Dann ging es nach Weimar. Da sich Gelegenheit gab, eine raschere Bahnverbindung zu benutzen, trafen sie um zwei Stunden früher ein, als sie sich angemeldet hatten. Den Wagen fanden sie deshalb am Bahnhof nicht vor und mußten eine Droschke zur Altenburg nehmen.

»Eine richtige Überraschung wird es werden für Papa!« jubelten die Schwestern. Frau von Bülow meinte bedenklich: »Ich will hoffen, daß wir damit nicht stören.«

Mitten in die abendliche Whistpartie brachen sie ein. Leise öffneten sie die Tür und standen im Reisegewand vor den verdutzten Spielern.

Es gab eine kleine Verlegenheit. Die Herren sprangen höflich auf. Liszt eilte, die offenen Arme seiner Töchter übersehend, zunächst auf Frau von Bülow zu, begrüßte sie aufs verbindlichste und stellte dann die Herren vor. Nun erst kam er dazu, sich des Wiedersehens mit seinen Kindern zu freuen:

» Mon dieu, wie habt ihr euch in diesen zwei Jahren herausgemacht! Fertige Pariserinnen! Blandine ... wohl ein bißchen gar zu schlank! Und du, Cosette, immer noch der frühere Wildfang? – Charmant, charmant! Und wirklich beide comme il faut

Peter Cornelius hielt sich unbeholfen im Hintergrund. Der Leibarzt aber machte ein paar scherzhafte Artigkeiten, und der Geheimrat suchte vergebens ein unbefangenes Gespräch anzuknüpfen. Wußte er doch nicht einmal, welchen Namen die jungen Damen eigentlich führten. Hießen sie Liszt nach dem Vater oder d'Agoult nach der Mutter, mit oder ohne Adelstitel? Am Ende gar de Flavigny, nach deren Mädchennamen? Der Leibarzt flüsterte ihm nachher in einem Winkel zu: »Liszt heißen sie. Er hat sie und ihren kleinen Bruder an Kindes Statt angenommen.«

Frau von Bülow war nicht dafür, daß man sich jetzt noch zu einem längeren Plausch zusammensetzte: die Fahrt in solch einem Dampfwagen sei eine Strapaze, und besonders Blandine sähe recht angegriffen aus, die Kinder gingen am besten gleich zur Ruhe. Dabei blieb es. Denn einer Dame gegenüber kannte Liszt keinen Widerspruch, der von seiten der Töchter blieb unberücksichtigt. Leise schmollend zogen sie sich mit ihrer Ehrendame zurück.

Die Whistpartner, vom Meister zum Bleiben nicht genötigt, gingen bald danach. Er hoffte noch, eine Partitur korrigieren zu können, aber selbst zu dieser leichteren Arbeit fehlte ihm die Sammlung. Der Eindruck des Wiedersehens war stärker gewesen, als er vermutet hatte.

Wie er noch mit der Feder in der Hand nachdenklich vor dem Pulte auf und ab ging, huschte hinter seinem Rücken Cosima herein, bereits in Nachtgewand und Pantöffelchen, das aufgelöste Blondhaar über den Schultern.

Er wandte sich um, da hing sie schon an seinem Halse.

»Aber Kind, was fällt dir ein?« wehrte er ihre stürmische Zärtlichkeit freudig bewegt, nur etwas verwundert ab. »Was soll Frau von Bülow denken, wenn sie dich vermißt!«

»Oh, Papa, ich mußte dich doch ordentlich begrüßen!« rief sie, unter Lachen ihre tiefe Bewegung verbergend. »Das vorhin vor den Leuten war nichts als ein Empfang auf Stelzen. Ich bin so selig, daß ich dich endlich wiederhabe!«

»Auf eine ganze Woche, mein Liebling! Da können wir noch oft genug beisammen sein. Jetzt aber ...«

»Jetzt nur einen kurzen Willkommgruß! Zu lange habe ich diesen Augenblick ersehnt.«

»Auch ich freue mich über die Maßen, euch bei mir zu haben.« Er mußte es dulden, daß sie ihn auf den Armsessel zog und sich auf seine Knie setzte.

»Verstehst du auch, daß ich jetzt niemanden auf der Welt habe, das heißt als Herrn über mir, als dich? Großmutter und Mama sind unerreichbar geworden. Ich halte mich, ich klammere mich nur noch an dich!«

»Auf wie lange, Cosette? Du weißt doch, daß ihr künftig in Berlin leben werdet. Dort findet ihr den Bülowschen Kreis und dann ...«

»Nun, was dann? Das eben möchte ich wissen.«

»Dann soll jede von euch ihre Partie machen. Ihr kommt allmählich in das Alter, wo ihr an Heiraten denken dürft.«

»Partie!« grollte sie. »Wie ich diesen Ausdruck hasse! Auch du hast niemals eine gemacht, weil du zu hoch darüber standest. Werden Partien auch in Deutschland so hinterlistig eingefädelt wie in Paris?«

»Gewiß nicht hinterlistig. Selbstverständlich werden zuallererst eure eigenen Wünsche in Betracht gezogen.«

»Sei versichert, mich verlangt nicht im mindesten darnach. Und warum könnten wir zu diesem Zweck nicht einfach bei dir hier in Weimar bleiben?«

Seine Miene bekam etwas Befangenes, die herrlichen hellen Augen irrten verschleiert zur Decke.

»Es würde sich aus verschiedenen Gründen nicht recht passen. Ich bin doch Gast der Fürstin, sie ist die Herrin dieser Burg.«

»Und du ihr Vasall?« fuhr es Cosima heraus.

»Das Wort ist zu stark«, erwiderte er verstimmt. »Sie hat sehr viel für mich getan, hat mich seelisch und künstlerisch gefördert, ist noch immer für mich tätig in jeder Hinsicht. Sie allein hat erst Ordnung in mein unstetes Virtuosenleben gebracht.«

»Wir wissen es, wollen uns auch gewiß nicht aufdrängen. – Sei mir nicht böse, geliebter Papa! Du darfst glauben, daß ich jedem Wunsch von dir aus freien Stücken entgegenkommen werde – ja, und Blandine, die gegen keinen inneren Trotz anzukämpfen hat, erst recht.«

»Gut so, meine kleine Cosette! Nun aber lege dich schlafen. Ich werde gewiß von dir träumen, diese ganze Nacht.«

»Oh, etwas Schöneres konntest du mir nicht sagen! Ich bin ja so stolz auf dich, mein glänzender Künstlerpapa, so namenlos glücklich in deiner Nähe!«

Noch einmal umschlang sie ihn mit kindlichem Ungestüm. Dann eilte sie durch den Blauen Salon davon, die Stiege hinauf zu ihrer Schwester.

Liszt stand in Gedanken an sein merkwürdiges Kind versunken. Er strahlte schon wieder. Die Fürstin hatte er fürs erste vergessen.


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