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Man weiß, daß der Krieg von 1866 nach der Schlacht von Königgrätz für Preußen siegreich und allen deutschen Stämmen zum Segen sich entschied. Bayern kam im Frieden glimpflich davon, das Königtum erlitt keinerlei Einbuße.
Gespannt erwarteten Wagner und Cosima persönliche Nachrichten vom König, ob er sich des Ministeriums von der Pfordten entledigen werde, das mit seiner kurzsichtigen und engherzigen Politik die Niederlage Bayerns und durch die von ihm angeordneten Gefechte sogar sinnloses Blutvergießen verschuldet hatte, welchen Regierungskurs er nunmehr einschlagen, wie er sich seiner neubefestigten Souveränität bedienen werde.
Sein erstes Schreiben schmetterte sie nieder. Ludwig sprach darin mit einem Schwall von Gefühlsseligkeit und Weltschmerz die Absicht aus, dem Thron zugunsten seines jüngeren Bruders zu entsagen – aus keinem anderen Grunde, als weil er sich den Aufgaben eines Herrschers nicht gewachsen fühlte und nur den einen Wunsch hegte, in stiller Zurückgezogenheit an der Seite seines geliebten Freundes zu leben. »Allein, verlassen bin ich, wo er nicht ist. Wir müssen für immer vereinigt sein. Meine wahre, göttliche Bestimmung ist diese, bei ihm zu bleiben, als treuer, liebender Gefährte ihn mir zu erhalten.«
Wenn der König Schritte unternahm, sein Vorhaben auszuführen, wenn es auch nur in seiner Umgebung ruchbar wurde, so war alles verloren. Ein Skandal, furchtbarer als alle bisherigen, würde ausbrechen und Richard Wagner als den bösen Geist des irregeleiteten, schwärmerischen Jünglings bloßstellen. Keine Zeit durfte verloren, alles mußte aufgeboten werden, das Unglück im Keim zu ersticken. Der Meister selbst sowohl wie Cosima beschworen ihn in eiligst abgesandten Antwortbriefen, von seinem unmöglichen Plane abzustehen. Sie stellten ihm vor, welch unabsehbare Folgen er nach sich ziehen würde, und ließen keinen Zweifel, daß für ihn wie für ihre große Sache damit nichts gewonnen, vielmehr alles gefährdet war.
Cosima zeigte zartestes Verständnis für Ludwigs mutlose Stimmung. Sie traf den rechten Ton, der auf ihn wirken mußte, indem sie ihn anflehte, sich auf sein Gottesgnadentum zu besinnen, und sprach die Zuversicht aus, daß er sich mit entschiedenem, tatkräftigem Eingreifen Gehorsam und Ehrfurcht erzwingen werde. Ihre Warnungen standen nur zwischen den Zeilen. Wagner drückte sich strenger und sachlicher aus; unverblümt verwies er den jungen, nun schon fast lästig werdenden Gönner auf seine Staatspflichten und stellte, wenn er nicht Vernunft annehme, dauernde Trennung in Aussicht.
Beide Briefe, in einem Umschlag vereint, taten ihre Wirkung. König Ludwig nahm Vernunft an. Cosima aber wußte von nun ab, daß er bei all seinem guten Willen und seiner Anhänglichkeit ein schwankender Charakter war, von dem man sich peinlicher Überraschungen zu versehen hatte.
Auch Wagners weiteren, von Cosima angeregten Ratschlägen zeigte er sich zugänglich. Sie mußten teilweise das politische Gebiet berühren, da auf diesem die bisherigen, kopfscheu oder unbrauchbar gewordenen Berater der Krone völlig versagten. Nachdem Cosima die Entfernung von der Pfordtens und natürlich auch Pfistermeisters veranlaßt hatte, hielt sie es für dringend erwünscht, daß der König seine Volkstümlichkeit wiederherstellte. Sein Verlangen, Bülows wieder in München zu haben und den Meister in Schloß Nymphenburg anzusiedeln, wurde ihm als verfrüht rundweg abgeschlagen. Stattdessen empfahl sie ihm, die vom Krieg schwer heimgesuchte Provinz Franken als Tröster und Helfer zu besuchen. Gleich war er bereit dazu, und es machte einen ausgezeichneten Eindruck. Die Bevölkerung empfing ihn gerührt mit Fackelzügen, rühmte seine Anteilnahme an den Verwundeten in den Lazaretten und jubelte ihm bei den Paraden zu, denen er sich als einem langweiligen Schaugepräge mit erfrorenem Lächeln heroisch unterzog.
Auch die Entfremdung der Münchner legte sich, als sie merkten – was ihnen immer als Zeichen einer guten Regierung galt –, daß der Alltag nun wieder seinen ruhigen Gang nahm, die Marktpreise sanken, das Bier besser und billiger wurde.
In dem neuen Ministerpräsidenten traf der König eine glückliche, auch für Wagner nicht ungünstige Wahl. Es war der Fürst Chlodwig Hohenlohe, ein Anhänger der Bismarckschen Ideen und allen Übergriffen herrschsüchtiger Priester abgeneigt. Von Richard Wagners Bedeutung verstand er nicht viel, gedachte aber nicht, den König in seiner Privatliebhaberei zu stören.
Es hatte den Anschein, als ob nun auch in des Meisters Leben der Friede einkehren und Cosima ihren Gatten mit seiner Lage aussöhnen werde. Sie besuchte ihn öfters in Basel, wo er mit seiner Tätigkeit zufrieden war. Mit dem Plane der Scheidung wollte sie ihn vorläufig noch nicht behelligen: sie hoffte, daß er sich eines Tages von selbst dazu erbieten werde.
Spätsommer und Herbst verliefen ihr in wohltuender Abgeschiedenheit von der Welt. An den Vormittagen förderte Wagner die Instrumentation seiner Meistersinger, mit der er Cosima auf dem laufenden hielt. Nachmittags lief er, nur begleitet von seinen Hunden, einem schwerfälligen Bernhardiner und einem kleinen Pinscher, neue Weisen ersinnend, durch Wiesen und Felder. Dann gehörte eine Stunde dem Kinderzimmer. Nach dem Abendbrot diktierte er Cosima seine Lebensbeschreibung, die der König in aller Ausführlichkeit zu besitzen wünschte. So lernte sie jetzt erst dieses schwere, stürmische, nur von Schaffenslust verklärte Leben in all seinen Nöten und Ekstasen kennen, um dem Geliebten auch in seinen anfechtbaren, ihr bisher unverständlichen Regungen gerecht zu werden.
Die Ruhe der lieblichen Landschaft teilte sich ihren Betrachtungen mit. Nur das Glockengeläut der Kühe, deren Scharen von den Alpen herabgetrieben wurden und auf den umlichteten Matten weideten, tönte zu ihnen herüber. Verirrten sich einige in den Garten, so blickten sie mit großen Augen behaglich-neugierig durchs Fenster auf die beiden Menschen im Lampenschein.
*
König Ludwig nahm seine und der Freunde künstlerischen Lieblingspläne wieder auf. Die Lehranstalt für Musik und dramatische Kunst sollte endgültig begründet und Bülow mit ihrer Leitung betraut werden. Das Festspieltheater sollte nach den Plänen Gottfried Sempers in München erstehen. Die Aufführung der Meistersinger ordnete er an, noch bevor sie vollendet waren.
Den bedeutungsvollsten Entschluß aber faßte er für seine eigene Person. Es war ihm bekannt und neuerdings von seiner Mutter wie von seiner Umgebung nahegelegt worden, daß auf einen Thron auch eine Königin gehöre, zu Nutz und Frommen des Auftretens und der Erhaltung der Dynastie. Vor allem versprach man sich davon auch die günstigste Wirkung auf ihn selbst. Die ersten beiden Gründe ließ er gelten, persönlich verspürte er wenig Neigung. Doch machte er sich allmählich mit dem Gedanken vertraut und hielt Ausschau. Sein Blick fiel auf seine Base Sophie, jüngste Tochter des Herzogs Maximilian in Bayern, Schwester der Kaiserin Elisabeth von Österreich. Die Verschwägerung mit den Habsburgern verstärkte in wünschenswerter Weise die alten politischen Bande, das hoben die Berater hervor. Für Ludwig war allein maßgebend, daß er die Herzogin von Kindheit an kannte und immer gern gehabt hatte. Ihre reizende Erscheinung, ihre anspruchslose, kindliche Natürlichkeit flößten ihm Vertrauen ein. Nur eine Gemahlin, die er liebte, wollte er wählen, bei Sophie schien ihm das am ehesten möglich. Sie war die einzige Frau, die er bisher der Beachtung wert gehalten hatte; denn selbst Frau von Bülow schätzte er nur wie eine mütterliche Freundin, als Verbindungsglied mit ihm, dem einzigen, dem sein ganzes Herz gehörte.
Die Herzogin war begeisterte Verehrerin der Wagnerschen Musik. Das gefiel ihm am meisten an ihr. In des Meisters Zeichen fanden sie sich, indem sie gemeinsam von ihm schwärmten. Bald kam es ihm so vor, als ob er sie wirklich liebte, er wünschte es aufrichtig und redete es sich schließlich ein.
Als die Verlobung verkündet wurde, herrschte allgemeine Befriedigung, am Hofe wie in allen Kreisen des Volkes. Eine bayrische Prinzessin sah jeder Bayer am liebsten auf dem angestammten Thron, dabei war Sophie, wie überhaupt das ganze herzogliche Haus, von jeher volkstümlich gewesen. Mit einem Schlage legte sich der letzte Rest von Groll gegen den König.
Als Wagner von ihm persönlich die Nachricht erhielt, freute er sich über die Maßen, und Cosima sagte, gleichfalls beglückt:
»Ein wahrhaft erlösender Schritt und ein gutes Zeichen für ihn. Je früher er in natürliche Bahnen einlenkt, desto besser auch für dich! Die Prinzessin soll ein bezaubernder Mensch sein, sie wird ihn gelinde zu leiten wissen und sicher den wohltuendsten Einfluß auf ihn haben. Du aber wirst, wenn er nun sein Herz zwischen euch teilt, in mancher Hinsicht entlastet sein.« –
Im Frühjahr befahl der König Richard Wagner zu sich nach Schloß Berg. Ja, es war diesmal wirklich ein Befehl, wenn auch verbrämt mit flehentlichen Bitten, Beteuerungen der Sehnsucht und dem Versprechen eines schönen Lohns. Cosima sah, wie der Freund nur zu gern gehorchte. Sie konnte es ihm nicht verdenken, daß er sich geschmeichelt fühlte und in neuen Hoffnungen wiegte. In der Tat gab es keinen Grund mehr, sich zu weigern, denn München hatte sich in seine lässige Duldsamkeit zurückgefunden, und der Ministerpräsident stand, wie Ludwig andeutete, selbst hinter dem Befehl. Auf eine Woche nahm sich Wagner Urlaub von Triebschen; ihr war das eigentlich schon zu lange, doch unterdrückte sie ihren Trennungsschmerz.
Auch in Abwesenheit des Geliebten hielt sie die innere Verbindung mit ihm aufrecht und widmete sich selbst den Kindern nicht mehr als sonst. Die Spazierwege, auf denen sie dem Heimkehrenden täglich entgegenging, mochte sie selbst bei strömendem Regen nicht missen; nun trotteten die beiden Hunde in Ermangelung des Herrn trübselig neben ihr und schienen zu warten, daß er ihnen plötzlich aus dem Wald entgegenträte. Daheim verließ sie nur selten sein Zimmer, überarbeitete das Diktat seiner Lebensbeschreibung, las in den Partituren und seinen letzten Niederschriften, um wenigstens seine Handschrift, diese zügigen, schwungvollen Zeilen und den schwebenden Tanz seiner zierlichen Noten, vor sich zu haben.
Ein paarmal gab er Nachricht von sich, aber nur im allgemeinen, daß es ihm gut ginge, daß der König ihn sehr verwöhnte und wichtige Fragen nach Wunsch erledigt würden. Sie geriet in Besorgnis: wenn es Erfreuliches war, warum zögerte er, sie gleich daran teilnehmen zu lassen?
*
Müde aber aufgeräumt kehrte Wagner zur Nachtzeit zurück. Wieder rühmte er die Huld des Königs und die Annehmlichkeiten des Aufenthalts in Schloß und Park, sprach auch sehr angetan vom Fürsten Hohenlohe, dem er vorgestellt worden war: ein großer Herr von den verbindlichsten Formen, ein wirklicher Staatsmann, aber ganz anders als sein Vorbild Bismarck, von Figur klein, schlank und geschmeidig, feingebildet und nur mit der einen Schwäche behaftet, daß er unmusikalisch war. Cosima fragte dringlich nach den wichtigen Ergebnissen, doch Wagner verschob »das Geschäftliche« auf den nächsten Morgen.
Da packte er denn, beim Frühstück, endlich alle Neuigkeiten aus.
»Also, um es mit einem Wort zu sagen, Cosima – Sieg auf der ganzen Linie! Der König ist einverstanden, vielmehr er hat angeordnet, daß alle meine Werke, eins nach dem anderen, am Hoftheater herausgebracht werden. Hohenlohe erbot sich selbst, jeden Widerspruch, jede Ausflucht des Generalintendanten von Perfall im Keime zu ersticken. Zuerst, am 14. Juni, soll nun der Lohengrin kommen, dann im Oktober, zur Feier von des Königs Hochzeit, die Aufführung der Meistersinger, natürlich in der glänzendsten Besetzung!«
»Oh, das ist großartig!« jubelte Cosima. »Mehr konnten wir wirklich nicht erwarten – und wer wird dirigieren?«
»Da fragst du noch? Wer anders als Hans?«
»Aber wird er wollen?« zweifelte sie in Erinnerung an die Art und Weise, wie man ihn vor kaum einem Jahr aus München hinauskomplimentiert hatte.
»Er wird müssen. Das wäre noch schöner, wenn er Einwände erhöbe. Steht er nicht gewissermaßen noch in des Königs Diensten?«
»Vertraglich ist er nicht mehr gebunden. Er soll den Perfall schlucken und Perfall ihn? Für beide ein harter Bissen!«
»Deine Sache ist es, ihn schmackhaft zu machen. So etwas kannst du ja.«
»Von hier aus reicht weder meine Hand noch meine Stimme bis in die Generalintendanz.«
»Von Triebschen aus freilich nicht. Aber sobald ihr in München wieder zusammen lebt ...« Wagner stockte, mit dem Ausdruck schlechten Gewissens.
»Wieso? Zusammenleben mit Hans? Das kann dein Ernst nicht sein.«
»Es wird uns dreien nichts anderes übrigbleiben. Der König nimmt es als selbstverständlich an, und Hohenlohe setzte mir unter vier Augen auseinander, daß die Wiederaufnahme eurer ehelichen Gemeinschaft allein schon zur Beruhigung der moralischen Gemüter unerläßlich wäre. Wir wissen ja, mein Kind, es wird nur eine äußerliche Geste sein. Stell dir die Freude deines Mannes vor, dich wenigstens wieder unter seinem Dache zu haben! Und für dich und mich ist es nur eine kurze Wartezeit. Während der Proben muß ich ja sowieso in München Aufenthalt nehmen.«
Cosima schwieg, mit zusammengepreßten Lippen, ihre Stirn hatte sich drohend umwölkt, in ihren Augen funkelte heller Zorn. Wie? Man verfügte über sie wie über eine Sache, die willenlos aus einer Hand in die andere geht? Und der Geliebte selbst, der anverlobte Freund, der ihr die Ehe versprochen, schickte sie ruhig auf unbestimmte Zeit dem Gatten zurück?! Nachdem sie sich deutlich genug von Hans verabschiedet hatte, sollte sie vor ihn hintreten: da bin ich wieder. Die Verhältnisse haben es so gefügt?! Ach ja, nichts anderes als die Verhältnisse, die Verkettung der Umstände, wie sie gerechterweise zugeben mußte! Wagner und Bülow, der König und sein Kabinettspräsident, sie alle konnten nicht anders als der Stimmung des Publikums Rechnung tragen. Das Publikum ist nun einmal, wenn es sich um öffentliche Aufführungen von höchster Wichtigkeit, um die Einbürgerung einer neuen Kunst handelt, der ausschlaggebende Faktor!
Ganz hilflos fühlte sie sich vor dieser Macht, sie brach in Tränen aus.
»Aber Cosima! Mein liebes, dummes, über alles geliebtes Kindchen!« schmeichelte Wagner bestürzt. »Wird es dir so schwer, unser Asyl für eine Weile zu verlassen? Wir bleiben doch trotzdem untrennbar zusammen, täglich können wir uns sehen! Und der nächste Sommer wird sich in nichts von diesem unterscheiden!«
»Bloß daß ihr mich inzwischen gedemütigt, entwürdigt habt!« rief sie mit zuckenden Lippen. »Komödie soll ich spielen vor allem Volk, mir den Anschein der zärtlichen Gattin geben, die reuevoll heimkehrt an den ehelichen Herd! Dabei ist alles nur Schein und Lüge, abgekartetes Spiel zwischen uns beiden, Täuschung des Königs, Blendwerk für Hans! Wie soll ich ein Jahr lang so vor mir selbst bestehen!«
»Muß es nicht sein? Siehst du einen Ausweg, wie es sich anders ordnen ließe? Möchtest du etwa allein hierbleiben? Oder kannst du in München eine andere Wohnung beziehen als dein Mann, oder gar die meinige mit mir teilen?«
»So ist es also wieder einmal«, führte sie geschlagen seine Gedanken fort, »auf der einen Seite steht das Gebot deines Werkes, auf der anderen meine armselige Person, die ihm nicht zum Hindernis werden darf. Da gibt es freilich keine Wahl, kein Widerstreben. – Auf! Zurück nach München! Du sollst dich in mir nicht getäuscht haben.«
*
»Die Bülowschen san wieder da, beisammen und guet mitanand«, hieß es in München, »und den Wagner ham'r aa wieder, drauß' in Starnberg und beim Kini in Berg.« Alles war vergeben und vergessen – bei der Bevölkerung, nicht ganz beim Theater.
Cosima hielt sich als Vermittlerin vor den Behörden klug zurück, und Hans mit seiner scharfen Zunge. Besuchte sie Wagner zuweilen – sie hatten ihm zwei Zimmer ihrer Wohnung eingeräumt, so daß er jederzeit bei ihnen absteigen konnte –, zeigte sich Cosima niemals mit ihm in der Öffentlichkeit.
Die Vorbereitungen zum Lohengrin entfesselten sogleich die üblichen Theaterintrigen. Es war nicht leicht, ihn zu besetzen, der Ehrgeiz der Sänger und besonders der Sängerinnen umkämpfte leidenschaftlich die verschiedenen Partien. Da war ein junger Schauspieler, namens Ernst Possart, der hatte einen hohen Sopran zur Braut. Als nun Wagner und der König übereinstimmend ein Fräulein Mallinger mit der Partie der Elsa von Brabant betrauten, steckte sich Herr Possart hinter einen Intendanzrat, der aus rechtlichen Gründen Einspruch erhob: die Possartsche Braut hätte vertraglichen Anspruch darauf. Wurde dieser Streitfall noch zugunsten der Mallinger entschieden, so kam es aus Anlaß der Titelrolle zwischen dem König und dem Komponisten zu einem ernsten Konflikt. Dieser hatte die Partie des Lohengrin seinem allen Freunde Tichatschek, mit dem er schon vor zwanzig Jahren an der Dresdener Oper zusammengearbeitet, übertragen. Dieser Heldentenor erfreute sich einer mächtigen Stimme, war aber leider schon alt, wohlbeleibt und schwerfällig in den Bewegungen. Der König sah ihn erst in der Separatprobe, die er sich nach seiner Gewohnheit bestellt hatte, und war empört, daß man ihm solch einen »Ritter von der traurigen Gestalt« als Idealbild seines Schwanenritters vorzusetzen wagte. Tief angewidert verließ er seine Loge und befahl, die Partie bis zur Erstaufführung umzubesetzen.
Nun kehrte Wagner seinerseits, in seiner Meisterehre gekränkt, München den Rücken, indem er Bülow alles Weitere überließ. Der leistete, wider seine bessere Überzeugung, dem Befehl des Königs Folge, dem Cosima nicht unrecht gab.
»Schau, Hans, der Tichatschek ist doch in der Tat ein abstoßender Anblick. Einen Fleischkoloß als Lohengrin kann man weder dem König noch dem Publikum zumuten.«
»Meine Liebe, entschuldige schon, aber das verstehst du nicht«, entgegnete Hans. »Die Oper ist in erster Linie dazu da, Sänger hören zu lassen. Große Stimme und edle Figur finden sich selten vereint. Die Partien, die der Meister schreibt, erfordern eine Stimme und einen Brustkasten von außerordentlichem Umfang, wie sie sich blühende Jugend erst erkämpfen muß. So kommt es, daß seine Sänger keinen Liebreiz mehr, wohl aber dicke Bäuche und wogende Busen haben.«
»Sehr bedauerlich, denn damit zerstören sie alle Illusion. Dann sollte man sie lieber hinter geschlossenem Vorhang singen lassen.«
»Dagegen hätte ich nichts einzuwenden«, lachte Hans, »aber Seine Majestät der König und Seine Majestät das Publikum betrachten die Oper nun einmal auch als Schaubühne. Mögen sie also die Augen schließen, wenn ihnen fremdes Fett auf die Nerven fällt! In diesem besonderen Fall suche ich für Ludwig den schönsten Jüngling des ganzen Ensembles aus, wenn er auch nur wie ein Choriste singen kann.«
Mit dem König war in diesen Wochen überhaupt schwer auszukommen. Noch mehr als sonst suchte er die Einsamkeit, zeigte sich überempfindlich und reizbar, nörgelte viel und erteilte sinnlose Befehle: wie seine Untertanen sich zuraunten, sollte er »ganz auseinander« sein. Niemand ahnte noch, daß der tiefste Grund davon in seiner bevorstehenden Vermählung lag. Als Bräutigam fühlte er sich gar nicht wohl und hegte dunkle Besorgnisse, die er doch niemand anvertrauen mochte.